Die Expertenkommission zur Reform des Mordparagrafen stellt ihre Arbeit vor. Außerdem in der Presseschau: Maschmeyer-Vergleich mit Bank, Supreme Court billigt Hinrichtungen, Widerrufsjoker gegen Kreditverträge und Schatzfund in Passau.
Thema des Tages
Reform des Mordparagrafen: Seit einem guten Jahr arbeitete eine von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eingesetzte Expertenkommission am Entwurf einer Reform des § 211 Strafgesetzbuch. Nun stellte sie ihre Erkenntnisse vor. Ein großer Wurf blieb aus: Zwar sollen aus der Gesetzesformulierung NS-belastete Terminologie zum sogenannten Tätertypus entfernt werden, an der grundsätzlichen Unterscheidung von Mord und Totschlag und der absoluten Strafdrohung für ersteres Delikt will die Kommission jedoch nichts ändern. Dagegen sollen Richter durch entsprechende gesetzliche Formulierungen die Möglichkeit bekommen, von der zwingenden Verhängung einer lebenslänglichen Strafe in Einzelfällen abzusehen. Die vom Bundesgerichtshof entwickelte Rechtsfolgenlösung bekäme damit Gesetzesrang. Die aktuellen Mordmerkmale sollen beibehalten, z.T. aber ebenfalls neu formuliert werden. Zu den Vorschlägen berichten u.a. SZ (Wolfgang Janisch), Badische Zeitung (Christian Rath), Welt (Thorsten Jungholt) und Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof).
Rechtsprofessor Wolfgang Mitsch liefert für lto.de eine Analyse und hält den gemachten Vorschlägen zugute, dass "für die Lösung der drängendsten Probleme konstruktive Anstöße gegeben" seien.
Ähnlich äußert sich Wolfgang Janisch (SZ) in seinem Kommentar. Mord sei eben "nicht gleich Mord", dies hätten Gerichte schon lange anerkannt. Es sei an "höchste Zeit, dies nun auch ins Gesetz zu schreiben." Dagegen verwundere das Festhalten an Mordmerkmalen, die durch moralische Kategorien geprägt seien. Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) gibt zu bedenken, dass sich das Thema kaum für politischen "Reputationsgewinn" eigne, weil es "von der prinzipiellen Unmöglichkeit gerechten Strafens" handle. Zwar stellten Gerichte "Verrenkungen" an, um etwa einen Heimtückemord angemessen zu bestrafen, es sei aber "ein Gerücht", dass aufgrund der aktuellen Rechtslage "absurde Urteile" gefällt würden.
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt spricht sich Rechtsprofessorin Johanna Hey gegen den aktuellen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Erbschaftsteuer-Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus. Solange der Gesetzgeber "am Konzept hoher Steuersätze mit partieller Vollverschonung" festhalte und gleichzeitig versuche, den Vorgaben des Gerichts "minimalinvasiv" gerecht zu werden, seien Nachbesserungen nicht hilfreich. Ein diskutiertes Gegenmodell mit massiven Senkungen der bei Vererbung von Familienunternehmen anfallenden Steuern sei zwar überzeugend, politisch aber nicht durchsetzbar. Ein Ausweg sei dagegen die vorübergehende vollständige Abschaffung der Erbschaftsteuer. Auf diese Weise könne der Weg für einen Neuanfang freigemacht werden, so die Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Uni Köln.
Suizidhilfe: Anlässlich der in dieser Woche startenden Bundestagsdebatte zur gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe setzt sich die FAZ (Stephan Sahm) kritisch mit Einzelheiten einiger der bisher vorgeschlagenen Entwürfe auseinander. Problematisch sei vor allem, dass den in einer Krisensituation befindlichen Betroffenen durch Ärzte ein "tödliches Angebot" gemacht werden dürfe.
Justiz
OLG München – NSU: Im Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München erwägt das Gericht, der Hauptangeklagten den Münchner Rechtsanwalt Mathias Grasel als weiteren Verteidiger beizuordnen. Nach dem Bericht von spiegel.de (Gisela Friedrichsen) bestehen an der im Einvernehmen mit Zschäpe erfolgenden Bestellung des Anwalts "kaum" Zweifel.
OLG Koblenz zu Aufschiebung der Strafvollstreckung: Detlef Burhoff (blog.burhoff.de) macht auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom April aufmerksam, nach dem die Gefahr des Suizids einer Verurteilten keinen Aufschub der Strafvollstreckung nach § 455 Abs. 2 Strafprozessordnung begründet. Dem Interesse der Betroffenen stünden "gewichtige öffentliche Belange" gegenüber, zudem sei der Selbstmordgefahr durch entsprechende Behandlungs- und Sicherungsmaßnahmen zu begegnen.
VG Köln zu Mundlos-Akten: Die beim Bundesministerium der Verteidigung befindlichen Akten zum NSU-Mitglied und früheren Soldaten Uwe Mundlos müssen dem klagenden Springer Verlag nicht zur Verfügung gestellt werden. Dies entschied nach einer Meldung von lawblog.de (Udo Vetter) das Verwaltungsgericht Köln in der vergangenen Woche. Ein Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz bestehe nicht, weil die Akten zum großen Teil solche des Militärischen Abschirmdienstes seien. Zudem seien datenschutzrechtliche Belange des toten Mundlos und seiner Angehörigen beachtlich.
AG München zu Geheimnisverrat: Die Weitergabe von Prozessunterlagen an einen Vormieter verletzt keine Pflichten aus dem Mietvertrag, eine mit dieser Begründung ausgesprochene Kündigung ist damit hinfällig. Dies entschied das Amtsgericht München in einem Urteil vom Mai. Die beklagte Mietpartei hatte in einem vorherigen Verfahren eine Mietminderung erstritten und diese Unterlagen dem Vormieter zur Geltendmachung eigener Ansprüche zur Verfügung gestellt. Den Fall stellt lawblog.de (Udo Vetter) vor.
StA Stralsund – Nordkurier: Der Chefredakteur des vorpommerschen Nordkuriers sieht sich Ermittlungen wegen Beleidigung eines Staatsanwaltes durch eine unvorteilhafte Darstellung in einem Kommentar ausgesetzt. Nachdem Zeitungen auf die Fragwürdigkeit dieses vom Generalstaatsanwalt des Landes initiierten Vorgehens aufmerksam machten, wächst der politische Druck auf Ministerpräsidenten Erwin Sellering (SPD). Rechtsanwalt Mirko Laudon (strafakte.de) stellt den Fall und die beachtlichen Rechtsprobleme dar.
Dating-Netzwerk: Ein Pressebericht vom Wochenende beschrieb fragwürdige Geschäftspraktiken von Flirt- und Dating-Seiten. In ungeklärter Funktion soll für eines dieser Netzwerke ein bundesweit bekannter "Staranwalt" tätig sein. lto.de (Constantin van Lijnden) fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Recht in der Welt
Schweiz – Carsten Maschmeyer: Eine vom deutschen Investor Carsten Maschmeyer gegen die Schweizer Bank J. Safra Sarasin anhängig gemachte Schadensersatzklage ist durch einen Vergleich beendet worden. Wie die SZ (Klaus Ott) berichtet, hätten sich die Parteien bereits Ende April bei einer sogenannten Instruktionsverhandlung vor dem Bezirksgericht Zürich auf die Zahlung eines unbekannt gebliebenen Betrages geeinigt. Maschmeyer hatte von dem Geldhaus ursprünglich 18 Millionen Euro verlangt und behauptet, die Bank habe ihm verschwiegen, bei ihren Anlagen möglicherweise rechtswidrige Steuersparmodelle zu verwenden.
USA – Homo-Ehe: Das Urteil des US-amerikanischen Supreme Courts zugunsten der gleichgeschlechtlichen Ehe findet weiterhin Aufmerksamkeit. Der Beitrag der SZ (Andreas Zielcke) im Feuilleton des Blattes fasst fünf Grundsätze des Urteils zusammen und bedauert, dass "die Justiz angesichts eines ideologisch gefesselten Gesetzgebers die Kastanien aus dem Feuer holen und die Grundrechte durchsetzen" musste. Ein derartiger Ablauf sei auch in Deutschland zu erwarten.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) stellt in seiner Kolumne die widersprüchlichen "Narrative" der gerichtlichen Mehrheits- und der Minderheitsmeinung gegenüber und arbeitet die in beiden zum Ausdruck kommenden Verfassungsverständnisse heraus.
USA – Todesstrafe: In einer weiteren Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA ist die Verabreichung eines bestimmten Beruhigungsmittels an zum Tode Verurteilte vor deren Hinrichtung als mit der Verfassung vereinbar bezeichnet worden. Wie die FAZ (Andreas Ross) schreibt, hätten die Kläger, Todeskandidaten aus dem Bundesstaat Oklahoma, es nicht vermocht, darzulegen, dass das Mittel ungeeignet sei, Verurteilten Schmerzen zu ersparen. spiegel.de berichtet ebenfalls.
Sonstiges
Widerufsjoker: Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat vor übereilten Anwendungen des sogenannten Widerrufsjokers zur Umwandlung hochzinsiger Immobilienkredite gewarnt. Nach Bericht der FAZ (Joachim Jahn) sei eine solche Berufung auf Formfehler in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zahlreicher Kreditverträge durch Anlegeranwälte popularisiert worden. Ein geplantes Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs entfiel jedoch wegen Rücknahme der Klage, sodass sich widerrufswillige Verbraucher erheblichen finanziellen Risiken ausgesetzt sähen. Dagegen seien nach einer im Handelsblatt (Jens Hagen) wiedergegebenen Einschätzung der Verbraucherzentrale sieben von zehn der von ihr untersuchten Verträge angreifbar. Mögliche Strategien für Kreditnehmer in vorprozessualen Auseinandersetzungen mit Banken stellt ein weiterer Beitrag des Handelsblatts (Reiner Reichel) vor.
In einem Kommentar begrüßt Joachim Jahn (FAZ) die von ihm ausgemachte Entwicklung. Es sei zwar nicht auszuschließen gewesen, dass der Bundesgerichtshof die fraglichen Standardbelehrungen "gekippt" hätte, andererseits wäre eine solche Entscheidung "auch nicht ganz fair". In jedem Fall erscheine es sachgerecht, dass die EU ein "ewiges Widerrufsrecht" zumindest für die Zukunft deckeln wolle.
Grexit: Die FAZ (Phlipp Krohn) berichtet in ihrem Unternehmens-Teil über einen Auftritt des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof auf einer Diskussionsveranstaltung in Frankfurt/M. Der drohende Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone mache in den Worten Kirchhofs eine Rückkehr zur Rechtstreue nötig. Der Austritt sei zudem auch unter Wahrung der europäischen Verträge möglich, weil die Einigung von Maastricht die Römischen Verträge von 1957 nur unter der Voraussetzung ergänzt hätten, "dass eine Mitgliedschaft keine Zwangsjacke sei".
Datenschützerin: Der Datenschutzaktivistin Rena Tangens ist der von der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz vergebene Bundespreis Verbraucherschutz verliehen worden. Sie gelte als Schöpferin des Begriffs "Datenkrake", schreibt zeit.de (Patrick Beuth). Außerdem erwäge sie eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung. Als Schirmherr der Veranstaltung fungierte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), er musste der Veranstaltung jedoch wegen einer kurzfristigen Verhinderung fernbleiben.
Atombeihilfe: Die EU-Kommission hat in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung britische Beihilfen für den Bau eines Atomkraftwerks genehmigt. In einem Gastkommentar für das Handelsblatt sprechen sich Severin Fischer und Oliver Geden, Experten für EU-Energiepolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, gegen eine Beteiligung Deutschlands an einer Klage gegen diese Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof aus. Denn sprächen hierfür allenfalls symbolische Gründe der prinzipiellen Gegnerschaft zur Atomkraft. Außerdem würde die Kommission in Zukunft "kritischer auf das deutsche EEG blicken".
Das Letzte zum Schluss
Schatzfund: Die Legaldefinition eines Schatzes in § 984 gehört wohl zu den stilistischen Meisterleistungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wie die SZ (Hans Kratzer) berichtet, könnte die Norm daneben auch in einem in Passau angesiedelten Fall als Anspruchsgrundlage in Frage kommen. Bei Erdarbeiten auf einem Privatgrundstück entdeckte ein Baggerfahrer mehrere Barren Gold, weitere Arbeiten förderten weiteres Gold zutage. Die Sammlung im Wert eines "größeren sechsstelligen Betrags" befindet sich derzeit beim Passauer Fundamt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. Juni 2015: Paragraf 211 StGB n.F. - Vergleich für Maschmeyer - Warnung vor Widerrufsjoker . In: Legal Tribune Online, 30.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16031/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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