Safe-Harbour ist ungültig, das Presse-Grosse bleibt mächtig und der Generalanwalt hält wenig von Wohnsitzbeschränkungen. Außerdem: ein Langzeit-Student darf nach 50 Semestern kein Diplom mehr machen.
Thema des Tages
EuGH – Safe-Harbour: Der Europäische Gerichtshof hat das "Safe-Harbour"-Abkommen mit den USA für ungültig erklärt. Das Abkommen sei nicht nur ein unzulässiger Eingriff in die Kompetenzen nationaler Datenschutzbehörden. Vor allem habe die Kommission notwendige Feststellungen über das Datenschutzniveau in den USA nicht getroffen*. Eine Übergangsfrist hat das Gericht nicht bestimmt, so dass es allen Unternehmen, die mit Datentransfers in die USA arbeiten, nunmehr an einer Rechtsgrundlage dafür fehlt. Es berichten unter anderen FAZ (Helene Bubrowski/Herdrik Kafsack), Rechtsprofessor Thomas Hoeren auf lto.de, SZ (Wolfgang Janisch), Tsp (Jost Müller-Neuhof). Die FAZ (Mathias Müller von Blumencron) macht darauf aufmerksam, dass die Entscheidung faktisch zur Beschränkung des Internets führt, wenn der Gesetzgeber nicht bald international annehmbare Regeln findet. SZ (Simon Hurtz) und Welt (Benedikt Fuest/Thomas Heuroth) zeigen die Konsequenzen des Urteils insbesondere für die Unternehmen auf.
"Das ist wirklich eine historische Entscheidung im Sinne der Grundrechte. ... Will jemand in Europa Leistungen verkaufen, muss er Bürgerrechte beachten," meint Gigi Deppe (swr.de). Reinhard Müller (FAZ) meint, es könne doch nicht so schwer sein, Daten in Europa zu speichern und Persönlichkeitsrechte überwögen Kostenersparnisse. Herbert Prantl (SZ) lobt das Urteil und meint, der "EU-Gerichtshof in Luxemburg ist dabei, sich als Europäischer Verfassungsgerichtshof zu etablieren. Wenn es gut geht, steuert er die Entwicklung der Europäischen Union so klug, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gesteuert hat.
Rechtspolitik
Gutachten zum Kindschaftsrecht: Zur Steigerung der Qualität familienpsychologischer Gerichtsgutachten, hat ein Expertengremium auf Initiative des Bundesjustizministeriums einen Katalog mit Mindestanforderungen formuliert. Mit einem Mitglied des Gremiums, der Rechtsanwältin und Rechtspsychologin Anja Kannegießer, spricht lto.de (Anne-Christine Herr) über den Katalog.
Sportstrafrecht: Auch die BadZ (Christian Rath) erläutert nun die geplante Ergänzung des Strafgesetzbuchs um die Delikte 'Sportwettbetrug' und 'Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben'.
Flüchtlingsunterbringung: Der Bremer Senat hat nun den Gesetzentwurf zur Beschlagnahme von Immobilien beschlossen, meldet die taz. spiegel.de gibt einen Überblick über die bestehenden Möglichkeiten der Beschlagnahme. Heike Göbel (FAZ) warnt vor der Nutzung der Möglichkeiten, weil sie das Vertrauen in die Eigentumsgarantie erschüttere und so mögliche Investoren verprelle, die als Arbeitgeber und Bauherren der Integration förderlich sein könnten.
Schlichtungsstellen: Im Rechtsausschuss fand eine Anhörung zum Gesetzentwurf zur Einführung von Schlichtungsstellen statt, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Es wurde gefordert, die Schlichtungsteilnahme für Unternehmen verpflichtend zu machen, die Stellen statt auf Landes- auf Bundesebene einzuführen, eine Missbrauchsgebühr zu regeln und als Streitmittler nur Volljuristen einzusetzen. Der Entwurf setzt eine EU-Richtlinie um und will "Universalschlichtungsstellen" für Fälle einrichten, in denen eine Branche keine Ombutsleute vorhält.
Scheinselbstständigkeit: Mit dem Anwachsen der On-Demand-Economy auch in Deutschland werde der Bedarf an flexiblen Arbeitskräften höher, was, aufgrund der rigiden Regelungen zur Arbeit auf Abruf, zum vermehrten Einsatz von Selbstständigen führen werde, meint Rechtsanwalt Boris Dzida in der FAZ. Häufig werde es sich dabei um Scheinselbstständige handeln, weshalb es mehr Flexibilität bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung bedürfe, die immer noch besser sei als Scheinselbstständigkeit.
Geheimdienstgesetz: Die SZ (Georg Mascolo) schreibt zum Stand der Auseinandersetzung über die Änderung des BND-Gesetzes. Gesichert sei weitgehend, dass eine Rechtsgrundlage für den Zugriff auf internationale Kommunikation geschaffen werde, dass kontrolliert werden soll und ein ständiger Bevollmächtigter die Parlamentarier unterstützen soll. Streitig sei weiter, ob Vor- oder Nachkontrolle erfolgen soll, ob nur bei Kommunikation die über Deutschland läuft oder international und, ob EU-Bürgern das gleiche Schutzniveau wie Deutschen gewährt werden soll.
Automatisierter Steuerbescheid: Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet vom Deutschen Steuerberatertag in Wien, wo der Entwurf des Bundesfinanzministeriums für ein 'Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens' vorgestellt und vom Verband der Steuerberater kritisiert wurde. Steuererklärungen sollen automatisiert eingelesen und ohne menschliches Zutun zu einem Bescheid verarbeitet werden, mit Zufallsprüfungen und solchen nach Risikoparametern.
Urhebervergütung: Das Bundesjustizministerium hat den "Gesetzentwurf zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung" vorgestellt, meldet die SZ (Robert Rossmann). Insbesondere durch Einführung von Verbandsklagen und ein Rückforderungsrecht von Urheberrechten nach fünf Jahren solle sich die Situation der Urheber verbessern.
Wissenschaftsklausel im Urheberrecht: Nach einem Gutachten der Kanzlei iRights Law schränkt das deutsche Urheberrecht Geistes- und Sozialwissenschaften im Gebrauch audiovisueller Medien zu stank ein – die Klärung von Rechtsfragen sei zu kompliziert und manche Quellen der Forschung gar nicht legal zugänglich, so dass auf Studien verzichtet werde. Verbände fordern nun, Wissenschaftlern für ihre Forschung Sonderrechte im Urheberrecht einzuräumen, meldet die FAZ.
* Anm. d. Red.: Hier stand zunächst unzutreffend, dass Datensicherheit in den USA gemäß des EuGH-Urteils nicht gewährleistet und der Datentransfer dorthin verboten sei. Geändert am 7.10.2015, 11:45.
Justiz
BGH zu Presse-Grosso: Der Bundesgerichtshof hat am gestrigen Dienstag die Klage des Bauer-Verlags gegen den Bundesverband Presse-Grosso abgewiesen, berichten FAZ (Jan Hauser), SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de. Das zentrale Verhandlungsmandat des Verbandes gewährleiste einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb, weshalb die zugrundeliegende Ausnahmevorschrift im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht zu beanstanden sei. Der Verlag hatte das Mandat zugunsten einzelner Absprachen mit verschiedenen Großhändlern kippen wollen.
EuGH – Wohnsitzauflage: Flüchtlinge, die mangels individueller Verfolgung, aber aufgrund von Gefahr für Leib oder Leben in ihrem Heimatland einen Aufenthaltsstatus erhalten, bekommen Sozialhilfe nur unter der Auflage, an einem bestimmten Ort ihren Wohnsitz zu nehmen. Der Eingriff in die Bewegungsfreiheit hänge eng mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zusammen, weil Mobilität für diese heute besonders bedeutsam sei, schreibt Generalanwalt Villalón in seiner Stellungnahme. Die von Deutschland genannten Begründungen könnten den Eingriff nicht rechtfertigen. Es berichtet verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis).
VGH Kassel zu Diplom: Der hessische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass nach Umstellung auf den Bachelor und Ablauf der zehnjährigen Übergangsfrist kein Anspruch mehr bestehe auf den Abschluss mit Diplom. Der im 50. Fachsemester studierende Kläger war, während er den letzten Schein kurz vor Fristablauf erwerben wollte, erkrankt, meldet die SZ.
StA Köln – NSU-Nebenklägerin: Im Fall der wohl nicht existenten Nebenklägerin im NSU-Prozess hat die Staatsanwaltschaft Köln ein Ermittlungsverfahren gegen den Nebenkläger eingeleitet, der das Mandat vermittelt haben soll, meldet lto.de. swr.de (Holger Schmidt) rekapituliert, wie es zur Mandatsvermittlung kam und wie das Fehlen der Mandantin entdeckt wurde.
LG Karlsruhe – Mordprozess: Fast 30 Jahre, nachdem eine junge Frau getötet wurde, hat sich ein Mann den Behörden gestellt und die Tat gestanden. Vor dem Landgericht Karlsruhe findet der Prozess gegen den heute 48-Jährigen statt. Weil er zur Tatzeit 20 Jahre als war, muss das Gericht auch entscheiden, ob Jugendstrafrecht angewandt wird, berichten taz (Benno Stieber), FAZ (Rüdiger Soldt) und SZ (Charlotte Theile).
LG Dresden – Infinus: Das Landgericht Dresden hat die Anklage zum Skandal um den insolventen Infinus-Finanzkonzern zugelassen, meldet die Welt. Am 16. November beginnt der Prozess gegen sechs ehemalige Manager wegen gewerbsmäßigen Betrugs in besonders schweren Fällen und Kapitalanlagebetrugs bzw. Beihilfe dazu. Die Anklage ist auf einen Teil der Finanzinstrumente beschränkt und bezieht sich damit auf rund 22.000 der mutmaßlich 54.000 Geschädigten und einen Schaden von 312 Millionen Euro bei einem angenommenen Gesamtschaden von 2,1 Milliarden.
Recht in der Welt
USA – Suizidhilfe: In Kalifornien ist seit dem gestrigen Dienstag ein Gesetz in Kraft, nach dem Ärzte schwerkranken Patienten ein Mittel zur Selbsttötung reichen dürfen. Zwei Ärzte müssen bestätigen, dass höchstens noch eine Lebenserwartung von sechs Monaten besteht, meldet lto.de.
Frankreich – aberkanntes Wahlrecht: Wer in Frankreich bis 1994 zu mindestens fünf Jahren Haft verurteilt wurde, verlor dadurch automatisch sein Wahlrecht, auch das zum europäischen Parlament. Der Europäische Gerichtshof hat nun entschieden, dass es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn die seither geltende mildere Regelung nicht rückwirkend angewandt wird, weil die Verurteilung vor Erlass des milderen Gesetzes erfolgte. Das berichtet lto.de.
Großbritannien – Sozialhilfeleistungen: Nach einer Stellungnahme von Generalanwalt Villalón dürfen EU-Mitgliedstaaten verlangen, dass Antragsteller für Sozialhilfeleistungen die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes in dem Staat nachweisen. Dieser Nachweise gelinge Inländern zwar regelmäßig leichter, die Ungleichbehandlung sei jedoch zum Schutz der Staatsfinanzen gerechtfertigt. Die EU-Kommission hat Großbritannien wegen einer entsprechenden Regelung vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, meldet lto.de.
Sonstiges
AGG-Hopping: Die FAZ (Joachim Jahn) weist auf einen Beitrag der Strafrechtler Christian Brand und Shahin Rahimi-Azar in der kommenden Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift hin. Danach sei AGG-Hopping strafbar und zwar als versuchte Erpressung und nicht als versuchter Betrug.
Steuervorabsprachen: Wenn ein EU-Mitgliedstaat zukünftig eine Steuervorabsprache (tax ruling) mit einem Unternehmen trifft, muss er die anderen Mitgliedsstaaten automatisch darüber informieren. Das haben die EU-Finanzminister in Konsequenz der Luxleaks-Affäre beschlossen, berichtet die FAZ (Werner Mussler).
Vorrang statt Geltungsverlust: Die FAZ (Miloš Vec) schreibt über die Antrittsvorlesung der Rechtsphilosophin Marietta Auer, die die Radbruch'sche Formel kritisierte, deren These vom Geltungsverlust des unrechten Rechts nicht zuletzt durch den Begriff der 'Geltung' Scheindebatten eröffne und nicht weiterhelfe. Der Gerechtigkeit sei vielmehr der Vorrang einzuräumen, so komme man ohne den Begriff der 'Geltung' aus
Buch zum Gröning-Prozess: Wörtliche Mitschriften des gesamten Prozesses gegen den ehemaligen SS-Mann Gröning sind nun als Buch unter dem Titel "Die letzten Zeugen" erschienen. Das meldet bild.de.
Das Letzte zum Schluss
Ladenschluss: In betrunkenem Zustand war ein Mann in einen Laden gegangen, hatte Alkohol und Tabak genommen, und war zur Kasse gegangen, wo er geduldig auf die Kassiererin wartete. Was er erst bemerkte, als die Polizei auftauchte, war, dass lediglich vergessen worden war, die Ladentür abzuschließen und er mitten in der Nacht allein in dem eigentlich geschlossenen Laden stand. Das meldet justillon.de (Stefan Weinberger).
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2015: Safe-Harbour gekippt – Presse-Grosso gewinnt – Geständnis nach 28 Jahren . In: Legal Tribune Online, 07.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17116/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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