Druckversion
Freitag, 22.09.2023, 08:05 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/wer-wird-millionaer-jauch-tribuene-wiederholung/
Fenster schließen
Artikel drucken
8791

Die Tribünen-Frage bei "Wer wird Millionär": RTL konsultierte zunächst nur zwei Wörterbücher

von Wolfgang Kuntz

23.05.2013

Screenshot: rtl-now.rtl.de

Woher das Wort Tribüne nun kommt, darüber streiten Rechtshistoriker und Philologen noch. Eine eindeutige Antwort, wie es Günther Jauch in der Sendung "Wer wird Millionär" suggerierte, scheint es jedenfalls nicht zu geben. Endemol muss dem Kandidaten daher eine zweite Chance geben, meint Wolfgang Kuntz. In der Sendung am kommenden Montag könnte Günther Jauch auf die Diskussion reagieren.

Anzeige

In der RTL-Fernsehsendung "Wer wird Millionär" wurde am 6. Mai 2013 die mittlerweile berühmt gewordene Tribünenfrage gestellt: "Wer auf der "Tribüne" Platz nimmt, tut dies der Wortherkunft zufolge eigentlich, um ...?". Günther Jauch erklärte in der Sendung Antwort B (Recht zu sprechen) für richtig, die vom Kandidaten gegebene Antwort D (Almosen zu verteilen) hingegen für falsch.

Im Anschluss an die Sendung entspann sich im Internet eine lebhafte wissenschaftliche Debatte über diese Frage. Die Rechtshistorikerin Tiziana Chiusi kam zu dem Ergebnis, dass die richtige Antwort dem Kandidaten nicht zur Auswahl stand, so dass die Aufgabe praktisch unlösbar war. Auch der Philologieprofessor Peter Riemer erklärte: "Die rein etymologische Verbindung des Wortes 'Tribüne' mit tribunal führt nicht zu der Antwort B, sie führt zu keiner der vier angebotenen Antworten." Weitere Wissenschaftler schlossen sich dieser Ansicht an. Damit steht fest: Die Richtigkeit der von RTL als zutreffend angenommenen Antwort B ist umstritten.

Endemol muss korrektes Multiple-Choice-Quiz durchführen

Der Kandidat kann deshalb von der Produktionsfirma Endemol verlangen, wieder bei einer 125.000-Euro-Frage einzusteigen, unter Beibehaltung der bis zu diesem Zeitpunkt unverbrauchten Joker und – wenn möglich – unter Anwesenheit desselben Studio-Publikums.

Sofern ein Vertrag zwischen dem Kandidaten und RTL existieren sollte, besteht möglicherweise auch ein Anspruch gegen den Sender selbst.

Dieser Anspruch ergibt sich aus dem sogenannten Mitwirkendenvertrag, den Endemol mit dem Kandidaten geschlossen hat und der übrigens streng geheim gehalten wird. Dem Vernehmen nach wird nicht einmal den Teilnehmern eine Kopie ausgehändigt.

Die Produktionsfirma hat ihre Pflichten aus dem diesem Vertrag verletzt, indem sie dem Kandidaten vier Antwortmöglichkeiten bot, die alle nicht zutrafen. Der Quiz-Show liegt aber gerade das Konzept zugrunde, dass es genau eine richtige Antwort gibt. Endemol verpflichtet sich vertraglich gegenüber den Teilnehmern, während der Sendung ein korrektes Multiple-Choice-Quiz durchzuführen.

Haftung auch für Fehler der Fragenredaktion

Endemol hat diese Pflichtverletzung auch zu vertreten. Das Unternehmen kann nicht auf eine Haftungsfreistellungsklausel im Verhältnis zu RTL verweisen. Denn dies könnte sich zu Ungunsten  des Kandidaten auswirken und wäre damit ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Die Produktionsfirma kann die Verantwortung auch nicht auf die Fragenredaktion von RTL abschieben.

Letztere ist eine Erfüllungsgehilfin der Produktionsfirma, so dass Endemol für fehlerhafte Fragen wegen § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einstehen muss.

Endemol kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Haftungsfreistellung im Verhältnis zum Kandidaten berufen. Die Vertragsformulare sind Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach den §§ 305 ff. BGB zu beurteilen sind. Eine völlige Haftungsfreistellung auch für Fälle des groben Verschuldens ist danach ebenso unwirksam (§ 309 Nr. 7b BGB) wie eine Klausel, die die Teilnahme am Quiz als "Handeln auf eigene Gefahr" qualifiziert (analog § 254 BGB).

Bei der Gestaltung von Multiple Choice-Quizzen, die wie die Frage nach einer Wortherkunft einen Wissenschaftsbezug haben, müssen die Mindeststandards wissenschaftlichen Arbeitens eingehalten werden. RTL hat nach eigener Auskunft zwei Wörterbücher verwendet. Das ist nicht ausreichend. Die erwähnte wissenschaftliche Debatte bei Facebook hat weitere leicht zugängliche Quellen benannt, die gegen die Annahme von RTL sprechen, Frage B sei zutreffend, zum Beispiel das Glossarium mediae et infimae latinitatis von du Cange und das Totius Latinitatis Lexicon von Forcellini. Wer wegen mangelnder Recherchetiefe den wissenschaftlichen Meinungsstand nicht zur Kenntnis nimmt, handelt grob fahrlässig. Endemol hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen.

"Wer wird Millionär" wird voraufgezeichnet. Erst kommenden Montag läuft daher die erste Sendung, in der Günther Jauch auf die Diskussion reagieren könnte. Bisher hat RTL nicht auf die Vorwürfe reagiert. Vielleicht bekommt der Kandidat ja tatsächlich eine neue Chance. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein ausgeschiedener Teilnehmer doch noch weiterraten darf.

Der Autor Wolfgang Kuntz ist Fachanwalt für IT-Recht und bloggt zu Fragen des Internet-Rechts.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Wolfgang Kuntz, Die Tribünen-Frage bei "Wer wird Millionär": RTL konsultierte zunächst nur zwei Wörterbücher . In: Legal Tribune Online, 23.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8791/ (abgerufen am: 22.09.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Zivil- und Zivilverfahrensrecht
    • Fernsehen
    • Rechtsgeschichte
17.09.2023
Grundgesetz

Gegenentwürfe zum Grundgesetz:

Staats­feind­li­ches und staats­kri­ti­sches Denken

Ob es um Elon Musk geht oder den früheren Zentralbankchef Alan Greenspan: In den USA sind libertäre Intellektuelle und Unternehmer keine Seltenheit. Auch in Deutschland finden sich jedoch radikal staatskritische Juristen und Philosophen.  

Artikel lesen
10.09.2023
Rechtsgeschichte

Rechtsextreme im Bundestag:

Mut­maß­li­cher Diä­ten­be­trug und braune Wim­mel­bild­fi­guren

Der Bundestagsabgeordnete Fritz Dorls (1910–1995) zählte zu den seltsamen Figuren in den unübersichtlichen Gründungsjahren der Bundesrepublik. Am 10. September 1953 entschied der BGH in einer gegen ihn anhängigen Strafsache wegen Betrugs.

Artikel lesen
22.09.2023
Presseschau

Die juristische Presseschau vom 22. September 2023:

LG Mün­chen I muss erneut über Boa­teng urteilen / EuGH rügte deut­schen Natur­schutz / US-Autor:innen vs. ChatGPT

Das BayObLG gab den Revisionen wegen mehrerer Verfahrens- und Rechtsfehler statt. Deutschland kam seinen Pflichten im Naturschutz nicht nach. US-Autor:innen klagen gegen OpenAI wegen Urheberrechtsverletzungen.

Artikel lesen
21.09.2023
Asyl

EU-Parlament blockiert Verhandlungen:

Bun­des­re­gie­rung hält Eini­gung auf Asyl­re­form für mög­lich

Das EU-Parlament macht die weiteren Verhandlungen über die Asylreform GEAS davon abhängig, dass sich die Mitgliedstaaten auf die Unterbringung von Flüchtlingen an den Außengrenzen einigen können. Die Zeit drängt.

Artikel lesen
19.09.2023
Cannabis-Legalisierung

Cannabisgesetz im Bundesrat:

SPD-Lan­des­mi­nister wollen Lega­li­sie­rung bremsen

SPD-Minister aus Hamburg, Thüringen und Niedersachsen wollen das Cannabis-Vorhaben der Ampel im Bundesrat torpedieren und pochen auf die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes. Käme es so, wäre das Gesetz wohl nicht mehr wiederzuerkennen.

Artikel lesen
20.09.2023
Jurastudium

Durchschnittliche Studiendauer im Fach Jura:

Am sch­nellsten sind die Absol­venten in NRW

Für das Jurastudium braucht man viel Disziplin und einen langen Atem. Wie lange Studierende im Schnitt brauchen, zeigt die neue Ausbildungsstatistik des Bundesamts für Justiz in Bonn. Demnach sind die NRWler erneut am schnellsten.

Artikel lesen
TopJOBS
Re­fe­ren­ten (m/w/d) für das Re­fe­rat Grund­stück­we­sen / Im­mo­bi­li­en­ver­käu­fe ...

Bischöfliches Ordinariat Limburg , Lim­burg a.d. Lahn

Probe­rich­te­rin/Probe­rich­ter (w/m/d)

Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern , Schwe­rin

Le­gal Cor­po­ra­te Coun­sel / Un­ter­neh­mens­ju­rist (m/w/d)

WERTGARANTIE Group , Han­no­ver

Staats­an­wält:in­nen (m/w/d) im Rich­ter­ver­hält­nis auf Pro­be (Be­sol­dungs­grup­pe...

Freie Hansestadt Bremen , Bre­men

Geld ver­die­nen als Te­le­fon­an­walt / Te­le­fon­an­wäl­tin

DAHAG Rechtsservices AG , 100% Re­mo­te

Rechts­an­wäl­te w/m/d im Be­reich Zi­vil­recht

Kanzlei Cäsar-Preller , Wies­ba­den

Rechts­re­fe­ren­da­re (m/w/d)

SammlerUsinger , Ber­lin

Rich­ter:in­nen (w/m/d) im Rich­ter­ver­hält­nis auf Pro­be (Voll­ju­rist:in­nen...

Freie Hansestadt Bremen , Bre­men

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Mia san M&A

26.10.2023, München

Anwältin sucht Referendarin: Unser Mentoringprogramm für Referendarinnen

01.01.2024, Düsseldorf, Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, München

47. Richterratschlag "Klasse(n)Justiz?"

10.11.2023, Recklinghausen

Workshop Restrukturierungs- und Insolvenzrecht

16.11.2023, Hamburg

BRL Get-together für Referendare, wissenschaftliche Mitarbeitende & Studierende

12.10.2023, Hamburg

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH