Der Fußball-Bundesligist 1. FSV Mainz 05 hat den Arbeitsvertrag seines früheren Torwarts Heinz Müller zu Unrecht befristet. Das Urteil des ArbG Mainz könnte Signalwirkung für den Profisport haben. Johannes Arnhold erklärt, warum es gut ist, dass der Richterspruch das Thema "Befristung im Sport" aus der Mottenkiste geholt hat.
Helmut Paul Heinz Müller ist Torwart. Zwischen 2009 und 2014 hielt er für den 1. FSV Mainz 05 in insgesamt 65 Spielen den Kasten sauber. Und das immerhin im deutschen Fußball-Oberhaus. Nun könnte Müller ungewollt noch eine zweite Karriere hinlegen: Sein arbeitsrechtlicher Streit mit dem rheinhessischen Fußballklub hat das Zeug, zum Klassiker in den Sportrechtslehrbüchern zu werden.
Mit seiner Klage wehrte sich der Keeper gegen sein Vertragsende 2014. Müller hatte von 2009 bis 2012 zunächst einen befristeten Arbeitsvertrag mit den Mainzern geschlossen und verlängerte nach Ablauf um weitere zwei Jahre. Nachdem er in der Winterpause 2013/2014 vom damaligen Trainer Thomas Tuchel aussortiert worden war, sei es nach Ansicht von Müller unmöglich gewesen, auf die erforderliche Anzahl von Spielen zu kommen, die eine vertragsverlängernde Option ausgelöst hätte. Der Torwart argumentierte zudem, die wiederholte Befristung sei unzulässig gewesen; die Mainzer hielten mit der ungewissen Leistungsentwicklung des damals 34-jährigen Spielers sowie der Üblichkeit befristeter Verträge im Profisport dagegen.
Sollte das Urteil des Arbeitsgerichts (ArbG) Mainz (Urt. v. 19.03.2015, Az. 3 Ca 1197/14) auch in höheren Instanzen Bestand haben, könnte es das gesamte Transfersystem und das Vertragswesen im Profifußball in seiner jetzigen Form auf den Kopf stellen. Im Kern geht es neben der persönlichen arbeitsrechtlichen Situation zwischen Mainz und Müller dabei um die Frage, ob Profifußballspielern der gleiche arbeitsrechtliche Schutz zuteil werden darf bzw. soll wie allen übrigen Arbeitnehmern im Wirtschaftsleben.
Gerade im Bereich der Befristungen von Arbeitsverträgen lässt sich diese Frage exemplarisch stellen, klafft doch hier die größte Lücke zwischen arbeitsrechtlicher Idealvorstellung und der tatsächlichen vertraglichen Situation im Profisport. Denn: Unbefristete Arbeitsverhältnisse sind im Fußball zumindest bei Spielern und Trainern so gut wie unbekannt. Genauer betrachtet ist einzig der Fall des ehemaligen Trainers von Union Berlin, Uwe Neuhaus, bekannt, der als seinerzeit dienstältester Trainer durch die Eisernen mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag ausgestattet worden ist. Damit befindet sich die Branche jedoch in krassem Widerspruch zu einem wesentlichen Grundsatz des Arbeitsrechts: Ein unbefristeter Arbeitsvertrag soll die Regel sein.
Sind Fußballprofis Arbeitnehmer?
Zunächst stellt sich die Frage, ob das staatliche Arbeitsrecht überhaupt Anwendung findet im verbandsgeprägten Sport. Kann der Grundsatz des möglichst unbefristeten Vertrags als Ausfluss des Arbeitnehmerschutzgedankens für Fußballprofis mit überwiegend komfortabler Einkommenssituation gelten?
Dass die Spieler überhaupt als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind, ist in Literatur und Rechtsprechung mittlerweile weithin geklärt. Denn die Merkmale des vom Bundesarbeitsgerichts (BAG) geprägten Arbeitnehmerbegriffs treffen auch auf die kickende Gilde zu. Besonders das Erfordernis der "Fremdbestimmung" erweist sich im Mannschaftssport wie dem Fußball als wesentlich. Im Gegensatz zum Individualsportler wie z.B. einem Boxer, dem es durchaus frei steht, die eigenen Trainingsabläufe wie auch den eigenen Wettbewerbskalender selbst zu bestimmen, sind die Abläufe im Profifußball klar durch die Klubs strukturiert – sowohl im Hinblick auf vorgegebene Trainings- und Wettkampfzeiten als auch auf darüber hinaus gehende Aktivitäten wie Presse- oder Sponsorentermine.
Aus arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Sicht ist ein Fußballprofi nicht anders zu bewerten als der Fabrikarbeiter oder die Bäckerin von nebenan. Ein spezifisches Arbeitsrecht für den Sport gibt es jedenfalls nach heutigem Stand nicht.
Ausnahmen vom Befristungsverbot bestätigen die Regel
Dennoch können Befristungen im Sport zulässig sein. Für alle Arbeitnehmer sieh § 14 Abs. 1 S.2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen vor, die ausnahmsweise eine Befristung rechtfertigen können.
Ohne sachliche Begründung sind Befristungen allerdings nur für zwei Jahre zulässig. Sollen sie länger sein, braucht es einen sachlichen Grund Gerechtfertigt ist eine Befristung etwa, wenn es um die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers geht, wenn Gründe in der Person des Arbeitnehmers selbst sie rechtfertigen oder wenn die Eigenart der Arbeitsleistung sie erfordert.
Der Begriff des Sachgrundes ist aber weder gesetzlich definiert noch nennt das Gesetz allgemeine Kriterien zu seiner Ermittlung. Zur Konkretisierung des "unbestimmten Rechtsbegriffs" muss man also auf die Rechtsprechung zurückzugreifen.
2/2: "Verschleiß" und "Abwechslungsbedürfnis der Öffentlichkeit"
Eine sachgerechte und praktikable Begriffseingrenzung, die den Besonderheiten des Sports umfänglich Rechnung tragen würde, gibt es allerdings nicht. Die Rechtsprechung hat bislang – wie nun auch das Arbeitsgericht Mainz - in den wenigen abzuurteilenden Fällen vor allem auf die "Eigenart der Arbeitsleistung" abgestellt. Anders als die Mainzer Richterin nun wurden jedoch bislang recht großzügig eigens entwickelte Fallgruppen herangezogen.
So hat das BAG bereits in den 1980-er Jahren den Begriff des "Verschleißtatbestands" bei Trainern geprägt: Die Befristung von Arbeitsverträgen ist rechtfertigt, wenn die Gefahr besteht, dass die Fähigkeit eines Trainers zur weiteren Motivation seiner Spieler nachlässt.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hat zudem mit dem Hinweis auf das "Abwechslungsbedürfnis der Öffentlichkeit" entschieden, dass auch das Interesse des Zuschauers einen befristeten Vertrag rechtfertigen kann.
Diese Figur ist aus dem Bühnen- und Unterhaltungsbereich entlehnt. Die Nürnberger Richter gingen davon aus, dass sich das Publikum im Fußball nach einer gewissen Zeit Abwechslung bei der "Fußballshow" wünsche. Zudem bemühte das OLG die Konkretisierungen der "Erfolgsbezogenheit des Fußballs" bzw. der "nachlassenden Leistungsfähigkeit".
Im Fußball geht es um mehr als nur Show
Die Entscheidungen wurden zu Recht kritisiert. Der Verschleißtatbestand ist nicht ohne weiteres auf Spieler zu übertragen. Bei der Anwendung auf Trainer gibt es zumindest prominente Gegenbeispiele als Argumente dafür, dass diese Figur konstruiert erscheint: So waren Otto Rehhagel und später Thomas Schaaf beim SV Werder Bremen über viele Jahre erfolgreich, ohne Anzeichen von Verschleiß zu zeigen. Auch in England gibt es mit Sir Alex Ferguson und Arsène Wenger Anschauungsobjekte für dauerhaften Erfolg von Coachs.
Auch das "Abwechslungsbedürfnis der Öffentlichkeit" mag man bezweifeln, denn das primäre Interesse von Fußballfans dürfte immer noch dem Erfolg der unterstützten Mannschaft dienen. Gerade das würde aber durch ein ständiges und beliebiges Austauschen des handelnden Personals nicht unbedingt gefördert. Philipp Lahm ist ein anschauliches Beispiel für einen Unterhaltungswert trotz Vereinstreue.
Schließlich kann man auch über nachlassende Leistungsfähigkeit im Alter als Befristungsgrund streiten. Gerade bei Torhütern findet sich häufig das Phänomen, dass die mit zunehmendem Alter statistisch steigende Verletzungsanfälligkeit durch Erfahrung und Routine ausgeglichen werden kann. So haben Oliver Kahn, Jens Lehmann oder der noch immer aktive Gianluigi Buffon ihren Leistungszenit erst im reiferen Torwartalter erreicht. Aus arbeitsrechtlicher Sicht wird also immer die Frage bleiben, wo hier eine Grenze zu ziehen wäre.
Gesetzesänderung oder Tarifvertrag?
Wegen der wenig überzeugenden Argumente in der bisherigen Rechtsprechung ist die nun vom ArbG in Mainz vorgenommene Auslegung zumindest nicht abwegig. Ob das Urteil jedoch die Besonderheiten des Sports hinreichend gewürdigt hat, wird man erst nach Veröffentlichung der Urteilsgründe bewerten können. Es ist anzunehmen, dass sich eine mögliche Berufung, welche Mainz 05 nach Medienberichten bereits angekündigt hat, genau auf dieses Kriterium stützen wird. Schließlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass erfolgreicher Profisport von der körperlichen Leistungsfähigkeit einzelner Athleten abhängt. Die Halbwertszeiten sportlichen Erfolgs sind daher begrenzt.
Unabhängig davon, wie die höheren Instanzen entscheiden werden, bedarf es bei der Frage der Befristung im Sport mittelfristig einer Lösung. Denkbar wäre etwa die Einführung eines Tarifvertrags für Fußballprofis, wie es ihn in Spanien oder Italien gibt. Dieser könnte u.a. die Befristungsfrage zwischen Fußballprofis und ihren Klubs regeln. Alternativ wäre eine Anpassung des TzBfG und die Einführung eines auf den Sport zugeschnittenen Regelbeispiels möglich. Allerdings würde das ein Zutun des Gesetzgebers erfordern, der es anders – anders als im Arbeitszeitgesetz, das nun sportspezifische Regelungen enthält - im Rahmen der Novellierung des TzBfG verpasst hat, die Eigenheiten des Sports zu berücksichtigen.
Man könnte es somit auch als Chance deuten, dass die zuständige Richterin des Gerichts in Mainz den Finger in eine offene Wunde gelegt hat. Immerhin bietet sich nun die Möglichkeit, eine schon längere währende Rechtsunsicherheit zu klären.
Wie auch an anderer Stelle, etwa in der Causa Pechstein oder dem Rechtstreit des SV Wilhelmshaven mit dem Norddeutschen Fußballverband wird es maßgeblich darauf ankommen, dass sich der Sport – in diesem Fall der Profifußball –eingestehen muss, dass es keinen rechtsfreien oder auch nur weitgehend rechtsentleerten Raum für ihn geben kann. Auf der anderen Seite tragen Justiz und ggfs. der Gesetzgeber ihrerseits die Verantwortung, die Besonderheiten des Sports unter Wahrung der verfassungsrechtlich abgesicherten Autonomie angemessen zu berücksichtigen.
Der Autor Johannes Arnhold ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Sportrecht und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau sowie Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Mitautor eines Lehrbuchs zum Sportrecht.
Johannes Arnhold, Müller-Urteil zu befristeten Verträgen im Fußball: Den Finger in die Wunde gelegt . In: Legal Tribune Online, 30.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15101/ (abgerufen am: 22.09.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag