Können Strafanzeigen anonyme Hetzer im Internet in ihre Schranken weisen? Außerdem in der Presseschau: Kritik am Gesetzentwurf zur Prostitution, Geheimniskrämerei im NSU-Prozess und ein "Opa", der sich zur Wehr setzt.
Thema des Tages
Anzeige wegen Facebook-Hetze: In einem Facebook-Kommentar wurde das langjährige Engagement der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano gegen Rechtsradikalismus und ihre Person verunglimpft. Ein Bekannter hat daraufhin Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung gegen eine Person des politischen Lebens (§ 188 StGB) gestellt. Es gehe auch darum, den um sich greifenden hetzerischen Kommentaren im Internet etwas entgegenzusetzen und "solche Leute mit dem [zu] konfrontieren was sie tun". Es berichtet NDR.de (Kristina Festring-Hashem Zadeh). taz (Marlene Halser) sieht einen möglichen Präzedenzfall um "künftig gegen pöbelnde Trolle im Netz vorzugehen".
Rechtspolitik
Prostitution: Rechtsprofessorin Ulrike Lembke kritisiert in der SZ den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Prostitution. Zwar sei eine bundesweite klare Regelung zu wünschen, der vorgelegte Entwurf wirke dem Ziel erhöhten Schutzes der Prostituierten jedoch entgegen. Meldepflicht und bürokratischer Druck förderten Illegalität, Freier würden nicht in die Verantwortung genommen und der für den Kampf gegen Menschenhandel und kommerzielle Vergewaltigung (Zwangsprostitution) besonders wichtige Opferschutz nicht gestärkt.
Flüchtlinge: Bundesinnenminister de Maizière hat aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen in Deutschland – 43 Prozent der in Europa gestellten Asylanträge – die offenen Grenzen in Frage gestellt, meldet die taz. Laut Handelsblatt (Till Hoppe/Donata Riedel) werden außerdem Überlegungen zu Schnellverfahren an der Grenze geäußert, ähnlich dem "Flughafenverfahren" und Direkthilfen für Kommunen gefordert, die jedoch eine Verfassungsänderung erforderten.
Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) prognostiziert eine weitere Verschärfung der europäischen Debatte, da die hohen Flüchtlingszahlen auch Folge von Vertragsverletzungen andere Mitgliedstaaten seien.
Wolfgang Kaleck mahnt in seinem "Recht Subversiv"-blog auf zeit.de an, Flüchtlinge als Subjekte wahrzunehmen und ihnen wirksamen Zugang zu Rechtsschutz, das "Recht auf Rechte", zu gewährleisten.
Steuerrecht: Laut Handesblatt (Axel Schrinner) habe sich Finanzminister Schäuble gegen eine automatischen Anpassung von Steuertarifen ausgesprochen, da das Parlament Teile seiner Budgethoheit verliere und dieses Beispiel zu Indexierungen in anderen Rechtsbereichen etwa Tarifverträgen führen und Inflationstendenzen verstärken könne.
Justiz
VerfG M-VP – Besichtigung von Aufnahmeeinrichtung: NPD-Abgeordnete in Mecklenburg-Vorpommern wollten eine Erstaufnahmelager für Flüchtlinge ansehen und das Innenministerium in Schwerin lehnte dies wegen "schützenswerter Belange" der Asylbewerber ab. Die Welt (Karsten Kamholz - welt.de Online-Fassung) verweist auf die dagegen beim Landesverfassungsgericht eingereichte Klage, die zwischen Informationsanspruch und den angeführten Belangen abwägen müsse.
BGH zu Schadensersatz bei KFZ: Die Reparatur eines Autos muss nur bezahlt werden, wenn sie nicht mehr als 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes kostet, andernfalls ist nur der Wiederbeschaffungswert zu ersetzen. Der Bundesgerichtshof hat in einem nun veröffentlichten Urteil entschieden, dass der Gutachter entscheidet, was die Reparatur kostet. Der Ersatz von 130 Prozent des Widerbeschaffungswertes könne nicht erreicht werden, indem Teile bei der Reparatur weggelassen werden, meldet die SZ.
BAG zu Annahmeverzug des Arbeitgebers: Ein rückwirkend durch Gerichtsurteil begründetes Arbeitsverhältnis ist für den zurückliegenden Zeitraum nicht tatsächlich durchführbar. Der Arbeitgeber befand sich also nicht im Annahmeverzug hinsichtlich der in dieser Zeit nicht erbrachten Arbeit und muss keinen Lohn nach § 615 Bürgerliches Gesetzbuch zahlen, entschied das Bundesarbeitsgericht. Im konkreten Fall bestand außerdem ein "entschuldbarer Rechtsirrtum" hinsichtlich der Verpflichtung den Arbeitsvertrag abzuschließen, weshalb auch kein Schadensersatz zu zahlen war, berichtet lto.de.
BSG zu "Zwangsverrentung": Richter am Sozialgericht Kim-Thorben Bülow befasst sich auf lto.de ausführlich mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts, welche die "Zwangsverrentung" durch Jobcenter bestätigte.
BGH – Recht auf Vergessenwerden: Das Oberlandesgericht Hamburg hatte der SZ aufgegeben rechtmäßig veröffentlichte Berichte über ein Strafverfahren aus ihrem Online-Pressearchiv zu löschen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Recht auf Vergessenwerden bezog sich demgegenüber nur auf allgemeine Suchmaschinen. Der Bundesgerichtshof hat in letzter Instanz zu entscheiden und sollte dieser das Urteil nicht kippen, sei "der Geschichtsklitterung in den Archiven der Zeitgeschichte Tür und Tor geöffnet", meint Joachim Jahn (FAZ).
OLG Hamm zu gebotener Sorgfalt: Beim Mähen am Straßenrand ist, nach Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm von Anfang Juli, der gebotenen Sorgfalt genüge getan, wenn die Mähmaschine Sicherungsvorkehrungen aufweist, nach welchen das Herausschleudern von Gegenständen bis auf seltene Ausnahmefälle ausgeschlossen ist. Ein dennoch herausfliegendes Holzstück sei ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Straßenverkehrsgesetz und eine Haftung für den Schaden an einem vorbeifahrenden Auto ausgeschlossen. Das meldet lto.de.
OLG München – NSU-Prozess: Nachdem der V-Mann-Führer von "Piatto" Ende Juli bei seiner Vernehmung im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München erneut wenig Auskunft gab, beschlagnahmte das Gericht die von ihm mitgeführten Akten des Brandenburgischen Verfassungsschutzes. Diese hat das Brandenburgische Innenministerium nun für geheim erklärt und so gesperrt, berichtet spiegel.de (Jörg Diehl/Matthias Gebauer).
OLG München – BND-Spion: Wie spiegel.de (Fidelius Schmid) und FAZ (Majid Sattar) berichten, hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den ehemaligen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes beim Oberlandesgericht München erhoben, der seit 2008 die CIA mit Informationen beliefert haben soll. Bei dem mutmaßlichen Versuch sich 2014 dem russischen Geheimdienst anzudienen war er aufgeflogen. Die Anklage laute auf Landesverrat in zwei Fällen, Verletzung des Dienstgeheimnisses und Bestechlichkeit.
LG Ravensburg* – "bekömmliches" Bier: Im Streit zwischen der Brauerei Härle und dem Verband Sozialer Wettbewerb um den Begriff "bekömmlich" in Bierwerbung, wird das Landgericht Ravensburg am kommenden Dienstag sein Urteil verkünden, berichtet die FAZ (Susanne Preuß). In der Verhandlung am Donnerstag habe es "bekömmlich" als Synonym für "gesundheitsfördernd" bezeichnet, Härle hingegen sprach von "gut fürs Wohlbefinden". Nach Unionsrecht darf für Getränke mit über 1,2 Prozent Alkohol keine gesundheitsfördernde Wirkung suggeriert werden, berichtet auch die SZ (Max Hägler).
LG Berlin zu Missbrauchsvorwurf: Das Landgericht Berlin hat einen ehrenamtlichen Paten vom Vorwurf des Missbrauchs zweier Mädchen freigesprochen, weil es durch "Wiedersprüche und Auffälligkeiten" "ganz begründete Zweifel" an deren Aussage hatte. Das meldet die taz.
AG Bielefeld zu Filesharing-Abmahnungen: Die aus den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs abzuleitende Rechtslage bei Filesharing-Abmahnungen fasse das Amtsgericht Bielefeld klar und überzeugend in einer Entscheidung aus Juli zusammen, schreibt Rechtsanwalt Ralf Petring (petringlegal.blogspot.de) und bringt die maßgeblichen Zitate in Stichpunkten.
AG Essen – Gewalt gegen Asylbewerber: Vor dem Amtsgericht Essen sind fünf Ex-Wachmänner eines Asylbewerberheimes angeklagt wegen mutmaßlicher Misshandlungen von Bewohnern, berichten spiegel.de und FAZ (Reiner Burger). Sie bestreiten die Vorwürfe willkürlicher Gewalt und geben an sich allenfalls verteidigt zu haben.
Überlastete Verwaltungsgerichte: Der Verband Bayerischer Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen hat laut lto.de Alarm geschlagen. Wegen der steigenden Zahl an Asylverfahren seien nicht nur diese, sondern in der Folge auch allgemeine Verfahren mit den vorhandenen Kräften bald nicht mehr in angemessener Zeit zu bewältigen.
"Netzpolitik.org": Die Bundesanwaltschaft hat das Verfahren um die Veröffentlichungen auf netzpolitik.org an die Staatsanwaltschaft Berlin abgegeben. Diese ermittelt nun wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen gegen die unbekannte Quelle des Blogs, meldet lto.de.
netzpolitik.org (Andre Meister) gibt an, Informationen zu haben, nach welchen beide Maaßen-Anzeigen im Innenministerium wörtlich bekannt waren und vor Weitergabe an die Ermittlungsbehörden durch Beamte des Ministeriums explizit gebilligt wurden.
StA Verden – Salzgitter: Die Staatsanwaltschaft Verden ermittelt wegen Verdachts von Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gegen die Salzgitter-Tochter Klöckner Desma Schuhmaschinen. Mutmaßlich seien Provisionen gezahlt und empfangen worden, um den Verkauf von Maschinen anzukurbeln, schreibt die SZ (Kirsten Bialdiga). Salzgitter gebe an über ein funktionierendes Compliance-System zu verfügen und uneingeschränkt mit den Behörden zu kooperieren.
StA Görlitz – Volksverhetzung: Aufgrund von Äußerungen eines NPD-Funktionärs in einem Zeitungsinterview ermittelt die Staatsanwaltschaft Görlitz wegen Volksverhetzung, meldet die taz. Auf eine Frage zum Umgang mit straffällig gewordenen Asylbewerbern habe er eine Anspielung auf Deportationen unter dem NS-Regime gemacht.
[*Anm. d. Redaktion: Hier stand zunächst fälschlicherweise, dass das Verfahren vor dem LG Stuttgart statfinden würde. Geändert am 21.08.2015 um 11:28 Uhr]
Recht in der Welt
Russland – Senzow-Prozess: Die SZ (Julian Hans) berichtet von dem Prozess, der vor einem russischen Militärgericht unter anderem gegen den ukrainischen Filmregisseur Oleg Senzow geführt wurde. Die Staatsanwaltschaft habe 23 Jahre Haft gefordert. Den Angeklagten werde vorgeworfen eine terroristische Gruppe gebildet und Anschläge geplant und durchgeführt zu haben. Zum Beweis dienten die Aussagen von Mitangeklagten, die sie im Prozess nicht wiederholen wollten und von denen einer angab unter Folter ausgesagt zu haben.
Südafrika – Pistorius: Auch die FAZ (Claudia Bröll) berichtet nun zur Aufhebung der Entscheidung der Bewährungskommission, die den Ex-Sprinter Oscar Pistorius an diesem Freitag aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen hätte.
Sonstiges
Netzneutralität: blog.beck.de (Axel Spies) fasst die Eckpunkte der Einigung aus den Trilog-Verhandlungen zur Netzneutralität zusammen. Zugang zu offenem Internet soll gewährleistet sein, ohne den Begriff der Netzneutralität. Nicht-diskriminierende, verhältnismäßige Verkehrsmanagementmaßnahmen sind zulässig. Spezialdienste sind als "Andere Dienste" unter bestimmten Voraussetzungen zulässig und für die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben zur Gewährleistung des Zugangs sind die nationalen Regulierer zuständig.
Beschuldigtenrechte: lawblog.de (Udo Vetter) berichtet vom "kreativen Umgang mit der Strafprozessordnung" eines Polizisten. Trotz konkreten Tatverdachts suchte er den Betroffenen als "Zeugen" auf, behauptete dieser sei ihm gegenüber zur Aussage verpflichtet und als das nicht half drohte er, ihn dann eben zum Beschuldigten zu machen. Mit der Methode habe er bisher gute Erfahrungen gemacht, gab er später an.
Maut /Vertragsverletzungsverfahren: Der taz liegt eine sehr allgemein gehaltene Zusammenfassung der Stellungnahme des Verkehrsministeriums an die EU-Kommission vor, in welcher gegen den Vorwurf der Diskriminierung durch die PKW-Maut argumentiert und um Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens ersucht wird. Unter anderem würden nicht beanstandete Beispiele aus anderen Ländern, wie Großbritannien und Österreich angeführt, die der deutschen Regelung vergleichbare finanzielle Entlastungen von Inländern enthielten.
Das Letzte zum Schluss
Trick-Enkel ausgetrickst: Als er mit dem "Enkel-Trick" reingelegt werden sollte, drehte ein Rentner den Spieß um und ließ die Betrügerin in eine Falle laufen. Er behauptete Geld zu haben und der falschen Enkelin zu glauben, dabei verständigte er die Polizei, die bei der vermeintlichen Geldübergabe zugriff. Das berichtet bild.de (Thomas Gautier).
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. August 2015: Anzeige gegen Facebook-Hetze – Geheime NSU-Akten – BND-Spion angeklagt . In: Legal Tribune Online, 21.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16673/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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