Rainer Wendt hat jahrelang Polizistensold bezogen, aber nur Gewerkschaftsarbeit gemacht. Dass er nun in Ruhestand geht, ändert nichts an den offenen Fragen: zum Beamten-, zum Disziplinar-, vielleicht gar zum Strafrecht, meint Robert Hotstegs.
Rainer Wendt gilt als kompromissloser Verfechter von "Law and Order". Gegen sein Image als harter Hund hat der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) nichts einzuwenden. "Ich finde es schon richtig, dass man sich an Recht und Gesetz hält", sagte er. Sein eigenes Verhalten ist nun aber im Zwielicht, wurde Wendt doch vom Land Nordrhein-Westfalen jahrelang als Polizist bezahlt. Doch leistete er gar keinen Polizeidienst - sondern ausschließlich Gewerkschaftsarbeit.
Seit 2007 ist Wendt Bundeschef seiner Gewerkschaft, er sitzt auch im Bundesvorstand des Beamtenbunds dbb, unter dessen Dach die DPolG angesiedelt ist.
Die Rechtsfragen, die seine Besoldung aufwirft, berühren schon jetzt eine Vielzahl von Rechtsgebieten. Das hat die Deutsche Polizeigewerkschaft bislang offenbar verkannt (oder verkennen wollen), als sich die Bundesleitung "ohne Einschränkungen hinter" Rainer Wendt stellte. Gleichwohl ist die Position hinter ihm gut gewählt. Vor ihm dürften nämlich in den nächsten Wochen und Monaten nicht nur kritische Rückfragen, sondern auch ein rechtliches Nachspiel liegen.
Wann Beamte Urlaub haben
Dabei ist nicht zu beanstanden, dass Wendt ursprünglich einmal beurlaubt wurde. Das Landesrecht Nordrhein-Westfalen (NRW) sieht eine Vielzahl von Beurlaubungstatbeständen vor, die Übernahme eines wichtigen gewerkschaftlichen Amtes kann eine solche Beurlaubung rechtfertigen. Allerdings ist schon an dieser Stelle eine feine Subsumtion gefragt, denn die gewerkschaftliche Tätigkeit stellt gerade keinen besonderen Urlaubstatbestand dar.
Für gewerkschaftliche Zwecke sind in der Regel fünf Arbeitstage je Jahr vorgesehen, in Ausnahmenfällen zehn. Jeweils ab dem 15. Januar eines Jahres dürfte Wendt diese zeitliche Grenze überschritten haben.
Für die Beteiligung der DPolG als gewerkschaftlicher Spitzenorganisation an Gesetzgebungsvorhaben sieht die derzeit geltende Freistellungs- und Urlaubsverordnung weitere zehn Tage vor. Dazu kämen ggf. noch Befreiungen für die Teilnahme an Tarifverhandlungen.
Damit sind die Sondervorschriften für Gewerkschaften aber auch erschöpft. Für alles andere hätte Wendt also sonstigen Urlaub beantragen müssen, der im Landesrecht "Urlaub in besonderen Fällen" heißt. Ein solcher Urlaub wird regelmäßig als Urlaub ohne Besoldung gewährt, "wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nicht entgegenstehen".
Die gewerkschaftliche Tätigkeit dürfte sicherlich als wichtiger Grund in diesem Sinne zu bewerten sein. Fraglich ist aber schon, ob - gerade für eine vieljährige Beurlaubung – nicht doch dienstliche Gründe entgegenstehen. Das gilt umso mehr, als auch die Deutsche Polizeigewerkschaft regelmäßig reklamiert, das Land Nordrhein-Westfalen müsse mehr Polizisten einstellen. Im Umkehrschluss dürfte das sicherlich auch bedeuten, dass das Land keinen Urlaub verschenken darf.
Kein Urlaub ohne Minister
Von vornherein bedurfte der Urlaub Wendts der Zustimmung des Innenministeriums, spätestens nach der Verlängerung über die ersten zwei Jahre hinaus war auch das Finanzministerium an der Urlaubsgenehmigung zu beteiligen. Dies ergibt sich schon allein aus der Dauer des Urlaubs - was noch einmal unterstreicht, dass eine Dauerbeurlaubung die absolute Ausnahme im Beamtenrecht darstellt.
Schon ab dem ersten Tag war die Zustimmung des Finanzministeriums erforderlich, wenn Wendt - wie offenbar geschehen - weiterhin seine Bezüge erhalten sollte. Relevant wäre dabei, zu prüfen, ob der Urlaub "zugleich ganz oder teilweise im dienstlichen Interesse" war. Auch wären die Einnahmen Wendts aus der Gewerkschaftskasse zu berücksichtigen gewesen, im Regelfall würden ihm seine Bezüge abzüglich der Vergütung durch Dritte belassen.
Dann - und nur dann -, wenn dem Urlaub auf erster Stufe dienstliche Gründe nicht entgegenstehen und auf zweiter Stufe ein dienstliches Interesse sogar bejaht wird, hätte das Finanzministerium seine Zustimmung gewähren dürfen und das Innenministerium den Urlaub genehmigen können.
Ohne weiteres ist nicht ersichtlich, warum gerade die Gewerkschaftsarbeit von Rainer Wendt die doppelte Ausnahme erfüllen sollte, nicht aber jede andere gewerkschaftliche Tätigkeit. Die bislang bekannt gewordenen Stellungnahmen aus dem Innenministerium deuten vielmehr darauf hin, dass - nicht nur unter dem jetzigen Innenminister, sondern bereits zuvor - mit zweierlei Maß gemessen worden ist. Denn außerhalb der Tätigkeit für die DPolG sollen nur wenige andere Personen in den gleichen Genuss gekommen sein. Eine Gleichbehandlung läge dann offensichtlich nicht vor.
Rainer Wendt dürfte zudem nicht nur zu viel Sold bekommen, sondern auch von anderen Vorteilen profitiert haben. Zudem soll der heute 60-Jährige, während er nicht einmal arbeitete, sogar befördert worden sein. Kann, muss das Land NRW sogar Rückforderungen stellen?
2/2: Nicht nur zu viel Sold, und nicht nur bis zur Rente
Es geht dabei nicht nur um die reine Besoldung. Die einmal getroffene Entscheidung hatte für Rainer Wendt auch weitere vorteilhafte Nebenwirkungen. Erwähnt seien etwa die Gewährung von Beihilfe, ggf. auch für Familienangehörige, wahrscheinlich auch der Heilfürsorge der Polizei und vor allem das Ruhegehalt, das nun durch die Versetzung in den Ruhestand aktuell wird.
Daran, dass seine Bezüge im Allgemeinen und die Beförderung im Besonderen kritisch zu sehen sind, ändert auch der Umstand nichts, dass Wendt nun um seine Versetzung in den Ruhestand gebeten hat. Zwar sieht das Landesbeamtenrecht eine Spezialregelung ab dem 60. Geburtstag vor (§ 114 Abs. 3 LBG NRW). Kritische Rückfrage und ggf. auch disziplinarische Folgen bleiben Wendt hierdurch aber nicht erspart. Das Landesdisziplinarrecht findet nämlich ausdrücklich auch auf Ruhestandsbeamte Anwendung - auch auf solche, die rechtswidrig Bezüge beziehen.
Der Düsseldorfer Strafrechtler Udo Vetter stellte in der Diskussion die Frage, ob vergleichbare Fälle nicht eher Untreue genannt würden. Den Beigeschmack jedenfalls hat der Fall.
NRW und seine Minister
Der Fall hat aber auch darüber hinaus – und nicht nur wegen der prominenten Person Rainer Wendt - eine besondere Sprengkraft, er strahlt in eine Vielzahl benachbarter Rechtsgebiete aus.
So muss man die Frage stellen, welche "dienstlichen Interessen" das Land im Detail verfolgte. Bezahlte Nordrhein-Westfalen einen Gegenspieler auf gewerkschaftlicher Ebene, um sich auf ihn Einfluss zu erhalten? Oder umgekehrt, wenn Wendt schon vom Land für die wichtige gewerkschaftliche Arbeit bezahlt wurde und zugleich auch eine Entschädigung der Gewerkschaft erhielt: wurde er dann für dieselbe Tätigkeit doppelt bezahlt? Hat er diese Zahlungen gegenüber dem Dienstherrn stets offen gelegt? Hat dieser die Verrechnung oder Abführung an die Landeskasse geprüft?
Wenn das nicht geschehen ist, sollten sich Finanzministerium und Landesrechnungshof dafür interessieren, ob Rückforderungen in Betracht kommen. Wenn die Ausnahmevorschriften des Beamten(urlaubs)rechts überdehnt wurden, könnte es an einem Rechtsgrund für die Bezüge gar vollständig fehlen.
Das gilt umso mehr, als Wendt Medienberichten zufolge im Zeitraum der Beurlaubung befördert worden sein soll. Eine derartige Beförderung ist dem Beamtenrecht, das nur nach Eignung, Leistung und Befähigung befördert, aber fremd. Der Beamte muss grundsätzlich auf dem Beförderungsdienstposten verwendet werden können. Ein dauerhaft beurlaubter Gewerkschaftsvorsitzender aber kann faktisch nicht verwendet werden. An seiner Beförderung kann also auch rechtlich kein Interesse bestehen.
Und bei der DPolG?
Schließlich müsste auch die DPolG Konsequenzen ziehen, wenn sie weiterhin als Gewerkschaft ernst genommen werden will. Wendts Amtszeit endet in drei Jahren. Laut Satzung könnte er dann erneut kandidieren.
Aber es geht um mehr. Um von den Arbeits- und Verwaltungsgerichten anerkannt zu werden, muss eine Gewerkschaft unabhängig vom Arbeitgeber und Dienstherrn sein. Eine vom Land NRW bezahlte Gewerkschaft kann keine Gewerkschaft im verfassungsrechtlichen Sinne sein. Zahlreiche Schein-Gewerkschaften sind hierüber schon gestolpert und Tarifverträge wurden nach Jahren für unwirksam erklärt.
Nun gerät nicht direkt die gesamte DPolG in Abhängigkeit zum Land NRW, nur weil ihr Vorsitzender von dort alimentiert wird. Aber im Rahmen einer - auch internen - Untersuchung muss sicherlich der Frage nachgegangen werden, inwieweit rechtliche und finanzielle Bindungen Einfluss genommen haben oder jedenfalls hätten nehmen können. Es kann nicht im Interesse der Gewerkschaft sein, dass sich ein solcher - auf den ersten Blick durchaus lukrativer - Fall wiederholt.
Es wäre ein Anfang, den eigenen Empfehlungen an Mitglieder und Mitglieder in Personalvertretungen zu folgen: Dienst und Gewerkschaft dürfen grundsätzlich nicht vermischt werden. Entsprechende Hinweisblätter und Informationsbriefe stehen auf den Internetseiten der DPolG und des Deutschen Beamtenbundes als Dachverband zum Abruf bereit.
Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Die Kanzlei ist auf das öffentliche Dienstrecht, insbesondere Beamten- und Disziplinarrecht spezialisiert.
Mit Materialien von dpa
Robert Hotstegs, Der Fall Rainer Wendt: Es geht nicht nur um zu viel Beamtensold . In: Legal Tribune Online, 06.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22285/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
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