2/2: Den Stachel ziehen und vergessen?
Vor bald sechs Jahren habe ich für LTO unter dem Titel "Vor 60 Jahren starb Otto Palandt – Schwarz-brauner Namenspatron des grauen Kommentar-Ziegels" einen Beitrag verfasst, der eine andere Herangehensweise vorschlug.
Statt einer Namensänderung, die – anders als bei öffentlichen Plätzen – ohnehin dem privatautonomen Kalkül der Verlagsgruppe C.H. Beck unterworfen bleibt, wurde hier angeregt, den "Palandt" als eine Art rechtshistorischen "Stolperstein" zu verstehen:
Zwischen dem Götzendienst an der "Examensrelevanz" und der ökonomischen Lebensnotwendigkeit der "Praxisrelevanz" könnte jeder Studierende, Richter und Anwalt, dem dies Herz und Verstand gebieten, an der Vorgeschichte des "Palandt" hängenbleiben – ja, der Verlag C.H. Beck sei fast dafür zu loben, dieses in den Arbeitsalltag hineinragende Artefakt nicht abgeschafft zu haben.
Diese dialektische List, den "Palandt" als ein offenes Denkmal zu behandeln, erklärt van de Loo in der Juristenzeitung nun allerdings für unhaltbar, "weil sich mit derselben Argumentation auch 'Adolf-Hitler-Plätze' rechtfertigen ließen, die aus guten Gründen alle umbenannt wurden. Denn wer würde heute noch die Benennung eines Platzes nach einem Nationalsozialisten akzeptieren? Wer bei einer Schule oder auch einem Automodell? Die Selbstverständlichkeit, mit der solche Namensgebungen als undenkbar angesehen werden, steht in starkem Kontrast dazu, dass in fast jeder Universität, jedem Amt, jedem Gericht und jeder Kanzlei ein Buch zu finden ist, welches den Namen eines Nationalsozialisten trägt."
"Adolf-Hitler-Platz" = "Palandt"?
Dieses Argument ist rhetorisch geschickt, also ein Ärgernis. Denn während wir es zunächst und vor allem den alliierten Streitkräften zu verdanken hatten, dass es seit 1945 in Deutschland keinen "Adolf-Hitler-Platz" mehr gibt, wird weiter über Namen öffentlicher Plätze gestritten, die unter dem Patronat historisch weniger evident fragwürdiger Personen stehen.
Dass man z.B. all den Carl-Peters-Straßen oder Hindenburgplätzen zwingend neue Namen geben müsse, "weil heute niemand mehr die Benennung eines Platzes" nach einem Kolonialverbrecher oder dem republikfeindlichen Generalfeldmarschall "akzeptieren" würde, ließe sich mit guten Gründen bestreiten: Aus dem Stadtbild beseitigt, werden sie zum ausschließlichen Gegenstand fachhistorischer Diskurse, sind aber im Alltag eines akademisch unverbildeten Menschen kein auch nur potenzieller Anlass mehr, sich über die historische Kontingenz seiner Welt Gedanken zu machen.
Wem ein "Hindenburgplatz" zu viel Ambiguitätstoleranz abverlangt, mag das Straßenschild um einen sinnsteuernden QR-Code ergänzen. Der "Palandt" stört? Warum finden sich in ihm nicht fünf Dünndruck-Seiten mit Wrobels Aufsatz?
Moralische Rigorosität kennt keine Kompromisse: Wer im "Palandt" ein als potenziellen Stolperstein im juristischen Alltag erhaltenswertes Artefakt sieht, würde – so insinuierten van de Loo und die "Initiative Palandt Umbenennen" – heute auch für die Beibehaltung von "Adolf-Hitler-Plätzen" votieren?
Mit Verlaub, mir bleibt die Spucke weg.
Wo Vergessen droht, da naht der rettende Maas
Van de Loo begrüßt in seinem Plädoyer, dass der Bundesminister der Justiz, Heiko Maas, sich für eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes dahingehend ausgesprochen hat, dass das NS-Unrecht explizit zum Ausbildungsstoff werde. Es gelte zu verhindern, "dass Studierende zwar viel über das Römische Recht und Cicero erfahren, aber nichts von Freisler und den Nürnberger Rassengesetzen".
Gewiss, das wäre unschön. Aber besteht diese Gefahr?
Zudem, was wird wohl jungen Juristinnen und Juristen die Abhängigkeit ihres Berufs von "etablierten Weltanschauungen" (Bernd Rüthers) besser vor Augen führen: die hässliche Vorgeschichte des grauen Kommentar-Ziegels in ihrem Regal – ganz zu schweigen von den berüchtigten Ordnungsnummern 1 bis 19 im "Schönfelder" – oder noch eine weitere Pflichtvorlesung im Grundstudium?
Sollte der Verlag C.H. Beck seine Markenpolitik nun am moralischen Impetus der "Initiative Palandt Umbenennen" ausrichten, werden wir es herausfinden müssen.
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Ohligs.
Martin Rath, NS-Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24547 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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