Die Regierungskoalition hat sich auf eine Reform der Erbschaftsteuer geeinigt. Außerdem in der Presseschau: Das OLG München lässt Anklage wegen AGG-Hopping zu und in Österreich wurden erste Zeugen zur Bundespräsidentenwahl befragt.
Thema des Tages
Erbschaftsteuer: Die Regierungskoalition hat sich auf eine Reform der Erbschaftsteuer geeinigt. Danach können Unternehmen mit einem Wert bis zu 26 Millionen Euro von der Steuer befreit werden. Ab 90 Millionen Euro soll keine Befreiung möglich sein. Dazwischen soll eine Bedürfnisprüfung stattfinden. Außerdem sieht der Vorschlag zahlreiche Ausnahmen vor. Mit der Reform will die Koalition die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, das 2014 gefordert hatte, die Erbschaftsteuer bis Ende diesen Monats gerechter zu gestalten. Die SZ (Cerstin Gammelin/Wolfgang Janisch) und die FAZ (Manfred Schäfers) erläutert den Vorschlag sowie die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts.
In einem gesonderten Kommentar kritisiert Cerstin Gammelin (SZ) den Vorschlag als ungeeignet, die Ungleichheit im Land zu bekämpfen. Jetzt würde alle Hoffnung auf den Grünen ruhen, die das Gesetz im Bundesrat stoppen können. Martin Reeh (taz) kommentiert, dass die Regierung offenbar nicht die soziale Spaltung verringern will und "lieber zockt, ob ihre Gesetze in Karlsruhe Bestand haben, als die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eindeutig zu erfüllen". Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, meint hingegen in einem Gastbeitrag für das Hbl., dass die Richtung stimmt. Jedoch seien Präzisierungen notwendig.
Rechtspolitik
Anti-Terror-Paket: Bei der Beratung des geplanten Anti-Terror-Pakets im Innenausschuss ist es laut FAZ (Eckart Lohse) zu einem Eklat gekommen. Die Abgeordneten von Grünen und Linkspartei verließen den Saal aus Protest gegen den straffen Zeitplan bei den Beratungen. Zudem kritisierten die Oppositionsfraktionen, dass drei Behördenleiter, die der Weisung des Innenministeriums unterstehen, als Sachverständige eingeladen wurden. Von anderen Sachverständigen gab es dann auch deutlich mehr Kritik am Gesetzentwurf, wie netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) berichtet.
Nein heißt Nein: Im Feuilleton der SZ befasst sich die Philosophin und Publizistin Svenja Flaßpöhler mit der geplanten Verschärfung des Sexualstrafrechts. Sie sieht in dem Satz "Nein heißt Nein" nicht nur die Forderung nach einer "paternalistischen Einmischung des Staates ins Privateste", sondern auch eine "althergebrachten problematischen Verbindung von Weiblichkeit und Negativität".
Entgeltgleichheitsgesetz: Familienministerin Manuela Schwesig will mit dem Entgeltgleichheitsgesetz für mehr Lohngerechtigkeit sorgen. Nach dem Entwurf sollen Betriebe mit über 500 Mitarbeitern dazu gezwungen werden, Berichte über ihre Gehaltsstrukturen zu verfassen. Darüber hinaus soll es in allen Betrieben einen Anspruch auf Auskunft darüber geben, wie viel eine vergleichbare Gruppe von Männern im selben Job verdient. Unterstützung erhält Schwesig von Gewerkschaften und Frauenverbänden. Widerstand kommt hingegen nicht nur von Arbeitgeberverbänden, sondern auch aus Reihen der Union, berichtet die Welt (Sabine Menkens).
Videoüberwachung: netzpolitik.org (Anna Biselli) berichtet über die Kritik der* Berliner Datenschutzbeauftragten an der geplanten Ausweitung der polizeilichen Videoüberwachung in Berlin.
Anm.d.Red.: Tippfehler korrigiert, es geht hier um die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk. Hier stand zunächst fälschlich "des Datenschutzbeauftragen".
Justiz
BVerfG – OMT: Heute wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zum OMT-Programm verkünden. Laut Heike Anger (Hbl) geht es dabei um das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof, die seit jeher um ihre Kompetenzen streiten würden. Für Nikolaus Piper (SZ) geht es hingegen um die Frage, wie viel Vertrauen die EZB genießt. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht sei entscheidend, dass die EZB handlungsfähig bleibe.
EuGH zu Altersgrenzen: Renten- und Pensionssysteme dürfen Altersgrenzen vorsehen. Das hat der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des österreichischen Verwaltungsgerichtshof entschieden. Im konkreten Fall waren dem Kläger die Lehr- und Beschäftigungszeiten vor dem 18. Lebensjahr nicht angerechnet worden. Dies stellt zwar eine Diskriminierung dar, die laut EuGH jedoch gerechtfertigt ist. Dass die Entscheidung auch für Deutschland relevant ist, zeigt das Hbl (Heike Anger).
VG Magdeburg zu Abitur: spiegel.de (Miriam Olbrisch/Matthias Kaufmann) beschreibt den Fall des Schülers Patrick, der wegen null Punkten in einer mündlichen Prüfung in Religion kein Abitur bekommen hat. Er klagte und bekam vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg Recht. Die Null-Punkte-Regel in der Oberstufenverordnung Sachsen-Anhalts sei unverhältnismäßig und daher nichtig, so das Gericht.
BGH – Wowereit: Der BGH beschäftigt sich im Juli mit einem Streit zwischen Berlins ehemaligen Bürgermeister Klaus Wowereit und der Bild-Zeitung. Wowereit war 2013 bei einem privaten Abendessen fotografiert worden und sieht sich in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Die Bild will hingegen einen Zusammenhang zur Krise um den Neubau des Berliner Flughafens herstellen, wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
OLG München zu AGG-Hopping*: Das Oberlandesgericht München hat die Anklage gegen einen "AGG-Hopper" zugelassen. Der Vorwurf: Der Angeklagte bewerbe sich immer wieder auf Stellen, deren Ausschreibungen auf Diskriminierung hindeuten, um nach seiner Ablehnung eine Entschädigung zu verlangen. In einem Verfahren hat das Bundesarbeitsgericht zuletzt dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob auch in solchen Fällen ein Entschädigungsanspruch besteht. Nachdem das Landgericht die Anklage abgelehnt hatte, weil er lediglich "im Graubereich die bestehende Gesetzeslage ausnutze", hat das Oberlandesgericht München mehrere Fälle des vollendeten und des versuchten Betrugs zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Hbl (Daniel Gräber) schildert den Sachverhalt.
LG Detmold zu Ausschwitz-Wachmann: In einem Essay befasst sich Per Hinrichs (Welt) mit der Verurteilung des SS-Wachmanns Reinhold Hanning durch das Landgericht Detmold. Das Urteil stehe für die späte aber richtige Kehrtwende der deutschen Justiz, die bis vor wenigen Jahren bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen versagt habe.
LG Düsseldorf – Rotlicht-Prozess: Heute beginnt am Landgericht Düsseldorf der Prozess gegen zwei Männer, die Frauen durch Drohungen, Demütigungen und Manipulation zur Prostitution gezwungen haben sollen. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten schweren Menschenhandel, Geiselnahme, Vergewaltigung, besonders schweren Betrug und gefährliche Körperverletzung vor, so spiegel.de (Jörg Diehl).
LG Potsdam – Doppelmord: Die FAZ (Julia Schaaf) berichtet vom zweiten Verhandlungstag des Prozesses gegen Silvio S., der wegen Mordes an zwei Jungen angeklagt ist.
LG Gera zu Brandanschlag: Das Landgericht Gera hat einen 29-Jährigen unter anderem wegen fahrlässiger Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, melden die FAZ und spiegel.de. Der Mann soll im Treppenhaus eines Flüchtlingswohnheims mehrere Kinderwagen und Papier angezündet haben.
AG Berlin-Tiergarten – Gina-Lisa Lohfink: Jan Fleischhauer kritisiert in seiner Kolumne auf spiegel.de, die Stilisierung von Gina-Lisa Lohfink zur "Heldin". In der "feministisch gestimmten Öffentlichkeit" würde das Urteil bereits vor dem Prozess der Wahrheitsfindung feststehen.
StA Braunschweig – Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn und einen weiteren Manager eingeleitet, wie die Welt (Nikolaus Doll/Philipp Vetter), SZ (Thomas Fromm/Markus Zydra) und lto.de (Pia Lorenz) berichten. Es besteht der Verdacht der Marktmanipulation, weil Anleger möglicherweise zu spät über die Risiken des Abgasskandals informiert wurden. Die Meldung kommt für VW zur Unzeit: Am Mittwoch ist VW-Hauptversammlung und am Landgericht Braunschweig bahnt sich ein Musterverfahren für Anlegerklagen an.
Carsten Germis (FAZ) sieht für VW jedoch auch eine Chance: Kommt es am Ende nicht zur Anklage, wäre das wie ein "Freispruch erster Klasse".
Anm. d. Red.: Absatz an mehreren Stellen geändert am 1. September 2016, 10:13 Uhr.
Recht in der Welt
Österreich – Wahlanfechtung: In Wien hat der Verfassungsgerichtshof mit der Zeugenvernehmung zur Präsidentenwahl begonnen. Die Aussagen von Wahlleitern und Beisitzern deuten darauf hin, dass schon seit vielen Jahren bei der Auszählung geschlampt wird, schreibt die SZ (Ruth Eisenreich). Verfassungsrechtler räumen der Wahlanfechtung durch die FPÖ gute Chancen ein.
Türkei – Klage gegen Erdoğan: Die SZ (Selçuk Caydı) interviewt den türkischen Politiker Baskın Oran, der den türkischen Präsidenten verklagt, nachdem er von diesem "niederträchtig" und "Landesverräter" genannt wurde.
USA – Urteil nach Vergewaltigung: Laut FAZ (Christiane Heil) ist Brandon Vandenburg, ein früherer Student und Footballspieler der Vanderbilt University, wegen einer Gruppenvergewaltigung an seiner Freundin in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Der Fall hatte eine Diskussion über Vergewaltigungen an amerikanischen Universitäten ausgelöst.
Großbritannien – Brexit und Citizenship: Der Rechtsprofessor Dimitry Kochenov beschäftigt sich in einem englischsprachichen Beitrag für verfassungsblog.de mit der Frage, welche Konsequenzen ein Brexit auf die Rechte von britischen Staatsangehörigen hätte.
Sonstiges
Patentverletzungen: In einem Gastbeitrag für das Hbl beschäftigt sich Rechtsanwalt Christian Harmsen mit Ansprüchen bei Patentrechtsverletzungen. In den USA seien zwar Unterlassungsansprüche "praktisch tot", jedoch sei durch zwei Entscheidungen des Supreme Court der Zugang zu erhöhtem Schadensersatz erleichtert worden. In Deutschland sei es anders herum: Unterlassungsansprüche würden stets bestehen, Schadensersatzansprüche aber meist am Nachweis des Schadens scheitern.
DFB-Chefjurist: lto.de (Tanja Podolski) spricht mit Jörg Englisch, dem "Chefjuristen" des Deutschen Fussballbundes (DFB) über den DFB als Arbeitgeber, den Hobbyfussballer Englisch und die Anforderungen an einen Juristen im Team.
Das Letzte zum Schluss
Wer heißt Polizei? Ein privates Unternehmen darf sich nicht Polizei nennen. Das hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Der Begriff "Polizei" stehe Behörden zu, die Polizeigewalt ausüben. Das beklagte Unternehmen darf daher nicht mehr die Domain polizei-jugendschutz.de verwenden, meldet lawblog.de (Udo Vetter). Die taz kennt bereits einige "originalpolizeiliche Ausnahmen".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. Juni 2016: Erbschaftsteuerreform / AGG-Hopping / Wahlanfechtung in Österreich . In: Legal Tribune Online, 21.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19736/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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