Druckversion
Freitag, 1.12.2023, 17:02 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bussgeldbescheide-aus-italien-behoerdliche-alleingaenge-zum-aerger-der-urlauber/
Fenster schließen
Artikel drucken
4047

Bußgeldbescheide aus Italien: Behördliche Alleingänge zum Ärger der Urlauber

Prof. Dr. Dieter Müller

17.08.2011

Politesse

© Daniel Hohlfeld - Fotolia.com - Beispielbild

Viele Italienreisende erhalten derzeit unangenehme Post aus ihrem Urlaubsland. Darin werden sie  im Auftrag der italienischen Polizei von einem privaten Inkassounternehmen für verschiedene Verkehrsverstöße zur Kasse gebeten. Ob man die zum Teil dreistelligen Summen tatsächlich auch überweist, ist eine Frage, deren Antwort wohl überlegt werden sollte. Von Dieter Müller.

Anzeige

Der Fall ist typisch: Eine italienische Politesse findet in Venedig ein in Deutschland zugelassenes Auto vor, das falsch geparkt ist. Der Verkehrssünder ist für die Amtsperson nicht greifbar, weil er sich zum Zeitpunkt der Feststellung auf einem Stadtbummel befindet.

Folglich wird das Kennzeichen des betreffenden Fahrzeugs notiert und der Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs über eine Abfrage bei der zuständigen deutschen Zulassungsbehörde im Rahmen einer amtlichen Anfrage ermittelt. Die behördlichen Mühlen beginnen zu mahlen; es ergeht ein Bußgeldbescheid, der gemeinsam von der örtlichen Polizeibehörde und dem italienischen Inkassounternehmen "European Municipality Outsourcing" mit Sitz in Florenz übersandt wird.

Keine dieser Zahlungsaufforderungen darf ohne einen Anlass erfolgen, das heißt es muss während des Aufenthalts im Ausland zu einem Fehlverhalten des betreffenden Urlaubers im Straßenverkehr gekommen sein. Dieser Verkehrsverstoß konnte vor Ort mangels Täter nicht direkt sanktioniert werden, die örtliche Polizeibehörde will ihn aber nicht ungesühnt lassen. Schließlich liegt der Verstoß auf der Hand und wurde von einer Amtsperson beweissicher festgestellt.

Seit 2010 EU-weite Anerkennung von Knöllchen

Die italienischen Bescheide muss man im europäischen Gesamtzusammenhang betrachten. Im Oktober 2010 trat in Deutschland – wie in vielen anderen europäischen Staaten zuvor – ein Gesetz zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses der EU über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in Kraft. Danach ist die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen innerhalb der EU nun auch in Deutschland grundsätzlich gültig.

Im Ergebnis müssen daher behördliche Entscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten, die einem Betroffenen eine Geldstrafe oder Geldbuße auferlegen, in Deutschland grundsätzlich anerkannt und vollstreckt werden, und zwar einschließlich Verfahrenskosten, eventuellen Entschädigungen für das Opfer und Geldauflagen für Opferschutzorganisationen. Für gerichtliche Entscheidungen gilt dies uneingeschränkt, für behördliche nur, wenn sie von dem deutschen Adressaten vor einem auch für Strafsachen zuständigen Gericht angefochten werden können.

In den Verfahrensablauf soll dabei regelmäßig das deutsche Bundesamt für Justiz mit Sitz in Bonn einbezogen werden. Das bedeutet, dass der betreffende EU-Mitgliedstaat, in dem der Verkehrsverstoß begangen wurde, ab einem Betrag einer Geldbuße von 70 Euro das Bundesamt für Justiz um die Vollstreckung einer ausländischen Geldsanktion bittet.

Kein Beweisfoto  - keine Vollstreckbarkeit

Arbeitet das italienische Inkassounternehmen "European Municipality Outsourcing" lediglich mit der örtlichen italienischen Polizeibehörde zusammen und übersendet den Bußgeldbescheid selbständig, das heißt ohne förmliches Einschalten des bundesdeutschen Bundesamtes für Justiz, fehlt dem Bescheid regelmäßig eine europarechtlich allgemein anerkannte Grundlage.

Die italienischen Behörden machen sozusagen einen "Alleingang", was auch an verschiedenen Formulierungen in den Bescheiden deutlich wird, die im Kleingedruckten sogar auf die Freiwilligkeit des Zahlens hinweisen. Dazu kommt die Möglichkeit, die Geldbuße sofort auf der Website des Inkassounternehmens im Internet zu begleichen, wofür die Bußgeldbescheide bereits einen Benutzernamen und ein Password beinhalten.

Vielen ist auch nicht bekannt, dass in Deutschland keine generelle Halterverantwortlichkeit für Verkehrsverstöße existiert. Wenn also einem Bußgeldbescheid aus dem Ausland kein Beweisfoto beigefügt ist, das den Fahrer zum Beispiel bei dem behaupteten Rotlicht- oder Geschwindigkeitsverstoß zeigt, dürfen derartige Bescheide nach geltendem Recht derzeit hierzulande nicht vollstreckt werden. Ist also ein solcher Bescheid an den Eigentümer oder Halter eines Fahrzeugs gerichtet, muss dieser überhaupt nicht reagieren.

Zudem fehlt in den Bescheiden regelmäßig die Möglichkeit einer Anfechtung vor einem italienischen Strafgericht. Bereits dieses formale Argument nötigt also dazu, die Bescheide nicht beachten zu müssen, weil es an einer effektiven Rechtsschutzmöglichkeit mangelt.

Immer auch an den nächsten Italienurlaub denken

Trotzdem sind die Ratschläge diverser deutscher Automobilclubs, auf die italienischen Bescheide nicht zu reagieren, ein zweischneidiges Schwert. Wer nämlich als Autofahrer in den nächsten Jahren wieder einmal eine Urlaubsreise nach Italien antreten möchte, darf sich sicher sein, dass die fehlende Reaktion als Zahlungsverweigerung auf den immerhin amtlichen Bußgeldbescheid in italienischen Datensystemen gespeichert bleiben wird.

Sollte der betreffende Fahrer mit seinem PKW desselben Kennzeichens dann während des späteren Urlaubs in eine Verkehrskontrolle geraten, würde der kontrollierende Beamte mit einiger Sicherheit einen entsprechenden Hinweis aus seinem Datensystem erhalten. Sofern der Verstoß in Italien zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt ist, wäre eine Vollstreckung des alten Bescheides unter Umständen direkt vor Ort möglich.

Diese nicht ganz fern liegende Möglichkeit sollte jeder Betroffene und potenzielle Italienfreund individuell für sich abwägen. Dabei sollte man nicht ausblenden, dass der Verkehrsverstoß ja tatsächlich begangen wurde und die Zahlungsverweigerung des fälligen Bußgeldes nicht gerade das Bild eines verantwortlich handelnden und für sein Fehlverhalten einstehenden Fahrzeugführers zeichnet.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachbereichsleiter für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.

 

Mehr auf LTO.de:

EU-Richtlinie für Verkehrssünderdatei: Knöllchen kennen keine Grenzen mehr

Europäisches Geldsanktionsgesetz: Instrument der Verkehrssicherheit oder Beihilfe zur Abzocke?

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Dieter Müller, Bußgeldbescheide aus Italien: Behördliche Alleingänge zum Ärger der Urlauber . In: Legal Tribune Online, 17.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4047/ (abgerufen am: 01.12.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • Polizei- und Ordnungsrecht
    • Verkehrsrecht
    • Polizei
    • Straßenverkehr
    • Verkehr
24.11.2023
Straßenverkehr

Bundesrat gegen Klimaschutz als Planungsziel:

Länder stoppen Reform des Stra­­ßen­ver­­kehr­s­­rechts

Kommunen sollten mehr Spielraum für die Anordnung von Busspuren, Radwegen und Tempo 30 erhalten. Verkehrsplaner sollten Umweltschutz und Gesundheit berücksichtigen dürfen. Doch die Reform ist überraschend im Bundesrat gescheitert.

Artikel lesen
24.11.2023
Straßenverkehr

BGH-Leitsatzentscheidung zur Parkplatzsuche:

Es gibt kein Zurück in der Ein­bahn­straße

In einer Einbahnstraße darf man nicht rückwärts entgegen der erlaubten Fahrtrichtung fahren. Auch nicht, um einen anderen ausparken zu lassen, entschied nun der BGH. Ein Urteil, das nur dem Anschein nach trivial ist – auch prozessrechtlich.

Artikel lesen
01.12.2023
Hintergründe

Nachahmung und Täuschung:

Ist Blu­esky der Platt­form X zum Ver­wech­seln ähn­lich?

Statt blauem Vogel nun blauer Himmel? Bluesky gilt als neuer aussichtsreicher Nachfolger von Twitter bzw. Elon Musks "X". Nicht zufällig fallen Ähnlichkeiten auf. Wieviel Altbekanntes darf in einer neuen Social-Media-Plattform stecken?

Artikel lesen
01.12.2023
Staatsexamen

Für die zweite juristische Staatsprüfung:

Berlin und Bran­den­burg ziehen mit E-Examen nach

Immer mehr Länder kommen Examenskandidaten entgegen und führen das digitale Examen ein. Insbesondere Referendare können ihre Prüfungen dadurch vielerorts am Computer schreiben. Ab sofort wird das auch in Berlin und Brandenburg möglich sein.

Artikel lesen
28.11.2023
Gil Ofarim

Sechster Verhandlungstag im Prozess gegen Gil Ofarim:

Die Hin­ter­gründe zum über­ra­schenden Geständnis

Im Prozess wegen falscher Verdächtigung führt das Geständnis Gil Ofarims zur Einstellung gegen Geldauflage, das Gericht sieht nur Gewinner, der Verteidiger verrät die Hintergründe und der Zentralrat der Juden spricht von großem Schaden. 

Artikel lesen
01.12.2023
Gil Ofarim

Resümee zum Prozess gegen Gil Ofarim:

Zer­ris­senes Bild und neue Fragen

Ofarim hat mit seinem Geständnis den Prozess beendet. Er hinterlässt ein zerrissenes Bild, tiefes Bestürzen und unbeantwortete Fragen, die neue Spekulationen ankurbeln. Linda Pfleger hat den gesamten Prozess beobachtet und zieht ein Resümee.

Artikel lesen
TopJOBS
vier Stel­len als No­ta­ras­ses­so­rin / No­ta­ras­ses­sor (w/m/d)

Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung , Dres­den

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Wirt­schafts­ver­wal­tungs­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Voll­ju­rist*in­nen

Deutsche Bundesbank , Frank­furt am Main

As­so­cia­te (m/w/x) – ESG Com­p­li­an­ce

Freshfields Bruckhaus Deringer , Düs­sel­dorf

Re­fe­ren­da­re | Frank­furt

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Frank­furt am Main

Re­fe­ren­da­re | Mün­chen

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Mün­chen

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/d) im Be­reich deut­sches und eu­ro­päi­sches...

Hengeler Mueller , Mün­chen

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Cybercrime und IT-Recht - Überblick und aktuelle Entwicklungen (Online-Seminar)

09.12.2023

Big Business Bundesliga – rechtliche Beratung in einem ganz besonderen Spannungsfeld

02.02.2024, Berlin

Fachanwaltslehrgang Versicherungsrecht im Fernstudium/online

11.12.2023

Essentials – Die moderne Anwaltskanzlei

11.12.2023

Der Einstieg in die Gebührenabrechnung nach RVG

11.12.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH