Die Philosophische Fakultät der Uni Rostock will die Preisgabe von Staatsgeheimnissen mit einem Ehrendoktor honorieren. Rektor und Land sind dagegen. Zu Recht, meint das VG Schwerin. –In anderen Bundesländern hätte er den Titel bekommen.
Für viele gilt Edward Snowden als "bedeutender Aufklärer des digitalen Zeitalters". So ausdrücklich auch für die meisten Geisteswissenschaftler auf dem mecklenburgischen Uni-Campus. Der abtrünnige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA hatte vor drei Jahren fragwürdige Überwachungspraktiken in aller Welt öffentlich gemacht.
Dafür soll er Doktor ehrenhalber werden (Dr. phil. h.c.), wenn es nach der Philosophischen Fakultät der Universität Rockstock geht. Die Hochschulleitung und der zuständige Minister haben das untersagt. Mit einer Klage dagegen, geführt von der Kanzlei des früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum, sind die Philosophen heute vor Gericht in erster Instanz gescheitert.
Nach der Promotionsordnung verleiht die Fakultät den Ehrendoktor "in Anerkennung hervorragender wissenschaftlicher Leistungen auf Fachgebieten, die in der Philosophischen Fakultät vertreten sind." Im Falle Snowden sind das zum Beispiel die Medienwissenschaften.
Aber nach Ansicht der Rechtsaufsicht, des Rektors und des zuständigen Landesministers sind die Voraussetzungen für die Verleihung der Ehrendoktorwürde nicht erfüllt: "Die Übergabe eines Datenbestandes mit dem Ziel einer Veröffentlichung durch Medien“ kann nicht als wissenschaftliche Leistung gewertet werden."
Demgegenüber meinte die klagende Fakultät, eine inhaltliche Bewertung der Promotionsleistung stehe ganz allein ihr zu, als Ausdruck ihrer "Autonomie". Indes ist alle Hochschulautonomie staatlich delegiert und entsprechend rechtlich eingeschränkt. Den engen rechtlichen Rahmen habe die Fakultät verkannt, urteilten jetzt die Verwaltungsrichter, die damit die Beanstandung des Rektors für rechtmäßig erklärten (Urt. v. 15.06.2016, Az. 1 A 2088/15 SN).
Für Könner und Gönner
Anderswo wäre der Ehrendoktor womöglich eher durchgegangen. Jedes Bundesland hat dafür sein eigenes Hochschulgesetz, jede Uni ihre eigene Promotionsordnung. So kann etwa in Sachsen der Dr. h.c. Zeitgenossen verliehen werden, "die sich besondere Verdienste um Wissenschaft, Technik, Kultur oder Kunst erworben haben." Für Verdienste "um" eine Sache muss man nicht unbedingt auch Experte "in" der Sache sein - außer Könnern mögen mithin auch Gönner, Sponsoren oder Inspiratoren diese Auszeichnung erhalten. So ist der Dichter Martin Walser Ehrendoktor der TU Dresden.
Die ganze Spannweite des Kandidatenfeldes kommt namentlich in der rechtswissenschaftlichen Promotionsordnung der FernUni Hagen zum Ausdruck: Auf einen Dr. iur. h.c. darf hoffen, wer "sich durch besondere wissenschaftliche Leistungen oder durch besondere Verdienste um die Fakultät oder Wissenschaft hervorgetan hat." Zu den Glücklichen in Hagen zählen beispielsweise ein Dipl.-Ing. und vielzitierter Patentanwalt, der auch bei der Gestaltung eines entsprechenden Studiengangs mitgewirkt hat.
Neben fachlich ernstzunehmenden Würdigungen gibt es allerdings auch eine lange Reihe schillernder Beispiele. So ist Peter Hartz, bekannt als Stammvater der Hartz- Reformgesetze, Ehrendoktor der Uni Trier. Wirtschaftsprofessor Hartmut Wächter begründete das so: "Er war für uns zu seiner Zeit als Arbeitsdirektor der Dillinger Hütte wichtig wegen Betriebsbesichtigungen und Praktikantenplätzen für unsere Diplomanden. Es ist doch klar: Wenn man so jemanden zum Ehrendoktor macht, kann es nicht um streng wissenschaftliche Leistungen gehen."
Besonders auffällig zeigen sich niedersächsische Hochschulen. Der Investor Dr. h.c. Carsten Maschmeyer zum Beispiel bekam den akademischen Namenszusatz vor sieben Jahren von der Uni Hildesheim für "ausgezeichnete Verdienste um die Förderung der Wissenschaften" - durch eine Spende von einer halben Million Euro für eine neue Professur. Und die TU Braunschweig erklärte Klaus Volkert, den Betriebsratschef von VW im benachbarten Wolfsburg, zum "Doktor der Staatswissenschaften Ehren halber". Damit sollten ausdrücklich "die Verbindungen zwischen der Universität und dem Volkswagen-Konzern bekräftigt werden". Volkert gab den Titel 2009 zurück, nachdem er wegen Untreue auf weltweiten Lustreisen zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt worden war.
Zweifelhafter Imagegewinn mit Promis
In Fällen wie Volkert oder Maschmeyer motiviert die Hochschulen offenbar die dicke Freundschaft mit dem dicken Geld zur Titelvergabe. Im Falle Hartz ging es der Uni eher um besonders praxisnahe Studienbedingungen. Wie bei Walser oder Snowden reicht aber oft schon allein der große Name: Marketingexperten sprechen vom "Imagetransfer" vom Promi auf die Hochschule. Bei Snowden feiert die Philosophische Fakultät ausdrücklich seinen "zivilen Ungehorsam", den "Mutigen" und Guten – und damit sich selber als Verteidiger dieser Tugenden.
Das offene Bekenntnis dazu mit einem Dr. h.c. zu verbinden, also einer besonderen Akademikerwürde, erscheint heute im Zeitalter der Gleichheit freilich so altmodisch-schräg wie jede andere Standesehre auch. "Die Ehre hat im heutigen Wertgefüge ungefähr den gleichen Rang wie die Keuschheit", schrieben die amerikanischen Soziologen Berger / Kellner schon vor vierzig Jahren. "Wer sie mit Nachdruck verteidigt, findet kaum Bewunderung, und wer behauptet, er habe sie verloren, wird eher belächelt als bemitleidet." So lässt sich der Rostocker Rechtsstreit im Kern durchaus als komisch betrachten.
Hermann Horstkotte, VG Schwerin lehnt Ehrenpromotion ab: . In: Legal Tribune Online, 15.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19670 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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