Das Bundesverfassungsgericht hat das OMT-Programm der EZB gebilligt. Außerdem in der Presseschau: Die Erbschaftsteuer ist noch nicht durch und die Staatsanwaltschaft Duisburg gibt in Sachen Loverparade-Katastrophe noch nicht auf.
Thema des Tages
BVerfG billigt OMT-Programm: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner mit Spannung erwarteten Entscheidung das OMT-Programm der EZB mit Auflagen gebilligt. Der Beschluss über das OMT-Programm bewege sich in der vom Europäischen Gerichtshof vorgenommenen Auslegung nicht "offensichtlich" außerhalb der unionsrechtlichen Kompetenzen. Das Verfassungsgericht wies daher die Verfassungsbeschwerden und den Antrag im Organstreitverfahren ab. Die SZ (Wolfgang Janisch), swr.de (Gigi Deppe) und die taz (Christian Rath) analysieren die Entscheidung.
Reinhard Müller (FAZ) deutet das Urteil als europafreundlich. Aber auch die "Zeiten, in denen in Brüssel und Luxemburg das Subsidiaritätsprinzip und die Rechte der Mitgliedstaaten marginalisiert wurden," seien vorbei. Das Bundesverfassungsgericht nehme sich zurück, meint auch Michael Reissenberger im Audio-Podcast auf lto.de, der das bisherige gerichtliche Verfahren nachzeichnet und O-Töne aus der Urteilsbegründung durch Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle bringt. Klaus Hempel (ndr.de) merkt an, dass Karlsruhe die EuGH-Entscheidung "kritisch auseinandergenommen und viele Schwachstellen aufgezeigt" habe, ihr am Ende aber doch gefolgt sei. Für Christian Rath (taz) war klar, dass das Bundesverfassungsgericht der EZB "nicht in den Arm fallen würde". Ansonsten hätte es sich ins Abseits gestellt. Für Heribert Prantl (SZ) markiert das Urteil den Frieden von Karlsruhe und Luxemburg. Der EuGH müsse jetzt sein Versprechen einlösen, die EZB zu kontrollieren. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) befasst sich kritisch mit der Verknüpfung von Demokratie und Grundrechten, die das Verfassungsgericht in seiner bisherigen Europarechtsprechung herstellt.
Die FAZ (Reinhard Müller) nimmt die Entscheidung zum Anlass, den Berichterstatter Peter Michael Huber zu porträtieren, und beleuchtet die Europarechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom Maastricht-Urteil bis zur OMT-Entscheidung.
Rechtspolitik
Erbschaftsteuerreform: Gegen die von der Regierungskoalition geplante Reform der Erbschaftsteuer regt sich Widerstand. Politiker von SPD, Grünen und Linken, insbesondere aus den Ländern, die im Bundesrat das Gesetz blockieren können, äußerten sich gegenüber der FAZ (Günter Bannas) skeptisch. Die Steuerberaterin Luise Uhl-Ludäscher analysiert für lto.de, wer von der geplanten Reform profitiert, und wer nicht.
Ulrich Schäfer (SZ) meint, dass die Reform keine Gerechtigkeit schaffen wird und hofft, dass "die Richter des Bundesverfassungsgerichts ein wenig mehr Weisheit walten lassen". Heribert Prantl weist in seiner Videokolumne auf sueddeutsche.de auf Art. 123 Abs. 3 der bayerischen Landesverfassung hin, nach dem die Erbschaftssteuer auch dem Zwecke dient, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern. Die CSU solle zumindest im Geiste nach dieser Bestimmung handeln.
CETA und TTIP: Die taz (Kai Schöneberg) weist auf ein Gutachten hin, das Juristen im Auftrag der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch erstellt haben. Danach hebeln CETA und TTIP das in der EU geltende Vorsorgeprinzip aus.
Technikregulierung: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dana-Sophia Valentiner beschäftigt sich auf juwiss.de mit gesetzgeberischen Herausforderungen der Technikregulierung.
Justiz
BVerfG – Syrien-Einsatz: Die Bundestagsfraktion der Linkspartei zieht gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen den Islamischen Staat vor das Bundesverfassungsgericht. Der Einsatz bewege sich außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit und habe daher keine verfassungsrechtliche Grundlage. Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und taz.de (Christian Rath) erklären, wird das Verfassungsgericht jedoch zunächst klären müssen, ob das angestrengte Organstreitverfahren überhaupt zulässig ist.
OLG Köln zu Schmähgedicht: Der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat vor dem Oberlandesgericht Köln eine Niederlage erlitten, melden spiegel.de (Britta Kollenbroich) und lawblog.de (Udo Vetter). Das Gericht bestätigte die Entscheidung des Kölner Landgerichts, das es abgelehnt hatte, eine einstweilige Verfügung gegen Springer-Chef Mathias Döpfner zu erlassen. Döpfner hatte das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann öffentlich unterstützt.
LG Berlin zu Kinderbanden: In einer Reportage der SZ (Renate Meinhof) geht es um Taschendiebstähle durch Kinderbanden, die Gegenstand eines Prozesses vor dem Landgericht Berlin waren. Ein Ehepaar und ihr 22-jähriger Sohn, die aus dem rumänischen Iaşi stammen, wurden wegen schweren Bandendiebstahls verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, ein Kind sowie die damals 15-jährige Lebenspartnerin des Sohnes zum Klauen nach Deutschland geschickt zu haben.
LG Augsburg zu "Zwölf Stämme": Am Landgericht Augsburg endete der Prozess gegen eine Lehrerin und Erzieherin der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" mit einer Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Der Verurteilten wird vorgeworfen, von 2003 bis 2013 mehrere Kinder mit einer Weidenrute geschlagen zu haben. Karin Truscheit (FAZ) schildert den Fall und beleuchtet die "Zwölf Stämme".
LG Potsdam – Silvio S.: Am dritten Tag des Prozesses gegen Silvio S., der wegen Mordes und Missbrauchs der Jungen Elias und Mohamed angeklagt ist, werden Details aus dem Leben des Angeklagten bekannt. Er sei schüchtern und verschlossen gewesen, hätte jedoch viel mit Kindern gespielt. Die Welt (Christine Kensche) berichtet.
StA Duisburg – Loveparade: Die Staatsanwaltschaft Duisburg gibt ein neues Gutachten zur Loveparade-Katastrophe in Auftrag. Zuvor hatte das Landgericht Duisburg im April die Anklage gegen Mitarbeiter des Veranstalters sowie Beschäftigte der Stadt Duisburg abgelehnt, weil es das bisherige Gutachten für unverwertbar hielt. Die Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf soll nicht mit dem zweiten Gutachten begründet werden, sondern dieses könnte gar Grundlage einer neuen Anklage sein, falls auch das Oberlandesgericht das erste für ungeeignet hält, meldet lto.de (Pia Lorenz).
Interview mit IStGH-Richter Bertram Schmitt: Im Interview mit der SZ (Ronen Steinke/Stefan Ulrich) reagiert Betram Schmitt, Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, auf Vorwürfe, sein Gericht sei ineffizient. Dass sich mit Uhuru Kenyatta aus Kenia ein amtierender Präsident vor Gericht verantworten müsse, sei eine große Neuheit. Für die Zukunft setzt Schmitt darauf, dass sich eine "Rechtskultur entwickelt, in der die Staaten zu verlässlicher Zusammenarbeit bereit sind".
Recht in der Welt
Kongo – Strafe für Bemba: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat die Strafe für Jean-Pierre Bemba festgelegt, meldet spiegel.de (Christoph Titz). Der ehemalige Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo muss für 18 Jahre ins Gefängnis. Er war bereits im März wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden worden.
Großbritannien – Brexit: lto.de (Tanja Podolski) interviewt den Rechtsanwalt Jochen Kindermann zum Ablauf des Referendums in Großbritannien und die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Ausscheidens aus der EU. Joris Larik und Aaron Matta fragen auf verfassungsblog.de, welche Folgen der Brexit für den Schutz der nationalen Identitäten von Schottland und Nordirland hätte.
Sonstiges
Iran-Sanktionen und Gesellschaftsrecht: Die Rechtsanwälte Amir-Said Ghassabeh und Anahita Thoms befassen sich für die FAZ mit Problemen, die sich aus Iran-Sanktionen ergeben. US-Amerikanern ist es untersagt, an Geschäften mit dem Iran oder seiner Regierung mitzuwirken. Für deutsche Aktiengesellschaften, deren Vorstand US-Amerikaner angehören, erfordere das kreative Lösungen.
Akteneinsicht für Mandanten: Udo Vetter schildert auf lawblog.de die Geschichte eines Mandanten, dessen vorheriger Anwalt sich weigertem die Akten herauszugeben, und erklärt, wann nach seiner Ansicht Ausnahmen von der vollständigen Transparenz gegenüber Mandanten zu machen sind.
Fischer im Recht: Bundesrichter Thomas Fischer beschäftigt sich in seiner Kolumne auf zeit.de mit der Berichterstattung über den Fall von Gina-Lisa Lohfink, der Diskussion über die Verschärfung des Sexualstrafrechts und dem Vorsitz des 5. Strafsenats des BGH, der seit zwanzig Monaten unbesetzt ist.
Informationsfreiheitsgesetz: Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, hat rund zehn Jahre nach Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes positive Bilanz gezogen. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) merkt an, dass Bürger oft vor Gericht ziehen müssten, um die verlangten Informationen zu erhalten.
Das Letzte zum Schluss
Falsche Sprache: Ein belgisches Unternehmen mit Sitz in Flandern hat an einen italienischen Vertragspartner eine Rechnung geschickt, die auf Italienisch verfasst wurde. Zuvorkommend, möchte man meinen. Doch die Italiener weigerten sich, die Rechnung zu begleichen, und bekamen vor einem flämischen Gericht zunächst Recht. Denn nach belgischem Recht müssen Unternehmen mit Sitz in Flandern bestimmte Unterlagen auf Niederländisch abfassen. Jetzt hat der EuGH entschieden, dass diese Bestimmung gegen Vorschriften über den freien Warenverkehr verstößt, wie die FAZ (Hendrik Kafsack) meldet. Zuvorkommende Übersetzungen sind also zukünftig erlaubt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Juni 2016: Karlsruhe billigt OMT-Programm / Diskussion um Erbschaftsteuer / Klage gegen Syrien-Einsatz . In: Legal Tribune Online, 22.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19751/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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