Weil sie heftige Aussagen nur im Bundestag von sich gab, entgeht eine Ex-AfD-Abgeordnete und Richterin der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand. Ihr Fall gibt Anhaltspunkte, wie das Verfahren gegen Richter Jens Maier ausgehen könnte.
Es war ein außergewöhnliches Verfahren, das am Donnerstag beim Richterdienstgericht, angesiedelt beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin, verhandelt wurde. Die Berliner Justizverwaltung ist mit dem Versuch gescheitert, eine Richterin am Berliner Landgericht vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Die Justizsenatsverwaltung warf Zivilrichterin Birgit Malsack-Winkemann eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege vor, die Richterin habe sich während ihrer Zeit als AfD-Abgeordnete im Bundestag zwischen 2017 und 2021 in Plenardebattenbeiträgen und über Social-Media-Plattformen mit ausgrenzenden und offensichtlich falschen Behauptungen zu Flüchtlingen geäußert. Sie propagiere ein "kulturell homogenes Staatsvolk".
Das Richterdienstgericht beim Berliner Verwaltungsgericht, ein spezielles Gericht für dieses Verfahren, entschied nach nur etwa einstündiger Verhandlung am Donnerstag, dass die Äußerungen während Malsack-Winkemanns Zeit im Bundestag nicht in dem Verfahren um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand verwertet werden dürften (Az. DG 1/22). Dem stehe Art. 46 Grundgesetz (GG) entgegen, der ausschließt, dass Abgeordnete wegen ihrer Äußerungen aus dem Bundestag gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden. Äußerungen abseits der parlamentarischen Tätigkeit könnten grundsätzlich verwertet werden, begründeten die Richter ihr Urteil mündlich.
In Malsack-Winkemanns Fall blieb abgesehen von ihren Äußerungen während ihrer Abgeordnetenzeit aber nicht viel übrig. Ihre Aussagen abseits des Bundestags seien nicht von einer Qualität, die eine "schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege" (§ 31 Deutsches Richtergesetz) befürchten lassen müssten. Die Justizverwaltung und ihre Senatorin Lena Kreck (Die Linke) hatten entsprechende Nachweise nicht vorlegt und das Gericht hat sie auch nicht feststellen können. Weder Aussagen auf Facebook und Twitter noch die Existenz von Fotos, welche die Richterin mit Angehörigen des sog. Flügels der AfD zeigten, überzeugten das Gericht. Die Aussagen "reichten bei Weitem nicht aus", so der Vorsitzende Richter Jens Tegtmeier bei der mündlichen Begründung des Urteils.
Juristisches Neuland im Richterecht
Malsack-Winkemann ist seit 1996 Richterin auf Lebenszeit, sie ist immer noch AfD-Mitglied. 2017 wurde sie als Abgeordnete für den 19. Deutschen Bundestag gewählt. Nach Ende des Mandats kehrte sie im März 2022 auf eigenen Antrag an ihr bisheriges Gericht zurück. In einer ersten Prüfung hatte die Senatsverwaltung zunächst keine Beanstandungen geltend gemacht. Im Mai 2022 beantragte sie dann aber doch beim Richterdienstgericht, die Richterin in den Ruhestand zu versetzen.
Der Ausgang des Verfahrens dürfte für alle Beteiligten nicht völlig überraschend gekommen sein. Schon nach wenigen Minuten sagte der Vorsitzende Richter: "Wir haben eine relativ klare Vorstellung davon, wie der Fall zu bewerten ist".
Die Ausgangslage war recht überschaubar: Äußerungen von vorwerfbarer Qualität, etwa zu einem Zusammenhang von Migranten und Krankheiten, fielen in ihre Abgeordnetentätigkeit ("Krankheitserreger-importierenden Migranten"), außerhalb davon waren keine Aussagen von einer Qualität bekannt, die auf eine schwere Beeinträchtigung der Rechtspflege hindeuteten. Eine berechenbare Ausgangslage also, die vielleicht auch nicht ganz zufällig einige prominente AfD-Rechtspolitiker am Donnerstag zum selbstbewussten Besuch im Plenarsaal des VG gelockt hat, um demonstrativ Unterstützung zuzusichern, und die das Gericht schon vor der Mittagspause mit einem verbuchten Erfolg wieder verlassen konnten.
Es war ein Gerichtsverfahren zu Rechtsfragen, mit denen juristisch Neuland betreten wird, wie nicht nur der Vorsitzende Tegtmeier, sondern auch die Vertreterinnen der Justizsenatsverwaltung und der Anwalt von Malsack-Winkemann mehrfach betonten. Eingangs sagte der Vorsitzende Richter, dass ein solches Verfahren äußerst selten sei. Zwischen allen Beteiligten war man sich einig, dass es so gut wie keine Rechtsprechung zum zentralen § 31 DRiG gibt. Wie muss die Justiz mit Äußerungen umgehen, die Richter oder Staatsanwältinnen in ihrer Zeit als Abgeordnete und auch daneben von sich geben und die Anlass bieten könnten, sich um die unvoreingenommene Rechtspflege Sorgen zu machen?
Vorspiel für das Verfahren gegen Richter Jens Maier
Fragen, die rund 150 Kilometer weiter südöstlich demnächst das Richterdienstgericht in Sachsen beschäftigten werden, wenn dort ein Fall anderen Kalibers verhandelt wird. Auch hier stützt sich die Justizverwaltung auf den § 31 DRiG, um den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Richter und Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier in den Ruhestand zu versetzen. Der Kölner Rechtsanwalt Jochen Lober, der als Szeneanwalt gilt, wird dann seinen nächsten Auftritt haben. Er vertritt auch Richter Maier – aber in einem Prozess mit anderer Ausgangslage. Während Malsack-Winkemann sich neben ihrer Abgeordnetenarbeit zurückgehalten hat, ist Maier immer wieder durch heftige Aussagen aufgefallen.
Am Donnerstag wurde im Plenarsaal des VG auch über die Reichweite des Art. 46 GG diskutiert, der bestimmt, dass Aussagen von Abgeordneten aus dem Bundestag nicht gegen sie verwendet werden dürfen (ausgenommen verleumderische Beleidigungen). Die Vertreterinnen der Justizverwaltung argumentierten, wer im Parlament etwa die Religionsfreiheit in Deutschland abschaffen will, könne später nicht folgenlos als Richterin in die Justiz zurückkehren. Der Art. 46 GG befinde sich in einem Spannungsverhältnis zu anderen elementaren Grundprinzipien aus der Verfassung selbst und müsse entsprechend ausgelegt werden. Dafür sah das Richterdienstgericht aber keinen Raum.
Gegen das Urteil ist noch Berufung zum Richterdienstgerichtshof beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg möglich. Außerdem wurde in der Verhandlung ins Spiel gebracht, dass auch noch eine Richteranklage gegen Malsack-Winkemann erwogen werden könne. Die gibt es im Berliner Landesrecht aber bislang nicht.
Richteranklage ins Spiel gebracht
Der rechtspolitische Sprecher der Berliner Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, kündigte am Donnerstag verfassungsrechtliche Konsequenzen an. Berlin benötige neben dem Disziplinarrecht die Richteranklage als zusätzliches Instrument, hieß es in einer Mitteilung. "Ein Rechtsstaat, der sich selbst ernst nimmt, muss in der Lage sein, Richterinnen, an deren Verfassungstreue ernsthafte Zweifel bestehen, einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu unterziehen." Da es das Instrument auf Berliner Länderebene nicht gibt, wurde in der Verhandlung ebenfalls diskutiert, ob nach dem Vorbild einer Bundesrichteranklage auch noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht (Art. 98 Abs. 2 GG) eingeschlagen werden könnte.
Ob nach dem Urteil Rechtssuchende dennoch eine Voreingenommenheit befürchten müssen, speziell Geflüchtete, die künftig vor der Richterin landen würden? Malsack-Winkemann will darauf nicht antworten und verschwindet in den Pausen in den verwinkelten Fluren des Berliner VG. Stattdessen sprach der AfD-Abgeordnete und Rechtspolitiker Stephan Brandner. Bevor das Urteil verkündet wurde, sagte er auf die Frage nach der Voreingenommenheit: "Absurd, es gibt nach der Verhandlung keinen Anhaltspunkt für irgendwelche Zweifel an der Neutralität."
Bei der Urteilsverkündung nickt Malsack-Winkemann bei jedem Satz der Begründung, sie wirkt sehr zufrieden, dann wischt sie sich über die Augen und legt das Gesicht erleichtert in die Hände. Anschließend eilt sie aus dem Saal, kein Kommentar. Der Sprecher der Berliner Justizsenatsverwaltung, Martin Kröger, sagte, dass man das Urteil prüfen werde. Ob danach noch eine Richteranklage beim BVerfG angestrengt wird, wollte er offen lassen.
Richterdienstgericht Berlin: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49886 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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