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Prozessauftakt gegen Familienrichter aus Weimar: "Ich weiß nicht, warum ich hier bin"

von Tanja Podolski

15.06.2023

In einem leeren Gerichtssaal liegt eine weiße Rose auf dem Tisch, symbolisch für Emotionen im Prozessauftakt gegen den Richter.

Die weiße Rose musste mehrfach als Zeichen des Protests gegen Schutzmaßnahmen und der Solidarität mit dem Familienrichter herhalten. Auch beim Prozessauftakt brachte eine Zuschauerin eine (Kunst-)Blume mit in den Gerichtssaal. Foto: Tanja Podolski, LTO

Prozessauftakt gegen den Familienrichter aus Weimar wegen Rechtsbeugung: Er hatte in der Pandemie alle Schutzmaßnahmen für Schüler beendet. Den Fall, Gutachten und Ergebnis soll er initiiert und manipuliert haben. Einsicht zeigt er keine. 

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"Freispruch für Richter D." steht auf dem kleinen Plakat der Frau. Sie ist eine von vielleicht 30 Menschen, die an diesem Mittag auf dem Platz vor dem Bahnhof in Erfurt stehen, um den Freispruch für einen Richter zu fordern, gegen den am Donnerstag vor dem Landgericht (LG) Erfurt der Prozess los ging. Die Menschen am Bahnhof werden informiert über das, was sich dort, wenige Meter weiter in der Außenstelle des Landgerichts (LG) Erfurt abspielt: Die Zuschauer im Verhandlungsraum gehen offenbar nacheinander zur Verhandlung, um sich einen Eindruck zu verschaffen – es standen aber auch nicht genug Plätze für alle Interessierten zur Verfügung.

Verhandelt wird der Fall des Familienrichters am Amtsgericht (AG) in Weimar. Der inzwischen 60-Jährige hatte in der Corona-Pandemie alle Maßnahmen zum Schutz von Schüler:innen vor Infektionen an zwei Schulen aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft wirft Christian D. vor, für die Aufhebung dieser Maßnahmen als Zivilrichter nicht zuständig gewesen zu sein und das angeregte Kindeswohl-Verfahren nach § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) initiiert zu haben. Angeklagt ist der Mann wegen Rechtsbeugung gem. § 339 Strafgesetzbuch (StGB) in zwei tateinheitlichen Fällen.

"Willkürlich Zuständigkeit angenommen"

Die Verlesung der Anklage dauert gut 20 Minuten. Im Ergebnis lautet der Vorwurf: Der Richter habe den gesamten Fall initiiert und das Recht manipuliert, um ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen. So wirft die Staatsanwaltschaft dem Richter vor, in seinem Netzwerk nach Verfahren gesucht zu haben, die nach der Geschäftsverteilung in seine Zuständigkeit fallen, gezielt schon frühzeitig die passenden, maßnahmenkritischen Gutachter:innen ausgesucht und willkürlich seine Zuständigkeit für eine Thematik angenommen zu haben, die bei den Verwaltungsgerichten anhängig gemacht werden müssen.

Weiter ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass Christian D. als Gründungsmitglied des sogenannten "Netzwerks kritischer Richter und Staatsanwälte" selbst an Musterschreiben für Anregungsschreiben für ein Kindeswohlverfahren mitgewirkt habe. Auch konkret an dem Schreiben, das schließlich zu dieser Anklage führe, habe er mitgeschrieben, dies aber nicht angezeigt und diverse weitere Verfahrensregeln bewusst missachtet. So habe er z.B. wesentliche rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze wie das Gebot des rechtlichen Gehörs und des gesetzlichen Richters wissentlich verletzt, sagt die Staatsanwaltschaft. Er habe "eine willkürliche, von keiner Norm gedeckte Entscheidung getroffen".

Richter war selbst für Fälle von Rechtsbeugung zuständig

Christian D. sieht das anders. Wie genau, erzählt er in einer Darstellung seiner Sicht, die gut 45 Minuten dauert. Er sei selbst einmal als Richter in genau diesem jetzt gegen ihn zuständigen Dezernat gewesen, habe Fälle von Rechtsbeugung gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte der DDR geführt. Seit dem Herbst 1996 sei er am AG in Weimar. Jetzt aber stehe er hier. "Ich weiß nicht, warum. Ich fühle mich völlig ungehört", so D.

Der Alltag der Schulkinder in der Pandemie habe ihn seit Beginn des Jahres 2021 umgetrieben. Die Vorgaben zu einzuhaltenden Abständen seien nicht kindgerecht gewesen. Es gebe Studien, dass Kinder das Virus kaum weitergeben. Dennoch hätten "Lehrer interveniert, wenn Kinder nur mal kurz die Maske runtergenommen" hätten, Demütigungen seien zu befürchten gewesen.

Er habe dann angefangen, mit anderen aus dem Netzwerk zu diskutieren, ob in diesen Situationen Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet und wem gegenüber in der Folge Maßnahmen angeordnet werden könnten. Dabei sei es nicht nur sein Recht, Verfahren zum Schutz des Kindeswohls einzuleiten –"manche Leute sagen initiieren" – sondern sogar seine Pflicht, wenn er Missstände sieht. Denn diese Verfahren seien nun mal von Amts wegen einzuleiten.

Mit Manipulationen des Verfahrens hat das aus seiner Sicht nichts zu tun: Dass er bereits mit den Gutachter:innen auch zum Inhalt gesprochen hat, bevor es überhaupt einen Fall gab, habe lediglich mögliche spätere Verfahren vorbereitet. Und warum er für alle Kinder die Maßnahmen abgestellt hat, habe er schon in der Entscheidung begründet. Es hätte höchste Eile und Gefahr in Verzug bestanden – und in so einer Situation könne die eigentlich erforderliche Anhörung der Betroffenen entfallen und später nachgeholt werden. Nur einen Fehler hätte er gemacht: Er habe "übersehen", dass für einen Teil der Kinder an den beiden Schulen, eben nicht er, sondern eine Kollegin zuständig gewesen sei. Aber "wo wäre hier die schwerwiegende Entfernung vom Recht"?

Strate: "unwürdig gegenüber einem Kollegen"

Der Vorsitzende Richter Detlef Hampel liefert dann einige Ideen, wo diese Entfernung liegen könnte – mal ganz abgesehen davon, dass bereits das Richterdienstgericht gegen Christian D. eine Entscheidung getroffen hat und er damit seit Jahresbeginn vorläufig vom Dienst suspendiert ist.

Richter Hampel verliest massenhaft Urkunden aus den Akten, um diese schon jetzt in die Hauptverhandlung einzuführen mit dem Argument, sie den beiden Schöffen bekannt machen zu wollen, damit diese bei den späteren Zeugenvernehmungen besser Fragen stellen könnten. So hätten etwa die Gutachter kein Geld für ihre Tätigkeit erhalten, weil sie bereits vor einer richterlichen Verfügung tätig wurden.

Für die Anwälte von Christian D. geht das zu weit: "Sie greifen der Zeugenvernehmung vor", sagt Strafverteidiger Peter Tuppat. Die Urkundsverlesung sei vom Gesetzgeber aber lediglich als Ausnahmefall vorgesehen und dürfe keine Alternative zur Zeugenvernehmung sein", so der Fachanwalt für Strafrecht. Der zweite Anwalt, Dr. h.c. Gerhard Strate aus Hamburg, bittet um eine Unterbrechung, weil ihn das "zu sehr aufrege", es sei "reine Stimmungsmache", "das ist so was von unwürdig gegenüber einem Kollegen".

Richter Hampel unterbricht – und macht 15 Minuten später dennoch weiter mit der Verlesung der Urkunden. Nun wird es doch noch mal unruhig unter den Zuschauern, die die rund 30 Plätze immer wieder bis auf den letzten Platz füllen – denn er liest leise, spricht neben das Mikrofon – hatte sich aber Zwischenrufe aus dem Publikum selbst zum schlechten Verstehen schon zu Beginn der Verhandlung verbeten.

"Unser größtes Problem ist die Digitalisierung"

Ein Demonstrant vor dem Bahnhof aber greift genau das später auf. Die da, die im Gericht, die hätten so leise geredet, dass man die nicht verstehen könne, "dabei müssen Verhandlungen doch öffentlich sein". Richter Hampel hatte auch ohne Kenntnis dieser späteren Aussage ein Einsehen: Zum Abschluss des Tages händigt er allen Verfahrensbeteiligten einen dicken Stapel Papier aus – darunter massenhaft Durchsuchungsbeschlüsse. Diese Dokumente müssen nun nicht mehr im Gerichtssaal vorgelesen, sondern selbst gelesen werden und können so in die Hauptverhandlung eingebracht werden.

Gegen die auf die Durchsuchungen folgenden Beschlagnahmeverfügungen hatte Strafverteidiger Strate übrigens ein Beschwerdeverfahren eingeleitet. Dies hatte zwischenzeitlich keinen Erfolg: Der 1. Strafsenat hat die Beschwerde zurückgewiesen (Beschl. v. 19.05.2022, Az.. 1 Ws 136/23). 

Viele Dokumente betreffen die Auswertung von Handys und Notebooks, die bei den beiden Durchsuchungen aufgefunden worden waren – auch das greifen die Demonstranten vor dem Bahnhof auf:  "Unser größtes Problem ist die Digitalisierung" wird ein Redner sagen, "was die alles durchsucht haben, da kann einem Angst und Bange werden".

Angesetzt sind für das Verfahren zunächst zehn Verhandlungstage. Weiter geht es am 29. Juni.

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Prozessauftakt gegen Familienrichter aus Weimar: . In: Legal Tribune Online, 15.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52005 (abgerufen am: 10.11.2025 )

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