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Rassistische Äußerungen im öffentlichen Dienst: Über ''Quo­ten­neger'', Zynismus und gesch­mack­lose Witze

Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Nitschke

11.09.2021

Ein Polizeibeamter nutzt sein Smartphone

sgonin - stock.adobe.com

Das OLG Stuttgart hat vor kurzem die Dienstentfernung eines Staatsanwalts wegen rassistischer Äußerungen bestätigt. Das Urteil könnte für die Aufarbeitung der sogenannten "Nazi-Chats" relevant werden, erklärt Andreas Nitschke.

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Die Berufung des Staatsanwalts a.D. und derzeitigem Mitglied des Bundestags Thomas Seitz hat der Dienstgerichtshof (DGH) beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart (Urt. v. 18.03.2021, Az. DGH 2/19) zurückgewiesen. In erster Instanz entfernte das Landgericht (LG) Karlsruhe (Urt. v. 13.08.2018, Az. RDG 1/17) Seitz bereits im Jahr 2018 aus dem Beamtenverhältnis.

Das Gericht begründete diese Entscheidung seinerzeit unter anderem damit, dass die von Seitz im Wahlkampf verwendeten Bezeichnungen "Quotenneger", "Migrassoren" und "Gesinnungsjustiz" als Verletzungen der beamtenrechtlichen Kernpflichten zur politischen Mäßigung, zur Neutralität und Unparteilichkeit sowie zur Verfassungstreue zu werten seien. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der durch Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewähreisteten Meinungsfreiheit und der Tatsache, dass besagte Äußerungen in Wahlkampfzeiten erfolgten.

Ergänzender Vortrag führte zu keiner Entlastung

Diese Entscheidung bestätigte der DGH in einem ausführlichen und mit diversen bildlichen Darstellungen versehenen Urteil. Der große Umfang dieser Entscheidung (über 50 Seiten in der Version von juris) ist dem Gewicht der Meinungsfreiheit und der Natur der Berufung geschuldet.

Der DGH stellt im Urteil mehrfach heraus, dass in Wahlkampfzeiten ein schärferer Ton angeschlagen werden dürfe. Ein Wahlkampf lebe gerade von "rhetorischen Zuspitzungen" und "pointierter Kritik". Vor diesem Hintergrund betonte Seitz auch stets, dass seine Äußerungen aus dem Kontext gerissen und deswegen in erster Instanz nur unzureichend gewürdigt worden seien. Er ergänzte daher im Rahmen der Berufung seine Darstellungen und setzte sie in den aus seiner Sicht relevanten Kontext. Damit hatte sich das Gericht auseinanderzusetzen.

Letztlich vermochten diese Ergänzungen allerdings nicht, den DGH dazu zu veranlassen, die gemachten Äußerungen in einem anderen juristischen Lichte zu sehen. Vielmehr wertete auch er die Verwendung namentlich des Wortes "Quotenneger" trotz der nachgeholten Kontexteinbindungen durch Seitz als "klar rassistisch".

DGH setzt klares Zeichen gegen Rassismus

Gerade ein Staatsanwalt sei als Teil der Strafrechtspflege in besonderem Maße an die beamtenrechtlichen Kernpflichten gebunden, die nach der ausführlich begründeten Rechtsauffassung des Gerichts mit den in Rede stehenden "äußerst polemischen Äußerungen" nicht mehr in Einklang gebracht werden konnten.

Auffällig bei der Lektüre des Urteils ist die Tatsache, dass die Pflichtverletzungen und Rechtsfolgen nicht bloß festgestellt, sondern mit starken Worten unterstrichen werden (die Grenzen der Meinungsfreiheit seien "deutlich überschritten", der Vertrauensverlust des Dienstherrn "mehr als berechtigt"). Der DGH möchte hier offenkundig ein deutliches Zeichen setzen.

DGH-Urteil und die "Nazi-Chats"

Das Urteil scheint aufgrund der besonderen Umstände (es geht um einen Staatsanwalt, dessen Amt aufgrund eines wahrgenommenen Bundestagsmandat während der Disziplinarklage ruhte) auf den ersten Blick einen für sich stehenden Einzelfall zu betreffen.

Es beinhaltet allerdings diverse Aspekte, die auch im Rahmen der juristischen Würdigung der im Herbst 2020 ans Licht der Öffentlichkeit gelangten Chatgruppen von Beamten, in denen rassistische und volksverhetzende Inhalte ausgetauscht wurden (vereinzelt pauschal als "Nazi-Chats" bezeichnet), relevant werden könnten. Insbesondere die rechtliche Würdigung der Verwendung von Begriffen "Quotenneger" oder "Migrassoren" dürfte hier wie dort nach identischen Kriterien erfolgen.

In Bezug auf die "Nazi-Chats" liegen mittlerweile diverse Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte (VG) und vereinzelt auch der Oberverwaltungsgerichte (OVG) vor (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.03.2021, Az. 6 B 2055/20; VG Gießen, Urt. v. 04.08.2021, Az. 5 K 509/20.Gl; VG Freiburg, Beschl. v. 19.10.2020, Az. 3 K 2398/20).

In ihnen wird jedenfalls in den Fällen, in denen das Posten, Kommentieren oder die unkritische Kenntnisnahme von rassistischen oder menschenverachtenden Bildern, Texten, etc. über Messenger-Dienste als Ausdruck einer inneren Haltung des Beamten angesehen wird, ein Verstoß gegen die beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht zu Recht bejaht.

Vermeidung des "bösen Scheins" von Rassismus

Weniger eindeutig wird es allerdings, wenn solche Handlungen gerade nicht Ausdruck einer entsprechenden inneren Haltung des Beamten sind. Auf den ersten Blick erscheint zwar auch in diesen Konstellationen ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht gegeben zu sein, ist doch innerhalb des öffentlichen Dienstes bereits der häufig zitierte "böse Schein" von Rassismus oder Verfassungsfeindlichkeit zu vermeiden. Jeder Beamte hat sich von entsprechenden Äußerungen zu distanzieren und muss für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten.

Allerdings kann es Grenzfälle geben, in denen eine solche juristische Würdigung jedenfalls nicht zwingend erscheint. So wird insbesondere bei Parodien, die gerade den Zweck haben, rassistische und menschenverachtende Sichtweisen bloßzustellen und der Lächerlichkeit preiszugeben, über alternative Sichtweisen nachzudenken sein. Fraglich ist ferner, wie im Falle eines "schlechten Witzes" zu verfahren ist, bei dem das Versenden entsprechender Inhalte zwar als geschmacklos empfunden werden mag, aber nicht als Ausdruck einer rassistischen oder menschenverachtenden Gesinnung einzuordnen ist.

Relevanz der inneren Haltung

Es stellt sich damit für die Zukunft die Frage, ob bereits das Posten, Kommentieren oder die unkritische Kenntnisnahme von rassistischen oder menschenverachtenden Inhalten genügt, um einen Verstoß des Beamten gegen die Verfassungstreuepflicht zu bejahen, oder ob und inwieweit hierfür darüber hinaus auch auf die innere Einstellung und die Intention des Beamten einzugehen ist.

Das Urteil des DGH bringt bezüglich dieser Frage keine eindeutige Erkenntnis. Einerseits heißt es dort, dass bereits die "Verbreitung rassistischen Gedankenguts über öffentlich zugängliche (sog. soziale) Medien" einen Verstoß gegen die Treuepflicht begründe.

Zwei Randnummern weiter wird freilich ergänzend auch auf die innere Haltung des Beamten abgestellt: Seitz verfüge über "eine Haltung (…) die den Grundprinzipien eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats diametral zuwiderläuft und die mit der Verfassungstreuepflicht von Beamten unvereinbar ist". Hierdurch wird angedeutet, dass das bloße Versenden, Kommentieren etc. von rassistischen bzw. menschenverachtenden Inhalten nach Auffassung des DGH alleine noch nicht genügen könnte, um den Pflichtenverstoß zu bejahen. Hinzukommen muss danach auch eine entsprechende innere Haltung.

Wo ist die Grenze zu geschmacklosen Witzen?

Auf die rechtliche Würdigung gerade dieser Frage könnte es auch im Rahmen der Aufarbeitung der sogenannten "Nazi-Chats" ankommen. Unterstrichen wird dieser Eindruck unter anderem dadurch, dass sich der Kläger im oben aufgeführten Urteil des VG Gießen als ein "Bauernopfer" sieht. Die von ihm in einer Chat-Gruppe eingestellte Bilddatei weise gerade keinen Bezug zu seiner Person auf, sei also nicht Ausdruck einer inneren rassistischen oder menschenverachtenden Haltung, sondern als "Zynismus" zu werten.

Die große Herausforderung für Behörden und Gerichte dürfte darin bestehen, dass die Grenze zwischen "geschmacklosen Witzen" einerseits und gezielter Verbreitung von rassistischen Inhalten aufgrund einer entsprechenden inneren Haltung andererseits im Einzelfall fließend sein kann. Umso wichtiger ist daher die genaue Aufarbeitung des konkret in Rede stehenden Sachverhalts.

Der Autor Prof. Dr. Andreas Nitschke ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Schleswig-Holstein für die Fächer Öffentliches Recht, insbesondere Beamtenrecht, und Zivilrecht. Er war zuvor als Referent in einem Landesministerium mit beamtenrechtlichen Rechtsfragen betraut.

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Rassistische Äußerungen im öffentlichen Dienst: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45983 (abgerufen am: 12.11.2025 )

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