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LG München I bejaht Entschädigung wegen Betriebsschließung: Ver­si­cherer muss Mil­lionen an Augus­tiner-Wirt zahlen

von Hasso Suliak

01.10.2020

Augustiner Bier-Tafel lehn an einer Wand vor eingeklappten Stühlen

(c) stock.adobe.com - Tobias Arhelger

Jubel im Münchner Augustiner-Keller: Das LG München I verurteilte die Bayerische Versicherungskammer zu einer Millionenentschädigung an den Gastwirt. Der Versicherer hatte sich geweigert, für die Corona-bedingte Betriebsschließung zu zahlen. 

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Die Frage, ob Versicherer für die Corona-bedingten Betriebsschließungen von Gaststätten und Hotels aus sogenannten Betriebsschließungsversicherungen (BSV) leisten müssen, ist seit Wochen Gegenstand diverser Gerichtsverfahren. Viele Versicherer verweigern unter Hinweis auf ihre Versicherungsbedingungen die Leistungen.  

Ihr Hauptargument: Covid-19 ist ein neuer Krankheitserreger, der nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der meisten Betriebsschließungsversicherungen falle. Außerdem begründen sie ihre Leistungsverweigerung damit, dass die Betriebsschließungen wegen des Coronavirus‘ nicht auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), sondern aufgrund der von den einzelnen Bundesländern getroffenen Allgemeinverfügungen erfolgt seien. Diese seien von den Betriebsschließungsversicherungen nicht umfasst.  

Dass Versicherer mit dieser Argumentation indes so nicht durchkommen dürften, darauf lässt nun eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts (LG) München I vom Donnerstag schließen. Die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des LG gab einer Klage des Gastwirts der Münchner Traditionsgaststätte "Augustiner-Keller" statt und verurteilte die beklagte Versicherung – den Bayerischen Versicherungsverband/Versicherungskammer Bayern (VKB) – zu einer Entschädigung in Höhe von rund einer Millionen Euro für 30 Tage Betriebsschließung zu (Urt. v. 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20). 

Gericht: Rechtmäßigkeit der staatlichen Anordnung für Leistungspflicht irrelevant 

Wie etliche andere Gaststätten in Bayern war auch der Augustiner-Keller am 21. März 2020 vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auf Grundlage einer Allgemeinverfügung geschlossen worden. Er öffnete erst wieder Mitte Mai.  

Die beklagte Versicherung, mit der der Gastwirt Anfang März gerade im Hinblick auf die Pandemie die BSV abgeschlossen hatte, verweigerte jedoch die Leistung. Unter anderem offenbar mit der Begründung, der Wirt hätte zunächst gegen die Schließungs-Anordnung des Ministeriums vorgehen müssen. Dieser Rechtsauffassung erteilte das LG nun aber eine klare Absage. 

Entgegen der Ansicht der Versicherung komme es weder auf die Rechtmäßigkeit der Schließungsanordnung noch auf die Rechtsform der Allgemeinverfügung an, so die Kammer. Der Gastwirt habe daher nicht gegen die Anordnung vorgehen müssen. Das Gericht stellt auch klar, dass es für die Leistungspflicht des Versicherers nicht erforderlich sei, dass das Coronavirus in dem geschlossenen Betrieb aufgetreten sein.  

Schließung aufgrund IfSG, Außerhausverkauf unzumutbar 

Denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb des Klägers aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei.  

Dies sei, so das LG München I, auch der Fall gewesen. Schließlich hätten sich die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 21. März 2020 und die nachfolgende Verordnung vom 24. März 2020 ausdrücklich auf die Ermächtigungsgrundlagen in §§ 28 - 32 IfSG bezogen. 

Auch den Einwand des Versicherers, der Gastwirt hätte doch immerhin Außerhausverkauf betreiben können, ließ das Gericht nicht gelten: Diese Form des Verkaufs sei dem Augustiner-Wirt unzumutbar gewesen. "Nach Ansicht der Kammer stellt ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft ist, keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen muss", heißt es in der Mitteilung des Gerichts vom Donnerstag. 

AVB-Verweis auf das IfSG unwirksam 

Weiter rügte das LG auch eine intransparente Klausel in den Bedingungen des Versicherers. Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang trotz der Klausel Versicherungsschutz bestehe.  

Der Versicherer hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass COVID-19 nicht von der Liste der versicherten Krankheiten umfasst sei und dies auch mit einem Verweis in den AVB auf das IfSG begründet. Das Gericht monierte an dieser Stelle, dass sich die konkreten Bedingungen des Versicherers aber nicht auf die komplette Liste der im IfSG genannten, versicherten Krankheiten erstreckten. Der Versicherungsnehmer müsse so davon ausgehen, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decke.  

Tatsächlich müsste er, zumal das IfSG in den vergangenen Jahren häufig geändert worden sei, Passagen seiner Versicherungsbedingungen "Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen", um letztlich den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent, so das Gericht. 

Keine Anrechnung von Kurzarbeitergeld oder stattlicher Corona-Hilfe 

Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung stellte das Gericht auch klar, dass weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen den Anspruch des Gastwirts minderten, da es sich dabei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für Betriebsschließungen handele.  

Diese Rechtsansicht dürfte nicht nur dem beklagten Versicherer weh tun: Schließlich hatten die Bayerische Landesregierung gemeinsam mit zahlreichen Versicherern im April eine Kulanz-Lösung entwickelt, wonach diese ihren Kunden im Falle von Betriebsschließungen lediglich 15 Prozent Entschädigung zahlen sollen. Dass nach dieser Lösung nur ein Bruchteil der eigentlich vereinbarten Versicherungssumme –und das "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" - gezahlt wird, wurde damit begründet, dass sich durch Kurzarbeitergeld, Soforthilfen von Bund und Land sowie durch ersparte Aufwendungen für Materialkosten der wirtschaftliche Schaden bei den betroffenen Betrieben ohnehin um rund 70 Prozent reduziere. Und von den verbleibenden 30 Prozent würde dann eben "freiwillig" nur die Hälfte übernommen.  

86 weitere Klagen beim LG anhängig 

Ob das Urteil des LG vom Donnerstag in Rechtskraft erwächst, bleibt abzuwarten. Vermutlich dürfte es aber in die nächste Instanz gehen: "Wir werden uns nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe sorgfältig mit diesen auseinandersetzen und die Möglichkeiten der Berufung nutzen", so ein Sprecher des Versicherers gegenüber LTO. Die Auffassung des Gerichts werde respektiert, das Unternehmen teile sie jedoch nicht. 

Auch in den kommenden Wochen dürfte es aus München weitere Entscheidungen im Zusammenhang mit Betriebsschließungen geben. Beim LG seien bereits 86 Klagen eingegangen, hieß es am Donnerstag.  

Mit Spannung erwartet wird in Kürze die Entscheidung einer Klage von Gastwirten der für ihren Starkbier-Anstich berühmten Paulaner-Gaststätte am Nockherberg gegen die Allianz-Versicherung. Hier steht ebenfalls eine Entschädigung von rund einer Millionen Euro im Raum. 

Nockherberg vs. Allianz 

Auch wenn Prozessbeobachter damit rechnen, dass der Versicherer – wie am Donnerstag die Bayerische Versicherungskammer – dieses Verfahren ebenfalls "krachend" verlieren wird, zeigt man sich beim Versicherungsriesen bislang unbeirrt: "Finanzielle Einbußen aufgrund von Betriebsschließungen bei den Hotel- und Gaststättenbetreibern sind gemäß unseren Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung bei den Hotel- und Gaststättenbetreibern nicht versichert", sagte Allianz-Sprecher Christian Weishuber zu LTO. 

Noch klammert sich die Allianz vor allem an eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. Juli .2020 (Az. 20 W 21/20). Dieses hatte den Deckungsschutz einer BSV gegen Erreger wie COVIDd-19 abgelehnt, wenn dieser nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart worden sei. Allianz-Sprecher Weishuber hält die der OLG-Entscheidung zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen für mit den von der Allianz verwendeten Bedingungen für Hotel- und Gaststättenbetreiber weitgehend vergleichbar.  

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch das OLG in München zu dieser Thematik urteilen wird. Das letzte Wort wird wohl der BGH haben.  

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Hasso Suliak, LG München I bejaht Entschädigung wegen Betriebsschließung: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42980 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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