Ohne Arbeit kein Lohn – das ist ein Grundsatz, von dem der deutsche Sozialstaat zu viele Ausnahmen zulasten der Arbeitgeber kennt, meint Nils Neumann. Und zwar nicht nur in so krassen Fällen wie der schwangeren Schwangerschaftsvertretung oder dem Gabelstapler-Fahrer, der während der Arbeit dermaßen ausrastet, dass er sich die Hand bricht und für über einen Monat krankgeschrieben werden muss.
Wer sitzt schon gerne im Regen und wird nass, wenn es auch anders geht? Der Mitarbeiter eines osthessischen Baumarkts wurde da besonders kreativ. Er versah den Gabelstapler, mit dem er den ganzen Tag unterwegs war, kurzerhand mit einem provisorischen Dach und einer Plexiglasscheibe. So konnte er auch bei Regen schön im Trockenen arbeiten.
Sein Arbeitgeber war von der Konstruktion allerdings nicht besonders begeistert. Aus Sicherheitsgründen und weil die Betriebserlaubnis für den Gabelstapler zu erlöschen drohte, verbot er seinem Mitarbeiter die Umbauten. Das versetzte letzteren dermaßen in Rage, dass er mit Verpackungsmaterial um sich warf und auf ein Verkaufsschild aus Schaumstoff einschlug. Da das Schild auf einer Holzstange montiert war, brach sich der Mann dabei die Hand und fiel über einen Monat lang aus.
Selbst Schuld? Grundsätzlich ja, meinte das Hessische Landesarbeitsgericht. Dennoch verurteilte es den Arbeitgeber zur Fortzahlung der Vergütung. Das Risiko für den Wutausbruch habe letztlich der Arbeitgeber zu tragen. Irrationales Verhalten komme eben vor (Urt. v. 23.07.2013, Az. 4 Sa 617/13).
Die schwangere Schwangerschaftsvertretung
Genauso wenig nachvollziehbar ist der Fall der schwangeren Schwangerschaftsvertretung. Weil eine Mitarbeiterin schwangerschaftsbedingt ausfiel, bemühte sich ihr Arbeitgeber um eine Vertretung. Wie sich herausstellte, wusste die Vertretung jedoch schon bei Abschluss des befristeten Vertrages, dass sie selbst auch schwanger war und bereits kurz nach Aufnahme der Beschäftigung ebenfalls ausfallen würde. Auch in diesem Fall urteilte das Gericht, dass dieses Risiko der Arbeitgeber zu tragen habe (Landesarbeitsgericht Köln, Urt. v. 11.10.2012, Az. 6 Sa 641/12).
Dabei ist es ihm nicht einmal erlaubt, das Risiko zu reduzieren. Denn die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft ist auch bei der Suche nach einer Schwangerschaftsvertretung eine unzulässige Diskriminierung.
Dass die Krankenkassen die Vergütung für Schwangere erstatten, ist dabei ein schwacher Trost. Erstens finanzieren die Arbeitgeber die Erstattung durch eine Umlage selbst. Zweitens hilft dies nicht über die fehlende Arbeitskraft und die erneute Suche nach einer Vertretung hinweg. Vielleicht ist beim nächsten Mal auch die Vertretung der schwangeren Schwangerschaftsvertretung schwanger?
Die Klassiker: Krankheit und Urlaub
Klassische Beispiele für eine Entgeltfortzahlung ohne Gegenleistung sind Krankheit, gesetzliche Feiertage und Urlaub. Vergütung müssen Arbeitgeber häufig auch in weiteren Fällen zahlen, in denen ihre Mitarbeiter aus persönlichen Gründen an der Arbeit gehindert sind. So zum Beispiel wenn ein Mitarbeiter bei der Hochzeit seiner Kinder ist. Teilweise auch für die Zeiten von Bewerbungsgesprächen oder einer Untersuchungshaft.
Daneben können Arbeitnehmer in bestimmten Fällen eine unbezahlte Freistellung oder Reduzierung ihrer Arbeitszeit verlangen. Beispielsweise sechs Monate zur Pflege von Angehörigen, drei Jahre zur Betreuung von Kindern oder zum dauerhaften Wechsel in die Teilzeit.
Die Vergütung muss in diesen Fällen zwar nicht fortbezahlt werden. Der Arbeitgeber muss aber Ersatz für den Ausfall organisieren. Häufig kurzfristig, unter großem Aufwand und zu hohen Kosten. Er trägt also auch hier einen erheblichen Teil des Risikos, obwohl der Grund für den Ausfall allein in der Sphäre des Arbeitnehmers liegt.
2/2: "Ohne Arbeit kein Lohn"
Dabei gilt im allgemeinen Schuldrecht zuvorderst der Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn". Wird die Arbeitsleistung nicht erbracht, muss auch keine Vergütung bezahlt werden. Davon gibt es zunächst nur zwei wesentliche Ausnahmen, die zu einer fairen Verteilung der Risiken für einen Arbeitsausfall zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führen:
Zum einen den Annahmeverzug: Nimmt der Arbeitgeber eine ordnungsgemäß angebotene Arbeitsleistung nicht an, wäre es evident unbillig, dem Arbeitnehmer die Vergütung vorzuenthalten.
Zum anderen die Verwirklichung eines vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos: Nur wenn die Sphäre des Arbeitgebers betroffen ist, muss die Vergütung trotz Arbeitsausfall fortgezahlt werden. So beispielsweise bei Überschwemmung des Betriebs oder einem Stromausfall. Bereits das Reichsarbeitsgericht hatte diese von den gesetzlichen Vorschriften losgelöste eigenständige Rechtsfigur entwickelt. Heute ist die Betriebsrisikolehre in § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches normiert.
Sozialschutz ist nicht Aufgabe der Arbeitgeber
Über diese Grundsätze hinaus gibt es jedoch eine Vielzahl weiterer Vorschriften, die das Risiko für einen Arbeitsausfall auf den Arbeitgeber abwälzen. Diese Regelungen werden kaum hinterfragt. Im Sog von Forderungen nach immer mehr staatlicher Fürsorge und einer Reduzierung der Eigenverantwortung werden sie vielmehr als selbstverständlich hingenommen, teils sogar als unzureichend bewertet – so auch im aktuellen Koalitionsvertrag, nach dem Union und SPD planen, das ohnehin schon strenge Teilzeitrecht durch Verlagerung von Darlegungslasten und die Einführung eines Rückkehrechtes weiter zu Lasten des Arbeitgebers zu verschärfen. Insgesamt wird damit der Bogen hinnehmbarer Sozialpflichtigkeit von Eigentum und Unternehmertum inzwischen weit überspannt.
Es lohnt sich, unbefangenen zu hinterfragen, ob die zunehmende und dezidierte staatliche Regulierung nicht nur den Schutzgedanken zu weit treibt, sondern auch ungewünschte Effekte hervorruft. Selbstverständlich bedürfen Arbeitnehmer eines besonders hohen Schutzes und einer Vielzahl von Rechten. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass jeder staatliche Eingriff und jede soziale Wohltat den Faktor Arbeit verteuert. Die Mittel, die zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben und unserer sozialen Standards erforderlich sind, müssen zunächst einmal erarbeitet werden. So muss mit Blick auf die demographische Entwicklung zwar eine berufliche Tätigkeit mit Kindern ermöglicht werden, dabei darf aber nicht übersehen werden, dass gut gemeinter Schutz auch zu einem gesteigerten Maß an verdeckter Diskriminierung führen und gerade den beruflichen Chancen von Frauen mehr schaden als helfen kann.
Von Zeit zu Zeit sollten die Eigentums- und Unternehmerfreiheit in Erinnerung gerufen werden. Wohlstand erfordert stetige Fortentwicklung, Dynamik und einen hohen und produktiven Arbeitseinsatz. Die Risiken eines Arbeitsausfalls sollte deshalb derjenige tragen, dem sie zuzurechnen sind. Wenn die Gesellschaft das bestehende soziale Schutzniveau aufrechterhalten oder sogar ausweiten will, sollten der Staat oder die gesamte Gesellschaft dies finanzieren, nicht der einzelne Arbeitgeber.
Der Autor Nils Neumann, LL.M. ist Rechtsanwalt der internationalen Wirtschaftssozietät K&L Gates in Berlin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Arbeitsrecht.
Nils Neumann, Krankheit, Urlaub, irrationale Wutanfälle: Wer zahlt für ausgefallene Arbeit? . In: Legal Tribune Online, 21.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11120/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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