Mit einer Online-Petition fordert die "Initiative Palandt Umbenennen" den Beck-Verlag auf, seinem bekannten BGB-Kommentar einen neuen Namen zu geben. Martin Rath findet, es gibt bessere Wege, mit der Geschichte dieses Werks umzugehen.
Verlage tun gut daran, ihre Produkte unter einer möglichst geschmeidigen Bezeichnung zu vermarkten. Gemessen daran erlaubt sich die Verlagsgruppe C.H. Beck einen ungewöhnlichen Luxus, wenn sie den wohl bekanntesten Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch unter dem Namen eines nationalsozialistischen Justizfunktionärs verkauft: Otto Palandt.
Die "Initiative Palandt Umbenennen" fordert nun im Rahmen einer "Petition" an den Verlag, diese Praxis zu beenden – mit einer gewissen moralischen Unbedingtheit, auf die gleich zurückzukommen sein wird.
Wie und nach wem der "Palandt" zu seinem Namen kam, ist inzwischen schon oft erzählt worden. Um das Anliegen der Initiative nachzuvollziehen, muss dies aber noch einmal geschehen.
Wie der Palandt zu seinem Namen kam
Am Anfang stand eine "Arisierung". Während der Weimarer Republik war der Berliner Verleger Otto Liebmann mit seinen juristischen "Kurz-Kommentaren" sehr erfolgreich gewesen. 1933 verkaufte er, angesichts der sich auch gegen ihn und seinen Verlag abzeichnenden Repressionen gegen Deutsche jüdischer Herkunft, das Unternehmen an C.H. Beck.
An einer neuen Kommentierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die den ideologischen Ansichten des NS-Staates zu entsprechen hatte, wurde seit 1934 gearbeitet. Zum Namen "Palandt" kam der "Kurz-Kommentar", nachdem der ursprünglich als Herausgeber vorgesehene Gustav Wilke, Ministerialrat im Reichsjustizministerium, 1938 an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorben war. Seine Rolle übernahm, der Form nach, Otto Palandt.
Dessen Arbeitsschwerpunkt lag weniger im bürgerlichen Recht. Als Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes war Palandt – selbstverständlich Nationalsozialist – für die Organisation der Juristenausbildung nach NS-Vorstellungen verantwortlich. Neben seiner amtlichen Position trat er hierzu auch publizistisch in Erscheinung, u.a. als Mitkommentator der Justizausbildungsverordnung (JAO). Zum "Palandt" allerdings steuerte Palandt allein die Vorworte der im NS-Staat publizierten Auflagen bei.
Schon in diesen ersten Auflagen leistete der "Palandt" eine Kommentierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und seiner Nebengesetze mit jener stilbildenden und praxisorientierten Autorität, die dem "Kurz-Kommentar" bis heute im juristischen Geschäft zugeschrieben wird – bis 1945, indem er u.a. die antiliberale und rassistische Gesetzgebung und Rechtsprechung für den Alltag der Anwälte und Richter handhabbar machte.
Im Verlagsgeschäft zählt die Marke
Das Geschäft der eigentlichen Kommentierung übernahm ein Team zivilrechtlich versierter Juristen, die teils auch nach 1945 beim Projekt "Palandt" blieben.
Die rassistischen Inhalte des Werks, beispielsweise zur Erbunwürdigkeit von "Nichtariern" oder zur mietrechtlichen Diskriminierung von Juden, wurden in der ersten Nachkriegs-Auflage mit der gleichen unauffälligen Routine bereinigt, mit seither jeder Wandel der Rechtsordnung in diesem langlebigen "Kurz-Kommentar" aufbereitet wird.
Einige der frühen Autoren machten darüber weiter Karriere. Beispielsweise stieg Claus Seibert (1902–1977), verantwortlich für denkbar furchtbare Beiträge im nationalsozialistischen "Palandt", vom Kammergericht zum Bundesgerichtshof auf – und erfreute das Publikum in seiner Freizeit mit heiteren Glossen in der Juristenzeitung.
Ungeachtet der Geschichte des "Kurz-Kommentars" und der evidenten NS-Belastung seines Namenspatrons, blieb die Verlagsgruppe C.H. Beck bis heute dabei, die etablierte Marke "Palandt" weiterzuführen.
"Initiative Palandt Umbenennen"
In der Juristenzeitung begründet nun unter dem Titel "Den Palandt umbenennen. Ein Beitrag zu juristischer Erinnerungskultur in Deutschland" Janwillem van de Loo, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europa- und Völkerrecht an der Universität Hamburg, die erwähnte Forderung, der Verlag C.H. Beck möge den Namen "Palandt" abschaffen (JZ 2017, S. 827–830).
Diesem Anliegen verschreibt sich auch die "Initiative Palandt Umbenennen (IPU)" mit ihrer Online-Petition.
Der Tatbestand ist inzwischen nun wahrhaft unstrittig: Bereits 1982 legte der Bremer Ministerialbeamte Hans Wrobel, dem viele verdienstvolle Untersuchungen zum Recht im NS-Staat zu verdanken sind, den wegweisenden Aufsatz vor: "Otto Palandt zum Gedächtnis. 1.5.1877 – 3.12.1951" – ein Beitrag, der schon in seiner Überschrift eine freilich ironische Brechung enthielt.
Denn der Aufsatz erschien in der "Kritischen Justiz", einer akzentuiert links orientierten rechtswissenschaftlichen Vierteljahresschrift, die jenseits der "Aufmerksamkeitsmaschine" von Examens- und Praxisrelevanz arbeitet – und hier natürlich bei der honorigen Phrase "zum Gedächtnis" ganz ohne den bourgeoisen Charme auskommen wollte, mit der sie im übrigen juristischen Schrifttum verwendet wird.
Mit sarkastischer Distanzierung soll es nun aber ebenso vorbei sein wie mit der vornehm-verlogenen "Palandt"-Apologie vor Wrobels maßgebender Darstellung von 1982 – wenn es nach der "Initiative Palandt Umbenennen" geht, die zu ihrer an den Verlag C.H. Beck adressierten "Petition" formuliert: "Es gehört zum gesellschaftlichen Konsens in unserem Land, keine Denkmäler für Nationalsozialisten zu pflegen. Aus guten Gründen akzeptieren wir heute keinen Adolf-Hitler-Platz mehr, kein Auto-Modell namens 'Himmler' und keine Hermann-Göring-Schule. Davon gibt es leider immer noch Ausnahmen. Gegen eine wollen wir, die Initiative Palandt Umbenennen, vorgehen: Den 'Palandt'."
2/2: Den Stachel ziehen und vergessen?
Vor bald sechs Jahren habe ich für LTO unter dem Titel "Vor 60 Jahren starb Otto Palandt – Schwarz-brauner Namenspatron des grauen Kommentar-Ziegels" einen Beitrag verfasst, der eine andere Herangehensweise vorschlug.
Statt einer Namensänderung, die – anders als bei öffentlichen Plätzen – ohnehin dem privatautonomen Kalkül der Verlagsgruppe C.H. Beck unterworfen bleibt, wurde hier angeregt, den "Palandt" als eine Art rechtshistorischen "Stolperstein" zu verstehen:
Zwischen dem Götzendienst an der "Examensrelevanz" und der ökonomischen Lebensnotwendigkeit der "Praxisrelevanz" könnte jeder Studierende, Richter und Anwalt, dem dies Herz und Verstand gebieten, an der Vorgeschichte des "Palandt" hängenbleiben – ja, der Verlag C.H. Beck sei fast dafür zu loben, dieses in den Arbeitsalltag hineinragende Artefakt nicht abgeschafft zu haben.
Diese dialektische List, den "Palandt" als ein offenes Denkmal zu behandeln, erklärt van de Loo in der Juristenzeitung nun allerdings für unhaltbar, "weil sich mit derselben Argumentation auch 'Adolf-Hitler-Plätze' rechtfertigen ließen, die aus guten Gründen alle umbenannt wurden. Denn wer würde heute noch die Benennung eines Platzes nach einem Nationalsozialisten akzeptieren? Wer bei einer Schule oder auch einem Automodell? Die Selbstverständlichkeit, mit der solche Namensgebungen als undenkbar angesehen werden, steht in starkem Kontrast dazu, dass in fast jeder Universität, jedem Amt, jedem Gericht und jeder Kanzlei ein Buch zu finden ist, welches den Namen eines Nationalsozialisten trägt."
"Adolf-Hitler-Platz" = "Palandt"?
Dieses Argument ist rhetorisch geschickt, also ein Ärgernis. Denn während wir es zunächst und vor allem den alliierten Streitkräften zu verdanken hatten, dass es seit 1945 in Deutschland keinen "Adolf-Hitler-Platz" mehr gibt, wird weiter über Namen öffentlicher Plätze gestritten, die unter dem Patronat historisch weniger evident fragwürdiger Personen stehen.
Dass man z.B. all den Carl-Peters-Straßen oder Hindenburgplätzen zwingend neue Namen geben müsse, "weil heute niemand mehr die Benennung eines Platzes" nach einem Kolonialverbrecher oder dem republikfeindlichen Generalfeldmarschall "akzeptieren" würde, ließe sich mit guten Gründen bestreiten: Aus dem Stadtbild beseitigt, werden sie zum ausschließlichen Gegenstand fachhistorischer Diskurse, sind aber im Alltag eines akademisch unverbildeten Menschen kein auch nur potenzieller Anlass mehr, sich über die historische Kontingenz seiner Welt Gedanken zu machen.
Wem ein "Hindenburgplatz" zu viel Ambiguitätstoleranz abverlangt, mag das Straßenschild um einen sinnsteuernden QR-Code ergänzen. Der "Palandt" stört? Warum finden sich in ihm nicht fünf Dünndruck-Seiten mit Wrobels Aufsatz?
Moralische Rigorosität kennt keine Kompromisse: Wer im "Palandt" ein als potenziellen Stolperstein im juristischen Alltag erhaltenswertes Artefakt sieht, würde – so insinuierten van de Loo und die "Initiative Palandt Umbenennen" – heute auch für die Beibehaltung von "Adolf-Hitler-Plätzen" votieren?
Mit Verlaub, mir bleibt die Spucke weg.
Wo Vergessen droht, da naht der rettende Maas
Van de Loo begrüßt in seinem Plädoyer, dass der Bundesminister der Justiz, Heiko Maas, sich für eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes dahingehend ausgesprochen hat, dass das NS-Unrecht explizit zum Ausbildungsstoff werde. Es gelte zu verhindern, "dass Studierende zwar viel über das Römische Recht und Cicero erfahren, aber nichts von Freisler und den Nürnberger Rassengesetzen".
Gewiss, das wäre unschön. Aber besteht diese Gefahr?
Zudem, was wird wohl jungen Juristinnen und Juristen die Abhängigkeit ihres Berufs von "etablierten Weltanschauungen" (Bernd Rüthers) besser vor Augen führen: die hässliche Vorgeschichte des grauen Kommentar-Ziegels in ihrem Regal – ganz zu schweigen von den berüchtigten Ordnungsnummern 1 bis 19 im "Schönfelder" – oder noch eine weitere Pflichtvorlesung im Grundstudium?
Sollte der Verlag C.H. Beck seine Markenpolitik nun am moralischen Impetus der "Initiative Palandt Umbenennen" ausrichten, werden wir es herausfinden müssen.
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Ohligs.
Martin Rath, NS-Rechtsgeschichte: Den "Palandt" umbenennen? . In: Legal Tribune Online, 17.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24547/ (abgerufen am: 30.05.2023 )
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