Ab 1. Juli 2018 sollen Pauschalreisende in der EU besser als bisher geschützt sein. Doch die Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie sorgt für großen Unmut bei klassischen Reisebüros und Verbraucherschützern, erläutert Ernst Führich.
Ziel der EU-Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 ist die Anpassung der inzwischen über 25 Jahre alten Richtlinie 90/314/EWG an das digitale Zeitalter und die Verbesserung des Verbraucherschutzes: Immer mehr Reisende buchen ihren Urlaub im Internet selbst oder über Reiseportale wie beispielsweise Expedia. Brüssel sah die durchaus begründete Gefahr, dass der Verbraucherschutz durch das separate Buchen von Einzelleistungen wie etwa Flug, Hotel oder Mietwagen leerläuft. Daher sollen Buchungen im Internet solchen von Pauschalreisen im Reisebüro oder direkt bei einem Reiseveranstalter gleichgestellt werden. Das Schutzniveau würde so gewährleistet beziehungsweise nicht zu drastisch absinken.
In Deutschland werden zur Umsetzung der Richtlinie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in den §§ 651a bis y BGB und das Einführungsgesetz zum BGB geändert. Wegen der Bundestagswahl im Herbst hat die Große Koalition das neue Reiserecht in der Nacht zum vergangenen Freitag regelrecht durchgepeitscht, um die Frist zur Umsetzung bis Ende 2017 einzuhalten. Hierbei war der Spielraum für Änderungen durch die vollharmonisierende Richtlinie gering: Berlin durfte nicht mehr und nicht weniger Verbraucherschutz einführen und muss überschießenden, bisher für den Reisenden oft besseren, Schutz abbauen und auf den neuen, in manchen Fällen geringeren Schutzstandard der Richtlinie zurückstutzen.
Leider haben die Branchenverbände in Brüssel die Tragweite vieler Regelungen der Richtlinie nicht rechtzeitig erkannt, welche damit bald zu einem massiven Markteingriff gerade bei klassischen Reisebüros führen wird.
Begriff des Reiseveranstalters ausgeweitet – und damit die Haftung
Jeder Unternehmer, der mindestens zwei touristische Leistungen zu einem Paket zum Zweck einer Reise zusammenstellt, wird künftig zum Reiseveranstalter, der für Leistungen des Pakets verschuldensunabhängig haftet. Das können klassische Veranstalter wie TUI und Thomas Cook sein, aber auch Reisebüros, Airlines, Reiseportale im Internet oder Hotels.
Wird in Zukunft zu einer Einzelleistung noch eine weitere erhebliche Reiseleistung von mehr als 25 Prozent des Gesamtwerts der beabsichtigten Reise dazu gebucht und kommt das Paket aus einer Hand, zählt der Anbieter der ehemals einzelnen Leistung ebenfalls als Reiseveranstalter.
Nur Tagesreisen ohne Übernachtung über 500 Euro sind künftig Pauschalreisen. Reisen von nichtgewerblichen Non-Profit-Organisationen für ihre Mitglieder gelten nicht als Pauschalreisen.
Die besondere Rolle klassischer Reisebüros
In Brüssel verkannte man dabei, dass der Reisevertrieb über die beratenden Reisebüros nach wie vor eine große Rolle spielt, gerade in Deutschland. Deshalb ist es verfehlt, dass die Richtlinie für den stationären wie für den Online-Reisevertrieb die gleichen Regelungen vorsieht: Hinter dem Online-Vertrieb stecken in der Regel Unternehmen ganz anderer Größenordnungen als hinter den lokalen Geschäftsstellen der in der Regel eher kleinen Reisebüros.
So verwundert es nicht, dass gerade diese und der Verband unabhängiger selbstständiger Reisebüros lautstark in den Medien und mit einer Petition von 50.000 Stimmen zum Bundestag gegen diese Reform protestierten. Sie hätten die Pauschalreiserichtlinie am liebsten zur Neuverhandlung nach Brüssel "zurückgeschickt". Tatsächlich ist zu erwarten, dass die Großveranstalter mit eigener Direktvermarktung aufgrund der neuen Haftungsregeln auf weniger Konkurrenz durch kleine und mittelständische Reisemittler hoffen können.
Es ist sogar zu befürchten, dass Online-Vermittler und große Reiseveranstalter den neuen sowie komplizierten Regelungen zur Reisebuchung vergleichsweise mühelos entsprechen werden während viele kleine und mittlere Reisebüros, die vornehmlich mit ihrer Beratungsleistung Kunden gewinnen, vom Markt verdrängen werden könnten. Denn anders als bisher ist künftig die Art und Weise der Buchung entscheidend (dazu später mehr). Viele Reisebüros haben daher zu Recht Angst, etwa bei der Buchung Fehler zu machen oder zum falschen Formblatt zu greifen und dann zur Strafe in die "Veranstalterfalle" zu tappen.
Mühseliges Auseinanderrechen, um Pauschalreisenhaftung zu vermeiden
Über einen Aspekt freuen sich die Kleinen wie Großen der Branche aber gleichermaßen: Zunächst hatte man befürchtet, künftig zwangsweise wie ein Pauschalreiseveranstalter haften zu müssen, auch wenn den buchenden Urlaubern lediglich Einzelbausteine wie Flug und Hotel im Paket vermittelt werden sollten. Um das zu vermeiden, hätte der Reisende nach dem ursprünglichen Wortlaut der Richtlinie jede einzelne Reiseleistung getrennt buchen und die verschiedenen Rechnungen auch getrennt bezahlen müssen.
Bei getrennten Leistungen auf getrennten Rechnungen sei es künftig möglich, den gesamten Betrag trotzdem auf einmal zu überweisen, versprachen Europäische Kommission und Bundesregierung. Ob diese von den Verbänden bejubelte unverbindliche Auslegung die erhoffte Rechtssicherheit vor den Gerichten bis zum Europäischen Gerichtshof gibt, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Jedenfalls versucht auch der geänderte Regierungsentwurf vom 31.5.2017 (Drucks. 18/10822) für den Bezahlvorgang klarzustellen, dass bei getrennter Auswahl und getrennter Zahlungsverpflichtung, aber einheitlichem Zahlungsvorgang nicht entgegen dem Willen der Parteien eine Pauschalreise vorliegt.
2/2: Neuer Reisetyp: verbundene Reiseleistungen
Bei der Vermittlung einzelner Leistungen auf getrennten Rechnungen liegt künftig der neue Reisetyp verbundenen Reiseleistungen vor. Auch dieser bereitet gerade den kleineren Reisebüros große Sorgen. Er liegt dann vor, wenn ein Reisebüro oder eine Internet-Plattform binnen 24 Stunden etwa Flug und Hotel zum Zweck einer Reise vermitteln, dabei aber bei der Buchung ihre bloße Vermittlerstellung betonen.
Dann soll der Reisevermittler zwar nicht als Reiseveranstalter für Reisemängel von Flug und Hotel haften, muss aber den Kunden mit einem Musterformblatt darüber informieren, dass er nicht unter den Schutz des Pauschalreiserechts fällt.
Vereinnahmt der Reisevermittler im eigenen Inkasso den Reisepreis, muss dafür als Basisschutz eine Insolvenzsicherung gegen seine eigene Pleite abschließen. Da die Versicherungen dafür wiederum Bonitätsprüfungen mit hohen Anforderungen durchführen werden, ist die Angst vor einem breiten Reisebürosterben groß.
Ferienwohnungen: Schutzniveau weiter gesenkt als nötig
Ferienimmobilien und Hotelzimmer, die von Agenturen oder Reiseveranstaltern als eigene Einzelleistung angeboten werden, stehen derzeit noch unter dem besonderen Schutz des deutschen Pauschalreiserechts. Mehr als 30 Jahre konnten sich deutsche Urlauber damit nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auf eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts verlassen. Daher sind die Kundengelder bisher auch im Falle vor einer Insolvenz des Veranstalters geschützt.
Nun entfällt diese Absicherung, da das deutsche Pauschalreiserecht nicht mehr mitreist. Diese Einzelleistungen unterliegen künftig nämlich dem durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) abänderbaren Beherbergungsrecht. Anbieter können sich durch eine Rechtswahl des Landes der Unterkunft aus dem deutschen Recht mit einer AGB-Klausel "herauswählen". Urlauber müssten im Schadensfall dann im jeweiligen Ausland ihr vorab gezahltes Geld für die Buchung wieder einklagen oder die dortigen Gewährleistungsrechte bei Mängeln geltend machen.
Mit dieser schwerwiegenden Absenkung des bisherigen Schutzniveaus höhlt Berlin ohne Not und ohne Begründung im Gesetzesentwurf das Pauschalreiserecht aus – und zwar weiter, als es die EU-Richtlinie vorgibt. Dieser umfassende Schutz war im ersten Referenten-Entwurf aus dem federführenden Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz noch vorgesehen. Auch bei der Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundetages haben sich alle geladenen Rechtsexperten ebenfalls dafür ausgesprochen, dass Ferienunterkünfte und Hotels aus dem Angebot von Reiseveranstaltern und Agenturen auch weiterhin unter den Schutz des Pauschalreiserechts fallen sollen.
Preisanhebung kurz vor dem Abflug
Die materiellen Änderungen des neuen Reiserechts stellen den Urlauber in manchen Bereichen aber auch besser als das heutige deutsche Recht. Die Richtlinie orientierte sich bei der Reform an dem für den Verbraucher günstigen bisherigen deutschen Reiserecht als eine Art Blaupause. Pauschalreisende genießen damit weiterhin den Schutz des bisherigen Rechts mit einer verschuldensunabhängigen Haftung mit Preisminderung und Schadensersatz. Bei Schadensersatz wird wie bisher das Verschulden vermutet.
Allerdings kann sich der Veranstalter nur bei Eigenverschulden des Reisenden, unbeteiligter Dritter oder bei unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen entlasten, nicht mehr bei fehlendem Vertretenmüssen seinerseits. Die Hürde der Monatsfrist nach Reiserückkehr zur Anmeldung von Ansprüchen entfällt und es gilt nun nur noch eine zweijährige Verjährungsfrist.
Nachteilig für den Verbraucher, der unter das Pauschalreiserecht fällt, wird sein, dass bei Preiserhöhungen die bisherige Frist von vier Monaten nach Vertragsschluss entfällt.
Der Reisepreis kann sich darüber hinaus wegen geänderter Treibstoffkosten, Abgaben oder Wechselkurse zwischen Vertragsschluss und Reisebeginn sogar bis 20 Tage vor Reisebeginn um bis zu 8 Prozent erhöhen – und zwar ohne Rücktrittsrecht für den Reisenden. Einziger Vorteil eines Reisenden einer "verbundenen Reiseleistung“ wird sein, dass seine an den Vermittler gezahlten Gelder gegen dessen Pleite abgesichert sind.
Der Autor Prof. Dr. Ernst Führich hat als Sachverständiger im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages zu der Pauschalreiserichtlinie Stellung genommen. Er betreibt einen Blog zum Reiserecht.
Prof. Dr. Ernst Führich, Umsetzung des neuen Reiserechts: Auf Kosten der Kleinen . In: Legal Tribune Online, 07.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23123/ (abgerufen am: 29.05.2023 )
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