Trotz EU-Binnenmarkts zahlen Verbraucher im Ausland oft mehr für Dienstleistungen als Einheimische. Ob Disneyland von Deutschen mehr Eintritt verlangen darf, untersucht derzeit die EU-Kommission. Eindeutig ist die Rechtslage nicht.
Von Disneyland bis Autoverleiher: Regelmäßig im Sommer(-loch) sorgt die Nachricht für Aufregung, dass deutsche Verbraucher für Dienstleistungen und Waren, die sie im EU-Ausland nachfragen, deutlich mehr bezahlen müssen als ausländische Konsumenten. Besonders verbreitet ist das Phänomen im Online-Handel, wo Unternehmer mit Hilfe der genutzten IP-Adressen und automatischer Geolokalisierungssysteme den Standort der User ermitteln können. So können sie unterschiedliche Preise aufrufen – nicht zuletzt, um damit die in einzelnen Mitgliedsstaaten vorhandene höhere Kaufkraft abzuschöpfen.
Zuletzt wurde bekannt, dass der Freizeitpark Disneyland in Paris in Frankreich ansässigen Besuchern ein Premiumpaket offenbar schon für 1.346 Euro angeboten hat, während Deutsche dafür 2.447 Euro bezahlen mussten.
Die EU-Kommission hat daraufhin Untersuchungen eingeleitet, ob diese und vergleichbare Praktiken gegen Unionsrecht verstoßen. Ein Novum ist das allerdings nicht: Schon im vergangenen Sommer machte die EU-Kommission öffentlich, dass nahezu alle großen Autovermietungsunternehmen ihre Mietpreise regelmäßig unterschiedlich hoch festlegen, jeweils abhängig vom Wohnort der Kunden. Die Kommission hat die betroffenen Unternehmen daher zur Änderung ihrer Preispolitik aufgefordert. Auch zahlreiche andere Branchen sind betroffen, das Ergebnis der Prüfung der Kommission ist offen. Es sieht aber eher nicht danach aus, als stünden ihr im Kampf gegen die Preisdiskriminierung effektive Waffen zur Verfügung.
Traditionelle Diskriminierungsverbote greifen nicht
Zwar verbietet das materielle Unionsrecht Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit - nicht nur in Gestalt der vier Grundfreiheiten, sondern auch durch das in Art. 18 AEUV verankerte generelle Diskriminierungsverbot.
Adressaten dieser Verbote sind aber die Mitgliedstaaten und nicht private Unternehmen – zumindest dann nicht, wenn ihnen keine autonomen Regelungsbefugnisse gegenüber Einzelpersonen zustehen.
Auch Privaten untersagt eine Vielzahl verschiedener EU-Antidiskriminierungsrichtlinien zwar, ihre Vertragspartner zu diskriminieren. Das gilt aber nur für bestimmte Ungleichbehandlungen, nämlich etwa aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, des Alters, der sexuellen Orientierung oder der Religionszugehörigkeit. An Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit bzw. des Wohnorts knüpfen diese Regelungen dagegen nicht an.
2/2: Aber Diskriminierung beim "Zugang zu Dienstleistungen"?
Für Dienstleistungen gilt allerdings seit 2010 eine Besonderheit: Gem. Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG ("Dienstleistungs-RL") sind die Mitgliedstaaten seit diesem Zeitpunkt nämlich verpflichtet, sicherzustellen, dass die "allgemeinen Bedingungen für den Zugang zu einer Dienstleistung, die der Dienstleistungserbringer bekannt gemacht hat, keine auf der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz des Kunden beruhenden diskriminierenden Bestimmungen enthalten."
Dabei steckt der Teufel im Detail: Durch das Tatbestandsmerkmal der "Bekanntmachung" legt die Vorschrift zumindest in der deutschen Sprachfassung nahe, dass diskriminierende Bedingungen nur verboten sind, wenn sie vom Dienstleister auch veröffentlicht wurden.
Gerade im Rahmen der im Onlinehandel praktizierten Geolokalisierung könnte das Verbot bei diesem Verständnis leicht umgangen werden. Die EU-Kommission steht daher auf dem Standpunkt, dass aus Art. 20 Abs. 2 ein allgemeines Diskriminierungsverbot folgt. Es erfasse auch die allgemeine Preispolitik eines Dienstleisters unabhängig von ihrer Veröffentlichung, nur für individuell mit Verbrauchern geschlossene Sondervereinbarungen gelte sie nicht.
Ein Blick auf die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten zeigt aber, dass dieses Verständnis wohl nicht überall geteilt wird: So verlangt etwa der maßgebliche deutsche Umsetzungsakt, § 5 der Verordnung über Informationspflichten für Dienstleistungserbringer (DL-InfoV), von den Dienstleistern lediglich, dass sie keine diskriminierenden Vertragsbedingungen "ekanntgeben". Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird wohl zu entscheiden haben, wie Art. 20 Abs. 2 der Dienstleistungs-RL nun tatsächlich auszulegen ist.
Sachliche Rechtfertigung?
Selbst wenn der Anwendungsbereich von Art. 20 Abs. 2 der RL eröffnet ist, können unterschiedliche Zugangsbedingungen und damit auch verschiedene Preise allerdings anhand objektiver Kriterien gerechtfertigt sein.
Mögliche Rechtfertigungsgründe können laut Dienstleistungsrichtlinie etwa entfernungsabhängige Zusatzkosten und unterschiedliche Marktbedingungen, aber auch zusätzliche Risiken durch unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen sein. Das legt zugleich nahe, dass grundsätzlich nur höhere Kosten Preisunterschiede rechtfertigen können, nicht aber die Möglichkeit, aufgrund abweichender Kaufkraft in den einzelnen Mitgliedstaaten mehr Einnahmen zu machen. Kommt – wie Fall von Disneyland und Autoverleihern - der Kunde zum Dienstleistungsangebot (und nicht die Dienstleistung zum Kunden), ist auch eine Rechtfertigung aufgrund entfernungsabhängiger Zusatzkosten kaum vorstellbar.
Denkbar ist aber, dass sich Unternehmen, die grenzüberschreitende Dienstleistungen anbieten, auf höhere Kosten aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen berufen können. Das eEuropäische Kollisions- und Zivilverfahrensrecht privilegiert Verbraucher bei grenzüberschreitenden Verträgen nämlich sowohl bezüglich des anwendbaren (Verbraucherschutz-)Rechts als auch mit Blick auf den maßgeblichen Gerichtsstand ganz erheblich, wenn und soweit der Unternehmer seine Tätigkeit (auch) auf den Heimatstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat. In diesem Fall kann sich der Verbraucher nicht nur auf das Verbraucherschutzrecht seines Heimatlandes berufen, sondern auch an seinem Heimatort klagen (und nur hier verklagt werden). Unternehmern, die regelmäßig weder den materiellen Rechtsrahmen noch den Gerichtsstand durch Rechtswahl- oder Gerichtsstandsklauseln steuern können, drohen damit Zusatzkosten (Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO; Art. 19 EuGVVO).
Ob das Disneyland und Autoverleihern allerdings hilft, bleibt fraglich: Zumindest mit Blick auf das anwendbare Verbraucherschutzrecht greift diese Privilegierung nicht: Die Schutzbestimmungen des Europäischen Kollisionsrechts zugunsten von Verbrauchern kommen nämlich dann nicht zur Anwendung, wenn die Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat als dem Staat erbracht werden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO).
Die Kommission hat keine rechtliche Handhabe
Eine effektive Waffe gegen Preisdiskriminierungen ist Art. 20 Abs. 2 der Dienstleistungs-RL also eher nicht. Hinzu kommt, dass es schon schwierig ist, die einschlägigen Rechtsbehelfe gegen solcherlei Ungleichbehandlungen zu identifizieren. Es ist den Mitgliedstaaten überlassen, geeignete Sanktionen für Verstöße gegen die Dienstleistungsrichtlinie auszuwählen. Auch die Institutionen zu ihrer Durchsetzung schreibt die Richtlinie nicht vor.
Die EU-Kommission selbst hat keine rechtliche Handhabe gegen diskriminierende Unternehmen: Sie kann nur gegen Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn Art. 20 Abs. 2 der Dienstleistungs-RL gar nicht umgesetzt wurde oder Umsetzungsvorschriften mangelhaft vollzogen werden.
Allein die Aufforderung, eine diskriminierende Preispolitik einzustellen, und die Veröffentlichung diskriminierender Unternehmen durch die Kommission dürften jedenfalls häufig nicht genügen – einmal abgesehen davon, dass auch ein solches Vorgehen rechtlich nicht zweifelsfrei ist.
Der Autor Patrick Ostendorf ist Professor für Wirtschaftsrecht an der HTW Berlin und Of Counsel bei Orth Kluth Rechtsanwälte.
Patrick Ostendorf, Höhere Preise im EU-Ausland: Darf Disneyland Deutsche diskriminieren? . In: Legal Tribune Online, 13.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16586/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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