Die Ankündigung der EZB, notfalls Staatsanleihen von Krisenländern anzukaufen, gehört zu den umstrittensten Entscheidungen der europäischen Finanzpolitik. Auch die Richter des BVerfG zweifelten an der Maßnahme, und machten sie Anfang 2014 zum Gegenstand ihrer ersten Vorlage an den EuGH. Der Generalanwalt teilte die deutschen Bedenken in seinen Schlussanträgen am Mittwoch nicht.
Worte können mächtiger sein als Taten – das beweist weniges so eindrucksvoll wie eine Pressemitteilung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 6. September 2012. Darin erklärt die zentrale Währungsbehörde der EU ihre Bereitschaft, unter bestimmten Voraussetzungen und ohne Deckelung nach oben Staatsanleihen von Krisenstaaten am Sekundärmarkt zu erwerben – die EZB spricht von Outright Monetary Transactions (OMT). Dadurch soll für Investoren ein Anreiz geschaffen werden, auf dem Primärmarkt – also unmittelbar beim betroffenen Staat – Anleihen zu kaufen, was letztlich deren Zinsen senken und den Staat in die Lage versetzen soll, seine wirtschaftliche Lage zu stabilisieren.
Dieses Angebot hat bis heute keiner der EU-Staaten in Anspruch genommen; die Ankündigung der EZB wurde auch noch nicht in konkrete Rechtsakte übersetzt. Dennoch hatte die Erklärung weitreichende Folgen: Einerseits soll das bloße Bewusstsein, im Notfall aufgefangen zu werden, beruhigende Wirkung auf die Märkte gehabt haben – insofern hätte die Maßnahme ihr Ziel erreicht, ohne je zur Anwendung gekommen zu sein. Andererseits ist ein Rechtsstreit darüber entbrannt, ob die EZB ihr Versprechen überhaupt einlösen dürfte oder ob ein Ankauf von Staatsanleihen zur "Rettung" von Staaten in finanzieller Schieflage nicht ihre Kompetenzen überschreitet.
Ein Kampf an vielen Fronten
Auch heute, über zwei Jahre nach der Pressemitteilung der EZB, ist der Streit noch aktuell. Die Möglichkeit eines Anleihenkaufs durch die EZB – wenn auch unter inzwischen etwas veränderten Parametern – besteht weiterhin, und die Antwort des EuGH darauf, inwieweit die Zentralbank gerichtlicher Kontrolle unterworfen ist, wird auch für künftige Maßnahmen der Behörde von Bedeutung sein. Schon in der kommenden Woche wird sie womöglich über neue Anti-Krisen-Maßnahmen entscheiden. Schließlich könnte es zum Eklat kommen, wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Zweifel der Skeptiker rundheraus verwerfen sollte.
Zum Kreis dieser Skeptiker zählt unter anderem Europas mächtigstes Verfassungsgericht. Im Februar 2014 legten die Karlsruher Richter ihren Kollegen am Europäischen Gerichtshof erstmalig einen Anfragebeschluss vor, in dem sie auf über hundert Seiten darlegten, weshalb das OMT-Programm (wohl) nicht mit europäischem Recht vereinbar sei. Darin argumentieren sie, dass es sich bei der geplanten Maßnahme um eine wirtschafts- und nicht um eine währungspolitische handele – dafür aber fehle der EZB das Mandat. Es sei aber unter Umständen möglich, die Maßnahme so weit einzuschränken und unter Bedingungen zu stellen, dass sie mit den europäischen Verträgen vereinbar sei – das solle der EuGH, so die implizite Aufforderung, doch bitteschön tun.
Die Entscheidung des BVerfG blieb nicht frei von Kritik – in der Sache und auch mit Blick auf die möglichen Konsequenzen, wenn es in dem ohnehin angespannten Verhältnis zwischen EuGH und BVerfG zur Konfrontation kommen sollte.
Generalanwalt: Gerichten fehlt die Erfahrung, um Handeln der EZB zu beurteilen
Seit Mittwoch liegen nun die Schlussanträge des Generalanwalts am EuGH, Cruz Villalón, vor (Az. C-62/14). Anders als man bei der mündlichen Verhandlung im vergangenen Oktober vermuten konnte, erklärt er die Vorlage nicht bereits deshalb für unzulässig, weil sie eine bloße Pressemitteilung betrifft. Er stellt seinen Ausführungen aber voraus, dass sie sich auf eine "unvollendete Maßnahme" bezögen.
Sodann schlägt er sich, im Ergebnis recht deutlich, auf die Seite der EZB. Er teilt insbesondere deren Argumentation, dass das OMT-Programm sehr wohl von ihrem Mandat gedeckt sei, weil eine effektive Währungspolitik – die der EZB zweifellos obliegt – nur möglich sei, wenn die europäische Wirtschaftslage dies hergebe. Anleihenkäufe zur Stabilisierung der Wirtschaft sollten also die Voraussetzungen schaffen, unter denen die EZB ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen könne; es handele sich dabei um "unkonventionelle währungspolitische" und nicht um im eigentlichen Sinne wirtschaftspolitische Maßnahmen.
Auch zur Frage der Handlungsfreiheit der Währungsbehörde nimmt Villalón in einer Weise Stellung, die EZB-Präsident Mario Draghi freuen dürfte: Die Zentralbank verfüge über "ein weites Ermessen"; eine gerichtliche Kontrolle ihrer Entscheidungen sei nur "mit einem erheblichen Maß an Zurückhaltung vorzunehmen, da ihnen [den Gerichten] die Spezialisierung und Erfahrung fehlen, die die EZB auf diesem Gebiet besitzt." Das ist insofern eine bemerkenswerte Argumentation, als Behörden auf ihrem jeweiligen Tätigkeitsgebiet fast immer größere Sachkenntnis haben dürften als Richter, ohne dass daraus üblicherweise gefolgert würde, dass letztere nur begrenzt entscheiden dürften.
Knappe Einschränkungen: Verhältnismäßigkeit beachten, Missbrauch vorbeugen
Zwar sieht auch Villalón einige Einschränkungen für den OMT-Beschluss vor – man kann aber bezweifeln, ob diese den Richtern des BVerfG weit genug gehen. So müsse sich die EZB, wenn sie das OMT-Programm anwende, "jeder direkten Beteiligung an dem für den betroffenen Staat geltenden Finanzhilfeprogramm enthalten." Außerdem müsse sie "mit Klarheit und Genauigkeit die außergewöhnlichen Umstände darlegen, die diese Maßnahme rechtfertigen".
In der Pressemitteilung der Zentralbank vom 6. September 2012 kann der Generalanwalt eine solche Begründung nicht erkennen; er hält es für notwendig, offenbar aber auch für möglich, diese im Falle eines tatsächlichen Anleihenkaufs nachzuholen.
Dass die EZB durch die Maßnahme ein Risiko einginge, "das sie notwendigerweise einem Szenario der Insolvenz aussetzt", kann Villalón nicht erkennen. Die Zentralbank müsse bei einer etwaigen Einlösung ihres Versprechens aber streng den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.
Weiter erkennt der Generalanwalt in dem OMT-Programm keinen Verstoß gegen das Verbot, unmittelbar Schuldtitel von Mitgliedstaaten zu erwerben. Der Erwerb auf dem Sekundärmarkt – wie von der EZB avisiert – müsse möglich sein, da ihr sonst ein "unverzichtbares Werkzeug für die ordnungsgemäße Durchführung der Währungspolitik genommen würde". Die Grenzen dürften allerdings nicht verwischen: Die EZB müsse es zulassen, dass sich zunächst ein Marktpreis bildet; sie dürfe Anleihen, die Investoren auf dem Primärmarkt gekauft hätten, nicht bereits Sekunden später auf dem Sekundärmarkt erwerben. Außerdem müsse sie Spekulationsgeschäften vorbeugen, die ihre Ankaufbereitschaft ausnutzen und die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen torpedieren würden.
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend, doch das Gericht folgt ihnen meistens. Dass der EuGH im EZB-Verfahren – so wie unlängst bei seiner Entscheidung zum "Recht auf Vergessenwerden" – in erheblicher Weise von der Einschätzung des Generalanwalts abweichen wird, gilt als unwahrscheinlich.
Constantin Baron van Lijnden, Generalanwalt zum OMT-Programm der EZB: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14367 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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