Der Erhalt des Kulturzentrums "Rote Flora", der Abriss der "Esso-Häuser" und der Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen sorgen in Hamburg derzeit für Krawalle. Die Polizei reagierte mit einem Gefahrengebiet, um Personen einfacher kontrollieren zu können. Dirk Heckmann erläutert im Interview, dass dafür zwar kein Richtervorbehalt nötig ist, wohl aber eine restriktive und transparente Handhabung.
LTO: Das Hamburger Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) erlaubt seit 2005, im Stadtgebiet Gefahrengebiete einzurichten. Was darf die Polizei dort, was sie sonst nicht darf?
Heckmann: § 4 des Gesetzes regelt abschließend, welche Personenkontrollen zulässig sind: Die Polizei kann Ausweise überprüfen oder mitgeführte Gegenstände in Augenschein nehmen, was oberflächlicher ist als eine Personendurchsuchung. Die Besonderheit dabei ist, dass all diese Maßnahmen in einem Gefahrengebiet auch gegenüber Personen ergriffen werden können, von denen keine direkte Gefahr ausgeht.
LTO: Der Tatbestand des § 4 PolDVG klingt ja recht weit gefasst, wenn es dort heißt, dass die Polizei Personen etwa "befragen" kann. Wozu darf sie Passanten denn befragen, was ginge zu weit?
Heckmann: Die konkreten Maßnahmen müssen alle darauf ausgerichtet sein, befürchtete Straftaten zu verhüten. Das heißt, die Polizei darf nicht nach allen möglichen Dingen fragen, selbst wenn diese von polizeilichem Interesse sein könnten. Sie darf sich aber etwa danach erkundigen, ob jemand nur auf dem Weg zur Arbeit ist oder zur Demo.
Dabei kann es ja auch zu ganz vernünftigen Gesprächen kommen. Es geht nicht immer gleich um inquisitorische Befragungen, in denen private Informationen offengelegt werden sollen. Für die Polizei kann es wichtig sein, die eigenen Lageerkenntnisse über Befragungen zu bestätigen oder auch zu widerlegen.
"Konzeptionell Vergleichbares gibt es auch in anderen Bundesländern"
LTO: Gibt es ähnliche Regelungen auch in anderen Bundesländern? Oder ist das tatsächlich eine "Hamburger Spezialität", wie es etwa in der taz hieß?
Heckmann: Das ist nichts wirklich Spektakuläres. Konzeptionell Vergleichbares gibt es auch in anderen Bundesländern. In Bayern spricht das Polizeigesetz etwa von Orten, an denen sich normalerweise Menschen zu Straftaten verabreden. Das kann eine Kneipe sein, in der mit Drogen gehandelt wird, aber auch ein öffentlicher Platz. Da sind dann Razzien möglich, bei denen jeder verdachtsunabhängig kontrolliert werden darf. Also auch der Tourist, der nur zufällig da ist. Natürlich geht die Hamburger Regelung in räumlicher Hinsicht weiter, was auch im Hinblick auf eine verfassungskonforme Auslegung zu berücksichtigen ist.
LTO: Halten Sie das Gefahrengebiet in Hamburg für geeignet, um die Konflikte in der Stadt in den Griff zu kriegen?
Heckmann: Sicherlich ist die Ausweisung eines Gefahrengebietes nicht die Lösung des Problems. Es erleichtert die Arbeit der Polizei aber, weil Kontrollen einfacher möglich sind. Bei solchen Großgefahrenlagen, in denen sich die Stimmung aufheizt, gibt es sehr schnell Trittbrettfahrer, andere Interessengruppe schließen sich an und nutzen die Situation aus. So entsteht eine Masse, die schwer in den Griff zu kriegen ist. Personenkontrollen sollen da helfen, Menschen aus der Anonymität herauszuholen mit der Erwartung, dass sie sich anschließend rechtstreuer verhalten.
Dabei finden natürlich auch ganz viele Maßnahmen statt, die auch ohne Gefahrengebiet zulässig gewesen wären: etwa Aufenthaltsverbote oder Platzverweise. Das ist ein Gesamtpaket an unterschiedlichen Maßnahmen und Strategien, mit denen die Polizei eine komplexe Situation meistern will.
2/2: "Permanente, flächendeckende Überwachung muss vermieden werden"
LTO: Das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg hatte 2012 nicht rechtskräftig entschieden, dass die Vorschrift bei restriktiver Auslegung verfassungskonform ist (Urt. v. 02.10.2012, Az. 5 K 1236/11). Sehen Sie das genauso?
Heckmann: Ja. Das VG begründet sein Urteil sehr ausführlich. Im Leitsatz heißt es: "bei verfassungskonformer Auslegung keine durchgreifenden […] Bedenken". Das ist alles andere als ein Freibrief. Die Richter legen großen Wert auf eine restriktive Auslegung.
Man kann die Gefahrengebiete vom Grundansatz her mit der Schleierfahndung vergleichen, bei der es auch um verdachtsunabhängige Kontrollen geht und die nur verfassungskonform ist, wenn nicht jeder komplett überprüft wird. Die Polizei darf Fahrzeuge im Grenzgebiet anhalten, Ausweise kontrollieren und sich im Fahrzeug umschauen. Dabei muss sie ihre kriminalistische Erfahrung einbringen: Wie reagiert jemand bei einer Kontrolle? Ist er ganz ruhig, besteht kein Anlass ihn weiter aufzuhalten. Anders ist dies, wenn er nervös wird, weil etwa Waffen oder Drogen mitgeführt werden.
Genauso dürfen in Hamburg nicht sämtliche Passanten ausführlich befragt werden. Wer einfach nur nach Hause gehen will, den wird man nicht lange aufhalten können. Eine permanente flächendeckende Überwachung muss von Rechts wegen, aber auch zur Vermeidung einer Verunsicherung der Bürger unterbleiben.
LTO: Für Aufregung sorgte in der Hansestadt, dass das aktuelle Gefahrengebiet sehr groß ist. Es erstreckt sich über drei Stadtgebiete. Erfasst werden weite Teile von Altona, St. Pauli und dem Schanzenviertel. Lässt sich die Größe des Hamburger Gefahrengebiets noch mit einer restriktiven Auslegung vereinbaren?
Heckmann: Selbstverständlich darf die Polizei nicht der Einfachheit halber ein gesamtes Stadtgebiet als Gefahrengebiet auszeichnen. Es muss vielmehr auf einer Karte der genaue Straßenverlauf eingezeichnet werden. Verlagern sich die Krawalle, muss das Gebiet verändert werden. Die Gebietsgrenzen müssen sachlich mit den konkreten Lageerkenntnissen begründet werden.
"Mehr Transparenz ist für die Akzeptanz wichtig"
LTO: Muss die Polizei öffentlich machen, welche Teile der Stadt sie als Gefahrengebiet ausgewiesen hat?
Heckmann: Ja, am besten auf ihrer Internetseite. Die Medien würden für die weitere Verbreitung sorgen. Ich sehe keinen Grund, warum man das als interne Maßnahme qualifizieren sollte, die geheim zu halten wäre. Das rechtsstaatliche Publizitätsgebot gebietet eine Veröffentlichung, wenn die Ausweisung eines Gefahrengebietes nicht sogar eine Allgemeinverfügung ist, die sowieso bekanntgegeben werden muss, um wirksam zu werden. Das Staatsverständnis hat sich da gewandelt. Der Bürger muss nicht mehr ausdrücklich einen Antrag stellen, wenn er etwas wissen will. Der Staat muss von sich aus transparent sein und kann nur ausnahmsweise Dinge geheim halten, wenn es besondere Gründe dafür gibt. Open Data gilt insofern auch für polizeiliches Handeln, solange es keinen zwingenden Grund einer Geheimhaltung gibt.
Das ist auch für die Akzeptanz wichtig. Gerade bei solchen Instrumenten, die für normale Bürger bedrohlich wirken und eine umfassende Überwachung befürchten lassen. Die Polizei muss dabei nicht nur über den Umfang des Gefahrengebietes aufklären, sondern auch über die Gründe, die die Maßnahme notwendig machen. Auch Selbstbegrenzung der Polizei kann hilfreich sein. Das alles würde viel Zündstoff aus der Sache rausnehmen. Und so kann auch das Gefühl permanenten Überwachtseins, das nun bei vielen Bürgern eintritt, abgeschwächt werden.
Andere Behörden twittern inzwischen. Einfach um den Leuten zu zeigen, wir entscheiden hier nicht von oben herab. Wir nehmen unsere Aufgabe wahr, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen.
"Kein Richtervorbehalt nötig"
LTO: Halten Sie es für problematisch, dass die Polizei ein Gefahrengebiet alleine festlegen kann? Das es etwa keinen Richtervorbehalt gibt?
Heckmann: Ein Behördenleitervorbehalt sollte ausreichen. Das Grundgesetz schreibt eine richterliche Anordnung für die Wohnungsdurchsuchung und die Freiheitsentziehung vor. Die Verfassungsrichter haben sie bei der Online-Durchsuchung gefordert. Diese Maßnahmen haben ein anderes Kaliber als die Personenkontrollen, die in einem Gefahrengebiet durchgeführt werden dürfen. Allerdings kann gerade ein großflächiges Gefahrengebiet einschüchternd wirken. Es sieht so aus, als würden ganze Stadtteile unter Quarantäne gestellt, eine Art "Ausnahmezustand" errichtet. Das könnte den Grundrechtseingriff intensivieren und bei extensivem Gebrauch einen Richtervorbehalt nötig machen.
LTO: Das Hamburger Gefahrengebiet wurde am Samstagmorgen errichtet und besteht bis heute fort. Das Gesetz regelt nicht, wie lange die Polizei ein solches Gebiet aufrechterhalten darf.
Heckmann: Man kann das auch nicht von vornherein gesetzlich befristen. Das hängt ja von der konkreten Gefahrenlage ab. Allerdings muss regelmäßig überprüft werden, ob die Voraussetzungen noch vorliegen.
LTO: Können Bürger diese Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen?
Heckmann: Das ist gerichtlich voll überprüfbar. Die Polizei hat da keinen Ermessensspielraum. Sowohl beim Ob als auch beim Wie des Gefahrengebiets, also hinsichtlich seines räumlichen und zeitlichen Umfangs. In der Regel geht es dann um nachträglichen Rechtsschutz. Wichtig dafür ist, dass die Polizei die Gründe für die Ausweisung des Gefahrengebietes von Anfang an dokumentiert.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Dirk Heckmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht an der Universität Passau und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Dirk Heckmann, Hamburger Gefahrengebiet: "Ein Gefühl permanenten Überwachtseins" . In: Legal Tribune Online, 09.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10606/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
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