Druckversion
Sonntag, 16.11.2025, 04:36 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/eurokrise-privatanleger-verklagen-griechenland-vor-deutschen-gerichten
Fenster schließen
Artikel drucken
7412

Privatanleger verklagen Griechenland vor deutschen Gerichten: Griechenland ist nicht Argentinien

von Prof. Dr. Christoph Thole

29.10.2012

Griechische und Deutsche Flagge

© steschum - Fotolia.com

Beim LG Kiel sind die ersten Klagen von Inhabern griechischer Staatsanleihen eingegangen. Sie fordern Schadensersatz von Griechenland; die Umschuldung des maroden Staatshaushalts habe sie quasi enteignet. Der Verweis auf erfolgreiche Klagen gegen den Schuldenschnitt Argentiniens wird den Anlegern aber wohl nicht helfen, meint Christoph Thole.

Anzeige

Argentinien 2002 – darauf verweist die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, die die Klagen der Anleger unterstützt und betreut. Das südamerikanische Land hatte damals seine Schulden nicht mehr bedient und wurde deshalb in mehreren Verfahren erfolgreich wegen Vertragsbruchs verklagt. Das macht den Anlegern Hoffnung. Nach Auskunft der Schutzvereinigung sind mehrere tausend Privatanleger zur Klage gegen Griechenland entschlossen.

Sie wehren sich gegen den im vergangenen Jahr beschlossenen Schuldenschnitt. Teil des so genannten Hair-Cuts war eine Umschuldung Griechenlands, die die Anleger dazu zwang, ihre griechischen Staatsanleihen "freiwillig" in längerfristige Anleihen zu einem geringeren Nennwert umzutauschen. Dies führte für die Anleger zu massiven Verlusten von bis zu 80 Prozent ihrer Forderungen. Den Schuldenschnitt hatten erst die vom griechischen Gesetzgeber eingeführten so genannten Collective Action Clauses möglich gemacht. Diese Mehrheitsklauseln stellen den Gläubigern eine nachträgliche Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für ihren Anleihekauf anheim. Einigen sich die Gläubiger auf eine entsprechende Änderung, gilt diese aber auch für diejenigen unter ihnen, die sich dagegen ausgesprochen oder gar nicht erst an der Abstimmung beteiligt hatten.

Heikel war die Operation deshalb, weil der griechische Staat auch in bereits laufende Obligationen eingriff und sie mit Collective Action Clauses ausstattete. Die Presse hielt das für einen Griff in die Trickkiste. Begünstigt wurde das Vorgehen dadurch, dass die Staatsanleihen jedenfalls zu einem großen Teil griechischem Recht unterstellt sind. Der griechische Staat konnte damit als Gesetzgeber und Anleiheschuldner in Personalunion seinen Gläubigern neue Anleihebedingungen gleichsam aufzwingen.

Wenig Aussicht auf Erfolg

Am Montag bestätigte die Schutzvereinigung den Eingang der ersten Anleger-Klagen gegen Griechenland beim Landgericht Kiel. Es ist zwar keineswegs ungewöhnlich, dass auch ein Staat zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wird, da er als Anleiheschuldner in vergleichbarer Weise am Geschäftsverkehr teilnimmt wie der Emittent einer privaten Unternehmensanleihe.

Auch kann Griechenland keine völkerrechtliche Immunität für sich beanspruchen, da hoheitliche Belange nicht unmittelbar betroffen sind. Nur bei der Vollstreckung eines entsprechenden Urteils könnte die Immunität Fragen aufwerfen. Griechisches Vermögen in Deutschland, das hoheitlichen Zwecken dient, ist nicht der Vollstreckung unterworfen. So ist etwa das Botschaftsgelände für die Vollstreckungsorgane tabu.

Die Erfolgsaussichten der Klagen sind trotz alledem gering.

Zuständigkeit wird der EuGH klären müssen

Schon die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist fraglich. Die Anleger-Schutzvereinigung verweist auf die Brüssel I-Verordnung (EuGVVO), die für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) die Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen regelt. Die Verordnung  garantiert  Verbrauchern gegenüber ihren Vertragspartnern einen Gerichtsstand am Wohnsitz.

Doch es ist keineswegs ausgemacht, dass die Anleihegläubiger wirklich einen Verbrauchervertrag mit dem griechischen Staat geschlossen haben. Erworben wird die Anleihe über den Sekundärmarkt, und gerade nicht unmittelbar vom griechischen Staat.

Zwar können auch einseitige Verpflichtungen wie hier die Rückzahlungspflicht des Anleiheschuldners einen vertraglichen Charakter haben. Die Einordnung von Anleihen unter den Verbrauchergerichtsstand hätte jedoch weitreichende Folgen für den Emissionsmarkt. Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Anleihekäufe würden ihre Bedeutung verlieren, weil sie nach Maßgabe der Verordnung gegenüber Verbrauchern keine Wirkungen mehr entfalten würden.

Die deutschen Gerichte werden die Frage voraussichtlich dem für die Auslegung der Verordnung zuständigen Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen. Mit schnellen Urteilen ist daher nicht zu rechnen.

ESM-Vertrag macht Collective Action Clauses verpflichtend

Auch materiell-rechtlich bewegen sich die Klagen auf schwierigem Terrain. Deutsche Gerichte müssten griechisches Recht anwenden. Dass ein langlebiges Dauerschuldverhältnis wie eine Anleihenobligation gesetzlichen Änderungen unterworfen ist, ist keineswegs ungewöhnlich. Der Spielraum des griechischen Staats als Gesetzgeber wird nicht dadurch beschnitten, dass er zugleich Anleiheschuldner ist.

Der Vorwurf, Griechenland habe Völkerrecht und Europarecht verletzt, wird sich schwer begründen lassen. Die deutschen Gerichte müssten zu der Erkenntnis kommen, die Einführung von Collective Action Clauses sei nicht zulässig gewesen. Damit würden sie in offenen Widerspruch zur Politik treten. Immerhin sind solche Klauseln durch den ESM-Vertrag erst jüngst für künftige Staatsanleihen verbindlich gemacht worden.

Griechenland ist daher kein zweites Argentinien. Möglicherweise werden die klagenden Privatanleger ihre Hoffnungen auf Schadensersatz bald begraben müssen.

Der Autor Prof. Dr. Christoph Thole ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht an der Universität Tübingen. Eine ausführliche juristische Aufarbeitung des Themas findet sich in seinem Beitrag in den Wertpapier-Mitteilungen (WM) 2012, S. 1793.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Privatanleger verklagen Griechenland vor deutschen Gerichten: . In: Legal Tribune Online, 29.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7412 (abgerufen am: 16.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Bank- und Kapitalmarktrecht
    • Europa- und Völkerrecht
    • Wirtschaftsrecht
    • Eurokrise
    • Griechenland
Proteste gegen EU-Asylpolitik in Athen (2022) 23.10.2025
Migration

BVerwG bekräftigt eigene Rechtsprechung:

Keine unmen­sch­liche Auf­nah­me­si­tua­tion in Grie­chen­land

Was von Abschiebungen betroffenen Personen zumutbar ist, müssen Verwaltungsgerichte immer wieder abwägen. Für Überstellungen nach Griechenland bleibt das BVerwG bei seiner strengen Linie.

Artikel lesen
Abschiebung/Auslieferung 22.04.2025
Auslieferung

OLG Frankfurt:

Afg­hane darf trotz Abschie­be­verbot nach Grie­chen­land aus­ge­lie­fert werden

Weil er einem anderen Mann falsche Ausweispapiere besorgte, muss ein Afghane nun eine Freiheitsstrafe verbüßen – trotz Abschiebeverbot wird er dafür nach Griechenland ausgeliefert. Das entschied das OLG Frankfurt.

Artikel lesen
Bewohner eines Flüchtlingslagers in Griechenland 16.04.2025
Asyl

BVerwG sieht keine unmenschliche Aufnahmesituation:

Über­stel­lung "nicht­vul­ne­ra­bler Flücht­linge" nach Grie­chen­land mög­lich

Flüchtlingen, die jung, arbeitsfähig und gesund sind, droht in Griechenland keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, hat das BVerwG entschieden. Deren Asylanträge können hierzulande daher als unzulässig abgelehnt werden.

Artikel lesen
Der Fluss Mariza bzw. Evros in Griechenland 07.01.2025
Flüchtlinge

Schadensersatz nach Zurückweisung einer Lehrerin:

EGMR sieht sys­te­ma­ti­sche Push-Backs durch Grie­chen­land

Griechenland hat systematisch Flüchtlinge an den Außengrenzen zurückgewiesen, so der EGMR. Diese Praxis der sogenannten Push-Backs ist illegal. Griechenland muss an eine türkische Lehrerin nun 20.000 Euro Schadensersatz zahlen.

Artikel lesen
Flüchtlingslager Malakasa 27.12.2024
Asyl

Dublin-Verfahren:

Über 15.000 Rück­kehrer nach Über­stel­lung ins EU-Aus­land

Mehr als 15.000 Menschen, die zuvor aus Deutschland in ein anderes EU-Land überstellt wurden, sind wieder hier – darunter über 4.000 in den vergangenen beiden Jahren. Dabei ist jeder Dritte von ihnen ausreisepflichtig.

Artikel lesen
Das Bild zeigt den EGMR in Straßburg, der jüngst Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt hat. 15.10.2024
Asyl

EGMR verurteilt Deutschland:

Abschie­bung nach Grie­chen­land ver­letzt Men­schen­rechte

Der EGMR hat Deutschland wegen der Abschiebung eines syrischen Flüchtlings nach Griechenland verurteilt. Laut dem Urteil verstießen die deutschen Behörden gegen die Menschenrechtskonvention. Auch Griechenland wurde gerügt.

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Düs­sel­dorf

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Düs­sel­dorf

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Ber­lin

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von Deutscher Landkreistag
Voll­ju­rist/in (m/w/d)

Deutscher Landkreistag , Ber­lin

Logo von REDEKER SELLNER DAHS
Re­fe­ren­da­rin/Re­fe­ren­dar (m/w/d)

REDEKER SELLNER DAHS , Leip­zig

Logo von Schlun & Elseven Rechtsanwälte PartG mbB
Rechts­an­walt für den Be­reich Glo­bal Mo­bi­li­ty (m/w/d)

Schlun & Elseven Rechtsanwälte PartG mbB , Köln

Logo von REDEKER SELLNER DAHS
Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Logo von CMS Deutschland
Rechts­an­wäl­­te (m/w/d) für den Be­reich Cor­po­ra­te / Ven­tu­re Ca­pi­tal –...

CMS Deutschland , Ber­lin

Logo von A&O Shearman
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich Ban­king & Fi­nan­ce

A&O Shearman , Mün­chen

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Osborne Clarke GmbH & Co. KG
Sundowner @ Osborne Clarke - Köln - Die Winteredition

25.11.2025, Köln

15. Europas größte IP-Konferenz und Fachmesse

24.11.2025, München

NomosWebinar: Praktisch cybersicher – NIS-2 im Unternehmen

01.12.2025

4. Digital Justice Summit

24.11.2025, Berlin

Online-Seminar! § 15 FAO - Fahrzeugrennen und der technische Nachweis dieser sowie die juristischen

24.11.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH