Der Modellversuch zur Gesichtserkennung in Berlin beginnt. Außerdem in der Presseschau: Die Plädoyers im NSU-Prozess werden fortgesetzt und in der Türkei beginnt der Prozess gegen rund 500 angebliche Putschisten.
Tagesthema
Modellversuch Gesichtserkennung: Am Berliner Bahnhof Südkreuz hat das Pilotprojekt zur Gesichtserkennung begonnen, bei dem 300 Freiwillige über einen Zeitraum von sechs Monaten beim Betreten des Bahnhofs einem automatischen Bildabgleich unterzogen werden. Hierüber berichten SZ (Antonie Rietzschel), Welt (Ricarda Breyton) und FAZ (Mechthild Küpper). Mit dem Versuch sollen die technischen Möglichkeiten der Gesichtserkennung erforscht werden. Technische Details der Überwachung erläutert die SZ (Simon Hurtz).
netzpolitik.org (Constanze Kurz) kritisiert an dem Versuch, dass die Zusammensetzung der Testgruppe zu klein und nicht ausreichend repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sei, um belastbare Ergebnisse liefern zu können, lawblog.de (Udo Vetter) verweist auf eine Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, wonach eine derartige Überwachung zu einem "nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung" führe.
Auch Heribert Prantl (SZ) betont die mangelnde Wirksamkeit der Technik. Bei dem Projekt handele es sich um den Versuch, die Bürger an flächendeckende, grundrechtswidrige Überwachungsmethoden zu gewöhnen.
Rechtspolitik
Strafrecht – "Digitale Agenda": Die unionsgeführten Landesjustizministerien haben in einer gemeinsamen Erklärung eine "digitale Agenda" für das Strafrecht gefordert. Dies meldet lto.de. Die Minister forderten die Kriminalisierung des "digitalen Hausfriedensbruches", also des Zugriffs von Hackern auf private Rechner, um von dort Massen-E-Mails oder Tweets zu verschicken. Ebenso solle der Handel mit illegalen Waren über das sogenannte Darknet erschwert und geprüft werden, ob bereits das Betreiben einer entsprechenden Plattform bestraft werden könne.
Lammert zu Hasskommentaren: Bundestagspräsident Norbert Lammert fordert ein Mindeststrafmaß für Hasskommentare im Internet. Dies melden taz und netzpolitik.org (Markus Reuter). Auf diese Weise solle Richtern und Staatsanwälten die Möglichkeit genommen werden, Strafverfahren "wegen vermeintlicher Unerheblichkeit gleich niederzuschlagen".
Justiz
OLG München – NSU: In den Plädoyers im Prozess um den sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund" hat sich die Staatsanwaltschaft mit der Rolle des Mitangeklagten Ralf Wohlleben befasst. Hierüber berichten spiegel.de (Julia Jüttner) und taz (Konrad Litschko). Wohlleben sei das "Mastermind" der NSU-Helfer gewesen, er habe die Tatwaffe besorgt und sei damit der Beihilfe zum neunfachen Mord schuldig. In einem separaten Bericht fasst die SZ (Anette Rammelsberger) das dreitägige Plädoyer der Staatsanwaltschaft zur Rolle der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zusammen. Sie sei gleichberechtigte Mittäterin der Terrorzelle gewesen. Ihre Einlassung, von den Taten nichts gewusst und sich den Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergeordnet zu haben, sei unglaubwürdig angesichts des engen Zusammenlebens des Trios und der Tatsache, dass sie nach dem Tod der beiden das Bekennervideo verschickt habe. Die Plädoyers werden nach der Sommerpause fortgesetzt.
BAW – Messerangriff von Hamburg: Christian Rath kommentiert auf taz.de die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen im Fall des Hamburger Messerangreifers Ahmad A. zu übernehmen. In ihrer Begründung versuche sie, den Verdacht eventueller Versäumnisse der Sicherheitsbehörden zu entkräften. So habe der Angreifer nach ihrer Auffassung den Tatentschluss kurzfristig getroffen, was die Behörden entlaste, denen der Mann zwar vorher schon bekannt war, die ihn jedoch nicht als Gefährder eingestuft hatten. Auch betone die Bundesanwaltschaft die islamistische Gesinnung des Mannes. Folglich würde es weniger schwer wiegen, dass die Sicherheitsbehörden einer Empfehlung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach einer psychologischen Begutachtung des Mannes nicht nachgekommen seien, da nicht die Erkrankung, sondern die Radikalisierung ausschlaggebend gewesen sei. Insgesamt bleibe der Gerichtsprozess gegen Ahmad A. abzuwarten, der ein mögliches Ermittlungsversagen aufdecken werde.
BVerfG – Missbrauchsgebühr: Ein Anwalt muss 500 Euro Missbrauchsgebühr zahlen, weil er sich in einer Verfassungsbeschwerde beleidigend geäußert hat. Seine Erinnerung gegen die Gebühr verwarf das Bundesverfassungsgericht. lto.de (Pia Lorenz) erläutert aus diesem Anlass die zugrundeliegende Norm, § 34 BVerfGG, die die grundsätzliche Kostenfreiheit des verfassungsgerichtlichen Verfahrens mit einer Missbrauchsklausel versehe. Das Gericht erhebe die Gebühr in seltenen Ausnahmefällen, um missbräuchliche Verfassungsbeschwerden zu sanktionieren.
BGH – Keine Entschädigung für Demjanjuk-Witwe: Der Bundesgerichtshof hat die Klage der Witwe des ehemaligen KZ-Wachmanns John Demjanjuk auf Zahlung einer Entschädigung zurückgewiesen. Dies berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). John Demjanjuk hatte sich durch eine Schlagzeile der "Bild"-Zeitung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt gesehen und dagegen geklagt, war jedoch vor einer Entscheidung verstorben. Die Witwe hatte die Klage weiter führen wollen. Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung sei jedoch nicht vererbbar, da er vorrangig der höchstpersönlichen Genugtuung diene, entschied das Gericht. Entsprechend hatte es schon 2014 im Fall des verstorbenen Sängers Peter Alexander geurteilt.
ArbG Regensburg – Besoldung von BAMF-Mitarbeitern: Ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat vor dem Arbeitsgericht Regensburg gegen die Höhe seiner Besoldung geklagt. Hierüber berichtet die SZ (Bernd Kastner). Der 59-Jährige war in die niedrigste Besoldungsstufe eingeordnet und damit einem Berufsanfänger gleichgestellt worden, ohne dass seine umfangreiche Berufserfahrung berücksichtigt wurde. Das Tarifrecht sehe eine solche Berücksichtigung als "förderliche Zeit" nur dann vor, wenn sich zu wenige oder nur zu gering qualifizierte Bewerber für die betreffende Stelle beworben haben. Für die Stellen im BAMF habe es indes einen Bewerberüberhang gegeben, bekundete die Behörde. Das Verfahren könnte Präzedenzcharakter entfalten, da nahezu alle der im Zuge der Flüchtlingskrise vom BAMF neu eingestellten Mitarbeiter in die niedrigste Besoldungsstufe ohne Berücksichtigung ihrer Berufserfahrung eingeordnet worden waren.
BVerwG – Statistische Datenerhebung: Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg hat einen von einer Berliner Anwaltskanzlei vor dem Bundesverwaltungsgericht geltend gemachten Klageanspruch anerkannt, mit dem diese sich gegen umfangreiche Auskunftsverlangen seitens der Statistikbehörde wehrte. Dies berichtet lto.de (Maximilian Amos). Nun wird ein entsprechendes Anerkenntnisurteil des Gerichts erwartet. Das Datenauskunftsverlangen, dessen Nichtbefolgung bußgeldbewehrt ist, stelle einen ungerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Die Datenerhebung sei zwar quantitativ nicht zu bemängeln, jedoch seien mit der verwendeten Methode repräsentative Ergebnisse nicht zu erwarten, weshalb der Eingriff insgesamt unverhältnismäßig sei.
Korrektur: In dem Beitrag zur Besoldung von Bamf-Mitarbeitern war ursprünglich vom Amtsgericht Regensburg die Rede. Richtigerweise wurde natürlich vor dem Arbeitsgericht Regensburg verhandelt. Danke an den Leser für den Hinweis!
Recht in der Welt
Türkei – Putsch-Prozess: In der Türkei hat ein Prozess gegen insgesamt 486 angebliche Putschisten begonnen. Hierüber berichten taz, welt.de (Boris Kálnoky), SZ und spiegel.de. Hauptangeklagter ist der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen, gegen den in Abwesenheit verhandelt wird. Vielen der vor Gericht gebrachten Personen drohen lebenslange Haftstrafen. Bei der Ankunft der Angeklagten in dem eigens für den Prozess errichteten Gerichtsgebäude im Gefängnis von Sincan bei Ankara wurden die Angeklagten von einer aufgebrachten Menge empfangen. Die Demonstranten beschimpften die Angeklagten, die jeweils von zwei Polizisten begleitet wurden, und forderten die Todesstrafe.
Griechenland – Chefstatistiker verurteilt: Der ehemalige Chef des griechischen Statistikamtes Elstat, Andreas Georgiou, ist zu einer zweijährigen Jahren Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Dies meldet die taz. Georgiou hatte 2010 die Zahlen betreffend einer unerwartet hohen Neuverschuldung Griechenlands an die europäischen Statistikbehörde Eurostat weitergeleitet, ohne hierfür die Zustimmung des Vorstandes des griechischen Statistikamtes einzuholen. Die FAZ (Tobias Piller) erläutert die verschiedenen anderen Verfahren, die gegen Georgiou wegen seiner Tätigkeit eingeleitet wurden.
Jordanien – Vergewaltigung: In Jordanien ist ein Gesetz abgeschafft worden, das Vergewaltigern Straffreiheit zubilligte, wenn diese ihr Opfer später heiraten. Dies melden faz.net und taz. Der Streichung war eine langjährige Kampagne von Frauenrechtsverbänden vorausgegangen. Ähnliche Gesetze wurden zuvor auch in Marokko, Ägypten und Tunesien aufgehoben, sie bestehen indes weiterhin fort in Algerien, dem Irak, Kuwait, Libyen und Syrien.
Spanien – Katalanisches Unabhängigkeitsreferendum: Das spanische Verfassungsgericht hat ein Gesetz des katalanischen Regionalparlaments aufgehoben, das die Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums ermöglich hätte. Dies meldet die taz. Die Verfassungsklage war von Ministerpräsident Mariano Rajoy erhoben worden.
Russland – Haftbedingungen: In der taz berichtet der ehemalige russische Lagerhäftling Nik Lisak über den Alltag in der Haft. Es herrsche ein strenges Arbeitsregiment, Regelverstöße würden mit Bestrafungen wie Knüppelschlägen, Schlafentzug oder Beschallung mit ohrenbetäubender Musik geahndet.
Sonstiges
Cum-Ex-Geschäfte – Professorale Gutachten: In einem Bericht über den Untersuchungsausschuss zu den sogenannten Cum-Ex-Geschäften berichtet das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) über die "unrühmliche Rolle", die Universitätsprofessoren mit bezahlten Gutachten in diesem Zusammenhang gespielt haben sollen. Mit den Cum-Ex-Geschäften war es Finanzanlegern gelungen, mehr Kapitalertragsteuer abzuzweigen, als zuvor einbehalten worden war. Hierdurch wurde der deutsche Fiskus um einen Milliardenbetrag geschädigt. Verschiedene Steuerrechtsprofessoren wie Joachim Englisch aus Münster und Marc Desens aus Leipzig hätten in hochbezahlten Gutachten die Legalität dieser Praxis bescheinigt und trügen daher eine Mitverantwortung. Überdies hätten die Professoren ihre Auffassung auch in Fachzeitschriften vertreten, ohne dabei auf ihre parallele Gutachtertätigkeit hinzuweisen.
Fluggastrechte: Die SZ (Caspar Busse) erläutert das Geschäftsmodell einiger Online-Portale, die Entschädigungen wegen verspäteter oder ausgefallener Flüge bei Fluggesellschaften geltend machen. Zwar stünden Kunden oft Entschädigungen zu, diese seien jedoch nur mühsam einzutreiben. Fluggastrechte-Portale übernehmen kostenlos die Rechtsverfolgung für den Kunden, behalten jedoch im Erfolgsfall einen Teil der Entschädigung ein, meist etwa 30 Prozent. In einem separaten Artikel porträtiert SZ (Caspar Busse) mit Eve Büchner die Gründerin eines solchen Portals.
Richterinnen mit Kopftuch: Anlässlich der Diskussion um die Vereinbarkeit des Tragens des muslimischen Kopftuches mit dem richterlichen Neutralitätsgebot befasst sich Privatdozent Florian Steinhauer auf verfassungsblog.de mit dem Sinn und Zweck des Tragens von Richterroben. Die Richterrobe sei eine Verkleidung, die es ermögliche, in Amt und Rolle des Richters versetzt zu werden. In dieser Funktion seien sich Richterrobe und Kopftuch ähnlich, da sie beide eine dogmatisch begründete Abschirmung der betreffenden Person zur Folge hätten. Das Tragen eines Kopftuches sei folglich mit dem Richteramt keineswegs unvereinbar.
Das Letzte zum Schluss
Brandstiftung gegen Unordnung: Über eine unorthodoxe Art und Weise, in der Nachbarschaft aufzuräumen, berichtet spiegel.de. Nachdem eine ältere Dame im sächsischen Scheckwitz sich lange genug über Unordnung und Ratten in der Bäckerei nebenan aufgeregt hatte, zündete die 71-Jährige das Gebäude am Silvesterabend 2016 kurzerhand an. Ein Atemalkoholtest ergab später einen Wert von 1,2 Promille. Das Amtsgericht Bautzen verurteilte die Frau nun zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Den Sachschaden in Höhe von 4.600 Euro habe sie bereits beglichen, alle Seiten verzichteten auf Rechtsmittel.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. August 2017: Modellversuch zur Gesichtserkennung / NSU-Plädoyers / Putsch-Prozess in der Türkei . In: Legal Tribune Online, 02.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23737/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag