Gewerkschaften müssen an Dritte keinen Schadensersatz für rechtswidrige Streiks zahlen. Außerdem in der Presseschau: Entwürfe zur Suizidhilfe sind verfassungswidrig, ein Hoch auf die abweichende Meinung und verdächtig billige Brötchen.
Thema des Tages
BAG zu Schadensersatz wegen Streik: Wer mit einem Streik nicht anvisiert ist, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz bei rechtswidrigem Streik, entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurteil. Es fehle an dem erforderlichen zielgerichteten Eingriff in den Gewerbebetrieb. Es berichten taz (Christian Rath), FAZ (Joachim Jahn), SZ (Detlef Esslinger) und ausführlich die Rechtsanwältin Kara Preedy und die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Verena Oechslen auf lto.de. Grundlage waren zwei Fälle um Streiks der Gewerkschaft der Flugsicherung. Von den Auswirkungen der Streiks betroffene Fluggesellschaften hatten geklagt. Die Gefahr von Schadensersatzzahlungen an Dritte hätte die Ausübung des Streikrechts zu einem großen Risiko für die Gewerkschaften machen können.
Joachim Jahn (FAZ) begrüßt, dass das BAG erstmals den Grundsatz, dass Streik für Außenstehende höhere Gewalt darstelle, festgehalten habe. Jens Koenen (Handelsblatt) befürwortet das Urteil ebenfalls und weist auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung hin, der das Gesetz zur Tarifeinheit nicht gerecht werde.
Rechtspolitik
Geheimdienstkontrolle: Ein ständiger Sachverständiger soll laut Informationen der SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) wesentlicher Teil des Gesetzentwurfes zur Geheimdienstkontrolle werden. Er soll mit einem großen Mitarbeiterstab den parlamentarischen Kontrolleuren den Sachverstand für effektive Kontrolle liefern.
Heribert Prantl (SZ) begrüßt die Pläne. Mit wirksamer Kontrolle könnte Whistleblowing entbehrlich werden. Seit der Verlagerung der Geheimdienstkontrolle von den Gerichten auf die – mit der Kontrollaufgabe überforderten – Parlamentarier 1968, sei eine solche Regelung dringend notwendig.
Suizidhilfe: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat verfassungsrechtliche Zweifel an den Gesetzentwürfen zur Regelung der Suizidhilfe geäußert. Laut Welt (Matthias Kamann), der das Gutachten vorliegt, werde teilweise bezweifelt, dass sie hinreichend bestimmt sind. Strafbares Verhalten lasse sich von straflosem nicht hinreichend klar trennen. Teilweise würden die Entwürfe zu Eingriffen in das ärztliche Standesrecht führen, für das der Bund keine Gesetzgebungskompetenz hat.
Bannmeile: Bundesjustizminister Maas hat sich gegen die Einrichtung von Bannmeilen um Flüchtlingsunterkünfte ausgesprochen, meldet spiegel.de. Christian Rath (taz) verweist darauf, dass auch als schockierend empfundene Ansichten vom Demonstrationsrecht geschützt seien, wie auch die Wahl des Demonstrationsortes. (Potentiell) gewalttätige Demonstrationen könnten bereits nach geltendem Recht verboten bzw. aufgelöst und Unterkünfte gegebenenfalls durch Auflagen geschützt werden. Friedliche Gegendemonstrationen seien das richtige Mittel. Der demokratische Pluralismus sei nicht das Problem, sondern die Lösung.
Kulturgutschutzgesetz: Die Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts Friederike Fless spricht sich in der FAZ für das Kulturgutschutzgesetz aus. Es bedürfe der geplanten Registrierungen um den Kunstmarkt vom Handel mit Hehlerware aus Raubgrabungen unterscheiden zu können. Der Widerstand des Kunstmarktes sei Hohn gegenüber Ländern, die ihre Kulturgüter vor Raubgrabungen zu schützen suchten und Deutschland nicht zuletzt durch das Unesco-Übereinkommen von 1970 zu einer wirksamen Unterstützung verpflichtet.
Justiz
BGH zu Apple-Patent: Der Bundesgerichtshof hat das Apple-Patent auf die Schiebe-Geste zum Entsperren des Bildschirms für nichtig erklärt, berichtet die FAZ (Joachim Jahn). Die grafische Darstellung eines Schiebereglers beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, sondern sei bereits zuvor beschrieben worden.
Patrick Bernau (FAZ) macht auf die Zunahme von Patentstreitigkeiten aufmerksam. Dafür sei der Patentschutz nicht da und es hindere die Verbreitung guter Ideen gerade kleiner Firmen, die sich zu sehr mit Patentstreitigkeiten befassen müssten. Auch Christof Kerkmann (Handelsblatt) kritisiert den geringen Nutzen vieler Patente. Die Rechtsstreite gäben jedoch rechtliche Anhaltspunkte für kleine Unternehmen, welche Lizenzforderungen berechtigt sein können.
BGH zu Absetzen von Prozesskosten: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Kosten von Zivilprozessen nicht beim Finanzamt geltend gemacht werden können, meldet die FAZ (Joachim Jahn).
BAG zu Befristung: Rechtsanwalt Gregor Dornbusch befasst sich in der FAZ mit der Verlängerung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters. Nach einem nun veröffentlichten Urteil des Bundesarbeitsgerichts sei die Vereinbarung einer befristeten Verlängerung erschwert worden. Der erforderliche sachliche Grund für die Befristung liege nur vor, wenn der Arbeitnehmer konkret rentenberechtigt sei oder die Verlängerung ausschließlich oder überwiegend aus sozialen Gründen vereinbart werde.
BFH zur Steuerdatenspeicherung: Von dem Urteil des Bundesfinanzhofes, nach dem Steuerdaten nach Abschluss der Betriebsprüfung nur noch in den Diensträumen der Finanzverwaltung gespeichert werden dürfen, berichtet nun auch die FAZ (Joachim Jahn).
LG Ravensburg zu "bekömmlich": Bier darf mit dem Begriff "bekömmlich" nicht beworben werden, entschied das Landgericht Ravensburg im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Rechtsanwalt Christian Robertz meint auf lto.de, dass diese Rechtsprechung dem Bild des "mündigen Verbrauchers" nicht gerecht werde. Auch die FAZ (Joachim Jahn) beschreibt das Urteil und die zugrundeliegende unionsrechtliche Regelung. Laut Handelsblatt (Georg Weishaupt) will die Brauerei Rechtsmittel einlegen.
LG Trier zu Parteimitgliedschaft: Das Landgericht Trier hat entschieden, dass kein Recht darauf besteht, von einer Partei aufgenommen zu werden, meldet lawblog.de (Udo Vetter). Aus dem Grundrecht der Parteien- und Vereinigungsfreiheit ergebe sich vielmehr das Recht einer Partei einen Bürger nicht aufzunehmen.
FG RP zu elektronischer Steuererklärung: Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass jeder, der mehr als 410 Euro aus selbstständiger Arbeit erziele eine elektronische Steuererklärung abzugeben habe. Absolute Geheimhaltung von Daten sei ohnehin nicht zu garantieren. Das meldet die FAZ (Joachim Jahn).
Zuckerkartell: lto.de schreibt zu der Klagewelle, die am "Zuckerkartell" beteiligte Unternehmen überrollt. Es zeige sich eine Veränderung im Umgang mit Kartellsündern in Deutschland. Die frühere Bedeutung der Bußgelder würde von Schadensersatzforderungen verdrängt, die sie mittlerweile um ein Vielfaches übersteigen.
StA Frankfurt – vermuteter Anschlag: Es mehren sich Zweifel, ob der in Untersuchungshaft sitzende Halid D. mit seiner Frau tatsächlich einen Anschlag auf das Radrennen in Frankfurt plante, schreibt die SZ (Lena Kampf). Die gefundene "Rohrbombe" sei laut Sachverständigem eher der Nachbau eines Böllers und könnte eine vergleichsweise harmlose Erklärung haben. Das Wasserstoffperoxid sei zur Schimmelbekämpfung im Keller verwendet worden, wie ein Sachverständiger bestätigte.
Kita-Plätze: Das Handelsblatt (Stefani Hergert) befasst sich mit der trotz des seit 2013 bestehenden Rechtsanspruchs geringen Zahl an Klagen auf Kita-Plätze – bisher deutschlandweit etwa 900. Der Gang zu Gericht sei eine hohe Hürde. Bei doch eingereichten Klagen werde allerdings häufig schnell ein Platz gefunden und so ein Urteil vermieden. In einem weiteren Beitrag fasst das Handelsblatt (Stefani Hergert) die wichtigsten bereits ergangenen Urteile zusammen. Am heutigen Mittwoch entscheidet das Oberlandesgericht Dresden über den Ersatz von Verdienstausfall für Mütter, die mangels Kita-Platz nicht arbeiteten.
Recht in der Welt
Internationaler Schiedsgerichtshof zu "Arctic Sunrise": Der Internationale Schiedsgerichtshof hat laut lto.de entschieden, dass das niederländisch beflaggte Greenpeace Schiff "Arctic Sunrise" rechtswidrig von russischen Einheiten geentert wurde. Die genaue Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes sei noch festzulegen. Laut taz (Bernhard Clasen) bestreitet Russland die Zuständigkeit des Gerichtshofs.
Russland – Senzow Prozess: Der international kritisierte Prozess gegen den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow vor einem russischen Militärgericht endete mit 20 Jahren Lagerhaft für den Angeklagten und 10 Jahren Haft für seinen Mitangeklagten, schreiben unter anderem die taz (Anna Gordijenko) und zeit.de.
Sonstiges
Dublin III-Verfahren ausgesetzt: Bei syrischen Flüchtlingen soll aus humanitären Gründen das Dublin-Verfahren nicht mehr durchgeführt werden. Das besagt laut spiegel.de (Maik Großekathöfer u.a.) und zeit.de eine Leitlinie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dies sei zwar keine "formal bindende Vorgabe", entlaste aber die Behörden, da der jeweilige Erstaufnahmestaat nicht mehr aufwendig ermittelt werden müsse. Die Regelung gelte auch für schon laufende Rücknahmeverfahren, meldet die taz (Christian Jakob).
Abweichende Meinung: In seiner Kolumne setzt sich Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de mit dem Wert kritischer Auseinandersetzung für die rechtliche Diskussionskultur – nicht nur unter Juristen – auseinander. Er spricht sich dafür aus, auch Bundesrichtern abweichende Voten zu ermöglichen, wie sie beim Bundesverfassungsgericht üblich sind.
Steuerdatenaustausch: Rechtsanwältin Beatrix Perkams beschreibt in der FAZ nach welchen rechtlichen Regeln deutsche Behörden bereits derzeit Steuerdaten aus der Schweiz anfordern können und welche Regelungen in absehbarer Zukunft zu erwarten sind.
Demokratisches Europa: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Peter Conradi (SPD) mahnt in der SZ die EU-Kommission und das EU-Parlament zur Achtung des Subsidiaritätsgrundsatzes. Minimierung nationalstaatlicher Regelungskompetenz durch "selbstherrlichen EU-Zentralismus" schwäche die Demokratie. Die Forderung nach "mehr EU" fördere die Akzeptanzkrise eines gerade von seiner Vielfalt lebenden Europa, das nur durch den Willen zur friedlichen Kooperation der Nationalstaaten entstanden sei, deren Selbstbestimmungsrecht man achten müsse.
Das Letzte zum Schluss
Verdächtig billige Brötchen: Stolze 24 Tonnen Mehl haben Unbekannte samt LKW-Anhänger auf einem Autohof in Niedersachsen entwendet. Die Polizei bittet darum, bei verdächtig billigen Brötchenofferten die nächste Dienststelle zu benachrichtigen, meldet die taz.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. August 2015: Streikrecht gerettet – Apple-Patent nichtig – Bier nicht "bekömmlich" . In: Legal Tribune Online, 26.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16705/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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