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Staatsrechtliche Besonderheit: Was es mit dem Baye­ri­schen Obersten Lan­des­ge­richt auf sich hat

Gastbeitrag von Roman Kaiser

21.10.2019

Das Bayerische Oberste Landesgericht

© BayObLG

Containern ist Diebstahl – mit dieser Entscheidung zog das Ende 2018 wiedererrichtete BayObLG das erste Mal seit langem wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Roman Kaiser zu dessen Geschichte, Aufgaben und Verhältnis zu den übrigen Gerichten.

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Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG), das vergangene Woche mit seiner Entscheidung zum sogenannten Containern für Schlagzeilen gesorgt hat, existiert in seiner jetzigen Form erst seit September 2018 – und kann doch auf eine Tradition von fast 400 Jahren zurückblicken. Die Geschichte des höchsten Gerichts Bayerns reicht zurück in die Regierungszeit von Kurfürst Maximilian I. Diesem verlieh Kaiser Ferdinand II. 1620 das "privilegium de non appellando illimitatum", also das unbeschränkte Appellationsprivileg. Damit war Bayern der Gerichtsbarkeit des Reiches entzogen, eine Anrufung des Reichskammergerichts von dort aus nicht mehr möglich.

Am 17. April 1625 gründete Maximilian I. deshalb das "Revisorium" als "höchstes Tribunal des Landes", dem – vor dem Hintergrund des 1616 geschaffenen "Codex Maximilianeus" – fortan die Wahrung der Rechtseinheitlichkeit oblag. Das Revisorium sollte bis ins 19. Jahrhundert hinein bestehen. Von den napoleonischen Wirren nicht verschont geblieben, wurde es im neuen Königreich Bayern durch das 1809 gegründete Oberappellationsgericht ersetzt.

Nach der Gründung des deutschen Reichs gelang es den bayerischen Vertretern in den Verhandlungen um die Reichsjustizgesetze, einen Vorbehalt zugunsten der Justizhoheit der Länder in das Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) von 1877 aufzunehmen. Bayern durfte sein Höchstgericht behalten, das 1879 als "Bayerisches Oberstes Landesgericht" neu gegründet wurde. 1924 bestätigte dieses Gericht das milde Volksgerichtsurteil gegen Hitler. 1935 musste es der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik weichen und wurde aufgelöst.

Wieder errichtet, abgeschafft und wieder errichtet

Schon bald nach der demokratischen Neugeburt des Freistaats wurde das BayObLG 1948 wieder errichtet – als Zeichen bayerischer Eigenstaatlichkeit, aber auch vor dem Hintergrund, dass Bayern weiterhin über drei Oberlandesgerichte verfügte, während ein Nachfolger des Reichsgerichts zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Sicht war. In den Jahren der Bonner Republik erlangte das BayObLG mit seiner Rechtsprechung einiges Ansehen, wurde aber auch immer wieder in Frage gestellt – so etwa im Jahr 1969 sowohl von der NPD-Fraktion im Landtag als auch vom "Bund der Steuerzahler in Bayern".

Realität wurden die seitdem ersonnenen Sparerwägungen unter Ministerpräsident Edmund Stoiber. Hatte er kurz nach seinem Regierungsantritt 1993 das BayObLG noch "auf keiner Streichliste" verortet, hieß es in seiner Regierungserklärung zehn Jahre später lapidar: "Abgeschafft wird das Bayerische Oberste Landesgericht. Seine Aufgaben werden auf die Oberlandesgerichte verlagert." Ähnlich lakonisch, aber drastischer die Zustimmung des damaligen SPD-Oppositionsführers Franz Maget: "Mir wurde gesagt, es sei ohnehin 'überflüssig wie ein Kropf'."

Entgegen der Kritik aus Wissenschaft und Praxis – Ex-Bundesverfassungsrichter Konrad Kruis etwa zeigte sich in einem Beitrag in der Neuen Juristischen Wochenschrift bestürzt und sprach von einer "föderalistischen Sünde" – wurde das BayObLG dann 2004 mit Wirkung zum 30. Juni 2006 abgeschafft. Knapp vier Jahrhunderte bayerischer Rechtsgeschichte schienen ein Ende erreicht zu haben.

Manche Kritiker hielten diesen Schritt gar für verfassungswidrig. Immerhin verlangt Art. 178 S. 2 der Bayerischen Verfassung, das "staatsrechtliche Eigenleben" Bayerns zu sichern – ein Gebot, das sich nicht ganz reibungsfrei mit der Abschaffung einer solch bedeutenden Institution verträgt. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof freilich konnte keinen Verfassungsverstoß feststellen.

Recht überraschend kam es dann, als Ministerpräsident Markus Söder in seiner Regierungserklärung vom April 2018 nicht nur die Einrichtung einer "Bayerischen Grenzpolizei" und einer "Bayerischen Kavallerie", sondern auch die Wiedererrichtung des BayObLG ankündigte. Nach Beschlussfassung im Landtag ohne Gegenstimmen nahm das Gericht zum 15. September 2018 wieder seine Arbeit auf.

Rechtseinheit im Freistaat

Grundlage des BayObLG sind die §§ 8 ff. EGGVG. Dort werden die Bundesländer mit mehreren Oberlandesgerichten ermächtigt, ein oberstes Landesgericht zu errichten. Daran ist bereits die wesentliche Funktion eines obersten Landesgerichts zu erkennen: die Wahrung der Rechtseinheitlichkeit innerhalb eines Bundeslandes. Außerdem zeigt sich, dass es sich beim BayObLG nicht um eine rein bayerische Besonderheit handeln müsste: Auch Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben je mehr als ein Oberlandesgericht und könnten deshalb ein oberstes Landesgericht schaffen.

Die Aufgaben des BayObLG ergeben sich aus dem EGGVG und dem bayerischen Gerichtsverfassungsausführungsgesetz (BayAGGVG). Seine Funktion ist (fast ausschließlich) die eines Revisionsgerichts: Es trifft letztinstanzliche Entscheidungen im Zivil- und im Strafrecht. So ist das BayObLG – anstelle des Bundesgerichtshofs – für Revisionen und Rechtsbeschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig, wenn für die Entscheidung im Wesentlichen Landesrecht in Betracht kommt (§ 8 EGGVG, Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG).

Bei Landeszivilrecht mag man an exotisch und folkloristisch Anmutendes wie den Bierlieferungsvertrag denken (Art. 5 BayAGBGB). Doch die Zuständigkeit des BayObLG greift etwa auch bei der Frage, ob eine landesrechtliche Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist, oder bei organisationsrechtlichen Fragen im Amtshaftungsprozess. Entscheidend ist die Bestimmung, wann es bei der Revision "im Wesentlichen" um Landesrecht geht. Da dies nicht immer einfach zu beantworten ist, sieht § 7 des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung (EGZPO) extra ein besonderes Zuständigkeitsbestimmungsverfahren vor.

Auf dem Gebiet des Strafrechts (§ 9 EGGVG, Art. 12 BayAGGVG) ist die Zuständigkeit einfacher zu bestimmen: Das BayObLG tritt als Rechtsmittelinstanz an die Stelle der Oberlandesgerichte und entscheidet über Revisionen gegen Berufungsurteile der Landgerichte und Sprungrevisionen gegen Urteile der Amtsgerichte (so im Fall des Containerns). Ebenso entscheidet es über bestimmte Rechtsbeschwerden, insbesondere in Bußgeldsachen. Demgegenüber verbleibt die erstinstanzliche Zuständigkeit nach § 120 GVG bei den Oberlandesgerichten.

Daneben ist das BayObLG für eine Reihe weiterer Entscheidungen zuständig, die auf Ermächtigungen außerhalb des EGGVG basieren. Gleichwohl wird der frühere Umfang an Zuständigkeiten (derzeit) nicht erreicht. Dies zeigt sich auch daran, dass das Gericht aktuell anstelle von dreien nur noch einen Zivilsenat aufweist (wohingegen die Zahl der sieben Strafsenate an frühere Verhältnisse anknüpft).

Weiß-blaues Glück?

Das BayObLG sichert also die Rechtseinheit im Freistaat Bayern. Im Zivilrecht stellt es die einheitliche Auslegung von Landesrecht, im Strafrecht die einheitliche Rechtsanwendung im gesamten Landesgebiet sicher. Zu Konflikten mit der Gerichtsbarkeit des Bundes kann es kaum in größerem Maße kommen als bei den 24 Oberlandesgerichten auch. Somit mag das BayObLG (noch) eine bayerische Besonderheit sein – allerdings eine, deren Existenzberechtigung nicht von der Hand zu weisen ist.

Bayerns höchstes ordentliches Gericht ist nach nur gut einem Jahrzehnt der Abwesenheit wieder auferstanden. Man wird dennoch vielleicht noch eine Weile brauchen, um sich daran zu gewöhnen, dass nun wieder gilt, was vor 30 Jahren in einem Aufsatz einmal so pathetisch ausgedrückt wurde: "Nur das glückliche Bayern hat eine derartig segensreiche Einrichtung in dem BayObLG in München." Ob dieser Glückszustand nun erneut 400 oder noch mehr Jahre anhalten wird, werden wir sehen.

Der Autor Roman Kaiser ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie (Prof. Dr. Josef Franz Lindner) in Augsburg und Rechtsreferendar in München. Bayer qua Geburt und Jurist von Beruf, befasst er sich seit Längerem mit dem "staatsrechtlichen Eigenleben" des Freistaats.

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Staatsrechtliche Besonderheit: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38289 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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