Lahm, Mertesacker und Klose haben es vorgemacht, Franck Ribéry macht es nach: Auch er will sich künftig auf Verein und Familie konzentrieren und der Nationalmannschaft den Rücken kehren. Der französische UEFA-Präsident Michael Platini zeigt sich wenig begeistert, und drohte am Wochenende mit rechtlichen Konsequenzen. Ein Säbelrasseln, das juristisch kaum vertretbar ist, findet Johannes Arnhold.
Die Gemeinsamkeiten von Philipp Lahm und Franck Ribéry liegen auf der Hand: als Fußballer herausragend begabt, angestellt beim selben Club und exakt 170 cm groß. Seit kurzem kommt hinzu, dass sie die Bezeichnung Ex-Nationalspieler führen. Der selbstgewählte Rückzug beider Profis hat jedoch zu ganz unterschiedlichen Reaktionen geführt. Lahms Abschied erfolgte am vergangenen Mittwoch in Düsseldorf einem Weltmeister gebührend: Im Kreise der Kollegen, mit viel Applaus, ein paar Geschenken und einer anerkennenden Umarmung von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Franck Ribéry bläst hingegen seit Bekanntgabe seines Rücktritts kräftig der Wind ins Gesicht. Zuletzt meldete sich Frankreichs Fußball-Legende und UEFA-Präsident Michel Platini zu Wort und erklärte: "Ribéry kann nicht einfach selbst entscheiden, ob er für Frankreich spielt oder nicht. Wenn Trainer Didier Deschamps ihn einlädt, muss er zur Nationalmannschaft kommen." Zudem drohte Platini mit einer Sperre für drei Spiele beim FC Bayern für den Fall, dass Ribéry einer möglichen Einladung nicht folgen würde.
FIFA-Recht verpflichtet zum Länderspiel
So unterschiedlich die Reaktionen bei Lahm und Ribéry ausfallen mögen, die dahinter stehende sportrechtliche Frage bleibt dieselbe: Ist ein Spieler verpflichtet, der Nominierung seines Verbands zu jederzeit zu folgen? Oder anders gefragt: Welchen Wert hat die persönliche Entscheidung des Spielers, nicht mehr fürs Nationalteam spielen zu wollen?
Im Regelwerk der FIFA lässt sich schnell ein Lösungsansatz finden: So ist in Art. 1, Anhang 1 zum FIFA-Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern eine Abstellpflicht für Vereine gegenüber dem nominierenden Verband geregelt. Weiter sieht Art. 3 vor, dass jeder Spieler, der bei einem Verein registriert ist, grundsätzlich verpflichtet ist, einem Aufgebot für eine Auswahlmannschaft des Verbands des Landes Folge zu leisten, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Das ist im Falle Ribérys der Französische Fußballverband, die Fédération Francaise de Football (FFF).
Die Verbandsregel ist für Ribéry auch bindend – sofern der Arbeitsvertrag des Franzosen mit dem FC Bayern München auf eine Abstellungsverpflichtung des Spielers gegenüber dem Verband Bezug nimmt. Denn zwischen dem Verband und dem Spieler wird kein unmittelbares Vertragsverhältnis begründet. Der Spieler schließt in aller Regel lediglich mit dem Club einen Arbeitsvertrag. Um jedoch eine unmittelbare Wirkung der in den Satzungen und Ordnungen der Verbände geregelten Rechte und Pflichten auch für das Arbeitsverhältnis zu erreichen, findet eine Einbeziehung in den zwischen dem Sportler und dem jeweiligen Verein geschlossenen Arbeitsvertrag statt.
Verhandlungsmacht der Verbände: Friss oder stirb
Regelmäßig enthalten daher die von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) vorgegebenen Musterarbeitsverträge in Umsetzung der Verbandsstatuten entsprechende Verpflichtungen gegenüber den Spielern, sich den Regelungen des DFB und der DFL zu unterwerfen, die wiederum in ihren Satzungen und Ordnungen unter anderem auf die FIFA-Regeln Bezug nehmen. Auch die Abstellung zur Nationalmannschaft und gegebenenfalls damit verbundene Verpflichtungen für den Spieler können auf diese Weise geregelt werden. Man spricht bei dieser juristischen Konstruktion von einer nicht gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung.
Im Falle Ribérys kommt es also maßgeblich darauf an, ob und gegebenenfalls wie eine entsprechende Klausel in seinem Arbeitsvertrag enthalten ist. Denkbar ist eine ausdrückliche Verpflichtung des Spielers, bei einer Nominierung für Länderspiele zur Verfügung zu stehen, oder aber eine dynamische Verweisung, also die abstrakte Bezugnahme auf Verbandsregelungen. In beiden Fällen wird man davon ausgehen können, dass der Spieler individualvertraglich an eine entsprechende Vereinbarung gebunden ist.
Allerdings ist fraglich, ob derartige Klauseln überhaupt wirksam sind, weil sie den Sportlern durch die Verbände oft als unumstößliche Voraussetzung für die Begründung des Arbeitsverhältnisses gestellt werden. Damit bleibt ihnen, getreu dem Motto "Friss oder stirb", oft nur die Möglichkeit, die Vorgaben der monopolartig organisierten Verbände hinzunehmen, oder auf die Ausübung ihres Sports im Wettkampfbereich zu verzichten.
2/2: Ribérys Rücktritt als ungeschriebene Ausnahme
Doch selbst wenn man von einer wirksamen Vereinbarung im Arbeitsvertrag ausgeht, wäre es im Falle einer Verweisung fraglich, ob die streitige FIFA-Norm tatsächlich geschaffen worden ist, um einen Fall wie den des Franzosen zu regeln. Immerhin ist die "Causa Ribéry" ein Novum. Bislang waren lediglich Fälle relevant, in denen die Clubs ihre Spieler nicht abstellen wollten und damit in Konflikt zu den entsprechenden Landesverbänden gerieten. Und genau auf diese Situationen zielen die FIFA-Normen originär ab.
Insofern erscheint es konsequent, dass die FIFA Art. 3, der die Verpflichtung der Spieler regelt, so ausgestaltet hat, dass er seinem Wortlaut nach Ausnahmen zulässt. Normtechnisch ist das durch das Einfügen des Wortes "grundsätzlich" geschehen. Zwar hat die FIFA es versäumt, konkrete Ausnahmen zu benennen. Insbesondere sucht man vergeblich nach einer Regelung, die etwa einen vom Spieler veranlassten Rückzug aus persönlichen, gesundheitlichen oder sonstigen Gründen erfasst.
Dennoch hat Ribéry keine schlechten Argumente, wenn er sagt, dass er sich künftig mehr seiner Familie widmen, sich auf seine Aufgaben beim FC Bayern konzentrieren und den vielen jungen Spielern in der Nationalmannschaft den Platz überlassen will. Diese Motive könnten durchaus als ungeschriebene Ausnahmen unter Art. 3 subsumiert werden.
Platinis Bärendienst
Offen bleibt die Intension Platinis, der sich mit seiner Androhung rechtlicher Konsequenzen weit aus dem Fenster gelehnt hat. Denn selbst wenn Ribéry tatsächlich verpflichtet sein sollte, für die Équipe Tricolore zu spielen, wäre es doch weder Platinis Aufgabe noch die der der UEFA, eine Sanktion gegenüber dem FC Bayern München zu vollstrecken. Dies bleibt ausschließlich Angelegenheit der FIFA auf Ersuchen der FFF. Und die von Platini erwähnte Sperre für eine bestimmte Anzahl von Spielen ist als Sanktion in den Statuten ohnehin nicht vorgesehen. Art. 5 des Anhangs regelt vielmehr, dass lediglich ein Spielverbot des Nominierten während des Abstellungszeitraums für den Verein verhängt werden kann.
Platini hat der Grande Nation also einen Bärendienst erwiesen. Denn nach seiner öffentlichen Attacke gegen Ribéry wird dieser wohl kaum aus freien Stücken zur Nationalmannschaft zurückkehren. Die internationale Karriere des kleinen Franzosen ist damit aber noch längst nicht vorbei. Ribéry strebt unter anderem das Champions-League-Finale 2015 in Berlin an. Das hat er übrigens auch mit Phillip Lahm gemeinsam.
Der Autor Johannes Arnhold ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Sportrecht und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau sowie Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Mitautor eines Lehrbuchs zum Sportrecht.
Johannes Arnhold, Ribérys Rücktritt aus der französischen Nationalelf: Franck ne va plus? . In: Legal Tribune Online, 10.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13143/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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