Selbstverteidigung ist kein Terror, so der BGH. Außerdem in der Presseschau: Fristen für Dublin-Abschiebungen schützen nicht die Flüchtlinge, ein renitenter Zeuge im Deutsche-Bank-Prozess und Thomas Fischers Erklärungen zur Volksverhetzung.
Thema des Tages
BGH zur Terrorvorbereitung: Der Bundesgerichtshof entschied, dass die so genannte "Allgäuer Islamistin" zu Recht nicht wegen "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" (§ 89a Strafgesetzbuch) verurteilt wurde. Die Frau habe sich in Syrien zwar im Umgang mit Waffen unterrichten lassen, wollte diese aber nur zur Selbstverteidigung anwenden. Das genüge in einer "Gesamtbetrachtung" nicht für eine Strafbarkeit in Deutschland. Generell solle § 89a StGB in Bürgerkriegskonstellationen "zurückhaltend" angewandt werden, mahnte der BGH. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath) und die Welt (Hannelore Crolly). Die FAZ (Alexander Haneke) erklärt zudem die Bedeutung von § 89a StGB als Norm, die heimliche Ermittlungen ermögliche.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert die Strafnorm: "Es gibt Strafparagrafen, denen man ansieht, dass sie nichts taugen." Er postuliert: "Man kann Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie potenziell gefährlich sind." Christian Rath (taz) lobt den BGH: "Gut zu wissen, dass der 3. Strafsenat hier zuverlässig auf eine enge Auslegung der Anti-Terror-Paragrafen achtet."
Rechtspolitik
EU-Gericht: Die Anzahl der Richter am Gericht der Europäischen Union (EuG) soll von 28 auf 56 verdoppelt werden. Das hat der Europäische Gerichtshof vorgeschlagen. Richter des EuG sind jedoch dagegen, sie würden eine Erhöhung der Mitarbeiterzahl bevorzugen. Die FAZ (Helene Bubrowski) schildert die politischen Querelen.
Hartz IV-Sanktionen: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat einen Referentenentwurf mit zahlreichen Änderungen der Hartz_IV-Gesetze vorgelegt. Dabei hatte die CSU durchgesetzt, dass besonders scharfe Sanktionsregelungen für Hartz-IV-Bezieher unter 25 Jahren erhalten bleiben, berichtet die SZ (Thomas Öchsner). Verfassungsrechtler hatten Probleme mit dem Gleichheitssatz gesehen.
Illegale Einreise: zeit.de (Michael Stürzenhofecker) schildert die Diskussion um eine Änderung von § 95 Aufenthaltsgesetz. Danach machen sich auch Asylantragsteller wegen illegaler Einreise strafbar. Die Polizei müsse Strafanzeigen schreiben, die in über 99 Prozent der Fälle wieder eingestellt werden. Möglicherweise verstoße die Rechtslage sogar gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.
Asylbewerberleistungsgesetz: Am vorigen Samstag sind die Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft getreten. Danach erhalten vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber nur noch Leistungen unter dem vom Bundesverfassungsgericht definierten Existenzminimum. Die taz (Christian Rath) beschreibt, dass die Reform wohl dennoch nicht gegen Karlsruher Vorgaben verstößt, weil sie nicht von der Stellung erfolgversprechender Asylanträge abschrecken will.
Beteiligungstransparenz: Die Anwälte Stephan Oppenhoff und Dirk Horcher stellen in der FAZ Änderungen des Wertpapierhandelsgesetzes vor, die demnächst in Kraft treten und mit denen EU-Vorgaben umgesetzt werden. Dabei werden die Meldevorschriften für Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen neu geregelt und vor allem die Sanktionen für Verstöße verschärft.
Reiserecht: Internetreiseanbieter sollen von Ende 2017 an weitgehend mit klassischen Reisebüros gleichgestellt werden. Das hat laut FAZ (Hendrik Kafsack) das Europaparlament beschlossen. Der für herkömmliche Pauschalreisen geltende Verbraucherschutz werde damit auf im Internet gebuchte einzelne Reisebausteine ausgeweitet.
Whistle Blower: Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, fordert in einem Bericht, den Schutz von Whistleblowern zu verbessern. Laut netzpolitik.org (Andrea Jonjic) formuliert Kaye dabei auch Richtlinien, an die sich Staaten halten sollen.
Justiz
BVerwG zu Dublin-Abschiebungen: Im Rahmen der Dublin-Verordnung können Asylantragsteller auch nach Ablauf einer Drei-Monats-Frist noch in den zuständigen EU-Staat abgeschoben werden, wenn dieser zur Aufnahme bereit ist. Die Frist gelte nur zwischen den Staaten und habe keine drittschützende Wirkung zugunsten der Antragsteller. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht, wie die Welt und lto.de berichten.
BGH zu Notwehr: Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung eines Rentners aus Sittensen wegen Totschlags bestätigt. Der Mann hatte auf flüchtende Räuber geschossen und dabei einen 16-jährigen getötet. Die SZ (Wolfgang Janisch) schildert Fall und Urteil, die HAZ (Christian Rath) stellt die juristische Argumentation des BGH in den Mittelpunkt, mit der Notwehr unter verschiedenen Aspekten verneint wurde.
BGH zu Persönlichkeitsrecht von Schülerin: In einem Urteil aus dem September hat der BGH festgestellt, dass ein Mädchen Unterlassungsansprüche gegen ein Buch ihrer ehemaligen Grundschullehrerin hat. Dort hatte die Lehrerin die Schülerin unter voller Namensnennung als "Pseudo-Hochbegabte" mit mangelhaften Schreib- und Rechenfähigkeiten beschrieben. Die Lehrerin habe das Persönlichkeitsrecht der Schülerin verletzt, da die veröffentlichte Identität die kindgemäße Entwicklung stören könne, so der BGH laut justillon.de (Stephan Weinberger).
LG Hamburg zu Werbeblockern: Das Landgericht Hamburg hat vorige Woche auf Klage von Bild verboten, Programmcodes zur Umgehung der Software-Verschlüsselung von Bild.de zu verbreiten. Die Argumentation stützte sich auf § 95a Urheberrechtsgesetz - wonach es untersagt ist, wirksame technische Maßnahmen zu umgehen, die ein urheberrechtlich geschütztes Werk schützen sollen. lto.de (Pia Lorenz) stellt den Konflikt mitsamt der Rahmenbedingungen dar und findet die Argumentation des Landgerichts "ungewohnt bis abenteuerlich".
KG Berlin - Mitbestimmung: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard bespricht nun auch Anwalt Thomas Gennert den Beschluss des Kammergerichts zur Mitbestimmung in europaweit tätigen Unternehmen. Das KG hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das deutsche Mitbestimmungsgesetz gegen EU-Recht verstößt, weil es Mitarbeitern aus anderen EU-Staaten die Wahl als Aufsichtsrat von deutschen Unternehmen verwehrt. Gennert fürchtet eine Welle von Statusverfahren bei betroffenen Unternehmen, da jeder Aktionär klagen könne.
OLG München - NSU-Nebenklägerin: Im NSU-Prozess schilderte ein BKA-Beamter, wie er im Auftrag des Senats herausfand, dass es die Nebenklägerin "Meral Keskin" überhaupt nicht gab. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und die FAZ (Katrin Truscheit) schildern den Verhandlungstag.
StA Dessau-Roßlau - Oury Jalloh: Im Ermittlungsverfahren um den Feuertod von Oury Jalloh auf einer Polizeiwache in Dessau vor zehn Jahren stellte jetzt eine Initiative mehrere Gutachten vor. Danach sei es eher unwahrscheinlich, dass der gefesselte Jalloh seine Matratze entzünden konnte und dass er dabei das von der Polizei später gefundene Feuerzeug benutzte. Die taz (Konrad Litschko) berichtet.
LG Düsseldorf - DNA-Profil: Das Landgericht Düsseldorf hat das Berufungsverfahren gegen einen mutmaßlichen Einbrecher eingestellt, nachdem sich herausstellte, dass dieser tatsächlich, wie behauptet, einen eineiigen Zwillingsbruder hat. Das Gericht will nun klären, ob dieser zu einem freiwilligen Gentest bereit ist, um abzuklären, zu wem die Tatortspuren gehören, berichtet spiegel.de.
LG Düsseldorf - Kondomwerbung: Nach der Verhandlung am Landgericht Düsseldorf zeichnet sich ab, dass die Kondomwerbung "1 Tüte à 7 Stück entspricht bis zu 21 Orgasmen" als irreführend eingestuft wird. Das berichten die SZ (Martin Schneider) und die taz (Jonas Seufert). Die Kondomfirma hatte argumentiert, dass bei der Zählung auch Orgasmen der Frau berücksichtigt werden und man vor Mehrfachgebrauch der Präservative ausreichend gewarnt habe. Das Urteil soll am 26. November verkündet werden.
LG München I - Deutsche Bank/Zeuge: Im Prozess gegen Deutsche Bank-Manager setzte sich ein Mann, den niemand kannte, auf den Zeugenstuhl und wollte nicht mehr aufstehen. Er musste durch Sicherheitspersonal entfernt werden, berichtet spiegel.de. Das rätselhafte Verhalten sei aber nicht strafbar.
GBA - Landesverrat/Netzpolitik: Die Bundesregierung hat Fragen der Grünen zu Abläufen in der Netzpolitik-Affäre beantwortet, die nun netzpolitik.org (Constanze Kurz) referiert. So habe der Verfassungsschutz die Redakteure, denen Landesverrat vorgeworfen wurde, nicht nachrichtendienstlich überwacht.
Recht in der Welt
Portugal - Regierungsbildung: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) analysiert die Regierungsbildung in Portugal. Dass der Staatspräsident nach der Parlamentswahl die Konservativen mit der Regierungsbildung beauftragte, obwohl diese ersichtlich keine Mehrheit haben, sei zwar kein Verfassungsbruch, aber eventuell ein "verfassungspolitischer Skandal" - wenn darin eine Strategie liegt, Neuwahlen zu provozieren, um die Parteien der Linken von der Macht fernzuhalten.
Äthiopien - Prozess gegen Blogger: Die Welt (Benno Müchler) schildert einen der prominentesten Prozesse Äthiopiens, der vorige Woche zu Ende ging. Angeklagt waren sechs junge Blogger und drei Journalisten, denen vorgeworfen wurde, einen Staatsstreich geplant zu haben. Ein mutiger Anwalt, der im Artikel portraitiert wird, hat gegen alle Widerstände einen Freispruch erreicht.
USA - Facebook: In den USA hat eine jüdische Nichtregierungsorganisation gegen Facebook geklagt, weil das Netzwerk über tausend Seiten, auf denen zu Gewalt gegen Juden aufgerufen wird, nicht lösche, berichtet spiegel.de.
Sonstiges
Volksverhetzung: In seiner Kolumne auf zeit.de befasst sich Bundesrichter Thomas Fischer diesmal mit dem Delikt der Volksverhetzung und seinen Tatbestandsmerkmalen, insbesondere dem öffentlichen Frieden. Er kommt zum Schluss: "Wer in Heidenau in die Kamera gebrüllt hat: Raus mit dem Dreck!, hat sich strafbar gemacht."
Straftaten bei der WM-Vergabe: Die Strafrechtler Michael Kubiciel und Elisa Hoven beschreiben in der FAZ, warum eine mögliche Bestechung von FIFA-Mitgliedern bei der Vergabe der WM 2006 verjährt ist. "Die Verantwortlichen des DFB brauchen daher neben einem Steuerstrafverfahren allenfalls Geldwäscheermittlungen in der Schweiz zu fürchten, wo längere Verjährungsfristen gelten."
VW und OWiG: Die Welt (Nikolaus Doll) weist darauf hin, dass gegen VW wegen der Abgasmanipulation in Deutschland auch Geldbußen nach § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz verhängt werden könnten. Zwar liege die Obergrenze bei nur zehn Millionen Euro pro Fall. Allerdings könnte jedes der 2,4 in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge, die mit der entsprechenden Software ausgestattet sind, als eigener Fall gewertet werden.
Das Letzte zum Schluss
Drogenschmuggel und Gutgläubigkeit: In Japan ist ein Rentner aus Bad Salzuflen zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe wegen Drogenschmuggels verurteilt worden. Der Mann hält sich für unschuldig. Er sei nach Japan geflogen, weil ihm per Post versprochen wurde, ein reicher Japaner wolle sein Vermögen verschenken und er werde 50.000 Euro bekommen. In Japan habe ihm eine Frau dann Geschenke für Frau und Kinder mitgegeben, die sich bei der Zollkontrolle jedoch als Drogen entpuppten, berichtet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Oktober 2015: BGH zur Terrorvorbereitung - BVerwG zu Dublin-Abschiebungen - Thomas Fischer über Volksverhetzung . In: Legal Tribune Online, 28.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17348/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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