Der neue Werbespot des brasilianischen Topmodels Gisele Bündchen erregt Aufsehen. Selbst den vermeintlich toleranten Brasilianern gehen die 16 Sekunden der in Dessous auf Highheels durchs Bild spazierenden Frau zu weit. Wird die Frau in der Werbung mit zu viel nackter Haut zum Sexobjekt? Ingo Jung über die rechtliche Handhabe in Deutschland.
In dem neuen Werbespot des Dessousherstellers "Hope" überbringt Gisele Bündchen ihrem Ehemann schlechte Nachrichten. Sie hat schon wieder einen Unfall gebaut, die Kreditkarte überzogen und die Schwiegermutter wird einziehen. Als sie in einem Kleidchen um Absolution bittet, erscheint neben ihr im Bild der Schriftzug "Falsch!". Erst beim zweiten Versuch, in dem sie mit knapper Unterwäsche bekleidet erscheint, wird ihr vergeben. Eine eingespielte Stimme erinnert den Zuschauer: "Sind Sie Brasilianerin, nutzen Sie Ihren Charme!"
Das brasilianische Frauenministerium greift die TV-Werbung scharf an. Der Werbespot sei sexistisch. Er verstärke das falsche Bild der Frau als Sexobjekt und ignoriere die erzielten Fortschritte im Kampf gegen Sexismus. Der brasilianische Dessous-Hersteller Hope lässt mit einem Hauch Ironie erklären, er habe mit dem Werbespot zeigen wollen, dass die Sinnlichkeit einer Brasilianerin ihr bester Schutz nur sei, wenn sie schlechte Nachrichten überbringen müsse.
Kaum Schutz gegen geschmackliche Grenzgänger
Auch in Deutschland führt als geschmacklos empfundene Werbung immer wieder zu Verärgerung in der Gesellschaft. Insbesondere die Image-Werbekampagne der Firma Benetton aus dem Jahre 2000 ist wohl jedem in lebhafter Erinnerung geblieben. Ein Foto einer auf einem Ölteppich schwimmenden ölverschmutzten Ente. Schwer arbeitende Kinder verschiedener Altersstufen in der Dritten Welt. Ein nacktes menschliches Gesäß, auf das die Worte "H.I.V. POSITIVE" gestempelt sind. Daneben der Schriftzug "United Colors of Benetton". Wie weit darf Werbung gehen? Aufmerksamkeit um jeden Preis oder gibt es Grenzen durch den guten Geschmack?
Das Gesetz bietet den sich belästigt fühlenden Marktteilnehmern im Interesse eines ungestörten Wettbewerbs wenig Schutz. Ein Unterlassungsanspruch könnte sich aus § 4 Nr. 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ergeben. Danach kann dem Werbenden ein Riegel vorgeschoben werden, wenn die Werbung geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit von Marktteilnehmern in menschenverachtender Weise zu beeinträchtigen. Um einen Anspruch zu bejahen, müsste das Mittel der unsachlichen Beeinflussung in der Missachtung oder Geringschätzung der menschlichen Person liegen. An der Voraussetzung, dass sich die Werbung zur Beeinträchtigung der Kaufentscheidung eignen muss, scheitert der Anspruch aber regelmäßig. Eine als geschmacklos oder sexistisch empfundene Darstellung wird den Durchschnittsverbraucher eher abschrecken und vom Erwerb des Produktes abhalten, als seine Entscheidung zugunsten des Kaufs zu beeinflussen.
Ein Verbot so genannter Schockwerbung, wie der Benetton-Kampagne, und diskriminierender Werbung kann sich zudem aus § 3 Abs. 1 UWG ergeben. Voraussetzung hierfür ist die Verletzung von Grundwerten, ohne dass es auf eine unsachliche Beeinflussung ankommt. Die Benetton-Werbung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Hinweis auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) allerdings für zulässig erachtet (Urt. v. 12.12.2000, Az. 1 BvR 1762/95). Solange die durch die Meinungsäußerungsfreiheit geschützte Werbung kein konkretes Grundrecht verletzt oder zwar ein Grundrecht betroffen ist, bei einer Abwägung aber der Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit des werbenden Unternehmens überwiegt, ist auch eine Werbung, die den guten Geschmack verletzt oder schockierend gestaltet ist, nicht unlauter im Sinne des UWG.
Werberat fungiert als "Moralinstanz"
Da die gesetzliche Zulässigkeit von Werbung offensichtlich nicht immer mit der gesellschaftlichen Akzeptanz in Einklang steht, muss auf Schutzmechanismen außerhalb der staatlichen Rechtssetzung zurückgegriffen werden. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft hat daher den Deutschen Werberat zur Selbstkontrolle der Werbewirtschaft ins Leben gerufen. Mitglieder des Werberates sind Experten aus allen Bereichen der Reklamewirtschaft. Ihre Aufgabe ist einen Dialog zwischen der Werbetreibenden und der Zivilgesellschaft zu schaffen. Die Wirtschaft handelt hierbei nicht ganz uneigennützig, denn gesetzlich einwandfreie, aber vom Verbraucher nicht akzeptierte Werbung kann ihre Aufgabe im System der sozialen Marktwirtschaft nicht erfüllen und ist daher auch im Interesse der Werbenden vom Markt fernzuhalten.
Der Deutsche Werberat sieht sich als Ansprechorgan für Verbraucher. Jedermann ist berechtigt, sich kostenlos mit einer Beschwerde über eine Werbemaßnahme an ihn zu wenden. Hält das Komitee die Beschwerde für begründet, fordert es das werbende Unternehmen auf, die Kampagne aus der Öffentlichkeit zu nehmen oder die Werbung entsprechend der Beanstandung abzuändern. Erst wenn die Firma dieser Aufforderung nicht nachkommt, rügt der Werberat das Unternehmen öffentlich. Er informiert die Massenmedien und appelliert an sie, die Werbemaßnahme nicht mehr zu senden. Laut Angabe des Rates sind 93 Prozent der aufgeforderten Unternehmen bereit die beanstandete Werbung vom Markt zu nehmen. Hieraus wird deutlich, wie stark der Sanktionscharakter einer öffentlichen Rüge durch den Werberat ist. Für den Werbetreibenden besteht durch die negative Presse in Form der medialen Berichterstattung und Kommentierung über die erteilte Rüge die Gefahr eines enormen Imageverlustes. Ein ähnlich wirksames Sanktionsinstrument, welches einen vergleichbaren Anreiz schaffen würde, die Werbung in allgemeinverträglicher Art und Weise zu gestalten, stünde der staatlichen Rechtssetzung gar nicht zur Verfügung.
Sollte Hope ensima den umstrittenen brasilianischen Werbespot dafür nutzen wollen, mit seinen Dessous auch in Deutschland Fuß zu fassen, bleibt abzuwarten, ob sich die deutschen Frauen durch Gisele Bündchen zur Sinnlichkeit animiert oder zum Sexobjekt degradiert fühlen. Ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch wird kaum bestehen, da kein konkretes Grundrecht ersichtlich ist, welches durch den Werbespot verletzt wird. Überwiegt auch hier aus staatlicher Sicht eine Herabwürdigung der Frau, könnte - ebenso wie das Frauenministerium in Brasilien - das Familienministerium aufgrund seiner Verantwortung für die Gleichstellungsförderung in der Gesellschaft ebenso wie jeder andere Verbraucher eine Beschwerde an den Deutschen Werberat richten. Ansonsten bleibt es auch im eher unterkühlten Deutschland bei der kaum widerlegbaren und altbekannten Werbeweisheit: Sex sells.
Der Autor Dr. Ingo Jung ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Partner bei CBH Rechtsanwälte in Köln.
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Ingo Jung, Erotische Werbung: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4563 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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