Die Briten wollen raus. Das BVerwG mahnt den DIHK bei politischen Äußerungen zur Zurückhaltung. Außerdem in der Presseschau: Neue Sicherheitsbehörde, das Handelsblatt rankt die besten Anwälte und positive Diskriminierung.
Tagesthema
Briten für Brexit*: Die Briten haben für den Brexit gestimmt. Großbritannien verlässt die EU. Wie u.a. heute.de im Liveblog meldet, stimmte die Mehrheit der Briten bei dem EU-Referendum für einen Ausstieg aus der Europäischen Union. Der Vorsprung des Brexit-Lagers mit 16,8 Millionen Stimmen ist nach übereinstimmenden Medienmeldungen uneinholbar, nur noch ein Bezirk ist noch nicht ausgezählt.
Zuletzt hatten die britischen Meinungsforscher eher damit gerechnet, dass die Engländer und Nordiren sich für "Remain" aussprechen würde. Brexit-Gegner David Cameron ist bislang nicht vor die Kameras getreten, es ist zweifelhaft, ob er im Amt verbleiben wird. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon betonte bereits, dass Schottland sich weiter als Teil der EU fühle. Deutsche Politiker bedauerten die Entscheidung der Briten. Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, zeigte sich im ZDF-Morgenmagazin nicht allzu überrascht, machte aber klar, dass man nüchtern mit der Situation umgehen und entscheiden müsse, was das für die Union, aber auch für UK bedeutet.
Rechtspolitik
Neue Sicherheitsbehörde "Zitis": Wie die SZ (Georg Mascolo/Nicolas Richter) weiß, plant die Bundesregierung die Einrichtung einer neuen Sicherheitsbehörde, die "Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich", kurz "Zitis". Diese soll im kommenden Jahr mit ihrer Arbeit beginnen, namentlich der Entwicklung oder dem Ankauf von Entschlüsselungstechniken für Internet und Messenger-Dienste. Dies sei eine Reaktion auf immer weiter verbreitete Verschlüsselungssysteme bei Telekommunikationsanbietern. Die Techniken sollen zunächst der Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz zur Verfügung, nicht aber dem Bundesnachrichtendienst, zur Verfügung gestellt werden; später seien aber Kooperationen mit den Bundesländern geplant. Selbst abhören soll Zitis indes nicht.
Geheimdienstkontrolle: Über die Pläne der Bundesregierung zur Verbesserung der Geheimdienstkontrollen, insbesondere durch den Einsatz eines "ständigen Bevollmächtigten" für das Parlamentarische Kontrollgremium, spricht die taz (Christian Rath) mit Wolfgang Nešković, ehemaliger Bundesrichter und Bundestagsabgeordneter. Nešković meint, das Parlament müsse sich selbst um die Kontrolle kümmern, dazu brauche es aber Minderheitenrechte im Kontrollgremium.
Anti-Terror-Paket: Vor der heutigen Abstimmung im Bundestag über das geplante Anti-Terror-Paket fasst die SZ (Ronen Steinke) die wichtigsten Änderungen der Regeln für Sicherheitsbehörden zusammen. So soll etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz künftig auch Erkenntnisse über 14 bis 16-jährige speichern dürfen; die Bundespolizei soll verdeckte Ermittlung auch präventiv einsetzen können und nicht wie bisher nur bei Ermittlungen wegen einer konkreten Straftat.
Kulturschutz: Der Bundestag hat am gestrigen Donnerstag über das neue Kulturgutschutzgesetz beschlossen, am 8. Juli kommt der Entwurf in den Bundesrat. Das neue Gesetz soll zum einen die Ausfuhrbestimmungen für deutsche Kulturgüter regeln und zum anderen die Einfuhr von Raubkunst verhindern. Dazu berichten u.a. die taz (wbg) und zeit.de.
Patrick Bahners (FAZ) setzt sich mit den "maßlosen Kritikern" der Novellierung auseinander, die insbesondere auch den Begriff des national wertvollen Kulturgutes angreifen.
Arbeitnehmerschutz in der digitalisierten Industrie: Angesichts der Allgegenwärtigkeit und Vernetzung digitaler Geräte, die zu einem Bruch traditioneller Geschäftsmodelle, Logistikketten, Produkte und Dienstleistungen führe, fragen sich die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Hans Bechtolf und Thomas M. Zöllner (juwiss.de): Zeit für Arbeitsschutzrecht 2.0?
Anm. d. Red.: Absatz eingefügt und Überschrift und Teaser geändert, nachdem das Ergebnis des Referendums nach 7:30 Uhr zu 99% fest stand.
Justiz
BVerwG zu DIHK-Lobbyismus: Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem nun veröffentlichten Urteil entschieden, dass der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sich mit allgemeinpolitischen Aussagen zurückhalten müsse, soweit es nicht um Themen geht, die mit der Wirtschaft im jeweiligen Kammerbezirk zu tun hätten. So seien Aussagen von DIHK-Vertretern etwa zu Mindestlohn oder Mütterrente nicht von der Kammerkompetenz gedeckt. Diese übernehmen hoheitliche Aufgaben – etwa die Abnahme von Ausbildungsprüfungen – wobei ihnen keine Grundrechte zustehen. Geklagt hatte ein Anbieter von Windenergieanlagen und Mitglied in der IHK Nord Westfalen: Nachdem sich der DIHK 2007 gegen den Ausbau erneuerbarer Energien ausgesprochen hatte, hatte das Mitglied klageweise verlangt, dass seine Kammer aus dem Verband ausscheide. Darüber hat nun das Oberverwaltungsgericht Münster zu entscheiden. Dazu berichtet die SZ (Thomas Öchsner).
Separat gibt die SZ (Thomas Öchsner, Wirtschaftsteil) einen Überblick in Frage-Antwort Form darüber, was die Vertreter des DIHK noch sagen dürfen und was die Kammern "sonst so machen".
Heribert Prantl (SZ) kommentiert das Urteil: "Maulkorb, Zensur, Skandal? Gemach!" – Letztendlich stärke die Entscheidung die "Grundrechte der Menschen gegen Staat und Zwangskörperschaften".
BVerfG zu OMT-Programm: Über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum OMT-Programm der EZB und den langen Weg dahin spricht mit swr.de (Gigi Deppe) sehr ausführlich der Berichterstatter im Verfahren Peter Michael Huber: "Unser zentrales Anliegen war es, die europäische Rechtsgemeinschaft zu stärken".
BVerwG zu Schleichwerbung: Die Rechtsanwälte Robert Heine und Martin Bastius besprechen für lto.de ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Verbot von Schleichwerbung im TV vom vergangenen Dienstag, wonach Schleichwerbung auch dann verboten sei, wenn ein Sender auf den Inhalt einer eingekauften Sendung keinen Einfluss nehmen konnte. Erläutert wird der Rechtsrahmen und die zulässigen Möglichkeiten des sogenannten Product Placement.
BGH zu Couponeinlösung: Geschäfte dürfen Coupons oder Rabattmarken auch von anderen Unternehmen einlösen, es liege kein Wettbewerbsverstoß vor, so der Bundesgerichtshof laut lawblog.de (Udo Vetter). Der BGH argumentierte, ein fremder Kundenkreis werde nicht unzulässig betroffen, da Coupon-Empfänger allenfalls zukünftige Kunden seien.
VG Frankfurt zu Exportantrag für Sturmgewehre: Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Main) hat gestern entschieden, dass die Bundesregierung nach über zweieinhalb Jahren über den Exportantrag von Heckler & Koch für die Lieferung von Teilen des Sturmgewehres G36 nach Saudi-Arabien entscheiden muss. Das melden FAZ (Susanne Preuß) und zeit.de.
"Deutschlands beste Anwälte": Das Handelsblatt widmet in einem Spezial Deutschlands besten Anwälten zwei doppelseitige Beiträge und veröffentlicht auf handelsblatt.com Rankings mit den besten Kanzleien und Anwälten des Jahres 2016 aufgegliedert nach Fachgebieten. Im Beitrag "Boomendes Geschäft mit der Angst" (Marcus Jung) geht es um die Unterstützung von Unternehmen durch Kanzleien bei der Untersuchung und Aufarbeitung von Skandalen; unter "Zögerlicher Aufbruch ins Digital-Zeitalter" (Désirée Balthasar) wird umfassend analysiert, welche Chancen die Digitalisierung für Wirtschaftskanzleien und neue Berufsbilder bietet, dazu werden knapp sieben vielversprechende Legal-Tech-Firmen vorgestellt.
Einstieg in Großkanzleien: lto.de (Sabine Olschner) befasst sich mit der Frage, wie Juristen in die Großkanzleien kommen und warum es für die Kanzleien heute nicht mehr so einfach ist, die "Top-Juristen" zu bekommen.
StA Oldenburg - Tödlicher Pfleger: Mit dem Fall des bereits wegen zweifachen Mordes verurteilten Krankenpflegers Niels H., der nach Ermittlungen mindestens 33 weitere Menschen getötet hat, befasst sich die BerlZ (Christian Bommarius), dabei insbesondere mit dem Dunkelfeld bei Patiententötungen, das das verschärfte Interesse der Kriminalpolitik finden müsse.
Recht in der Welt
Österreich – Wahlanfechtung: Nach den vier Verhandlungstagen mit 90 Zeugen vor dem österreichischen Verfassungsgericht zur Anfechtung des Stichentscheids bei der Bundespräsidentenwahl stehen die Erfolgsaussichten für die Klage der FPÖ alles andere als schlecht, so die SZ (Cathrin Kahlweit) in einem ausführlichen Bericht. Insbesondere die Auswertung der Briefwahlkuverts sei gesetzeswidrig bereits am Wahltag und nicht erst am Folgetag begonnen worden. "Dass sich einer bei der Stimmauszählung an die Vorschriften gehalten hat, ist die Ausnahme, nicht die Regel", resümiert die SZ. Dazu auch zeit.de.
Separat erläutert die SZ (Cathrin Kahlweit), gesetzliche Voraussetzung für den Verwurf sei der Nachweis, dass die festgestellten Fehler tatsächlich Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben; allerdings werde damit gerechnet, dass das Gericht die Möglichkeit einer Einflussnahme ausreichen lassen werde. Wiederholt werden müsste dann aber wohl nur der Stichentscheid.
EGMR zu Richterentlassung in Ungarn: Laut der taz (Ralf Leonhardt) hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Amtsenthebung des obersten ungarischen Richters András Baka durch die ungarische Regierung für unrechtmäßig erklärt. Die Kammer entschied damit über eine von Ungarn eingelegte Berufung gegen eine Entscheidung des EGMR aus 2014.
Russland – Olympia-Sperre: Wie lto.de knapp meldet, will Russland die bereits angedrohte Klage gegen die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ausgesprochene Teilnahmesperre für die Sommerspiele in Brasilien in der kommenden Woche beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) einreichen.
USA – Affirmative Action rechtmäßig: Der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, hat im Fall Abigail Fischer die Praxis der "positiven Diskriminierung" im Zulassungsverfahren an der Universität Texas für rechtmäßig erklärt, so spiegel.de. Die Universität, so wie andere auch, berücksichtigen neben Noten die ethnische Zugehörigkeit von Bewerbern im Auswahlprozess.
USA – Patt bei Einwanderungspolitik: Der Supreme Court kann kein Urteil über die Einwanderungspolitik von US-Präsident Obama fällen, es liege eine vier-zu-vier Pattsituation unter den Richtern vor, so zeit.de. Die Reform hatte es erleichtern sollen, für etwa vier Millionen illegale Einwanderer eine reguläre Arbeitserlaubnis zu erhalten. Wegen des Patts bleib es nun aber bei der Entscheidung des Berufungsgerichts, welches die Reform gestoppt habe.
Sonstiges
Kein Handschlag für Lehrerin: Den Fall um einen verweigerten Handschlag eines Imams im Gespräch mit der Lehrerin seines Sohnes an einer Berliner Privatschule kommentiert Jost Müller-Neuhof (Tsp): "In welche Feudalgesellschaft wollen wir zurück, in der als falsch empfundene Grußrituale Sanktionen nach sich ziehen sollen?". Körperkontakt werde einvernehmlich vollzogen, oder gar nicht.
Völkermord: Die Vernichtung der Herero und Nama in den Jahren 1904 und 1905 erfüllt den Tatbestand des Völkermords, so Peter Sturm (FAZ, Zeitgeschehen-Teil) in einem ausführlichen Beitrag unter dem Titel "Tod in der Wüste".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Juni 2016: Briten für Brexit/ BVerwG gegen DIHK-Lobbyismus / Deutschlands beste Kanzleien . In: Legal Tribune Online, 24.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19779/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag