Die Bundesregierung hat die umstrittene Waffenlieferung an die kurdischen Perschmerga-Milizen beschlossen. Außerdem in der heutigen Presseschau: Ex-BGH-Richter fordert Neuregelung der Verfahrenseinstellung im Strafprozess, der BGH erlässt den ersten Freispruch in einem Fall künstlicher Canabinoide, ein NSU-Opfer verklagt Thüringen auf Schadensersatz, ein Deutscher wird in China zum Tode verurteilt und ein Angeklagter wird bei der Verfahrensverzögerung kreativ.
Thema des Tages
Waffenlieferung an Kurden: Die Bundesregierung hat beschlossen, dass Deutschland Waffen an die kurdischen Perschmerga-Milizen im Irak liefern wird, zur Unterstützung im Kampf gegen die Dschihadistentruppe Islamischer Staat (IS). Welche Waffen konkret geliefert werden, soll bis nächsten Mittwoch entschieden werden. Die Waffen sollen dem vorhandenen Kontingent der Bundeswehr entnommen werden. Damit liege streng genommen kein Waffenexport vor, der dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterläge, sondern eine staatliche Ausrüstungshilfe. Es wurde betont, dass es sich um eine Exekutiventscheidung handelt, die keine Entscheidung des Parlamentes erfordert. Eine Versendung von Ausbildern der Bundeswehr sei nicht geplant, so dass kein Auslandseinsatz der Bundeswehr vorliegt. Unter anderem die SZ (Stefan Braun), die taz (Tobias Schulz), die Welt (Thorsten Jungholt) und die FAZ (Johannes Leithäuser) berichten. Im Interview mit der Zeit (Peter Dausend/Tina Hildebrandt) gibt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die extreme Gewalt der IS-Milizen und die Gefahr dschihadistischer Fanatisierung, von Kämpfern die später nach Europa zurückkehren, als Gründe für die Entscheidung an sowie die Bedeutung und damit Verantwortung Deutschlands in der Welt.
Severin Weiland (spiegel.de) meint, die Entscheidung sei überfällig, beende die "Politik des Raushaltens" und sieht auch ein Schutzinteresse Deutschlands verteidigt gegen ein mögliches Ausbildungslager für Terroristen. Till Hoppe (Handelsblatt) hält eine Begründung der Lieferung mit dem moralischen Argument, einen drohenden Völkermord verhindern zu müssen, für unehrlich. Damit sei kaum zu erklären, warum andernorts, etwa im syrischen Konflikt, nicht derart eingegriffen werde. Stefan Reinecke (taz) meint, dass es hauptsächlich darum geht "Tabus zu knacken und die tief sitzende bundesrepublikanische Skepsis gegenüber dem Militärischen sturmreif zu schießen." Das sei aber ein denkbar schlechtes, ja unmoralisches Argument.
Die taz (Christian Rath) legt die rechtlichen Anforderungen für Lieferungen von Waffen und sonstigen Rüstungsgütern dar. Die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" konkretisieren die vagen gesetzlichen Voraussetzungen für Genehmigungen und lassen die Lieferungen nur bei "Angriffen von Außen" durch die IS-Milizen zu. Eine Zustimmung des Bundestages sei gesetzlich nicht vorgesehen. In den Irak dürfen Lieferungen aufgrund des EU-Waffenembargos nur ausnahmsweise zur Terrorbekämpfung mit der Zustimmung der Zentralregierung in Bagdad erfolgen.
Rechtspolitik
Digitale Agenda vorgestellt: Die Bundesregierung hat die Digitale Agenda vorgestellt. Der Rechtswissenschaftler Philipp Ross bespricht auf lto.de das Vorhaben. Neben flächendeckender Breitbandinfrastruktur, Förderung der Digitalwirtschaft und digitaler Verwaltungsangebote, steht auch die EU-Datenschutz-Grundverordnung auf dem Aufgabenplan. Die Mediale Kompetenz soll gestärkt werden und die Potentiale für Bürgerbeteiligung genutzt. Die Digitale Sicherheit soll gefördert werden, wozu bereits das IT-Sicherheitsgesetz vorgestellt wurde und die Sicherheitsbehörden sollen zur Cyber-Crime-Bekämpfung besser gewappnet werden. Es berichten unter anderem auch die taz (Konrad Litschko) und die Zeit (Heike Schmoll). Insgesamt bleibt die Agenda ein "Hausaufgabenheft" für die Bundesregierung, wie sie Verkehrsminister Dobrindt (CDU) bezeichnete. Das Meinungsecho ist dementsprechend kritisch, netzpolitik.org (Markus Beckedahl) gibt einen Überblick.
Neuregelung der Verfahrenseinstellung gefordert: Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Neskovic spricht sich in der FAZ für eine bessere gesetzliche Regelung der Verfahrenseinstellung gegen Auflage im Strafprozess aus. Die jetzige Regelung ermögliche eine Ausweitung der Anwendung, die für den Rechtsstaat gefährlich sei. Er hält wirkungsvolle Kontrollmechanismen für nötig die etwa in Rechtsmitteln und dem damit einhergehenden Begründungserfordernis bestehen könnten.
Justiz
BGH – Freispruch wegen künstlicher Canabinoide: Mit nun veröffentlichtem Beschluss vom 23. Juli hat der Bundesgerichtshof (BGH) die erste Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz aufgehoben und freigesprochen, weil es sich bei der fraglichen Substanz um künstliche Canabinoide handelte. Der BGH folgt dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10. Juli wonach künstliche Canabinoide keine Arzneimittel sind. blog.beck.de (Jörg Patznak) berichtet und verweist auch auf Fragen die das EuGH-Urteil ungeklärt ließ.
BAG – Verfahren gegen "Zahngolddieb": Die SZ (Detlef Esslinger) berichtet von einem Fall über den an diesem Donnerstag das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden hat. Krematoriumsmitarbeiter hatten jahrelang das Zahngold eingeäscherter Verstorbener aus der Asche gesammelt und verkauft. Das Krematoium fordert 273.000 Euro dafür von einem dieser Mitarbeiter. Der Fall wurde vom Arbeitsgericht Hamburg abgewiesen, nach der Einäscherung lägen herrenlose Sachen vor. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es wendete § 667 des Bürgerlichen Gesetzbuches an, wonach ein Beauftragter herauszugeben hat, "was er zur Ausführung des Auftrags erhält".
OLG Karlsruhe zu PoliScan und Smear-Effekt: blog.beck.de (Carsten Krumm) teilt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe mit, nach welcher bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Poli.Scan-Speed-Messverfahren auch durch den sogenannten Smear-Effekt eine Geschwindigkeitsbestimmung gerichtsfest erfolgen, wenn die erhobenen Daten durch sachverständige Analyse einem Ergebnis zugeführt werden.
LG München – Deutsche Bank: Nach Informationen des Handelsblatts (Laura de la Motte/Kerstin Leitel) soll im Prozess vor dem Landgericht München gegen ehemalige Vorstände der Deutschen Bank dem Unternehmen eine Geldbuße drohen, weil die Verfehlungen der Vorstandsmitglieder auf mangelnde Kontrolle im Unternehmen zurückgehen könnten. Die Buße könnte bis zu einer Million Euro betragen.
LG Erfurt – NSU-Opfer verklagt Thüringen: Vor dem Hintergrund des bereits bekannt gewordenen Untersuchungsberichts zum Verhalten der Behörden im Hinblick auf den NSU, hat ein Opfer bereits am Montag Amtshaftungsklage gegen das Land Thüringen beim Landgericht Erfurt eingereicht. spiegel.de (Matthias Gebauer) berichtet. Der Mann fordert Schadensersatz für seine Traumatisierung bei dem Anschlag des NSU in Köln. "Aus dem Abschlussbericht des Ausschusses ergibt sich eine klare Schuld der Thüringer Behörden, die die frühe Festnahme des Mord-Trios verhinderten" sagt sein Anwalt.
LG München – Middelhoff-Prozess: Die SZ (Uwe Ritzer/Christian Rost) und das Handelsblatt (Massimo Bognanni) berichten vom Untreue-Prozess gegen den ehemaligen Arcandor-Chef Thomas Middelhoff, in dem nun das ehemalige Vorstandsmitglied der BayernLB Gerhard Gribkowski aussagte. Ein Teil des Untreuevorwurfs gründet auf einem Kurztrip Middelhoffs nach Berlin, der Arcandor 19.177,10 Euro kostete. Dort traf er sich mit Gribkowski, der zwar noch sagen konnte, dass es ganz sicher ein dienstliches Treffen war, aber an genaueres konnte er sich nicht erinnern. Auch die Welt (Michael Gassmann) schreibt zum Prozess und der Entlastung durch Gribkowski sowie den Auseinandersetzungen Middelhoffs mit seinen Schuldnern.
LG München – BayernLB-Prozess: Für vier der sechs Angeklagten Ex-Vorstände der BayernLB wegen Untreue bei der Übernahme der Hypo Alpe Adria könnte das Verfahren laut FAZ (maf) am Montag vorzeitig beendet werden. Es stehe eine Einstellung gegen Auflage im Raum, berichtet auch das Handelsblatt (Kerstin Leitel), aber genaueres hätten auch Insider noch nicht berichten können. Gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und seinen Stellvertreter gehe der Prozess jedenfalls weiter.
Gerhard Strate im Interview: Gerhard Strate spricht im taz-Interview (Lisa Schell, Martin Reeh) über den Ausgang des Mollath-Prozesses, den Anwaltsberuf und Fehlurteile. Deren Quote setzt er bei zwei bis drei Prozent an. "Wir leben hier aber auf einer Insel der Glückseligen". Er meint die Nürnberger Justiz sei im Mollath-Fall vorurteilsbelastet gewesen, aber mit dem jetzigen Urteil sei er zufrieden. Er habe nicht alles bekommen, was er wollte, aber er wisse, dass die Justiz so nun einmal funktioniere. Die anwaltliche Tätigkeit könne frustrierend sein, wenn Mandanten sie sabotierten, aber auch kunstvoll in ihrer pointierten Sprache und der Rhetorik des Plädoyers.
Recht in der Welt
Deutscher in China zum Tode verurteilt: Zum ersten Mal ist in China ein Deutscher zum Tode verurteilt worden. Die Schuld des Doppelmörders hatte das Volksgericht in Xiamen bereits vor drei Jahren festgestellt, das Strafmaß aber seinerzeit noch nicht verkündet, was auch damit zusammenhängen könnte, dass das Auswärtige Amt sich gegen dieses eingesetzt hat. Das Strafmaß muss nun noch vom Obersten Gericht in Peking bestätigt werden. Die Todesstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt und in Lebenslange Haft verwandelt werden. Es berichten unter anderem FAZ (Till Fähnders) und taz (Felix Lee).
Sonstiges
150 Jahre Humanitäres Völkerrecht: Zum 150-jährigen Jubiläum der Unterzeichnung der ersten Genfer Konvention am 22. August 1864 schreibt der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters, in der FAZ. Er umreist die Geschichte des Humanitären Völkerrechts, dessen bedeutendstes Abkommen von 1949 mittlerweile alle Staaten der Welt ratifiziert haben. Eine wirksame Umsetzung sei jedoch nur durch Bekanntheit und Einhaltung der Vorgaben in allen Konflikten zu erreichen. Nur so könnten am Kriegsgeschehen Unbeteiligte wirksam geschützt werden. Gerade Situationen wie in Gaza zeigten die tatsächlichen Schwierigkeiten der für das Humanitäre Völkerrecht grundlegenden Trennung zwischen zivilen und militärischen Personen und Objekten.
Bayerischer Maßregelvollzug: Die FAZ (Albert Schäffer) setzt sich in Bezug auf die Affäre Haderthauer mit dem bayerischen Gesetzesentwurf zum Maßregelvollzug auseinander. Es sei "Seehofers politisches Künstlerpech", dass der Entwurf den Finger in die eigentliche Wunde der Affäre lege, die gerade nicht im Einzugsbereich der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft liege. Das landesgesetzlich zu regelnde "Wie" der Unterbringung psychisch kranker Straftäter sei in Bayern nur unzureichend geregelt, so der Entwurf selbst. Aber gerade in dieser Regelungsleere habe die Ausnutzung der Untergebrachten, zur Herstellung von später teuer veräußerten Modellautos gegen ein minimales Entgelt gedeihen können.
Kartellstreit Amazon: Die FAZ (Joachim Jahn) setzt sich mit den rechtlichen Voraussetzungen im Kartellstreit um Amazon auseinander. Unter Verweis auf den Bonner Wirtschaftsrechtler und Vorsitzenden der Monopolkommission Daniel Zimmer wird angegeben, dass bisher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass das Unternehmen "den 'relevanten Markt' beherrsche". Dabei sei zu klären, ob der für den Streit maßgebliche Markt sich auf den Vertrieb von E-Book im Internet beschränke oder alle Verkaufskanäle erfasse. Marktbeherrschung sei ab 40 Prozent anzunehmen, aber schon "relative oder überlegene Marktmacht" dürfe nicht für Missbrauch ausgenutzt werden. Joachim Jahn (FAZ) meint, dass Größe allein nicht verwerflich sei und im Wirtschaftsleben überall mit harten Bandagen gekämpft werde. Außerdem könnten Käufer weiterhin zwischen vielen Vertriebskanälen wählen.
Das Letzte zum Schluss
Verschleppungstaktik: Er soll mit einem Porsche zu schnell und ohne Führerschein gefahren sein und Polizisten als "Nazis" beschimpft haben. Als der Autofahrer vor Gericht stand beschwerte er sich, sein Name sei nicht der angegebene, er heiße vielmehr nach seinem Herkunftsort und trage den Titel "Herr über Vermögen". Außerdem sei er Diplomat und die einzigen die über ihn richten dürften seien Gott und Jesus. Der psychiatrische Gutachter konnte keine Einschränkung der Schuldfähigkeit feststellen, aber die Verhandlung ist wohl erst einmal ausgesetzt, berichtet justillon.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. August 2014: Waffenlieferung an Kurden – NSU-Opfer verklagt Thüringen – Todesurteil gegen Deutschen . In: Legal Tribune Online, 21.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12957/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag