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Initiative will AGG ergänzen lassen: Eltern­sein als Dis­kri­mi­nie­rungs­kri­te­rium?

von Tanja Podolski

01.05.2021

Eltern mit ihrem Kind im Sonnenuntergang

candy1812 - stock.adobe.com

Eine Initiative möchte, dass Elternschaft und Fürsorgearbeit als Merkmale ins AGG kommen. Wer sich um Kinder oder Angehörige kümmert, werde in der Arbeitswelt benachteiligt.

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Die Kündigung kommt am ersten Tag nach der Rückkehr aus der Elternzeit. Der Kollege ohne Kinder wird bei der Beförderung bevorzugt, die Mutter von drei kleinen Kindern wird zum Vorstellungsgespräch nicht einmal eingeladen. Oder die – inzwischen zurückgenommene - Ankündigung von H&M zum Jahresanfang, bei der Restrukturierung vor allem Mütter in der Elternzeit entlassen zu wollen:

Es sind Fälle wie diese, die Sandra Runge aktiv werden ließen. Die Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht hat die Initiative #Proparents mitgegründet und im März eine Onlinepetition gestartet, die zu mehr Schutz von Müttern und Vätern vor Diskriminierung im Arbeitsleben aufruft. Mehr als 24.000 Menschen haben bisher unterschrieben. Ziel ist es, das Kriterium der Fürsorgearbeit, worunter Elternschaft, aber auch die Pflege von Angehörigen fällt, ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufzunehmen.

Was das AGG derzeit regelt

Bisher schützt das Gesetz gem. § 1 AGG vor Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Das Gesetz ist seit Mitte 2006 in Kraft und hat vier europäische Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt.

Eine weitere, die Vereinbarkeitsrichtlinie, muss der deutsche Gesetzgeber bis August 2022 umsetzen. Ziel der Richtlinie ist es, in der gesamten EU die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu verbessern, heißt es beim Bundesfamilienministerium. Konkret solle die Richtlinie für eine gerechtere Aufteilung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern sorgen und die Erwerbsbeteiligung insbesondere von Frauen fördern.

Deutschland könne sich dabei vorausschauend präsentieren, meint Runge, indem es das Kriterium der Fürsorgearbeit proaktiv ins AGG aufnimmt.

Einzelfall oder massentauglich?

"In Deutschland gibt es rund 20 Millionen Eltern", sagt Runge, davon seien etwa 80 Prozent erwerbstätig. Genauere Angaben, zur Benachteiligung arbeitender Eltern etwa im Zusammenhang mit dem Alter der Kinder, die Aufteilung der Erwerbstätigkeit bei Mutter oder Vater, Anteil Alleinerziehender o.ä. gebe es bisher nicht, die Zahlen seien bislang schlichtweg nie detailliert erhoben worden. Das zu ändern, daran arbeitet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes derzeit, die Zahlen der entsprechenden Studie sollen etwa im Spätsommer bzw. Herbst bekannt werden. Um aber festzustellen, dass viele Eltern systematisch diskriminiert werden, braucht die Arbeitnehmeranwältin keine Statistik. Dafür reichen ihr die Fälle ihrer Mandanten, sagt sie – allesamt Väter und Mütter.

"Das im AGG enthaltene Merkmal Geschlecht reicht für den Schutz von Eltern vor Diskriminierung nicht aus", sagt Runge. Zwar seien Mütter in der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt noch explizit ins Gesetz aufgenommen, doch schon die Elternzeit sei, wenn überhaupt, nur über eine mittelbare Diskriminierung abgedeckt. Väter werden zudem völlig aus dem Anwendungsbereich des AGG ausgeklammert. In der Elternzeit helfe zwar der Sonderkündigungsschutz nach dem Bundes Elterngeld und Elternzeitgesetz - doch auch nur bis zu deren Ende und. Nach der Elternzeit gelte der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nur, wenn das Unternehmen mehr als zehn Mitarbeiter haben. Dann stünden die Eltern schutzlos dar.

Schüren falscher Erwartungen?

Kara Preedy, Partnerin bei der Kanzlei Greenberg Traurig, und selbst Mutter von drei Kindern, sieht die Problematik – aber an anderer Stelle: "Unternehmen, die Mutter- oder Elternschaft als Problem ansehen, gibt es immer weniger". Problematisch sei eher, dass viele Eltern in der Elternzeit eine Kommunikation mit dem Arbeitgeber einstellen und eine Veränderung ihres Arbeitsplatzes dann gar nicht mitbekommen. Sicherlich gebe es auch diskriminierte Eltern in einer patriarchalischen Arbeitsumgebung. Eine Änderung des AGG würde in diesen Fällen aber "womöglich eine Erwartungshaltung schüren, die das Gesetz auch in Zukunft nicht erfüllen wird".

Rechtlich gibt es zudem schon jetzt deutlich effektivere Instrumente, sich zur Wehr zu setzen. Im Übrigen sei es unverhältnismäßig, Einzelfälle über die Gesetzgebung zu lösen – und Einzelfälle seien es zunehmend vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, bei der sich der Arbeitsmarkt kontinuierlich in einen Arbeitnehmermarkt wandele. "Die Aufnahme der Fürsorgearbeit wäre damit sicherlich ein gesellschaftlich bedeutendes Signal an Eltern und Arbeitgeber. Anders als bei den anderen Diskriminierungsmerkmalen des AGG, auf die eine Person keinen Einfluss hat (Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, etc.), ist das bei Elternschaft anders. Wir schaffen damit unnötig zusätzliche Fronten zwischen Menschen mit und ohne Kinder, das dient der Sache aus meiner Sicht gerade nicht", so Preedy.

Ungleichbehandlungen von Personen mit und ohne Elternzeit gerechtfertigt?

Ähnlich sieht es Hans-Hermann Aldenhoff, Partner in der Kanzlei Simmons & Simmons, selbst Vater. "Bei einer kurzen Elternzeit und einem vernünftigen Arbeitsklima wird es kaum problematische Fälle zwischen Elternteil und Arbeitgeber geben", meint der Anwalt. "Was aber ist zu tun bei einer langen Elternzeit, wenn der Arbeitnehmer von einer anderen Person ersetzt wurde, die nun alle Veränderungen im Unternehmen sehr gut begleitet hat?" Diese Person dann nicht auf der Position zu belassen, sei nicht besonders produktiv. Auch in einem Fall, in dem eine Kollegin, die ohne eine Elternzeit bei gleicher Dauer der Unternehmenszugehörigkeit eine Beförderung erhält, während die Kollegin mit Elternzeit keine erhält, sei das unternehmerisch sinnvoll, jedenfalls aber gut begründbar – die Person in Elternzeit habe schlichtweg nicht die gleiche Dauer gearbeitet, argumentiert Aldenhoff.

Im Übrigen incentiviere der Schutz der Elternschaft über das AGG zu einer eigentlich autonomen Entscheidung, mit den bisher genannten Kriterien im AGG sei das nicht vergleichbar, meint Aldenhoff. So habe es bisher auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) so gesehen, dass es keine Diskriminierung sei, Zeiträume einer Elternzeit nicht als entgeltwirksame Beschäftigungszeiten anzurechnen (BAG, Urt. v. 27.01.2011, Az. 6 AZR 526/09). So sehr der Schutz der im allgemeinen Interesse stehenden Elternschaft also gewollt sei, so wenig ist das AGG laut Aldenhoff, dessen praktische Relevanz ohnehin sehr gering sei, geeignet, diesen Schutz zu bieten.

Ob sinnvoll oder nicht: Aufnahme ins AGG jedenfalls möglich

Über den Sinn der Sache lässt sich also offenbar streiten. Möglich aber wäre die Aufnahme der Elternschaft als Diskriminierungskriterium jedenfalls: "Ebenso wie die Teilzeitdiskriminierung aus dem Kontext der Geschlechtsdiskriminierung gelöst wurde, kann auch das Verbot der Diskriminierung wegen der Wahrnehmung familiärer Verantwortung auf eigene Füße gestellt werden", sagt der Rechtsprofessor Dr. Gregor Thüsing, Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn.

"Wenn wir nicht wollen, dass Arbeitgeber sagen: ,Sie stelle ich nicht ein, weil Sie kleine Kinder haben‘, dann wird man dies in vielen Fällen schon auf das aktuelle Recht stützen können. Wenn wir aber Rücksichtnahmepflichten wollen, die über das Gebot billiger Direktionsrechtsausübung hinausgehen, müssten die ausdrücklich normiert werden", so der Arbeitsrechtsprofessor. Auch dies könne mit einem Diskriminierungsverbot verbunden werden, wie etwa das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung zeige. Es gehe um die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – einem Ziel, zu dem sich letztlich jede Partei in irgendeiner Weise bekennt.

Ein gesellschaftliches und politisches Ziel, das ist es auch für Initiatorin Sandra Runge: "Eltern und sonstige Fürsorgeleistende haben aus meiner Sicht das Recht, auf den Rang eines Diskriminierungsmerkmals erhoben zu werden."

In der geltenden Regelung des AGG sind nur Mütter und das auch nur zeitweise geschützt. Damit perpetuiere das Gesetz geschlechtsspezifische Stereotypen, denen es entgegenzutreten gelte, meint Thüsing. Er findet: "Fürsorgeleistende sollen als Personen geschützt werden, die Verantwortung für die Ihren übernehmen, wie es zum Teil rechtlich, jedenfalls aber gesellschaftlich gefordert und in tatsächlicher Hinsicht auch schlichtweg erforderlich ist."

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Initiative will AGG ergänzen lassen: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44861 (abgerufen am: 21.05.2025 )

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