Der EuGH hat seine harte Linie zu Investitionsschutzschiedsverfahren in der EU bestätigt. Unklar bleibt, inwieweit Staaten weiterhin wirksam Schiedsvereinbarungen mit Investoren abschließen können. Moritz Keller erklärt das Urteil.
Im Verfahren PL Holdings gegen Polen hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) sich einmal mehr mit dem europäischen Investitionsschutz zu befassen. Dabei blieb der Gerichtshof seiner harten Linie gegen innereuropäische Schiedsverfahren im Investitionsschutz treu. Die Richter haben geurteilt, dass auch neue Schiedsvereinbarungen zwischen Investoren und Staaten unwirksam sind, wenn sie einen "Ersatz" für die von der früheren Achmea-Entscheidung betroffenen Schiedsklauseln darstellen (EuGH, Urt. v. 26.10.2021, Az. C-109/20).
In Investitionsschutzabkommen sichern Staaten sich wechselseitig zu, Investoren aus dem jeweils anderen Staat zu schützen, dabei geht es z.B. um Schutz von Eigentum oder freien Kapitaltransfer. Diese Abkommen enthalten typischerweise auch Schiedsvereinbarungen, die es Investoren ermöglichen, im Falle der Verletzung direkt gegen einen Staat vorzugehen. Die Frage, ob Investitionsschutzabkommen innerhalb der EU oder bei Anwendung im inner-europäischen Zusammenhang gegen EU-Recht verstoßen, hat die europäischen Gerichte schon wiederholt beschäftigt.
In den früheren Verfahren stand stets die grundsätzliche Frage der Vereinbarkeit von völkerrechtlichen Investitionsschutzschiedsverfahren zwischen EU-Staaten mit dem EU-Recht im Mittelpunkt. Im Achmea-Verfahren hatte der EuGH im März 2018 entschieden, dass Schiedsvereinbarungen in Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedsstaaten gegen EU-Recht verstoßen. In der erst kürzlich ergangenen Entscheidung in Sachen Komstroy (EuGH, Urt. v. 02.09.2021, Az. C-741/19) hatte der Gerichtshof dann diese Grundsätze auch auf den Vertrag über die Energiecharta übertragen, soweit dieser im innereuropäischen Kontext zur Anwendung kommt. Diese Schiedsvereinbarungen sind die Grundlage für Schiedsverfahren von Investoren gegen die Staaten, die Vertragspartei der jeweiligen Abkommen sind. Die Entscheidungen sind daher für im Ausland tätige Unternehmen von erheblicher Bedeutung.
Polen brachte späte Einrede der Unwirksamkeit
Die nun ergangene Entscheidung in Sachen PL Holdings gegen Polen fokussierte sich auf die Frage der Wirksamkeit einer konkludent abgeschlossenen Schiedsvereinbarung als "Ersatz" für die Schiedsabrede in einem bilateralen Investitionsschutzabkommen.
In dem Verfahren PL Holdings geht es - anders als in der Vielzahl der innereuropäischen Investitionsschutzverfahren - allerdings nicht um eine Verletzung des Vertrages über die Energiecharta im Bereich der erneuerbaren Energien. Grundlage war vielmehr das zwischen Polen einerseits und Belgien und Luxemburg andererseits abgeschlossene Investitionsschutzabkommen. Die luxemburgische PL Holdings hatte im Jahr 2014 auf der Basis dieses Abkommens ein Schiedsverfahren nach den Schiedsregeln des Stockholmer Handelskammer angestrengt. Inhaltlich ging es um eine behauptete Enteignung im Sinne des Investitionsschutzabkommens. Hintergrund der Vorwürfe ist eine Auseinandersetzung über die Stimmrechte der PL Holdings in einer polnischen Bank.
Polen hatte sich in dem Schiedsverfahren zunächst nicht auf eine behauptete Unwirksamkeit des Investitionsschutzabkommens auf Grund eines Verstoßes gegen EU-Recht berufen. Erst in der Duplik brachte Polen dann vor, dass das Investitionsschutzabkommen auf Grund eines Konfliktes mit bzw. Verstoßes gegen EU-Recht unwirksam sei. Diese Verzögerung auf Seiten Polens macht das Verfahren besonders. Andere Mitgliedsstaaten erheben heute regelmäßig und in der Regel sehr früh Einreden gegen die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarungen – wenn im Verfahren ein Verstoß gegen EU-Recht vorgebracht wird.
Polen unterlag - vor der Achmea Entscheidung
PL Holdings rügte den Einwand als verspätet. Das Schiedsgericht wies die Argumentation Polens insgesamt – auch in der Sache – zurück. Mit dem finalen Schiedsspruch im September 2017 obsiegte PL Holdings im Verfahren, Polen wurde zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von mehr als hundert Millionen Euro verurteilt.
In der Folge strengte Polen ein Aufhebungsverfahren in Schweden an. Einer der Angriffspunkte war dabei, dass es nach Auffassung von Polen auf Grund eines Verstoßes gegen EU-Recht an einer wirksamen Schiedsvereinbarung fehlte: In der Zwischenzeit, im März 2018, hatte der EuGH in der berühmten Achmea-Entscheidung schließlich festgestellt, dass Schiedsvereinbarungen in bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedsstaaten gegen EU-Recht verstoßen. In der Achmea-Entscheidung hatte der Gerichtshof gleichzeitig aber auch betont, dass Schiedsvereinbarungen im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit auf dem freien Willen der Parteien beruhen und daher nicht gegen EU-Recht verstoßen würden.
Bleibt frei vereinbarte Klausel wirksam?
In der Entscheidung des Berufungsgerichtes in Svea in Schweden (Svea hovrätt) betonte das Gericht dann zwar zunächst, dass die Sache in den wesentlichen Punkten mit dem Achmea-Verfahren vergleichbar sei. Ausschlaggebend sei aber etwas anderes: Polen habe im Schiedsverfahren zunächst keinen Verstoß gegen EU-Recht gerügt und daher auf die Einrede gegen die Zuständigkeit des Schiedsgerichts nach den anwendbaren Regeln des Schwedischen Schiedsverfahrensrechtes verzichtet. Einer solchen implizit abgeschlossenen, neuen Schiedsvereinbarung durch den Verzicht auf die Rüge, so das Gericht in Schweden, stehe die Entscheidung in Achmea nicht entgegen. Denn die Vereinbarung beruhe auf den freien Willen der Parteien.
Nachdem Polen Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt hatte, hat der Schwedische Oberste Gerichtshof (Högsta domstolen) den Fall dem EuGH vorgelegt. Der sollte beantworten, ob eine auf den freien Willen der Parteien beruhende Schiedsvereinbarung mit einem Investor durch einen Verzicht auf eine Rüge mit Blick auf Artikel 267 und 344 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union wirksam ist. Die Frage war dabei auf die konkrete Situation, in der eine unwirksame Schiedsvereinbarung aus einem Investitionsschutzabkommen ersetzt wird, beschränkt.
Keine neue Vereinbarung durch Verzicht auf Rüge
In seiner Entscheidung hat der EuGH seine harte Linie gegenüber Schiedsverfahren im Bereich des innereuropäischen Investitionsschutzes konsequent weiterverfolgt:
Der Gerichtshof argumentiert, dass die von den schwedischen Gerichten angenommene Schiedsvereinbarung durch den Verzicht auf eine Rüge eine Umgehung der Anwendung der Achmea-Entscheidung darstellen würde. Eine neu abgeschlossene Schiedsvereinbarung, die letztlich inhaltsgleich mit der nach dem Gerichtshof unwirksamen Schiedsvereinbarung aus einem Investitionsschutzabkommen ist, sei daher aus diesem Grund unwirksam.
Die Auswirkungen einer solchen Schiedsvereinbarung auf die Anwendung des EU-Rechtes sei nicht weniger gravierend als die Schiedsvereinbarungen in den Investitionsschutzabkommen selbst. Es sei schließlich denkbar, dass die gleiche Vorgehensweise in einer Vielzahl weiterer Verfahren angewendet werde. Dies würde dann zu einer wiederholten Aushöhlung der Autonomie des EU-Rechtes führen.
Bleiben Schiedsvereinbarungen möglich?
Schließlich bestehe in jedem Fall auch eine Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten, die Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die nach Auffassung des Gerichtshofes gegen EU-Recht verstoßen, im Schiedsverfahren geltend zu machen. Ein Versuch von EU-Mitgliedsstaaten, die Unwirksamkeit durch den Neuabschluss einer Schiedsvereinbarung zu umgehen, wäre daher auch unter diesem Gesichtspunkt mit dem EU-Recht unvereinbar und unwirksam.
Der Gerichtshof beantwortet damit die Vorlagefrage klar im Sinne der bisherigen Linie. Gleichzeitig bleibt aber vieles offen. Die Richter haben den Anwendungsbereich des Urteils beschränkt auf Situationen, in denen die neu abgeschlossene Schiedsvereinbarung eine unwirksame ersetzt.
Eine Stellungnahme zu der Frage, inwieweit Staaten grundsätzlich weiterhin wirksam Schiedsvereinbarungen mit Investoren abschließen können, ist in dem Urteil nicht zu finden. Auch zur viel diskutierten Abgrenzung der Handelsschiedsgerichtsbarkeit von der völkerrechtlichen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit mit Blick auf die Ausführungen in der Achmea-Entscheidung finden sich in dem Urteil keine Erläuterungen. Die kommenden Entscheidungen zu anderen inner-europäischen Investitionsschutzabkommen dürfen daher mit Spannung erwartet werden.
Der Autor Dr. Moritz Keller ist Partner im Bereich Litigation and Dispute Resolution bei Clifford Chance. Er vertritt Mandanten in Gerichts- und Schiedsverfahren sowie in Investitionsschiedsverfahren.
PL Holdings gegen Polen: Ersatzschiedsklauseln unwirksam: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46484 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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