Kehrtwende im Wirtschaftsministerium: Minister Gabriel will europäischen Investorenschutz. Außerdem in der Presseschau: OVG Münster erlaubt das Töten von männlichen Küken und BVerfG billigt Schockbilder auf Zigarettenpackungen.
Thema des Tages
Investorenschutz: Deutschland und vier weitere Staaten wollen einen EU-weiten Investorenschutz mit zugehörigem EU-Schiedsgericht einrichten. Mit diesem neuen Abkommen sollen die mehr als 200 bilateralen Investitionsschutz-Vereinbarungen zwischen EU-Staaten ersetzt werden. Christian Rath (Montags-taz) wundert sich über den Vorstoß, denn das Wirtschaftsministerium habe bisher immer die Auffassung vertreten, dass spezieller Investitionsschutz zwischen Ländern mit belastbarer Rechtsordnung nicht erforderlich sei. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beweise hier kein Gespür: "Wie kann man in einer Situation, in der die Stimmung gegen TTIP längst gekippt ist, heimlich eine Ausweitung der Sonderrechte für Investoren auf ganz Europa vorantreiben?"
Einzelheiten zur vorgeschlagenen Ausweitung des Investitionsschutzes berichtete bereits die Samstags-taz (Christian Rath).
Rechtspolitik
Mord: Die Bundestagsfraktion von CDU/CSU hat sich gegen die Pläne von Bundesjustizminister Heiko Maas ausgesprochen, § 211 StGB zu reformieren, berichtet spiegel.de. Die Fraktion hält Änderungen für überflüssig, die Rechtsprechung habe für alle Grenzfälle durchweg akzeptable Lösungen gefunden, wird die rechtspolitische Sprecherin Elisabeth Winkelmeier-Becker zitiert.
Sexualstrafrecht: Peter Praschl (WamS) ist der Auffassung, dass die derzeitige Regelung zur strafrechtlichen Verfolgung der Vergewaltigung ausreichend ist und wendet sich gegen Änderungen. Er weist darauf hin, dass Strafrecht immer auch den Angeklagten schützt, der bis zu seiner Verurteilung als unschuldig zu gelten habe. Deshalb müsse der Tatbestand der Vergewaltigung möglichst objektiv gefasst werden.
Prepaid-Handys: Laut netzplitik.org (Andre Meister) will die Bundesregierung bereits in dieser Woche ein neues Anti-Terror-Paket beschließen, in dem unter anderem eine Identifikationspflicht für Prepaid-SIM-Karten vorgesehen ist. Provider und Händler sollen verpflichtet werden, bei Prepaid-Nutzern von Mobilfunkgeräten stets ein gültiges Identitätsdokument mit vollständigen Adressangaben zu verlangen. Für pseudonyme Prepaid-Karten gebe es jedoch zahlreiche Gründe, so Meister, angesichts der immensen Sensibilität und Aussagekraft von Mobilfunktdaten.
Integrationsgesetz: Heribert Prantl (SZ) analysiert das geplante Integrationsgesetz. Das Problem an der Neuregelung bestehe vor allem darin, dass es seine Ziele nicht klar formuliere und keine ausreichende Rechtssicherheit bringe. Für die Kommunen ist die Finanzierung der vorgesehenen Maßnahmen noch nicht ausreichend geklärt, berichtet die FAZ (Jasper von Altenbockum). Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag haben deshalb in einer Stellungnahme das geplante Gesetz heftig kritisiert.
Sammelklagen: In einem Gastkommentar für das HBl spricht sich Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, gegen die Einführung von Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild aus. Die von Bundesjustizminister Maas vorgesehene Musterklage würde dagegen sowohl den Geschädigten als auch den Unternehmen, insbesondere kleineren Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilung, helfen.
Whistleblower: Die Montags-SZ (Cerstin Gammelin/Markus Zydra) setzt sich mit dem geplanten Gesetz zur Änderung des Finanzdienstleistungsgesetzes auseinander, das einen besseren Schutz für Whistleblower verspricht. Momentan traue sich aber noch nicht einmal das Bundesfinanzministerium selbst, eine Einschätzung darüber abzugeben, wie effektiv das Gesetz tatsächlich wäre.
Maßregelvollzug: Niedersachsen will den Maßregelvollzug ändern, berichtet die Samstags-SZ (Thomas Hahn). Sozialministerin Cornelia Rundt hat verfügt, dass richterliche Beschlüsse zum Maßregelvollzug künftig an das Ministerium zu melden sind. Um Fehler bei Lockerungsentscheidungen zu vermeiden, soll eine zentrale Prüfstelle den niedersächsischen Einrichtungen zur Seite gestellt werden.
Unterhalt: Der Deutsche Anwaltverein spricht sich für ein einfacheres Unterhaltsrecht aus und hat dazu einen Reformvorschlag vorgelegt, dessen Inhalt die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) zusammenfasst. Danach soll ein Unterhaltsanspruch nach der Scheidung künftig nur noch die Ausnahme sein und sich an der Bedürfnislage und nicht mehr am Ehestandard orientieren. Die Vorstellung, der Lebensstandard in der Ehe müsse bis zum Tod gehalten werden, sei überkommen.
Asylrecht: Die Montags-taz (Christian Rath) analysiert den Vorschlag von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, das Konzept der per Gesetz definierten "sicheren Herkunftsstaaten" aufzugeben. Statt dessen solle ein Automatismus eingeführt werden, dass bei niedrigen Anerkennungsquoten, Asylverfahren von Antragstellern aus diesem Staat verkürzt werden.
Am 17. Juni soll der Bundesrat der vom Bundestag bereits beschlossenen Einstufung von Algerien, Tunesien und Marokko als "sichere Herkunftsstaaten" zustimmen. Die Montags-taz (Ulrich Schulte/ChristianRath) beschreibt die verfassungsrechtliche Kritik an diesem Gesetz und geht der Frage nach, wer den Fall zum Bundesverfassungsgericht bringen könnte.
§ 175 StGB a.F.: Bundesjustizminister Maas hat vor einigen Tagen angekündigt, die Verurteilungen von Männern aufzuheben, die aufgrund des bis 1994 geltenden § 175 Strafgesetzbuchs wegen sexueller Handlungen mit anderen Männern erfolgt sind. In einem Interview mit dem Focus (ani) beschreibt Ansgar Dittmar von der AG der Schwulen und Lesben in der SPD, wie eine Entschädigung aussehen könnte. Er spricht sich dabei für eine pauschale Entschädigung aus, die einer Institution zugute kommen soll, die die Lebensgeschichten der Opfer aufarbeitet.
Fernsehrichtlinie: Die Europäische Kommission hat den Entwurf für eine Richtlinie für audiovisuelle Medien vorgelegt, die die bisherige Fernsehrichtlinie ablösen soll. Das HBl (Ruth Berschens) stellt die geplante Neuregelung vor, die unter anderem auch Dienste wie Youtube und ähnliche Plattformen verpflichten soll, Beiträge aus ihrem Angebot zu entfernen, die Hassreden gegen Ausländer oder Grundrechte enthalten.
Justiz
OVG Münster zum Tierschutz: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in zwei Verfahren entschieden, dass das Töten männlicher Eintagsküken aus Legehennenrassen in Brütereien nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Das nordrhein-westfälische Agrarministerium wollte die Tötung per Erlass verbieten, dagegen hatten zwei Brütereien geklagt, berichten die Samstags-SZ (Jan Heidtmann), die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) und die Samstags-taz (Heike Holdinghausen). Die dem Fall zugrundeliegenden rechtlichen Fragen erläutert spiegel.de.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) appelliert an den Gesetzgeber, hier eine Neuregelung zu schaffen. Im Umgang mit den Tieren zeige sich der Mensch, resümiert er. Jan Heidtmann (Samstags-SZ) sieht dagegen die Verbraucher in der Verantwortung.
BVerfG zu Tabak-Schockbildern: Am vergangenen Freitag ist das Gesetz zur Umsetzung der neuen EU-Tabakprodukterichtlinie in Kraft getreten. Tabakschachteln müssen künftig mit abschreckenden Schockbildern versehen werden, die auf die möglichen Folgen des Tabakkonsums hinweisen. Der Antrag eines Zigarettenherstellers auf vorläufigen Rechtsschutz blieb vor dem Bundesverfassungsgericht erfolglos, berichten die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und heute.de. Es seien keine besonders schwerwiegenden, insbesondere an die Schwelle der Existenzbedrohung heranreichenden, irreparablen Nachteile für die ganze Branche der Tabakhersteller oder zumindest eine erhebliche Anzahl an Unternehmen noch im Hinblick auf ihre eigene Situation dargelegt worden, so die Karlsruher Richter.
BVerwG zur "amtsangemessenen Bezahlung": Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass frühere Postbeamte nicht nur nicht auf einen minderwertigen Posten, sondern auch nicht auf einen höherwertigen Posten versetzt werden durften. Der Anwalt Robert Hotstegs ordnet das Urteil auf lto.de ein.
BAG - Sonderzahlung bei Mindestlohn: Die Montags-taz weist auf ein Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht hin, in dem für den kommenden Mittwoch eine Entscheidung erwartet wird. Dabei wird die Frage behandelt, ob Arbeitgeber Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen dürfen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte die Frage bejaht.
LG Detmold - Auschwitz: Die Staatsanwaltschaft fordert für den ehemaligen SS-Wachmann Reinhold Hanning wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen eine sechsjährige Haftstrafe, melden die Samstags-SZ und spiegel.de. Der 93-Jährige soll sich an Massenerschießungen beteiligt haben. Gisela Friedrichsen (spiegel.de) wirft die Frage auf, inwieweit bei einem Angeklagten diesen Alters eine gerechte Strafe überhaupt noch möglich sein kann.
LG Dresden - Kritik an NPD: Medienrechtler haben das Landgericht Dresden aufgefordert, im Streit zwischen der NPD und dem Politologen Steffen Kailitz in voller Kammerbesetzung zu entscheiden, meldet der Spiegel (Dietmar Hipp). Bisher liegt das Verfahren beim Einzelrichter, im konkreten Fall handelt es sich dabei um ein Mitglied der AfD. Das Verfahren müsse jetzt einer Kammer übertragen werden, um jeden Anschein zu vermeiden, dass die Entscheidung von der politischen Verortung eines einzelnen Richters abhängen könnte, sagt der Hamburger Presserechtler Oliver Srocke.
Strafverteidiger Burkhard Benecken: In einem Interview mit der Samstags-Welt (Kathrin Spoerr) beschreibt der Rechtsanwalt Burkhard Benecken seine Tätigkeit als Strafverteidiger im Sexualstrafrecht und bei Gewaltdelikten. Anlass ist sein gerade erschienenes Buch zu diesem Thema.
Recht in der Welt
USA - Todesstrafe: Die Samstags-Welt (Hannes Stein) berichtet, dass die amerikanische Firma Hospira - die als einzige in den Vereinigten Staaten berechtigt ist, das für die Todesspritze verwendete Mittel herzustellen - bekannt gegeben hat, dass sie keinen Nachschub mehr liefern wird. Damit könnte zwar nicht rechtlich, aber doch de facto die Todesstrafe abgeschafft werden, denn auch andere Staaten weigern sich, die erforderlichen Substanzen zu liefern.
Sonstiges
Europäische Grenzen: Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio fragt in der FAZ unter der Überschrift "Europas Werte, Europas Würde", was die EU zusammenhält. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es notwendig ist, Europa klug zu rekonstruieren. Wichtig seien dabei die Prinzipien der Grundfreiheiten und der Eigenverantwortung sowie das wechselseitige Verständnis und die Bereitschaft zur Hilfe. Dann würden die Bürger wieder Vertrauen in den Einigungsprozess fassen.
Rundfunkbeitrag: Die Samstags-SZ (Karoline Meta Beisel) fasst auf der Medienseite die rechtliche Situation zum Rundfunkbeitrag zusammen. Aufhänger ist dabei der Fall einer Thüringerin, die zwei Monate lang in Haft saß, weil sie sich weigerte, den Rundfunkbeitrag zu zahlen.
Scharia: Gegen die Aussage von Beatrix von Storch, die Islamverbände in Deutschland würden sich nicht deutlich genug von der Scharia distanzieren, argumentiert Karen Krüger in der FAS. Keiner der Islamverbände stelle das Bürgerliche Gesetzbuch in Frage, alle hätten sich zum Grundgesetz bekannt. Sie seien vielmehr in Kooperation mit den staatlichen Institutionen bemüht, Muslime vor dem Einfluss von Strömungen wie dem Wahhabismus und dem Salafismus zu bewahren.
Rechtskunde für Flüchtlinge: Die Samstags-taz (Margarete Moulin) hat den Rechtskundeunterricht besucht, den der bayerische Justizminister Winfried Bausback persönlich für Flüchtlinge abgehalten hat. Normalerweise wird der Unterricht durch 800 bayerische Rechtspfleger, Staatsanwälte und Richter durchgeführt, jeder Flüchtling soll daran teilnehmen. Den Flüchtlingen sollen die Grundprinzipien des deutschen Rechtsstaates sowie des Zivilrechts, Familienrechts und Strafrechts beigebracht werden.
Recht und Moral: Klaus Volk, der unter anderem Josef Ackermann im Mannesmann-Prozess und Boris Becker im Steuerstrafverfahren vertreten hat, räsoniert in einem Gastbeitrag für das HBl über das Verhältnis von Recht und Moral im Wirtschaftsstrafrecht. Das Recht sei nicht dazu da, Moral zu schützen oder zu lehren, so sein Resümee.
Das Letzte zum Schluss
DIY-Urteil: Das OLG Hamm hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Rechtsanwalt seinem Mandanten ein gefälschtes Urteil übergab, um so von der eigenen Untätigkeit abzulenken. Obwohl nicht einmal Klage erhoben wurde, machte er seinen Mandanten glauben, es sei bereits ein obsiegendes Urteil ergangen. Als der Mandant eine Abschrift der Entscheidung verlangte, fertigte der Anwalt eine "Urteilsabschrift" unter Verwendung eines fiktiven Aktenzeichens an. Das OLG Hamm hat ihn vom Vorwurf der Urkundenfälschung frei gesprochen. lto.de (Constantin van Lijnden) fasst den Sachverhalt und die Entscheidungsgründe zusammen.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. Mai 2016: Noch mehr Investitionsschutz / Noch immer kein Kükenschutz / Gesundheitsschutz durch Schockbilder . In: Legal Tribune Online, 23.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19439/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag