"Den" Palandt kennt jeder Jurist. Er wird nach der jüngsten Entscheidung des herausgebenden Verlags auch weiter so heißen – und damit nicht dem Andenken desjenigen gerecht, dessen Idee er eigentlich war, meint Jonas Höltig.
Der Palandt wird weiter Palandt heißen, verkündete der herausgebende Beck-Verlag kürzlich. Die Debatte um die Umbenennung des Beck'schen Kurzkommentars ist damit aber nicht zu Ende. Die bisherigen Diskussionsbeiträge befassen sich dabei vor allem mit Otto Palandt, dessen Lebensgeschichte und nationalsozialistische Vergangenheit gut dokumentiert sind. Auch die Argumentation des Beck-Verlags, den BGB-Kommentar nicht umzubenennen, fokussiert sich auf diese Person: Die Beibehaltung des etablierten Namens und die Einfügung erklärender Hinweise gäben einen Anlass für die Beschäftigung mit der Person Palandt. Ein wichtiger Aspekt gerät dabei aber aus dem Blickfeld. Kaum jemand fragt sich: Wer war eigentlich Otto Liebmann, den die Palandt-umbenennen-Initiative als neuen Namensgeber vorschlägt?
Man stelle sich vor, in 75 Jahren würde man den Namen "Axel Springer" in eine Suchmaschine eingeben und es gäbe keinen Wikipedia-Eintrag und auch sonst nicht viel mehr als einen zehn Jahre alten Zeitungsartikel – ein undenkbares Szenario. Genau das aber ist Liebmanns Schicksal, dessen Verlag seinerzeit in der juristischen Fachöffentlichkeit bekannt und geschätzt war. Sein Name wurde aus dem öffentlichen Bewusstsein praktisch getilgt – ein erschütternder Beleg für die brutale Effektivität, mit der jüdische Menschen wie Liebmann ab 1933 exkludiert und entrechtet wurden. Schließlich war es der von Liebmann 1890 gegründete gleichnamige Verlag, der vor allem mit seinen Kurzkommentaren und der Deutschen Juristenzeitung (DJZ) Werke auf den Markt brachte, die die juristische Fachwelt seinerzeit entscheidend mitprägten.
Junger Unternehmer, der an das "Erwachen des Volkes" glaubte
Liebmann wurde 1865 in Mainz geboren. Bereits im Alter von 25 Jahren gründete er seinen Verlag, dessen rechtswissenschaftliche Sparte 1896 die DJZ schuf. Sein Unternehmen lief gut. Im Laufe der Jahre wuchs das Angebot an juristischer Fachliteratur beständig und Liebmann wurde 1908 die Ehrendoktorwürde von der Universität Heidelberg verliehen. Der inzwischen wohlhabende Verleger hatte zwei Töchter und einen Sohn, Karl Wilhelm, der eines Tages den Verlag des Vaters übernehmen sollte.
Über die Allianz von Hindenburg und Hitler vom 21. März 1933 hatte sich Liebmann als jüdisch-deutscher Nationalist noch gefreut – er sah darin ein "Erwachen […] des deutschen Volkes". Auch die DJZ veränderte sich bereits unter Liebmann und unterstützte die Abschaffung der Demokratie. Doch Liebmanns nationalistische Einstellung nützte ihm nichts: Noch 1933 wurde ihm wegen der zunehmenden antisemitischen Diskriminierungen klar, dass jüdische Unternehmer in der neuen Gesellschaftsordnung keine Zukunft hatten. Er sah sich gezwungen, sein Lebenswerk zu verkaufen.
Der Münchener Verleger Heinrich Beck witterte die Chance, nicht nur die umsatzstarken Kurzkommentare Liebmanns in das eigene Geschäft aufzunehmen, sondern auch in der damaligen Hauptstadt Fuß zu fassen. Beck wickelte den Unternehmenskauf juristisch korrekt ab - doch er nutzte die Zwangslage Liebmanns aus und erwarb den Verlag des jüdischen Verlegers deutlich unter Wert.
2/2: Abruptes Ende einer steilen Karriere
Die DJZ wurde fortan von Carl Schmitt ("Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.", Schmitt, DJZ 1934, 9465, (946)) herausgegeben und "kämpfte" fortan, wie es Hitlers Rechtsanwalt Hans Frank 1936 in der Zeitschrift beschrieb, "im Inland, aber auch im Ausland, für das Verständnis der nationalsozialistischen Rechtsidee."
Und ab 1938 gab schließlich der seit fünf Jahren immer wichtiger werdende, nationalistische Jurist Otto Palandt den Beck'schen Kurzkommentar zum BGB heraus – unter "Berücksichtigung der nationalsozialistischen Rechts- und Lebensauffassung". Karl Wilhelm Liebmann dagegen schied am 30. Juni 1934 aus dem Verlag aus und wurde arbeitslos.
Nicht nur Liebmanns erfolgreiche verlegerische Tätigkeit fand ein jähes Ende. Auch sein Name wurde aus den von ihm begründeten Werken getilgt, sein Vermögen nach und nach konfisziert. Der einst so anerkannte Jurist und Verleger starb 1942 gesellschaftlich völlig isoliert, bei seinem Begräbnis in Berlin waren neben seinem Weggefährten Prof. Dr. Leo Rosenberg nur seine beiden Töchter anwesend. Rosenberg war selber Jude, ein Großteil seiner Familie fiel dem NS-Regime zum Opfer – ein Schicksal, das die Töchter Liebmanns nur kurz nach der Beerdigung ihres Vaters teilten.
Liebmann in völlige Vergessenheit geraten
Liebmanns Sohn Karl Wilhelm entfloh dem nationalsozialistischen Terror nach einer Internierung im KZ Sachsenhausen nach Ecuador und machte nach dem Krieg Wiedergutmachungsansprüche gegen Beck geltend. Damit blieb in Deutschland niemand übrig, der Liebmanns Erbe verteidigte. Und die Rechtswissenschaft nimmt sich dieser Aufgabe bis heute nicht an; sie ignoriert seine wissenschaftliche Bedeutung, aber auch sein tragisches Schicksal.
Der Beck-Verlag arbeitet die Geschichte des Palandt nur unzureichend auf. Daran wird sich auch mit einem "deutlichen Hinweis zur Person und seiner Verwicklung in das NS-Unrechtssystem" nichts ändern. Zwar ist dem Verlag zugute zu halten, dass der Historiker Stefan Rebenich im hauseigenen Buch zum 250-jährigen Verlagsjubiläum durchaus die nationalsozialistische Vergangenheit des Unternehmens kritisch beleuchtet und auch Otto Liebmanns Biographie skizziert. Doch auf der Internetseite des Verlags heißt es weiterhin: "Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden […] mit dem BGB-Kommentar Palandt (Erstauflage 1938) [...] Standardwerke gegründet, die bis heute prägend für das Erscheinungsbild des Verlages in der Öffentlichkeit sind."
Wäre Liebmann, der "Vater des Palandt", nun der bessere Namensgeber für den BGB-Kommentar? Natürlich: Die anfängliche Bewunderung der nationalistischen Bewegungen in der Weimarer Republik wirft Schatten auf seine Biographie. Allerdings ist der Palandt in Wahrheit Liebmanns Idee und erst aus dessen Lebenswerk heraus entstanden.
Jedenfalls reicht es nicht aus, eine "Gedenkseite", gleichsam einem "Stolperstein", zu schaffen, die ohnehin nur ein Bruchteil der Leser lesen wird, so richtig und wichtig diese Idee auch ist. Entscheidend ist, dass die jetzige Namensgebung den Falschen ehrt und den Richtigen marginalisiert. "Der" Palandt wird Liebmann solange aus dem Bewusstsein drängen, wie er Palandt heißt.
Jonas Höltig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht – Abteilung I der Universität Münster.
Jonas Höltig, Nachdem der Palandt Palandt bleibt: Wer war eigentlich Otto Liebmann? . In: Legal Tribune Online, 18.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26073/ (abgerufen am: 28.09.2023 )
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