Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es eine Staateninsolvenz mit Gläubigerquoten nicht gibt. Außerdem in der Presseschau u.a.: Kritik am Entwurf zur Verbandsklage wegen Datenschutzverstößen, Klage wegen des Welfenschatzes ,Handyrechnungen auf Papier sind regelmäßig kostenlos, auch fleißige Rentner können ihr Arbeitszimmer absetzen, und Thomas Fischer will die lebenslange Haftstrafe abschaffen.
Thema des Tages
BGH zu privaten Staatsgläubigern: Nach der argentinischen Staatspleite 2002 und ausgerufenem Notstand haben inzwischen 93 Prozent der Gläubiger von argentinischen D-Mark-Anleihen auf den Großteil der ihnen geschuldeten Summe verzichtet. Den übrigen – jedenfalls denen von ihnen, die nun klagten – hat Argentinien die volle Summe zu zahlen, entschied der Bundesgerichtshof, wie SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath) und FAZ (Joachim Jahn) berichten. Dass Argentinien sich gegenüber privaten Gläubigern nicht auf Notstand berufen kann, hatte bereits 2007 das Bundesverfassungsgericht entschieden. Der BGH wies nun auch das Argument zurück, alle Gläubiger müssten gleich behandelt werden, auch wer nicht verzichtet habe, müsse sich also mit einer Quote zufrieden geben. Das liefe auf ein Insolvenzrecht des Staates hinaus, das es jedoch "unzweifelhaft" nicht gebe. Die heute üblichen Klauseln bei Staatsanleihen, die eine solche Regelung ermöglichen, gab es seinerzeit nicht.
EuGH – private Staatsgläubiger: Die SZ (Wolfgang Janisch) weist im gleichen Artikel auf die Klage italienischer Gläubiger griechischer Staatsanleihen hin, die am heutigen Mittwoch vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wird. Aufgrund der besagten Klauseln versuchen dort die Kläger Schadensersatz von der Europäischen Zentralbank wegen deren Rolle bei der Umwandlung griechischer Staatsschulden zu erhalten.
Rechtspolitik
Entwurf zu Datenschutz-Verbandsklagen: Rechtsanwalt Torsten Gerhard setzt sich in der FAZ mit dem Kabinettsentwurf zum Klagerecht von Verbraucherverbänden bei Datenschutzverstößen auseinander. Neben dem Klagerecht der Bürger und dem Kollektivschutz über Datenschutzbeauftragte seien Verbandsklagen nicht erforderlich. Sie würden nur Kosten bei deutschen Unternehmen verursachen, Unternehmen mit Sitz im Ausland sei damit mangels Anwendbarkeit deutschen Rechts nicht beizukommen.
Freihandelsabkommen: Die FAZ (Helene Bubrowski/Klaus-Dieter Frankenberger) schreibt zu Kritikpunkten an TTIP und Ceta, die in Deutschland zu einer überwiegenden Ablehnung der Abkommen führen. Das Vorsorgeprinzip – dessen befürchteter Verlust hinter dem symbolischen Chlorhühnchen stehe – sei schon jetzt bei internationalen Produkten nicht ohne weiteres anwendbar. Subventionen an Kulturschaffende – deren Zahlung an ausländische Einrichtungen befürchtet werde – seien von den Abkommen gar nicht erfasst. Schiedsgerichte seien in vielen Punkten – etwa der Veröffentlichung der Entscheidungen sowie der Kürze der Prozesse – staatlichen wie auch internationalen Gerichten vorzuziehen.
Fluggastdatenspeicherung: netzpolitik.org veröffentlicht den EU-Parlamentsentwurf zur Fluggastdatenspeicherung, der am Donnerstag vorgestellt werden soll.
Entwurf zur Frauenquote/Männerförderung: lto.de stellt die Meinungen der am Montag im Frauen- und Rechtsausschuss gehörten Experten zum Regierungsentwurf zur Frauenquote dar. Die gleich mitgeregelte Förderung von Männern bei Unterrepräsentanz in Bereichen des öffentlichen Dienstes halten Verfassungsrechtler für verfassungswidrig, da dadurch allein noch keine Benachteiligung bestehe, berichtet auch die taz (Heide Oestreich).
Justiz
BGH zu Kosten für Handyrechnungen auf Papier: Für Rechnungen in Papierform dürfen Mobilfunkanbieter, sofern nicht der Vertrag ausschließlich im Internet angeboten wurde, keine zusätzlichen Zahlungen verlangen, hatte der Bundesgerichtshof letzten Oktober entschieden. Darauf, und auf die Urteile weiterer Gerichte, die sich dem BGH anschlossen, weist der Bundesverband der Verbraucherzentralen laut SZ hin und fordert Kunden auf, ihre Rechnungen und Verträge zu prüfen.
BFH zu Arbeitszimmer für Rentner: In einem am Dienstag veröffentlichten Urteil entschied der Bundesfinanzhof laut FAZ (Joachim Jahn), dass auch ein Rentner bzw. Pensionär die Kosten für ein Arbeitszimmer voll von der Steuer absetzen kann. Er braucht dazu Arbeitseinkünfte neben der Rente oder Pension und das Arbeitszimmer muss Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit sein, wie bei dem als Gutachter arbeitenden Kläger, einem Ingenieur im Ruhestand.
BFH zu Privatkliniken: Der Bundesfinanzhof hat laut SZ entschieden, dass Privatkliniken mit hohem Anteil gesetzlich versicherter Patienten steuerlich nicht schlechter gestellt werden dürfen als öffentliche Kliniken. Eine Beschränkung des Wegfalls der Umsatzsteuer, wie bisher, auf Kliniken mit Versorgungsverträgen mit den gesetzlichen Kassen, solche, die in den Krankenhausplan des Landes aufgenommen sind oder Unikliniken sei nicht mit geltendem Recht vereinbar.
BGH zu Befangenheit: Der Bundesgerichtshof hat laut FAZ (Joachim Jahn) entschieden, dass Richter in dem Prozess einer früheren Prozesspartei gegen ihren damaligen Anwalt nicht schon deshalb als befangen gelten müssen, weil sie bereits in dem vorherigen Prozess entschieden haben.
LG Stuttgart zu Mappus gegen Gleiss Lutz: das Landgericht Stuttgart hat entschieden, dass die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz dem ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus schon deshalb keinen Schadensersatz wegen Falschberatung beim ENBW-Anteilskauf zahlen muss, weil Mappus persönlich kein Haftungsrisiko eingegangen sei. Der Anteilskauf war am Parlament vorbei abgewickelt worden und später vom Staatsgerichtshof als verfassungswidrig eingestuft worden, berichtet die FAZ (ols).
LG Düsseldorf – Freispruch nach 8 Jahren: Acht Jahre nach der Tat, zu der ein Mann in Düsseldorf Beihilfe geleistet haben soll, hat ihn das dortige Landgericht nun freigesprochen, berichtet die SZ. Dabei steht der Fall – der allein bei Gericht fünf Jahre unbearbeitet herumlag – symbolisch für die Folgen einer Überlasteten Justiz.
LG Bonn – WCCB-Verfahren: Der Prozess gegen zwei städtische Projektleiter beim Bau des World Conference Center Bonn wegen Betrugs, Untreue und Beihilfe zur Untreue begann am gestrigen Dienstag vor dem Landgericht Bonn. Die taz (Anja Krüger) berichtet zum Prozessauftakt.
OLG München – NSU-Prozess: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet von der Aussage einer Zeugin im NSU-Prozess, welche die Angeklagte Zschäpe, kurz bevor diese mutmaßlich ihre Wohnung in Brand setzte, als ungewohnt aggressiv und hartem Alkohol zugeneigt beschrieb. Anschließend wurde die Verhandlung abgebrochen, weil es der Angeklagten, der offensichtlich die lange U-Haft zu schaffen mache, nicht gut ging.
LG Köln – Schadensersatzprozess Kachelmann: An diesem Mittwoch beginnt die Verhandlung im Prozess Jörg Kachelmann gegen Bild, bild.de, Focus und Bunte. Der ehemalige Wettermann verlangt insgesamt 3,25 Millionen Euro Schadensersatz wegen der Berichterstattung zur Zeit des Strafprozesses wegen Vergewaltigung gegen ihn. Es ist die wohl höchste geforderte Schadensersatzsumme im Zusammenhang mit Presseveröffentlichungen vor einem deutschen Gericht, meldet das Handelsblatt (Kai-Hinrich Renner).
LG Bochum – Schienenkartellprozess: Wie das Handelsblatt (Martin Murphy) berichtet, hat das Landgericht Bochum im Schienenkartellprozess das Verfahren gegen die Manager abgetrennt. Gegen die weitgehend geständigen unteren Mitarbeiter der involvierten Firmen soll das Verfahren bis Juli abgeschlossen sein. Anschließend soll das Verfahren gegen die ihre Beteiligung bestreitenden Manager geführt werden.
Recht in der Welt
EGMR zu heimlichen Videoaufnahmen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat laut internet-law.de (Thomas Stadler) entschieden, dass die Verurteilung von vier Journalisten in der Schweiz wegen eines heimlich aufgenommenen Videos und dessen Veröffentlichung gegen die Meinungsfreiheit verstoße. Wegen journalistischen Interesses, der Verpixelung der Bilder und Fertigung der Aufnahmen außerhalb privater Räume wögen die Persönlichkeitsrechte des Gefilmten weniger schwer als die Meinungsfreiheit.
USA – Klage wegen Welfenschatz: Die Erben einstiger Eigentümer des Welfenschatzes haben die Bundesrepublik Deutschland in Washington auf die Herausgabe der Stücke verklagt, die erst nach der Machtergreifung und nach Ansicht der Kläger unter Verfolgungsdruck durch die Nazis verkauft wurden, berichtet die FAZ (Stefan Koldehoff). Die Limbach-Kommission hatte sich 2014 gegen eine Restitution ausgesprochen, da der Verkauf nicht unter Wert erfolgt sei.
USA – strafbarer Link: Die taz (Johannes Gernert/Meike Laaff) befasst sich mit der Verurteilung des Journalisten Barrett Brown in den USA wegen des Postens eines Links und den möglichen Folgen auch für Investigativjournalisten in Deutschland. Diese seien nach deutschem Recht weitgehend geschützt, könnten beim Verlinken auf amerikanische Quellen jedoch gegebenenfalls belangt werden.
Sonstiges
"Schafft Lebenslang ab": Bundesrichter Thomas Fischer führt auf zeit.de in seiner Kolumne seine Auseinandersetzung mit der lebenslangen Freiheitsstrafe fort. In einem System, das Strafe an Schuld messe, sei ein plötzlicher Sprung ins absolute Lebenslang fehl ab Platz. Nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts bleibe von der lebenslangen Freiheitsstrafe sowieso nur noch ein symbolischer Rest.
Facebook-Bedingungen unionsrechtswidrig: Nach einer universitären Studie aus Belgien verstoßen die neuen Nutzungsbedingungen von Facebook gegen Unionsrecht – das Verbraucherschutzrecht und die Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln in Verbraucherverträgen. Die Studie gibt der Prüfung von Klagemöglichkeiten neuen Aufwind, berichtet die taz (Lea Deubner).
Überwachung durch den Arbeitgeber: zeit.de (Tina Groll/Sabine Hockling) stellt dar, unter welchen Umständen Arbeitgeber Videokameras auf ihre Arbeitnehmer richten dürfen, wie mit den Daten umzugehen ist und welche Folgen die unzulässige Überwachung für den Arbeitgeber hat.
TV-Sendungen und Menschenwürde: Rechtsanwalt Felix Hilgert und Rechtswissenschaftler Philipp Sümmermann setzten sich auf lto.de mit der Frage auseinander, inwiefern die Menschenwürde durch TV-Sendungen verletzt wird und auf welcher Grundlage sonst Sendungen verboten wurden bzw. was nicht untersagt wurde. Die Menschenwürde spiele außer bei gefilmten Kindern kaum eine Rolle. Auf Zuschauerseite setzen Minderjährige jedenfalls eine zeitliche Grenze für die Ausstrahlung.
Das Letzte zum Schluss
Der Jurist als Sprachkünstler: justillon.de (Andreas Stephan) hat ein Urteil in Reimform aus 1987 ausgegraben und verlinkt gleich noch auf weitere Funde juristischer Reimkunst.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. Februar 2015: Kein Insolvenzrecht des Staates - Kein Schadensersatz für Mappus - Keine Begeisterung für Frauenquote-Entwurf . In: Legal Tribune Online, 25.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14783/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag