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CAS-Schnellgericht bei Olympischen Spielen: "Weniger Fälle aus sportlicher Sicht wünschenswert"

Interview mit Corinne Schmidhauser

31.01.2014

Medaillien (Symbolbild)

© Dmitriy Kalinin - Fotolia.com

Die ehemalige Schweizer Skirennfahrerin Corinne Schmidhauser leitet gemeinsam mit einem Amerikaner das CAS-Schnellgericht in Sotschi. Unter ihrer Aufsicht entscheiden neun Schiedsrichter innerhalb weniger Stunden, wenn es zum Streit über die Qualifikation von Athleten oder die Einhaltung von Wettkampfregeln kommt.

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LTO: Das CAS-Schnellgericht gibt es seit den Sommerspielen in Atlanta 1996. Was war Auslöser für seine Gründung?

Schmidhauser: Man muss das vor der Entwicklung des Internationalen Sportschiedsgerichtshof (CAS) sehen. Die Einrichtung des ordentlichen Schiedsgerichts war der erste Schritt. Aber es nützt nun mal nichts, wenn ein Olympiasieger erst nach den Spielen von einem Gericht festgestellt wird, auch wenn das nur ein paar Tage später ist. Man will bei der Preisverleihung den Richtigen die Medaillen um den Hals legen – und vorher die richtigen Sportler an den Startblöcken sehen. Es war also eine sehr weise Entscheidung des damaligen CAS-Präsidenten, als er bereits 1996 das Ad-hoc-Gericht einrichtete.

LTO: Seitdem kommt das Schnellgericht bei allen olympischen Spielen zusammen, egal ob Sommer oder Winter. Auch bei der Welt- und Europameisterschaft im Fußball ist es vertreten. Wie kam es zu dieser Erfolgsgeschichte?

Schmidhauer: Es gibt nichts Ärgerlicheres, als zwei Jahre nachdem jemand Olympiasieger geworden ist, festzustellen, dass er gedopt war oder bei der Auswertung etwas falsch gelaufen ist. Das interessiert im Sport dann niemanden mehr. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass das Ad-hoc-Gericht erhalten bleiben wird. Inzwischen unterwerfen sich ihm auch alle Verbände, unter Ausschluss der staatlichen Rechtswege.

"Sportler müssen Beweise selbst vorlegen"

LTO: Wie müssen wir uns ein Verfahren vor dem Ad-hoc-Gericht vorstellen?

Schmidhauser: Die Schiedsrichter, Gerichtsschreiber und mein amerikanischer Kollege Michael Lenard, mit dem ich gemeinsam die Leitung des Gerichts organisiere, sind bereits seit Ende Januar in Sotschi, um sich einzurichten. Seit Dienstag können Beschwerden eingereicht werden. Dazu muss einfach ein Formular ausgefüllt werden. Bevor die Spiele beginnen, geht es meist um Fragen der Qualifikation für den Wettkampf. Später geht es dann auch um die Ergebnisse.

Beschwerden können die Sportler selbst einreichen, oder sie bedienen sich der Anwälte, die vor Ort nominiert worden sind und unentgeltlich arbeiten, um die Prozessführung zu unterstützen. In einem nicht-öffentlichen Hearing werden dann beide Parteien angehört. Dort müssen die Athleten oder ihre Vertreter die Beweise selbst vorlegen. Ein Prozess vor dem CAS-Schnellgericht ist nämlich kein Straf-, sondern ein Zivilverfahren. Innerhalb weniger Stunden wird dann das Urteil gefällt. Manchmal wird die Begründung erst etwas später nachgeschoben. Da das die einzige und damit auch letzte Instanz ist, müssen die Entscheidungen sehr sorgfältig begründet werden. Das Verfahren ist übrigens kostenlos.

LTO: Lassen sich die meisten Sportler anwaltlich vertreten?

Schmidhauer: Häufig vertritt sie ihr Verband, die Athleten erscheinen dann selbst nicht mal vor Gericht. Wenn über eine Qualifikation gestritten wird, ist das eine Frage der richtigen Anwendung des Regelwerks. Da kann der Sportler nicht viel mitreden. Anders ist dies vielleicht, wenn es um den Wettkampf selbst geht.

LTO: Gegen wen richtet sich die Beschwerde? Wer steht auf der anderen Seite?

Schmidhauer: Wenn es um die Qualifikation geht, in der Regel der internationale Verband des Sportlers, ansonsten das IOC.

"Immer mehr Fälle landen vor dem Ad-hoc-Gericht"

LTO: Wie viele Fälle hat das Schnellgericht in der Regel während der Spiele zu behandeln?

Schmidhauser: Bei den Sommerspielen 2012 in London waren es elf, Tendenz steigend. Olympia ist sowohl für die Athleten als auch für ihr Umfeld ein finanzieller Faktor geworden. Damit wächst auch das Interesse, Streitfragen gerichtlich klären zu lassen. Aus sportlicher Sicht wäre es natürlich wünschenswert, wenn es weniger Fälle gäbe.

LTO: Was sind besonders prominente Fälle, die bei vergangenen Spielen vor dem Schnellgericht gelandet sind?

Schmidhauser: In London beschwerte sich Schweden über die Auswertung des Zielfotos beim Triathlon der Damen. Die Schweizerin Nicola Spirig hatte in einem sehr knappen Zieleinlauf gewonnen. So knapp, dass Schweden auch für seine Athletin eine Goldmedaille verlangte. Das Land hatte damit jedoch keinen Erfolg vor dem Ad-hoc-Gericht. Das ist sicherlich einer der bekannteren Fälle.

LTO: Wann fahren Sie selbst nach Sotschi?

Schmidhauser: Am 6. Februar, unmittelbar vor der Eröffnung. Ich löse dann Herrn Lenard ab und bleibe bis zum Schluss.

LTO: Frau Schmidhauser, vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß in Sotschi!

Corinne Schmidhauser war bis 2010 Schiedsrichterin am CAS und wechselte anschließend in die Leitung des Sportschiedsgerichts. Für die Schweiz nahm sie 1988 als Skirennfahrerin an den olympischen Winterspielen teil.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

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Corinne Schmidhauser, CAS-Schnellgericht bei Olympischen Spielen: "Weniger Fälle aus sportlicher Sicht wünschenswert" . In: Legal Tribune Online, 31.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10843/ (abgerufen am: 09.06.2023 )

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