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Ukraine gegen Russland vor dem IGH: Wo ist die rus­si­sche Dele­ga­tion?

von Dr. Franziska Kring

07.03.2022

Ein in ukrainische Nationalfarben gekleideter Demonstrant mit Engelsflügeln auf dem Rücken steht vor dem Brandenburger Tor und fordert auf dem Plakat in seinen Händen "Putin nach Den Haag", aufgenommen am 27.2.2022.

Heute begannen nun die Anhörungen vor dem IGH in Den Haag, die russische Delegation erschien allerdings nicht. Foto: media.un.org

Vor dem IGH hat das Verfahren der Ukraine gegen Russland begonnen. Zunächst durfte die Ukraine ihre Argumente vortragen – und tat das mit emotionalen Worten. Von der russischen Delegation fehlte allerdings jede Spur.

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"Wir sind heute in diesem Gebäude, das 'Friedenspalast' genannt wird. Aber zu Hause ist mein Land mit einem Angriffskrieg konfrontiert." Mit diesen emotionalen Worten eröffnete der Vertreter der Ukraine am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, Anton Korynevych, sein Statement zu Beginn der öffentlichen Anhörungen im Fall Ukraine gegen Russland. Am Montag legte die Ukraine ihre Position vor den Richterinnen und Richtern dar.

Die Verhandlung begann bereits mit einem Paukenschlag: IGH-Präsidentin Joan E. Donoghue kündigte an, dass Russland nicht an der Anhörung teilnehmen werde. Gründe hierfür nannte sie nicht. Das habe der russische Botschafter in den Niederlanden, Alexander Schulgin, dem Gericht am Samstag mitgeteilt. Diese Entscheidung stieß beim Gericht auf Unverständnis: "Das Gericht bedauert das Nichterscheinen der Russischen Föderation in dieser mündlichen Verhandlung", so Donoghue.

Da dem Gerichtshof keine Richterin bzw. kein Richter ukrainischer Staatsangehörigkeit angehört, durfte die Ukraine nach Art. 31 des IGH-Status einen ad hoc-Richter für den konkreten Fall bestimmen. Die Wahl fiel auf Professor Yves Daudet, Franzose, u.a. ehemaliger Professor für Völkerrecht an der Universität Paris I Panthéon-Sorbonne und Generalsekretär der Haager Akademie für Völkerrecht.

Die russische Invasion in die Ukraine dauert seit zweieinhalb Wochen an. Bereits am 26. Februar 2022 hatte sich die Ukraine mit Klage und einem Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen an das höchste Gericht der Vereinten Nationen (UN) gewendet. Vor dem IGH geht es zunächst um das Eilverfahren. Die Ukraine fordert unter anderem die sofortige Einstellung aller Militäraktionen auf ihrem Staatsgebiet.

Gerichtsverhandlung am 7.3. am IGH

"Eine schreckliche Lüge Putins"

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die Invasion in die Ukraine mit der unbewiesenen Behauptung gerechtfertigt, dass Russinnen und Russen in Luhansk und Donezk in der Ostukraine vor einem Völkermord geschützt werden müssten. "Das ist eine schreckliche Lüge Putins", sagte Korynevych. Er forderte ein Ende der Gewalt und eine Streitbeilegung "wie zivilisierte Nationen", kündigte aber auch gleichzeitig an: "Wenn Russland nicht von sich aus zum Völkerrecht zurückkehrt, wird der Gerichtshof tätig werden."

Nach Art. 41 Nr. 1 des IGH-Statuts kann der Gerichtshof, "sofern es seines Erachtens die Umstände erfordern", vorsorgliche Maßnahmen treffen, "die zum Schutze der Rechte jeder Partei getroffen werden müssen".

Im Einzelnen begehrt die Ukraine vier solcher Maßnahmen: An erster Stelle steht die unverzügliche Einstellung der militärischen Gewalt, da die Rechtfertigung für diese, nämlich die angebliche Verhinderung eines vermeintlichen Völkermordes in den Gebieten Luhansk und Donezk in der Ostukraine, nur vorgeschoben sei. Dazu solle Russland sicherstellen, dass auch sämtliche Separatistinnen und Separatisten unter ihrer Kontrolle die militärische Operation nicht weiter unterstützen.

Die Ukraine verlangt von Russland zudem Zusicherungen, dass es keine Handlungen unternimmt, die den Konflikt noch verschlimmern. Für den Fall, dass der IGH tatsächlich vorläufige Maßnahmen anordnet, solle Russland außerdem eine Woche nach der Anordnung und dann in regelmäßigen Abständen Berichte über seine Fortschritte vorlegen.

Humanitäre Katastrophe in der Ukraine

Der IGH kann unter vier Voraussetzungen solche vorläufigen Maßnahmen erlassen: Zunächst muss er auf den ersten Blick (prima facie) zuständig sein. Außerdem bedarf es eines Zusammenhanges zwischen den in Frage stehenden Rechten und den beantragten Maßnahmen. Zudem muss die Gefahr irreparabler Schäden sowie eine Dringlichkeit bestehen.

Die Ukraine legte detailliert dar, wieso diese Voraussetzungen im konkreten Fall ihrer Ansicht nach erfüllt sind. Russland wirft dem Land einen Völkermord vor; die Ukraine weist diese Vorwürfe aufs Schärfste zurück. Es gehe daher um die Auslegung, Anwendung und Erfüllung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 (Völkermordkonvention). Für eine solche Streitigkeit sei nach Artikel IX der Konvention der IGH zuständig.

Die russischen Angriffe auf die Ukraine hätten zu einer humanitären Katastrophe geführt: Zahlreiche Menschen seien getötet worden, viele suchten Schutz in Tunneln, auch Babys seien dort geboren worden und Tausende flüchten innerhalb der Ukraine oder in die Nachbarstaaten. Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der UN, sprach in einem Statement vom 3. März 2022 von über zwei Millionen Menschen, die fliehen mussten.

Die Invasion habe großes menschliches Leid verursacht, auch Kriegsverbrechen seien begangen worden. Deshalb hat auch der Internationale Strafgerichtshof bereits Ermittlungen eingeleitet. Auch auf die Umwelt werde der Krieg fatale Auswirkungen haben. Insgesamt bestehe daher die erhebliche Gefahr irreparabler Schäden.

Gleichzeitig beriefe sich Russland seinerseits auf die Völkermordkonvention zur Rechtfertigung der Invasion – das könne nur als böswilliges Vorgehen bezeichnet werden.

Wie es weitergeht

Wann eine Entscheidung über den Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen ergeht, steht noch nicht fest. Das Gericht wird den Termin bald bekanntgeben. Die internationalen Richterinnen und Richter wollen "so schnell wie möglich" urteilen, kündigte Präsidentin Donoghue an.

Urteile des IGH sind zwar zwischen den Parteien bindend. Allerdings kann der Gerichtshof die Entscheidung nicht selbst durchsetzen, wenn die unterlegene Partei sie nicht befolgt. Er kann allerdings den UN-Sicherheitsrat anrufen. Dort besitzt Russland jedoch ein Vetorecht.

Nach der Entscheidung über den Eilantrag steht noch das Urteil im Hauptverfahren an. Dann möchte die Ukraine eine vollständige Wiedergutmachung erreichen: "Der von uns beantragte vorläufige Rechtsschutz wird nicht der endgültige Rechtsschutz sein", hieß es von ukrainischer Seite.

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Ukraine gegen Russland vor dem IGH: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47748 (abgerufen am: 15.11.2025 )

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