Am liebsten würde er mit der Gema zusammenarbeiten. Tatsächlich entwickelt der Urheberrechtler Michael Weller gemeinsam mit Kollegen ein Konkurrenzangebot. Seine Vision: Künftig sollen Musiker die Wahl haben, ob sie ihre Rechte von der etablierten Verwertungsgesellschaft oder von der Neugründung C3S wahrnehmen lassen, die Künstlern ermöglichen will, auch CC-lizenzierte Werke einzubringen.
LTO: Was wollen Sie anders und besser machen als die Gema?
Weller: Künstler, die bei der Gema Mitglied sind, können ihre Werke nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz anbieten; sie müssen der Gema vielmehr umfassend die Rechte an ihrer Musik zur Wahrnehmung einräumen. Das sehen wir kritisch. Die Gema argumentiert – aus meiner Sicht auch nachvollziehbar – damit, dass es kein Cherry-Picking geben darf. Der Urheber soll sich also nicht aussuchen dürfen, welche Werke er einbringt, um dann wirtschaftlich erfolgreiche Musik auszunehmen.
Für unsere Klientel gilt dieses Argument allerdings nicht unbedingt. Gerade bei Nischen-Künstlern laufen die Schaffens- und Nutzungsprozesse ein bisschen anders ab. Die schaffen, erreichen und erhalten ihr Publikum erst über das Internet. Sie haben auch nichts gegen eine private oder gemeinnützige Nutzung ihrer Musik, sie möchten nur beteiligt werden, wenn jemand damit Geld verdient. Gerade für Newcomer sind Creative-Commons-Lizenzen interessant, um überhaupt erst einmal gespielt zu werden und Auftritte zu bekommen. Das ist für junge Bands mit der Gema schwierig, weil sie einen Veranstalter finden müssen, der bereit ist, für das Konzert eine Gema-Lizenz zu bezahlen, was den Auftritt natürlich teurer macht.
Bei der Gema ist es eben so, dass immer gezahlt werden muss. Ich erinnere nur an die Rechnungen, die an Kindergärten verschickt wurden, weil Sankt-Martins- oder Weihnachtslieder gesungen worden sind. Das ist vielen ein Dorn im Auge. Auch wenn die Gema da nichts Verbotenes macht und sich dabei nicht über das Recht hinwegsetzt. Sie macht das, weil es ihr aufgegeben worden ist, sie nimmt die Rechte ihrer Mitglieder wahr und das muss sie auch. Aber ist das noch zeitgemäß? Ist das eine Erwartungshaltung, mit der jemand, der heute sein Publikum über das Internet erreicht, an die Sache herangeht? Erwartet er tatsächlich eine so restriktive Wahrnehmung seiner Rechte durch eine Verwertungsgesellschaft, oder möchte er das nicht etwas großzügiger handhaben?
"Wir werden die Gema nicht abschaffen"
LTO: Ihr Angebot richtet sich also vor allem an kleinere, weniger bekannte Künstler?
Weller: Nicht unbedingt. Ich habe auch mit Dr. Motte gesprochen. Der sieht das ebenfalls differenziert. Oder Lucie van Org von Lucilectric, um einen weiteren Namen zu nennen.
Für viele Künstler ist die Gema das Maß der Dinge. Das werden wir auch nicht ändern. Wir werden die Gema nicht abschaffen. Das Modell hat sich seit über 100 Jahren bewährt. Und es funktioniert ja in Teilen. Die Gema ist auch nicht so starr, dass sie gegenüber neuen Nutzungsmodellen überhaupt nicht aufgeschlossen wäre. Nur im Moment haben Künstler bei der Gema eben nicht die Möglichkeit, ihre Werke unter Creative-Commons-Lizenzen anzubieten.
LTO: Die Gema hat um die 67.000 Mitglieder. Wie viele haben Sie?
Weller: Derzeit sind mehr als 800 Personen Mitglied der Genossenschaft.
LTO: Wie viele brauchen Sie, damit ihr Geschäftsmodell funktioniert?
Weller: Unser Potential liegt so bei 3.500 bis 4.000 Mitgliedern, die erreicht werden können und auch müssen, damit die Verwaltungskosten nicht den gesamten Gewinn der Künstler auffressen.
"Digitale Vermarktung der Musik wird zunehmend wichtig"
LTO: Welche Aufgabe haben Sie als Jurist bei der Gründung von C3S übernommen?
Weller: Ich begleite das Projekt urheberrechtlich. Dabei ging es darum, auszuloten, welche Möglichkeiten das heutige Recht bietet, den Interessen der Künstler gerecht zu werden. Man muss ja nicht immer gleich das Gesetz neuschreiben.
LTO: Wo lagen urheberrechtliche Hürden, die Sie überwinden mussten?
Weller: Der größte Aufwand war bisher eine Satzung zu schreiben, die einerseits dem Genossenschaftsrecht Rechnung trägt – wir sind als Genossenschaft organisiert – und andererseits dem Urheberwahrnehmungsrecht. Das heißt, wir mussten den sogenannten Wahrnehmungszwang berücksichtigen – nach § 6 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes muss eine Verwertungsgesellschaft die Rechte der Wahrnehmungsberechtigten wahrnehmen – und das Verhältnis zu den Nicht-Mitgliedern, die nur wahrnehmungsberechtigt sind, klären. Als nächstes müssen wir einen Berechtigungsvertrag entwerfen, der unser Geschäftsmodell umsetzt.
LTO: Gab es etwas, das Sie gerne gemacht hätten, was aber urheberrechtlich nicht möglich gewesen ist?
Weller: Nein. Unsere Herangehensweise war schon recht realistisch. Wir haben uns beim Deutschen Patent- und Markenamt, der Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften, informiert, wie die Gründung einer Verwertungsgesellschaft abläuft. Am Anfang haben wir auch mit der Gema gesprochen, ob sie dem Bedürfnis nach Creative-Commons-Lizenzen nicht Rechnung tragen kann. Das funktionierte aber nicht. Das Justiziariat hätte das vielleicht ganz gerne gemacht, hatte dafür aber nicht die Entscheidungshoheit.
Man wird sich diesen Phänomenen aber nicht auf Dauer verschließen können. Die Künstler setzen zunehmend auf eine digitale Vermarktung. Im vergangenen Sommer hatte die Gema angedeutet, mit der Organisation der Creative Commons kooperieren zu wollen.
2/2: "Künstlern muss es unbenommen sein, Youtube zu nutzen"
LTO: Wie positioniert sich C3S in dem Streit zwischen der Gema und Youtube?
Weller: Künstlern muss es unbenommen sein, diesen Werbekanal für sich zu nutzen. Sie müssen also im Wahrnehmungsvertrag regeln können, ob ihre Musik auf Youtube nur gegen Zahlung von Lizenzgebühren oder auch kostenfrei gespielt werden darf.
LTO: Und was ist, wenn jemand anderes als der Künstler ein Musikvideo bei Youtube hochlädt? Ist es dann Aufgabe einer Verwertungsgesellschaft, das zu unterbinden?
Weller: Das hängt davon ab, welche Lizenz der Künstler selbst gewählt und an sein Publikum vergeben hat und welche Art der Wahrnehmung er sich danach von seiner Verwertungsgesellschaft wünscht. Sicherlich müssen Verwertungsgesellschaften auch ein Auge darauf haben, dass eine Nutzung bei Youtube, aber auch auf anderen Websites, lizenzgerecht erfolgt.
"Musiker sollen ihr Publikum so erreichen, wie sie das wünschen"
LTO: Die Gema schreibt auf ihrer Webseite, sie stehe C3S offen gegenüber: "Mit Interesse beobachten wir daher, wie die C3S neue Ansätze in der Praxis umsetzen will – sei es in der Verhandlung und Festsetzung von Tarifen oder Lizenzvergütungen, im werkgetreuen Monitoring oder in der Verteilung und Ausschüttung der Tantiemen an die Mitglieder. Bislang bleibt sie konkrete Antworten zu diesen Themen schuldig." Wie steht es um Ihr Verhältnis zur Gema?
Weller: Wir sind in regelmäßigem Kontakt. Die Gema hat auch gar nicht so Unrecht, es gibt auf jeden Fall noch offene Fragen, was unser Geschäftsmodell betrifft. Wir stehen ja erst am Anfang.
LTO: Sie sind als europäische Genossenschaft organisiert, wollen also nicht nur in Deutschland agieren. Das Urheberrecht ist mittlerweile zwar vom Unionsrecht geprägt, wird am Ende aber noch von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt. Stößt eine internationale Rechtswahrnehmung da nicht an Grenzen?
Weller: Natürlich. Das fängt schon damit an, dass es in manchen Ländern nur eine einzige staatliche Verwertungsgesellschaft gibt. Dort muss erst einmal der Zutritt zum Markt geöffnet werden. Das wird die EU-Richtlinie zur kollektiven Rechtewahrnehmung tun. In Frankreich gibt es dagegen bereits jetzt über 140 Verwertungsgesellschaften. Da wird es schwierig, noch eine weitere zu etablieren.
Meine Vision bezieht sich daher erst einmal auf Deutschland. Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit der Gema ein System schaffen können, das es dem Nutzer freistellt, an welche Verwertungsgesellschaft er sich wendet. Die Verwertungsgesellschaften müssen dann untereinander ihr Repertoire abgleichen. Wir wollen den Künstlern dabei helfen, ihr Publikum so zu erreichen, wie sie sich das vorstellen, mit der von ihnen persönlich gewünschten Philosophie.
LTO: Lässt sich Ihr Modell auch auf Verwertungsgesellschaften aus anderen Bereichen übertragen, etwa auf die VG Wort?
Weller: Nicht ohne weiteres. Die VG Wort hat ein anderes Klientel und auch eine andere Wahrnehmungspraxis. Der Gema muss ein Künstler sämtliche Rechte überschreiben, bei der VG Wort ist das anders, da ist auch eine Registrierung von Creative-Commons-lizenzierten Werken möglich.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Weller ist Rechtsanwalt und einer der Gründer von C3S. Er ist für die urheberrechtliche Begleitung des Projekts verantwortlich.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Claudia Kornmeier, Die alternative Verwertungsgesellschaft C3S: "Die Gema funktioniert ja – in Teilen" . In: Legal Tribune Online, 24.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11765/ (abgerufen am: 08.06.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag