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19890

CETA und die nationalen Parlamente: Ein Streit, der keiner sein dürfte

von Prof. Dr. Joachim Wieland

05.07.2016

CETA (Symbolbild)

© pixs:sell - Fotolia.com

Die EU-Kommission will das Handelsabkommen CETA ohne die Zustimmung der nationalen Parlamente abschließen. Dabei ist der aktuelle Zank um die alleinige Zuständigkeit der EU überflüssig und die Lage eindeutig, meint Joachim Wieland.

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Der erste Schock über die Brexit-Abstimmung in Großbritannien ist noch nicht überwunden, die Folgen sind noch nicht absehbar, da kündigt sich die nächste Krise an: Es besteht Streit darüber, ob die Europäische Union (EU) Handelsabkommen wie das zwischen Europa und Kanada ausgehandelte Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ohne Beteiligung der nationalen Parlamente abschließen darf. Im Hintergrund wird die gleiche Frage für die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) gestellt. Wenn der Bundestag nicht über CETA abstimmen darf, wird er höchstwahrscheinlich auch bei TTIP nicht mitentscheiden dürfen. Die Brisanz der Kontroverse ist offensichtlich.

Seitens der EU beruft man sich auf die Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik aus Art. 207 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dort werden geistiges Eigentum, ausländische Direktinvestitionen und die Vereinheitlichung von Liberalisierungsmaßnahmen als mögliche Vertragsgegenstände genannt. Doch die Bestimmungen von CETA sind so umfassend, dass der zu ratifizierende Vertrag einschließlich seiner Anlagen fast 1.600 Seiten umfasst. Die EU-Kommission hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) schon 2015 um ein Gutachten gebeten, in dem ihre alleinige Zuständigkeit für ein vergleichbares Freihandelsabkommen mit Singapur geklärt werden soll.  Politisch ist das der Knackpunkt: Wenn alle nationalen Parlamente einem Vertrag zustimmen müssen, wird der Abschluss nicht einfacher, manchmal wohl unmöglich.

Schon die Schiedsgerichte machen CETA zu gemischtem Abkommen

Nach der Gegenauffassung, die unter anderem die Bundesregierung vertritt, besteht eine gemischte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten für CETA und TTIP. Das Argument der Befürworter eines nationalen Mitbestimmungsrechts: In den Abkommen werden umfassende Regelungen mit Wirtschaftsbezug weit über den bloßen Freihandel hinaus getroffen und auch Schiedsgerichte eingerichtet sollen eingerichtet werden, die anstelle nationaler Gerichte entscheiden. In Deutschland ist man auf dieses Problem aufmerksam geworden, als das Energieunternehmen Vattenfall vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den Atomausstieg geklagt hat. Aus der Sicht des ausländischen Investors gefährdet die deutsche Energiewende seine Investitionen in Kernkraftwerke.

Besonders heikel ist die Einrichtung eines solchen Schiedsgerichts, das anstelle nationaler Gerichte über Streitigkeiten bei der Auslegung von CETA entscheiden soll. Allein die Verdrängung der nationalen Gerichtsbarkeit durch Schiedsgerichte macht CETA zu einem gemischten Abkommen.

Ohne die Zustimmung des Bundestages kann aus Sicht der deutschen Verfassung der Weg zu den deutschen Gerichten nicht versperrt werden. Art. 207 AEUV erwähnt die Schiedsgerichtsbarkeit überhaupt nicht, vermag auch nach seinem Abs. 6 keine Auswirkungen auf die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zu entfalten.

Deshalb bleibt es bei der Zuständigkeit des deutschen Parlaments für die weitreichenden Regelungen von CETA - und in der Konsequenz auch von TTIP. Wenn die EU über bloße Freihandelsabkommen hinaus Verträge abschließen will, die weit in die Kernzuständigkeiten der Mitgliedstaaten zur Wirtschaftsregulierung und zur Justizgewährleistung hineinreichen, muss sie sich der Unterstützung der nationalen Parlamente versichern. Deren Ausschluss vom Verfahren unter Berufung auf eine angebliche alleinige Zuständigkeit ist nur scheinbar einfacher, tatsächlich aber schädlich für die Akzeptanz der europäischen Integration, die gerade nach dem Brexit wichtiger denn je ist.

Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

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Joachim Wieland, CETA und die nationalen Parlamente: Ein Streit, der keiner sein dürfte . In: Legal Tribune Online, 05.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19890/ (abgerufen am: 07.06.2023 )

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