Facebook hält er für einen sterbenden Schwan. Ein Profil hat er dort dennoch, finden können das aber nur Russen. In den Medien findet man Max Schrems, der sich selbst als Aufmerksamkeitsfeind beschreibt, dafür umso häufiger. Der österreichische Jurastudent kämpft für mehr Datenschutz in dem sozialen Netzwerk. Akribisch, aber auch kreativ und ironisch.
Die Internetseite der österreichischen Datenschutz-Initiative "Europe-v-Facebook" besteht im Wesentlichen aus einer detaillierten Dokumentation der zahlreichen Verfahren, die der Vereinsvorsitzende Max Schrems seit 2011 vor den Datenschutzbehörden und Gerichten Europas gegen Facebook führt oder geführt hat. Hinterlegt sind seine Beschwerden samt Anlagen, in denen er akribisch auflistet, womit aus seiner Sicht Facebook gegen das europäische Datenschutzrecht verstößt. Das reicht von der Speicherung von Daten, die die Nutzer für längst gelöscht halten, bis hin zur Gesichtserkennung. Dokumentiert werden auch die Reaktionen des Unternehmens oder der Behörden. In Pressemeldungen sind zum besseren Verständnis Passagen gelb markiert, unterstrichen oder fett hervorgehoben.
Hat man es hier mit einem Querulanten zu tun? Ist Schrems einer, der nicht mehr sieht, wann es genug ist? Der sich mit seiner Verbissenheit selbst mehr schadet als nutzt?
Nein. Der Juradoktorand aus Österreich ist nicht nur ein aktueller Liebling der Medien, die er geschickt für seine Zwecke zu bespielen weiß. Er tritt auch regelmäßig auf Konferenzen auf, bei seinen Klagen unterstützen ihn Uniprofessoren.
Angefangen hat Schrems mit 22 – im Wesentlichen im Sande verlaufenen – Anzeigen bei der irischen Datenschutzbehörde, die dort eher mit einem Schulterzucken quittiert worden sind, als dass die für den europäischen Sitz von Facebook zuständige Behörde das Unternehmen aufgefordert hätte, etwas zu ändern. Mittlerweile hat es der Jurist bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und in zahlreiche in- und ausländische Medien geschafft. Viel Berichterstattung für jemanden, der sich selbst als "Aufmerksamkeitsfeind" bezeichnet.
Sammelklage in Österreich statt Beschwerden in Irland
Aktuell hat er eine Sammelklage gegen Facebook erhoben. Schrems verklagt das Unternehmen wegen diverser Verstöße gegen das europäische Datenschutzrecht auf Unterlassung und Schadensersatz. Damit seine Klage an Schlagkraft gewinnt, hat er Facebook-Nutzer aufgerufen, sich zu beteiligen, indem sie ihre Ansprüche an ihn abtreten. Statt auf die irischen Datenschützer setzt Schrems nun auf ein österreichisches Zivilgericht.
Binnen weniger Tage sind über 25.000 Menschen seiner Aufforderung gefolgt. Und es hört nicht auf. Um den Verwaltungsaufwand, den die Prüfung der Abtretungen mit sich bringt, überhaupt in den Griff kriegen zu können, wurde die Teilnehmerzahl auf 25.000 begrenzt. Jetzt kann man sich nur noch als "Interessent" melden und gegebenenfalls später der Klage beitreten.
Schrems' Ziel ist dabei nicht, dass Facebook am Ende exorbitante Schadensersatzsummen zahlen muss. Deshalb beschränkt er seine Forderung auf 500 Euro pro Nutzer. Er will vielmehr erreichen, dass das soziale Netzwerk im Fall einer Verurteilung nicht damit davonkommt, einfach ihm gegenüber einzelfallartig die Datenschutzregeln zu ändern. Das Unternehmen soll zu einer grundsätzlichen Regelung gezwungen werden.
Irischer High Court: Verstößt Safe-Harbor gegen EU-Grundrechte?
Grundsätzlich wird es demnächst auch vor dem EuGH. Einer Vorlage des irischen High Court, über welche die Luxemburger Richter bald zu entscheiden haben, liegt eine Klage von Schrems zugrunde. Er will klären lassen, ob die irische Datenschutzbehörde sich weigern durfte, die Weitergabe von Daten an die USA und damit an die NSA durch Facebook im Rahmen von PRISM zu untersuchen.
Im Rahmen dieses Verfahrens will der irische High Court von Luxemburg wissen, ob die Safe-Harbor-Entscheidung der EU-Kommission mit dem Recht auf Vertraulichkeit der Kommunikation und dem Schutz persönlicher Daten (Art. 7 und 8 EU-Grundrechecharta) vereinbar ist. Um den Datenaustausch mit dem Handelspartner USA nicht zum Erliegen zu bringen, entschied die EU-Kommission im Jahr 2000, dass bestimmte US-Unternehmen entgegen der EU-Datenschutzrichtlinie personenbezogene Daten aus der EU in die USA übermitteln dürfen, obwohl der Datenschutz dort nicht dem der EU entspricht. Dafür müssen diese Unternehmen bestimmte Datenschutz-Grundsätze akzeptieren. Auf dieser Liste steht auch Facebook.
Die Enthüllungen von Edward Snowden lassen das irische Gericht nun daran zweifeln, dass die Datenschutzbehörden der Mitgliedstaaten an die Safe-Harbor-Entscheidung noch gebunden sind und damit auch nicht eigenständig wegen Datenschutzverstößen ermitteln dürfen.
Die irische Behörde hatte Schrems' Beschwerde mit Hinweis auf die Safe-Harbor-Entscheidung zurückgewiesen.
2/2: Loser Unterstützerkreis
Es ist zwar immer Schrems, dessen Gesicht die Medienbeiträge ziert, der Jurist kämpft aber nicht alleine. In der Initiative "Europe-v-Facebook" haben sich zehn Freund und Bekannte zusammengeschlossen, von denen jeder ehrenamtlich das übernimmt, was er am besten kann. Der eine programmiert die Seite, der andere schreibt die Texte, ein Dritter korrigiert Rechtschreibfehler.
Die Sammelklage wird finanziert von der Roland Rechtsschutzversicherung. Schrems ist anwaltlich vertreten, neben Anwalt Wolfram Proksch beraten ihn bei dem Verfahren vor dem EuGH auch noch zwei deutsche Rechtswissenschaftler. Unterstützer spenden – die meisten von ihnen 20 bis 30 Euro, ab und zu kommen auch mal 1.000 Euro in die Kasse.
Insgesamt haben Schrems und seine Weggefährten im Moment um die 55.000 Euro zur Verfügung. Das Geld diene lediglich als Haftungs-Fonds für den Fall, dass ein Prozess verloren geht, damit keiner persönlich bankrott gehe, so Schrems.
Max Schrems in Kyrillisch
Um überhaupt gegen das Unternehmen klagen zu können, braucht Facebook-Gegner Schrems einen eigenen Account bei dem sozialen Netzwerk. Den hat er auch, unter seinem richtigen Namen, geschrieben allerdings in kyrillischen Buchstaben. "Das ist die Lösung des Juristen, der in den AGB gelesen hat, dass man seinen echten Namen angeben muss, das aber nicht will und sich dann an seinen bulgarische Großmutter erinnert hat." Nur die russischen Medien, die würden ihn natürlich doch recht einfach finden.
Außerdem sei er inzwischen eher ein Freund von Twitter geworden. "Da bekommt man schneller relevante Informationen direkt von der Quelle." Facebook nutzt er nach eigenen Angaben fast nur noch, um seine Kontakte ins Ausland zu pflegen. Öffentlich teilt er dort tatsächlich keine Inhalte. Außerdem glaubt er, Facebook sei "ein sterbender Schwan".
Warum er sich gerade diesen sterbenden Schwan als Gegner ausgesucht hat? "Facebook ist mir genauso lieb oder unsympathisch wie Google, Apple oder sonst wer. Ich habe das Netzwerk eher etwas zufällig als Musterfall gewählt." Während eines Auslandssemesters in den USA sei er bei einer Veranstaltung auf einen Vertreter von Facebook getroffen, der den Studenten erzählen wollte, wie das europäische Datenschutzrecht funktioniert. "Das war der größte Humbug, den ich je gehört habe." Und Anlass genug für ihn, sich näher mit der Datenschutzpolitik dieses Unternehmens zu beschäftigen. Das tut er nun seit über drei Jahren. Er sei ein Freund davon, die Dinge entweder ordentlich zu machen oder gar nicht. Und um wirklich zu wissen, was ein Konzern so macht, brauche es einfach Zeit.
Ein Experiment mit Unterhaltungswert
Zumindest einen inhaltlichen Erfolg kann Schrems bereits verbuchen: Anfang 2014 zog Facebook die Gesichtserkennung in Europa zurück, nachdem auch Datenschutzbehörden in Europa Druck gemacht hatten. Aber davor und danach passierte lange einfach gar nichts. Schrems bekam von der irischen Datenschutzbehörde nicht einmal Einsicht in die Akten. Seine Anzeigen wurden entweder gar nicht bearbeitet oder abschlägig beschieden.
Frustrierend wäre das Ganze sicherlich, wenn er das alles ernst nehmen würde. Immerhin gehe es um Grundrechte, die da verletzt werden, während die Behörden in die andere Richtung gucken. Trotz seiner Emsigkeit gibt Schrems sich betont locker: "Ich sehe das aber eher als Experiment mit Unterhaltungswert."
Und deshalb schickt er auch schon mal nachts einen Dreizeiler an die irische Datenschutzbehörde, mit dem er sich um die Leitung der Behörde bewirbt. Für die Ironie hatte man dort aber offenbar keinen Sinn. Zurück kam eine Absage – per Standard-E-Mail.
Claudia Kornmeier, Österreicher kämpft für Datenschutz auf Facebook: "Frustrierend, wenn man es ernst nähme" . In: Legal Tribune Online, 15.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12901/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag