Nach zehn Jahren könnten die Brüder der ermordeten Hatun Sürücü in der Türkei vor Gericht kommen. Außerdem in der Presseschau: Zschäpe zeigte drei ihrer Pflichtverteidiger an, Maas zum Rechtstaatsdialog mit China und Flucht mit halber Glatze.
Thema des Tages
Türkei - Anklage gegen Sürücü-Mörder: Die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul hat Anklage wegen Mordes gegen zwei Brüder der 2005 erschossenen Berlinerin Harun Sürücü erhoben. Sie war getötet worden, weil sie sich nicht an die Familiensitten halten wollte. Ein dritter Bruder, der damals 18-jährige Schütze, war in Deutschland zu einer inzwischen verbüßten Jugendstrafe verurteilt worden. Die beiden älteren Brüder, die als Mittäter gelten, flohen in die Türkei, wo sie bisher unbehelligt lebten. Auch jetzt wurden sie noch nicht festgenommen. Es berichtete die BamS (Kayhan Özgenc) sowie spiegel.de und Montags-taz (Astrid Geisler).
Rechtspolitik
Schmerzensgeld für Angehörige: Nun beschreibt auch die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) die Pläne von Justizminister Heiko Maas, ein verschuldensunabhängiges Schmerzensgeld für die Angehörigen getöteter Unfallopfer einzuführen. Im Interview mit zeit.de (Sasan Abdi-Herrle) diskutiert Rechtsprofessor Thomas Kadner Graziano die angemessene Höhe des Schmerzensgelds. "Wird es zu niedrig bemessen, kann dies von den Angehörigen als Beleidigung empfunden werden. Auf der anderen Seite kann das Ziel auch nicht lauten, die Angehörigen reich zu machen".
Heribert Prantl (Montags-SZ) schlägt im Leitartikel eine Summe von 100.000 Euro vor. "Es geht nicht um eine Art finanzielle Wiederauferstehung des Toten. Es geht um eine Geste des Rechts – um eine Geste, die anerkennt, dass der Tod eines geliebten Menschen schmerzt." Corinna Budras (FAS) warnt vor übertriebenen Erwartungen: "die Höhe des Schmerzensgelds wird sich in das deutsche Schadensregime einfügen – und das ist aus gutem Grund nicht für üppige Zahlungen bekannt."
Vorratsdatenspeicherung: Im Interview mit der Montags-taz (Christian Rath) lässt sich Justizminister Heiko Maas ausführlich zu seinem Positionswandel bei der Vorratsdatenspeicherung befragen. Entscheidend sei für ihn die Veränderung des innenpolitischen Klimas nach dem Charlie Hebdo-Anschlag gewesen.
Sexualstrafrecht: Der Spiegel (Melanie Amann) stellt Experten-Aussagen zusammen, die die von Justizminister Maas geplante Schließung von Schutzlücken im Sexualstrafrecht für "nutzlos" halten. Dies werde die Verurteilungsquote nicht erhöhen.
Öffnung der Ehe: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Elisa Freiburg argumentiert auf lto.de, dass der Gesetzgeber die Ehe für Homosexuelle durchaus öffnen könne, ohne zuvor das Grundgesetz zu ändern. Das Bundesverfassungsgericht könne das Grundgesetz dort dynamisch auslegen, wo die gewandelten Verhältnisse dies erfordern.
TTIP: Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) weist darauf hin, dass das geplante EU-US-Handelsabkommen TTIP nach seinem Inkrafttreten durch Expertenausschüsse wie den Rat für regulatorische Kooperation verändert werden könnte, ohne erneut das Europäische Parlament zu befassen. Dies stoße auch bei den Regierungen von Frankreich und Deutschland auf Bedenken.
Justiz
BVerfG: Unter der Überschrift "Regieren uns die Rechthaber aus Karlsruhe" bringt die BamS (Daniel Peters/Miriam Hollstein) eine recht differenzierte Darstellung der gängigen Vorwürfe gegen das Bundesverfassungsgericht.
BVerfG zu Betreuungsgeld: Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Greta Böckmann, Sandra Isbarn und Vera Möller zeichnen auf dem Juwiss-Blog die genaue Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsgeld nach. Florentine Fritzen (FAS) sieht durchaus auch eine politische Entscheidung des BVerfG darin, dass es für das Elterngeld eine bundesweite Regelung für sinnvoll hält, während dies für das unbeliebte Betreuungsgeld nicht erforderlich sein soll.
GBA - NSA-Spionage: Im Interview mit dem Spiegel (Sven Röbel/Jörg Schindler - spiegel.de-Zusammenfassung) begründet Generalbundesanwalt Harald Range, warum er auch nach den jüngsten Wikileaks-Enthüllungen keine Ermittlungen wegen Ausspähung der Bundesregierung aufnimmt. Er könne nur aufgrund von Beweisen ermitteln, nicht aufgrund von Hypothesen.
VG München zu Religionsprivilegien: Die Versammlungen des Bunds für Geistesfreiheit sind keine Gottesdienste. Deshalb muss der Raum, in dem sich die Freidenker treffen, auch nicht vom Rundfunkbeitrag befreit werden, entschied das Verwaltungsgericht München. Von der mündlichen Verhandlung berichtet die Samstags-FAZ (Patrick Bahners) im Feuilleton.
OLG München - NSU/Strafanzeige gegen Anwälte: Beate Zschäpe hat drei ihrer Pflichtverteidiger wegen Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht angezeigt. Sie wirft ihnen vor, dass sie dem Senatsvorsitzenden Manfred Götzl mitgeteilt haben, dass Zschäpe von ihnen nicht an einer Aussage gehindert werde. Die Anzeige gilt nicht als erfolgversprechend, wie spiegel.de (Gisela Friedrichsen), zeit.de (Tom Sundermann) und Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) schreiben. Der Spiegel (Dietmar Hipp) sähe den NSU-Prozess auch bei einem Austausch der drei bisherigen Pflichtverteidiger nicht bedroht.
LG Duisburg - Loveparade: blog.beck.de (Henning Ernst Müller) schildert, warum sich sowohl die Veranstalter der Loveparade 2010 als auch die Stadt und die Polizei fahrlässig verhielten und deshalb Verantwortliche auf allen drei Seiten wegen der Todesfälle angeklagt werden müssten.
StA Leipzig - Organspende: Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat gegen zwei Organtransplanteure Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben, da sie Akten manipuliert und daher den Tod von dadurch benachteiligten Patienten in Kauf genommen hatten. sueddeutsche.de (Christina Berndt) berichtet und gibt einen Überblick über die bisherige Aufarbeitung der Skandale.
StA Gera - Vernehmung unter Alkohol: Bei einem Ermittlungsverfahren in der rechten Szene gab die Polizei einem alkoholkranken Beschuldigten während der Vernehmung rund 1,5 Liter Bier zu trinken. Die Staatsanwaltschaft sieht dennoch kein Verwertungshindernis für die Aussage. Focus (Göran Schattauer- focus.de-Zusammenfassung) zitiert Experten, die hier § 136a StPO verletzt sehen.
BGH - GEMA: Am 30. Juli wird der Bundesgerichtshof im Streit zwischen GEMA und Deutscher Telekom verhandeln, ob ein Internet-Provider als Störer für Urheberrechtsverletzungen seiner Kunden haftet und durch welche Überwachungsmaßnahmen er das eventuell verhindern muss. Eine Ankündigung findet sich auf dem Blog petringlegal (Ralf Petring).
Zugang zum Gymnasium: Der Spiegel (Matthias Bartsch/Jan Friedmann) schildert eine Klagewelle von insbesondere hessischen Eltern, deren Kinder nicht auf dem gewünschten Gymnasium zugelassen wurden.
RAin Livonius: Die FAS (Corinna Budras) portraitiert die Rechtsanwältin Barbara Livonius, die im Deutsche Bank-Prozess den ehemaligen Vorstands-Chef Jürgen Fitschen verteidigt. Sie sei eine der wenigen Frauen, die in den großen Wirtschaftsprozessen als Anwältin auftrete.
Recht in der Welt
China - Rechtsstaatsdialog: Im Interview mit dem Spiegel (Melanie Amann) plädiert Justizminister Heiko Maas dafür, den Rechtsstaatsdialog mit China trotz der jüngsten Verhaftungswelle fortzusetzen. "Funkstille wäre schlechter".
Frankreich - Geheimdienst: Der französische Verfassungsgerichtshof hat die jüngst beschlossenen Geheimdienstgesetze im Kern bestätigt. Das berichten zeit.de und Samstags-FAZ (Michaela Wiegel). Danach dürfen Telekom-Verkehrsdaten anlasslos aufgezeichnet und ausgewertet werden.
Frankreich - Hahnenkämpfe: In dieser Woche muss der französische Verfassungsgerichtshof sich mit der Frage beschäftigen, ob es gegen das Gleichheitsprinzip verstößt, dass Hahnenkämpfe nicht in ganz Frankreich verboten sind. Geklagt hatten laut Samstags-SZ (Stefan Ulrich) zwei Männer, die bestraft wurden, weil sie auf der französischen Übersee-Insel Réunion eine Hahnenkampfarena bauten.
Russland - Senzow: Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow steht in Russland vor Gericht, weil er auf der Krim Brandanschläge gegen Büros der russischen Regierungspartei Einiges Russland verübt haben soll. Er bestreitet das. Die Montags-SZ (Frank Nienhuysen) berichtet.
Schweiz - Steuerfahnder: Die Schweizer Bundesanwaltschaft hat gegen einen pensionierten Berliner Steuerfahnder einen Strafbefehl in Höhe von 12.600 Euro auf Bewährung erlassen, berichtet die Montags-SZ (Hans Leyendecker). Dem Mann wurde "Gehilfenschaft zu qualifiziertem wirtschaftlichem Nachrichtendienst" vorgeworfen, weil er den Kontakt zwischen einem Schweizer, der illegal Daten von Steuerhinterziehern kopiert hatte, und der Steuerfahndung in NRW vermittelte.
Sonstiges
Germanwings - Schmerzensgeld für Angehörige: Im Interview mit dem Spiegel (Dinah Deckstein - spiegel.de-Zusammenfassung) erklärt der Germanwings-Anwalt Rainer Büsken, warum die den Angehörigen angebotene Summe angesichts der deutschen Rechtslage relativ großzügig ist. Die dagegen angedrohten Klagen in den USA seien sinnlos.
Ansehen der Justiz: lto.de (Marcel Schneider) referiert zwei Umfragen, die sich mit dem Vertrauen der Deutschen in die Justiz beschäftigen. Immerhin 63 Prozent der Befragten haben viel oder sehr viel Vertrauen in die Justiz, das sind allerdings acht Prozent weniger als vor einem Jahr. Viele wissen nicht, was ein Gerichtsprozess kostet und wie Gesetze entstehen.
Das Letzte zum Schluss
Flucht mit halber Glatze: Ein Mann, der sich in einem bayerischen Friseursalon eine Glatze schneiden ließ, flüchtete vor Vollendung (und Bezahlung) der Dienstleistung, meldet justillon.de (Andreas Stephan). Die Haare waren nur auf einer Kopfhälfte ganz geschoren, auf der rechten Seite waren sie noch 6 mm lang.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. bis 27. Juli 2015: Anklage gegen Sürücüs Mörder – Zschäpe zeigt Anwälte an – Maas für Dialog mit China . In: Legal Tribune Online, 27.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16380/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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