Das Management des weltgrößten Internet-Knotens in Frankfurt klagt gegen den Bundesnachrichtendienst. Außerdem in der Presseschau: Männer eines gewissen Alters müssen ihre Perücken selbst zahlen, Dashcam-Aufnahmen sind im Strafprozess in der Regel verwertbar, eine Überlebende reicht dem Angeklagten im Auschwitz-Prozess die Hand und ein Tötungsdelikt der besonderen Art.
Thema des Tages
BVerwG – Klage DE-CIX gegen BND: Am größten Internet-Knoten der Welt in Frankfurt, dem DE-CIX, hatte der Bundesnachrichtendienst – etwa im Rahmen des Programms 'Eikonal' – Daten aus aller Welt "gespiegelt" und untersucht. Die Daten von nicht in Deutschland lebenden Menschen standen nach Ansicht des BND dabei nicht unter dem Schutz des Grundgesetzes. Diese Ansicht wurde unter anderem vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier in einem Rechtsgutachten scharf kritisiert. Die DE-CIX Management GmbH hat nun angekündigt das Vorgehen des BND durch das Bundesverwaltungsgericht und notfalls auch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, denn auch ausländische Daten könnten nicht vogelfrei sein. Das berichten sueddeutsche.de (Georg Mascolo), zeit.de und tagesschau.de.
Gesetzentwurf für BND-Auslandsdatenüberwachung: Im Hinblick auf diese auch aus politischen Kreisen und von Mitgliedern der G-10-Kommission geäußerte Kritik, arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetzentwurf zur Regelung der Überwachung von Auslandsdaten durch den BND. Das berichtet die SZ (Georg Mascolo).
Rechtspolitik
Interview mit Thomas Fischer zur Sterbehilfe: Bundesrichter Thomas Fischer spricht mit der taz (Heike Haarhoff) über seine persönliche Befürwortung der aktiven Sterbehilfe und seine Ablehnung der bisherigen Vorschläge zur Regelung einer Strafbarkeit der organisierten Suizidhilfe.
Anti-Terror-Gesetze: Am heutigen Donnerstag sollen zwei Anti-Terror-Gesetze verabschiedet werden. Die taz (Christian Rath) fasst die geplanten Änderungen des Strafgesetzbuches und die Regelungen zum Personalausweisentzug kurz zusammen.
Investitionsschutz: juwiss.de und völkerrechtsblog.com veranstalten ein Online-Symposium zum Thema "Freihandel vs. Demokratie 2.0". In diesem Rahmen äußert sich Rechtswissenschaftler Andreas Kerkemeyer auf juwiss.de zum sogenannten "Fair and Equitable Treatment"-Standard als Demokratieproblem. Der Rechtswissenschaftler Thomas Trentinaglia setzt sich auf völkerrechtsblog.com mit dem materiellen Investorenschutz im geplanten CETA-Abkommen im Hinblick auf Gefahren für die Demokratie auseinander.
TTIP: Das Handelsblatt (Thomas Ludwig) schreibt zum Stand der Verhandlungen das Freihandelsabkommen TTIP. Im Interview mit dem Handelsblatt (Thomas Ludwig) spricht der Chefunterhändler der EU, Ignacio Garcia Bercero, über sein Unverständnis für die Angst der Deutschen vor TTIP und, dass ein Verhandlungsabschluss nicht vor 2016 zu erwarten sei.
Justiz
BSG zu Perücke: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass älteren Männer bei Haarausfall eine Perücke nicht von der Krankenkasse bezahlt bekommen müssen, berichten der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof), die FAZ (Helene Bubrowski) und lto.de. Haarausfall sei bei Männern nicht krankhaft, da keine Körperfunktionen beeinträchtigt noch eine entstellende Wirkung gegeben sei. Daher half dem 76-jährigen Kläger auch der Gleichheitssatz nicht – bei Frauen sei Stigmatisierung gegeben und daher die Perücke zu bezahlen.
OLG München – Goebbels-Zitate: Das Oberlandesgericht München wird am heutigen Donnerstag über die Verpflichtung des Random House Verlags verhandeln, an die Inhaberin der Urheberrechte an Goebbels' Tagebüchern, für Zitate in einer Biographie zu zahlen. Der Verlag weigere sich, weil die Forderung sittenwidrig sei, werde damit aber nicht gewinnen, prognostiziert die SZ (Willi Winkler).
OLG München – NSU-Prozess: Über die am gestrigen Mittwoch erfolgte Aussage des heutigen sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten vor dem Oberlandesgericht München berichten SZ (Annette Ramelsberger) und taz (Andrea Röpke/Andreas Speit). Er berichtete über die Erkenntnisse zum Untertauchen des späteren NSU durch den V-Mann Piatto, die bereits 1998 bekannt und an den Thüringer Verfassungsschutz weitergegeben waren.
AG Nienburg zu Dashcam im Strafprozess: Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, hat das Amtsgericht Nienburg entschieden, dass Dashcam-Aufnahmen im Strafprozess grundsätzlich verwertbar sind. Würden Aufnahmen allerdings zur gezielten Verkehrsüberwachung gemacht, könne das im Einzelfall anders aussehen.
Thomas Walther: Die SZ (Peter Burghardt) porträtiert den ehemaligen Staatsanwalt, Richter und zuletzt Mitarbeiter in der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, Thomas Walter, der sich nach seiner Pensionierung nun als Anwalt für die Aufklärung von NS-Verbrechen einsetzt. Der heute 72-Jährige trug zur Verurteilung Demjanjuks in München bei und ist derzeit Nebenklagevertreter im Lüneburger Auschwitz-Prozess.
LG Lüneburg – Auschwitz-Prozess: Den Zweck des Lüneburger Auschwitzprozesses sieht Heinrich Werfing (zeit.de) nicht nur in Generalprävention, sondern gerade auch darin den Opfern Gehör zu verschaffen. Eine Überlebende habe dem Angeklagten die Hand gegeben und gesagt sie habe den Nazis vergeben, was diese aber nicht von ihrer Verantwortung befreie, berichten Welt (Per Hinrichs) und zeit.de.
VG Magdeburg zu Akteneinsicht bei Limbach-Kommission: Wie lto.de berichtet, entschied das Verwaltungsgericht Magdeburg, dass die Limbach-Kommission keine Stelle ist, die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit wahrnimmt. Mangels Behördeneigenschaft sei damit das Informationsfreiheitsgesetz nicht anwendbar und keine Akteneinsicht zu gewähren.
LG Essen – Biblis-Stillegung: Der FAZ (Timo Frasch) liegt die Klageerwiderung Hessens im Verfahren RWE gegen Hessen und den Bund vor. Danach bestehe ein Schadensersatzanspruch von RWE schon deshalb nicht, weil Biblis nicht aufgrund der Stillegungsverfügung abgeschaltet worden sei, sondern aus unternehmerischen Gründen. Außerdem könne der Anspruch schon gar nicht gegen Hessen gerichtet sein, da die Bundesregierung die maßgeblichen Entscheidungen getroffen habe.
LAG München zu Kündigung durch Kirche: Das Landesarbeitsgericht München hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt, nach der die Kündigung einer langjährigen Angestellten in einer Einrichtung für behinderte Menschen der Diakonie rechtmäßig war, berichtet lto.de. Als Hobby-Pornodarstellerin habe sie sich in Widerspruch zur kirchlichen Sexualethik gestellt und so eine Loyalitätspflicht verletzt.
LG München I – Deutsche Bank-Prozess: Die Zeit (Stefan Willeke) bringt einen Vorbericht zu dem am kommenden Dienstag beginnenden Prozess gegen Jürgen Fitschen und andere (ehemalige) Vorstände der Deutschen Bank und rekapituliert die vor dem Landgericht München I zu verhandelnden Vorwürfe.
LG Darmstadt – Fall Tuğçe: Vor dem an diesem Freitag beginnenden Prozess gegen Sanel M., wegen des Todes der Studentin Tuğçe Albayrak, berichten SZ (Susanne Höll) und Welt (Hannelore Crolly) zusammenfassend über den Fall.
LG Hamburg – Conergy Vorstand: Vom Prozessauftakt vor dem Landgericht Hamburg, gegen Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder des mittlerweile insolventen Solarunternehmens Conergy, berichtet die FAZ (Carsten Germis). Es werde ihnen vorgeworfen mit einer frisierten Bilanz für 2006 den Aktienpreis in die Höhe getrieben und dann ihre Anteile verkauft zu haben, bevor der Preis wieder fiel.
StA Nürnberg – Ermittlungen beim ADAC: Gegen ranghohe Funktionäre des Bayerischen ADAC-Regionalverbands Nordbayern ermittelt laut SZ (Bastian Obermayer/Uwe Ritzer) und Handelsblatt die Staatsanwaltschaft Nürnberg wegen Verwendung von Mitgliedsbeiträgen für private Zwecke.
Recht in der Welt
Palästina – IStGH-Beitritt: Rechtsprofessor Hans-Joachim Heintze befasst sich auf lto.de mit den Folgen der Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs durch Palästina – für dessen Anerkennung als Staat, für das Ansehen des IStGH, für die nun erforderlichen Ermittlungen und die vorrangig zuständige israelische und palästinensische Justiz.
Sonstiges
Forensische Gutachten: Vor dem Hintergrund des FBI-Haaranalysen-Skandals setzt sich die Zeit (Ulrich Bahnsen u.a.) mit den Möglichkeiten der heutigen DNA-Analyse an Haaren auseinander, dem Leistungsdruck Sachverständiger die gleichzeitig Strafverfolger sind und dem möglichen Einfluss von Sachverständigen auf gerichtliche Entscheidungen in den USA und Deutschland. Sabine Rückert (Zeit) meint, fehlerhafte Gutachten als Grundlage für Verurteilungen seien auch in Deutschland zu erwarten, "gäbe es in Deutschland ein 'Unschuldsprojekt' würden wir uns wundern".
Flüchtlingsrettungspflicht: Die SZ (Andreas Zielcke) zeigt auf, dass "Mare Nostrum" nur die konsequente Umsetzung der staatlichen Pflicht war, auf See in Not geratene zu retten und für diese Rettung vorzusorgen. Die sich auf Grenzkontrolle beschränkenden Nachfolgeprogramme erfüllten diese Pflicht rechtswidrig nicht. Im Zusammenspiel mit dem verbotenen "Refoulment", dem Rücktransport in lebens- oder freiheitsbedrohende Umstände, ergebe sich ein Rettungs- und – jedenfalls zunächst – Aufnahmegebot für Boat People.
Völkermord: Die FAZ (Reinhard Müller) zeichnet die Entwicklung des Begriffs 'Völkermord' in der Geschichte des internationalen Strafrechts nach.
Das Letzte zum Schluss
Ein besonderes Tötungsdelikt: Immer wieder hatte er ihn genervt, er hatte monatelang mit ihm gekämpft und irgendwann hat es ihm gereicht. Er hat ihn gepackt, ihn in eine Gasse hinter seinem Haus geschleppt und mit acht Schüssen zur Strecke gebracht. "Mann tötet seinen Computer" stand laut SZ hinterher im Polizeibericht. Hätte er doch einen Hammer genommen, denn das Schießen ist Colorado Springs verboten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. April 2015: Vogelfreie Auslandsdaten – Selbst bezahlte Perücken – Verwertbare Dashcam-Bilder . In: Legal Tribune Online, 23.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15326/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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