Das BKA-Gesetz ist teilweise verfassungswidrig. Außerdem in der Presseschau: Streit im NSU-Prozess um die Vernehmung eines V-Manns, sollen Preise im Internet kontrolliert werden, und missbraucht Google Android Marktmacht?
Thema des Tages
BVerfG zum Bundeskriminalamt: An insgesamt elf Punkten muss das BKA-Gesetz von 2009 nachgebessert werden, entschied das Bundesverfassungsgericht am gestrigen Mittwoch. Verfassungswidrig seien unter anderem der mangelnde Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, die Unterscheidung von Strafverteidigern und sonstigen Anwälten beim Berufsgeheimnisträgerschutz, die Zulässigkeit von Ermittlungen ohne Anhaltspunkte für eine Straftat, Datenauwertungs- und Datenübermittlungsregeln – auch bei der Auslandsübermittlung – und mangelnde Transparenz und Prüfung des BKA. Zwei Normen wurden für nichtig erklärt, darunter die Wohnungsüberwachung bei Kontaktpersonen, die selbst nicht unter Terrorismusverdacht stehen. Bei den anderen beanstandeten Paragrafen stellte das Gericht fest, diese seien zu unbestimmt oder bräuchten mehr flankierende Regeln zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit – sie gelten mit Einschränkungen fort. Drei der acht Verfassungsrichter stimmten gegen das Urteil. Es berichten lto.de (Constantin van Lijnden), die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Helene Bubrowski), netzpolitik.org (Constanze Kurz) und swr.de (Gigi Deppe) Eine Auflistung, auf welche Lebensbereiche sich das Urteil auswirkt, geben die taz (Christian Rath) und spiegel.de (Jörg Diehl/Dietmar Hipp).
Christian Bommarius (BerlZ) sieht eine gravierende Bedeutung nicht nur für das Gesetz, "sondern für die gesamte Sicherheitsarchitektur, die nach diesem Urteil etlicher Umbaumaßnahmen bedarf." Jost Müller-Neuhof (Tsp) ist der Ansicht, dass der Gesetzgeber vor allem "datenschutzrechtliche Gesamtzusammenhänge" übersehen habe. Heribert Prantl (SZ) meint, das Gericht "ordnet einen an Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien orientierten Rückbau der Sicherheitsgesetze an" und "schützt den Bürger vor digitaler Inquisition und vor Überwachungsexzessen." Reinhard Müller (FAZ) bemängelt, das Urteil mache "detailverliebte Vorgaben, die nicht nur dem Gesetzgeber (scheinbar) die Arbeit abnehmen, sondern auch einer wirksamen Gefahrenabwehr entgegenstehen können." Im Leitartikel des Hbl bezeichnet es Till Hoppe als "fragwürdig", "Sicherheitsbehörden die Arbeit ohne Not zu erschweren".
Mit derzeit möglichen Überwachungstechniken befasst sich die SZ (Johannes Boie). Die FAZ (Jasper von Altenbockum) porträtiert BKA-Chef Holger Münch.
Rechtspolitik
Werbeverbot für Tabakwaren: Nachdem bereits Ende Mai dieses Jahres Schockbilder und Warnhinweise auf Zigarettenschachteln vorgeschrieben sein werden, soll nun zudem ab 2020 Zigarettenwerbung auf Plakaten und im Kino verboten werden. Das Bundeskabinett hat am gestrigen Dienstag einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf beschlossen, berichtet lto.de. Kritiker warnen, dass weitere Verbote für "gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten und gesundheitlich riskante Produkte" folgen könnten.
"Referenzpreis": Der Vorsitzende der Verbraucherschützerkonferenz von Bund und Ländern fordert Maßnahmen gegen "individualisierte" Preise im Online-Handel, berichtet die FAZ (Joachim Jahn). Beim Internet-Einkauf könne der digital angezeigte Preis ohne weiteres an den potenziellen Käufer angepasst werden, indem etwa Wohnort und Computermarke berücksichtigt würden. In der Tourismusbranche werde dieses Vorgehen auch genutzt.
§ 103 StGB: Nach dem Willen der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hamburg soll der umstrittene Straftatbestand, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter besonders bestraft, schon bald kippen. Beide Länder wollen hierfür in der Bundesratssitzung Mitte Mai Initiativen vorbringen, um das Verfahren gegen Satiriker Jan Böhmermann abzuwenden, meldet die SZ.
Justiz
OLG Frankfurt – Europarechtskonformität selektiver Verkaufswege: Rechtfertigt es das "Luxusimage" einer Ware, dass Hersteller ihren Vertragshändlern bestimmte Verkaufswege wie Online-Plattformen untersagen? Die Frage, ob derartige Vereinbarungen europarechtlich unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen darstellen, hat das Oberlandesgericht Frankfurt dem Europäischen Gerichtshof zu Klärung vorgelegt. Entschieden werden muss, ob die Voraussetzungen für ein solches sogenanntes selektives Vertriebssystem dadurch erfüllt sein können, dass der Verkauf auf einer Plattform keine angemessene Verkaufsumgebung für Luxuskosmetik darstellt, so telemedicus.info (Sebastian Telle).
LSG Berlin-Brandenburg zu Sozialleistungen für EU-Bürger: In der umstrittenen Frage, inwieweit EU-Bürger von Sozialleistungen ausgeschlossen werden dürfen, weichen einige Sozialgerichte ausdrücklich von der eindeutigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab. Einer dieser Fälle gelangte nun zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, das entschied: Inwieweit ein notwendiger verfestigter Aufenthalt bestehe, liege im Ermessen der leistungsgewährenden Behörde, so lto.de.
BVerfG zu Abstammungsklärung: Einen ausführlichen Bericht zu der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, dass ein Kind keinen Anspruch auf isolierte Klärung der Abstammung gegenüber einem mutmaßlichen leiblichen Vater habe, der nicht der rechtliche Vater ist, gibt nun auch der SWR RadioReport Recht (Bernd Wolf). Unter anderem wird mit der Klägerin Inge Lohmann und ihrem Anwalt gesprochen.
BFH zu Fahrtkosten eines Vermieters: Wenn Vermieter ihre Immobilien zu häufig aufsuchen, handelt es sich dabei um eine regelmäßige Tätigkeitsstätte. In der Konsequenz können nicht die Fahrtkosten in voller Höhe als Werbungskosten steuerlich abgesetzt, sondern nur die Entfernungspauschale kann geltend gemacht werden. Dies entschied der Bundesfinanzhof nach einer Meldung von lto.de.
OLG München – NSU: Im Terror-Prozess um den NSU haben die Nebenklagevertreter den Anklägern vorgeworfen, den Verfassungsschutz unzulässig schützen zu wollen, indem ein ehemaliger V-Mann nicht als Zeuge vernommen wird. Er soll die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und die verstorbenen mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos während ihrer Zeit im Untergrund beschäftigt haben – Bundesanwalt Herbert Diemer bestreitet jedoch, dass es hierfür ausreichende Belege gibt, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). Zschäpe bringt derweil eine CD mit Urlaubsbildern in Bedrängnis, die gegen einen von ihr behaupteten Bruch mit Mundlos und Böhnhardt wegen eines von diesen begangenen Anschlags sprechen.
LG Mainz zu AfD-Äußerungen: "Es gibt in der AfD Menschen, die gegen Juden hetzen und den Holocaust leugnen. Sie sind nicht ausgeschlossen worden." Diese Äußerung des nordrhein-westfälischen Grünen-Fraktionsvorsitzenden Daniel Köbler ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, entschied das Landgericht Mainz, wie die FAZ (Timo Frasch) berichtet. Für die Richtigkeit der Behauptung gebe es tatsächliche Anhaltspunkte.
OVG Hamburg zu Flüchtlingsunterkunft: Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat einen von einem Anwohner des Nobel-Stadteils Blankenese erwirkten Baustopp für eine Flüchtlingsunterbringung aufgehoben. Damit kann an dem Bau weitergearbeitet werden, meldet die taz Nord (Gernot Knödler). Vor zwei Wochen hatten Anwohner die hierfür notwendigen Baumfällungen verhindert, indem sie mit ihren Wagen die Zufahrt blockierten.
BAG zu eigenem Server für Betriebsrat: Arbeitgeber müssen ihrem Betriebsrat zwar im erforderlichen Umfang Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung stellen, jedoch besteht kein Anspruch auf einen separaten Internet- oder Telefonanschluss. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die abstrakte Gefahr von missbräuchlichen Kontrollen durch die Firma keinen eigenen Proxy-Server rechtfertige, so die FAZ (Joachim Jahn).
Strafverfolgung – Jan Böhmermann: Juwiss.de (Roman Kaiser) beschäftigt sich angesichts der Strafverfolgungsermächtigung durch Kanzlerin Angela Merkel gegenüber dem Satiriker Jan Böhmermann mit der staatsorganisationsrechtlichen Frage, wem in derartigen Fällen nach dem Grundgesetz eigentlich die Entscheidung über die Ermächtigung zur Strafverfolgung obliegt.
StA Traunstein – geschlossene Unterbringung behinderter Kinder: Die Zeit (Nadine Ahr/Christiane Hawranek) befasst sich ausführlich mit der Praxis, dass schwerbehinderte Kinder in Heimen häufig und auch über längere Zeit eingesperrt werden – in ihren Zimmern, zum Teil aber auch in "sargähnlichen" Kastenbetten. Oft werde ein vielmaliges tägliches Einsperren schlicht mit dem "Tagesplan" begründet. Ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung gegen einen Anstaltsleiter stellte die Staatsanwaltschaft Traunstein mehrfach ein, nach Intervention der Generalstaatsanwaltschaft München und der Bayerischen Staatsregierung läuft es wieder.
BAW – Rechtsterrorismus: Der Generalbundesanwalt hat eine Liste mit Anhaltspunkten zusammengestellt, anhand derer Ermittler "rechtsterroristische Zusammenhänge" erkennen sollen, und diese an Staatsanwaltschaften verschickt. Das berichtet die SZ (Lena Kampf/Hans Leyendecker).
Kirchenarbeitsrecht: Im März hat das Bundesarbeitsgericht dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es europarechtskonform ist, dass die Kirchen in Deutschland die Einstellung von Arbeitnehmern von deren Konfession abhängig machen dürfen. Rechtsanwalt Ulrich Hammer stellt auf lto.de die hierzu bestehende Rechtsprechung vor.
Steuerfahndung: Die SZ (Cerstin Gammelin) berichtet darüber, wie sich seit Veröffentlichung der Panama Papers Steuerfahnder aus vielen Ländern zusammenschließen, um gegen Steuerflucht und Geldwäsche vorzugehen. Hierbei würden Daten und Informationen ausgetauscht und praktische Ermittlungen koordiniert.
Recht in der Welt
USA - Entschädigung wegen Dieselgate: VW hat sich nach Angaben mehrerer Medien kurz vor Ablauf einer von den US-Behörden gesetzten Frist mit der dortigen Justiz geeinigt haben. Kunden, die einen Pkw mit falschen Abgaswerten erworben haben, sollen 5.000 Dollar erhalten, berichtet welt.de (Nikolaus Doll). Ein noch recht wenig konkretes Eckpunktepapier solle dem zuständigen Richter am heutigen Donnerstag präsentiert werden, der größte Teil der Autos mit der Software soll nachgerüstet werden, ein kleinerer Teil zurückgekauft, zudem müsse der Konzern eine hohe Geldstrafe zahlen und sich verpflichten, Maßnahmen zum Umweltschutz zu finanzieren.
USA – Entschädigung bei Terrorunterstützung: In den USA werden Klagen, die Entschädigungen von anderen Staaten fordern, bislang meist mit Verweis auf deren Souveränität abgewiesen – die USA selbst wollen keinen Anlass für derartige Urteile gegen sich selbst schaffen. Ein von Republikanern und Demokraten gemeinsam unterstützter Gesetzentwurf soll dies nun ändern und ermöglichen, dass etwa Hinterbliebene des Anschlags vom 11. September 2001 den saudi-arabischen Staat für die Unterstützung von Al-Qaida verklagen können, berichtet die FAZ (Moritz Eichhorn).
Norwegen – Anders Breivik: Die Klage des norwegischen Massenmörders Anders Breivik, der seit fast fünf Jahren in Einzelhaft sitzt, hatte Erfolg. Die Haftbedingungen verletzten in mehreren Punkten seine Menschenrechte, berichtet die SZ (Silke Bigalke). Åsne Seierstad (spiegel.de) schreibt dazu: "Ob er von den Besuchern isoliert ist oder nicht - die Hauptsache ist, dass seine Ideen isoliert werden."
Niederlande/Russland – Yukos-Entschädigungen: Weil der russische Staat den Erdölkonzern Yukos aus politischen Gründen pleite gehen ließ, sprach 2014 ein Schiedsgericht im niederländischen Den Haag den ehemaligen Großaktionären 50 Milliarden Dollar Schadenersatz zu. Ein Bezirksgericht, ebenfalls in Den Haag, hat das Urteil nun aufhoben. Das Schiedsgericht sei nicht für den Fall zuständig gewesen, so die SZ (Frank Nienhuysen/Stefan Ulrich).
Sonstiges
EU-Kommission gegen Google: Die EU-Kommission hat das Wettbewerbsverfahren gegen Google auf das Android-Betriebssystem ausgeweitet, berichtet lto.de. Indem der Konzern Herstellern von Android-Geräten und Mobilfunknetzbetreibern Beschränkungen auferlege, nutze er möglicherweise seine marktbeherrschende Stellung unter Verstoß gegen das EU-Kartellrecht missbräuchlich aus. Alexander Mühlhauer (SZ) meint dazu, dem ehemals freiheitlichen Ansatz des Unternehmens sei "etwas dazwischengekommen: die eigene Macht, das digitale Chaos kontrollieren zu können."
Hilfspolizisten: Oberregierungsrat und Rechtsdozent Florian Albrecht befasst sich auf lto.de mit zunehmend häufiger eingesetzten, kurzfristig ausgebildeten Hilfspolizisten. Es dürfe bezweifelt werden, dass diese den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Polizeikräfte genügten. Der Staat müsse seine Schutzpflicht erfüllen, indem er durch richtig ausgebildete Einsatzkräfte weder die Bürger noch die Hilfspolizisten unnötig belaste oder gefährde.
Das Letzte zum Schluss
Markenhähnchen: Ein Hähnchenimbissbesitzer in Südkorea muss 11.000 Euro Schadensersatz zahlen und den Namen des Restaurants ändern, weil er dieses Louis Vuiton Dak genannt hat, als Anspielung auf tongdak, koreanisch für "ganzes Hähnchen“. Ungeachtet etwaiger Ähnlichkeiten der Produkte erkannten sowohl der Modehersteller Louis Vuitton als auch ein dazu angerufenes Gericht einen Markenrechtsverstoß, berichtet justillon.de (Andreas Stephan).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. April 2016: BKA-Gesetz verfassungswidrig / Schützt BAW V-Mann? / EU gegen Google . In: Legal Tribune Online, 21.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19065/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag