VW stimmt in den USA einem milliardenschweren Vergleich zu. Außerdem in der Presseschau: Kabinett beschließt bessere Teilhabe bei Behinderung, der Brexit wirft weiter Fragen auf und Schadensersatz wegen Windows 10.
Thema des Tages
USA – VW-Skandal: In der Affäre um manipulierte Abgaswerte hat Volkswagen in den Vereinigten Staaten einem Vergleich zugestimmt – der Konzern muss danach Entschädigungen in Höhe von 14,733 Milliarden US-Dollar zahlen. Beteiligt an der Einigung sind die US-Umweltbehörde EPA, die klagenden Besitzer von Dieselautos sowie mindestens 44 Bundesstaaten. Das Bezirksgericht in San Francisco, das zur Aushandlung eines Vergleichs eine Frist bis Dienstag gesetzt hatte, muss zu dessen Gültigkeit noch zustimmen. Der größte Teil der Summe von zehn Milliarden ist für den Rückkauf von fast einer halben Million manipulierter Dieselautos bestimmt. Zudem muss Volkswagen in zwei Umweltfonds einzahlen. Es berichten die Welt (Nikolaus Doll/Philipp Vetter) und das Hbl.
spiegel.de (Kristina Gnirke) gibt eine Übersicht, welche weiteren Zahlungen noch auf das Unternehmen zukommen können. Bastian Brinkmann (sueddeutsche.de) kritisiert, dass bei einem ausgehandelten Vergleich die Relation zu anderen Fällen schlechter gewahrt würde als bei einer objektiven Gerichtsentscheidung.
Rechtspolitik
Bundesteilhabegesetz: Das Bundeskabinett hat am Dienstag den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes beschlossen, mit dem die Teilhabe und Selbstbestimmtheit von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden soll, etwa durch eine bessere Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Eingliederungshilfeleistungen sollen dabei zukünftig als Teilhaberechte und nicht als Sozialhilfeleistungen ausgestaltet sein. Auf lto.de erläutern der Leiter der Rechtsabteilung eines Sozialdezernats Franz Dillmann und die Rechtsanwältin Heike Brüning-Tyrell die Neuregelungen. Die FAZ (Yasemin Ergin/Mona Jaeger) gibt die Kritik von Betroffenenverbänden wieder, die unter anderem zunehmende Unterbringung in Heimen statt in eigenen Wohnungen befürchten und die Erhöhung von Sparbeträgen für nicht ausreichend halten.
BND-Reform: Der Entwurf für ein neues Gesetz zum Bundesnachrichtendienst wurde am Dienstag vom Bundeskabinett beschlossen, wie die taz (Christian Rath) und spiegel.de berichten. Damit soll eine bessere Kontrolle der Auslandsaufklärung erfolgen, insbesondere mittels der Überprüfung des Dienstes durch ein neues unabhängiges Gremium. Die Überwachung des Datenverkehrs von EU-Organen, EU-Staaten und EU-Bürgern soll an strengere Voraussetzungen geknüpft, aber weiterhin zulässig bleiben. Reinhard Müller (FAZ) hält dies für sinnvoll, denn schließlich seien andere befreundete Länder "wesentlich weniger zimperlich bei der Durchsetzung ihrer Interessen auch gegenüber Bündnispartnern".
Strafprozessordnung: Rechtsanwalt und Dozent Jörg Habetha befasst sich auf lto.de mit dem Anfang Juni vorgelegten Entwurf zur Reform der Strafprozessordnung. Bemerkenswerte Neuerungen seien etwa die Möglichkeit, eine Frist für Beweisanträge zu setzen, ein Antragsrecht des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers schon im Ermittlungsverfahren und die audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen. Insgesamt sei aber kein stringentes Gesamtkonzept zu erkennen und das Ziel, eine merkliche Effektivierung des Verfahrens zu erreichen, werde nicht erreicht werden.
Sexualstrafrecht: Auch nachdem sich die Große Koalition über wesentliche Fragen zur Verschärfung des Sexualstrafrechts geeinigt hat, wird darüber intensiv diskutiert. Bundesrichter Thomas Fischer befasst sich in seiner Kolumne auf zeit.de mit der Strafbarkeit des "Grapschens" und schreibt zudem, eine Vergewaltigung setze schon nach geltender Rechtslage keine körperliche Gegenwehr voraus. Wer dies behaupte, zitiere die "zwei oder drei ersichtlich fehlerhaften Urteile" hierzu. internet-law.de (Thomas Stadler) weist demgegenüber darauf hin, dass nach derzeitigem Recht eine Strafbarkeit nach § 177 Strafgesetzbuch eine Nötigung, Drohung oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage verlangt, und die Grenzen hier "reichlich unklar" seien, wie die juristische Kommentierung zeige. Die Juristinnen Theresa Richarz und Franziska Brachthäuser fordern auf zeit.de, die Erfahrungen der Betroffenen ernst zu nehmen.
Justiz
OLG München – NSU: Im Prozess um die mutmaßlichen Rechtsterroristen des NSU scheint sich ein Ende der Beweisaufnahme abzuzeichnen. Das Gericht arbeite die letzten Reste ab, schreibt spiegel.de (Gisela Friedrichsen). Dabei könnte ein auf einem Zeitungsartikel gesicherter Fingerabdruck der Hauptangeklagten Zschäpe diese weiter in Bedrängnis bringen. Der Artikel über einen dem Trio angelasteten Mord taucht in einem Bekennervideo auf, Zschäpes Aussage nach will sie von den Taten jedoch nichts gewusst und sie nicht gebilligt haben. Sie versucht derweil erneut, ihre Pflichtverteidigerin Anja Sturm loszuwerden, so zeit.de.
EuGH – Rechtswahl in AGB: Die Klage eines österreichischen Verbraucherverbandes gegen Amazon vor dem Europäischen Gerichtshof könnte zu grundsätzlichen Änderungen im grenzüberschreitenden Handel führen, schreibt Rechtsanwältin Sylvia Kaufhold in einem Gastbeitrag in der FAZ. Bei derzeit vielfach genutzten Rechtswahlklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen Verbraucher darauf hingewiesen werden, dass stets auch ihr nationales Recht gilt. In Frage steht nun, ob dies auch für Verbände gilt, die bei Verstößen Abmahnverfahren einleiten könnten.
BVerfG zu OMT-Programm: Das Urteil des Bundesverfassungsgericht, mit dem dieses das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank billigte, analysiert nun ausführlich der wissenschaftliche Mitarbeiter Björn Schiffbauer auf juwiss.de.
BVerfG – Verlegerbeteilung an Verwertungsgesellschaften: Der Verlag C.H. Beck hat Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs eingelegt, mit dem dieser im April die pauschale Beteiligung von Verlagen an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften für unzulässig erklärte. Durch das Urteil werde entschädigungslos in das Eigentumsrecht der Verlags eingegriffen, so die FAZ.
LG Potsdam – Kindestötung: Im Prozess um die Tötung der Jungen Elias und Mohamed hat das Gericht Gegenstände aus dem Haus des Angeklagten Silvio S. in Augenschein genommen. Es seien Puppen, Zeitungsausschnitte von Kinderköpfen sowie Aufzeichnungen gefunden worden, in denen die mutmaßlichen Taten beschrieben wurden, schreibt spiegel.de.
LAG Rheinland-Pfalz zu mitgeschnittenem Personalgespräch: Zeichnet ein Arbeitnehmer ein Personalgespräch mit dem Arbeitgeber heimlich auf dem Smartphone auf, kann das ein Grund für eine fristlose Kündigung sein, entschied jüngst das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz nach einer Meldung von blog.beck.de (Christian Rolfs).
LG Detmold – Auschwitz-Wachmann: Gegen das Urteil, mit dem der ehemalige SS-Wachmann Reinhold Hanning zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde, haben sowohl die Verteidigung als auch diverse Nebenkläger Revision eingelegt. Die Verteidigung hält die Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen für fehlerhaft, die Nebenkläger wollen eine Verurteilung in Mittäterschaft errreichen, meldet spiegel.de.
AG Düsseldorf – Betrug durch Besoldung: Vor dem Amtsgericht Düsseldorf ist eine inzwischen pensionierte Lehrerin angeklagt, die sechs Jahre lang den vollen Lohn ausgezahlt bekam, obwohl sie nur eine Teilzeitstelle innehatte. Die Staatsanwaltschaft sah darin aufgrund ihrer beamtenrechtlichen Pflichten einen Betrug durch Unterlassen. Das Gericht zeigte sich bereit, das Verfahren nach Rückzahlung des zu viel erhaltenen Geldes einzustellen, so lto.de.
LG Berlin zu Fotos von Gemälden: Die Fotografie eines Gemäldes stellt auch dann ein urheberrechtlich geschütztes Werk dar, wenn das abgebildete Gemälde selbst aufgrund des Alters bereits "gemeinfrei" ist. Das entschied das Landgericht Berlin und verurteilte Wikipedia, 17 Fotografien aus der Datenbank zu löschen, wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet.
Verunglimpfung des Staates: Die BerlZ (Christian Bommarius) schreibt darüber, dass die Zahl von Verurteilungen wegen Verunglimpfung des Staates durch hetzerischer Äußerungen "recht bescheiden" sei, wenn man bedenke, mit welcher Schärfe öffentlich Kritik geäußert werde. Es gehöre offenbar "längst zum guten Ton", etwa auf Demonstrationen Amtsträger und Institutionen zu diffamieren. Der "Hass gegen das System" richte sich beunruhigender Weise aber nicht nur gegen das System – insbesondere im Internet werde auch gegen Bürger Hass gesät.
beA: Das Bundesjustizministerium will nach der entstandenen Unsicherheit um das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nun per Verordnung sicherstellen, dass dieses zum 29. September 2016 eingeführt wird, berichtet lto.de (Pia Lorenz).
Recht in der Welt
Großbritannien/EU – Brexit: Mit den juristischen Auswirkungen des Brexits befassen sich drei englischsprachige Artikel auf verfassungsblog.de. Rechtsprofessor Lorenzo Zucca vergleicht die vermuteten Auswirkungen in den verschiedenen Regionen Großbritanniens. Rechtsanwalt Aidan O'Neill schreibt über die Schwierigkeiten, vor denen England jetzt steht, und die Chancen, die sich für Schottland bieten. Rechtsdozent Cormac Mac Amhlaigh fragt nach den Möglichkeiten Schottlands, den Brexit zu verhindern.
USA – Windows 10: In den USA ist Microsoft verurteilt worden, einer Frau 10.000 Dollar zu zahlen, weil auf ihrem Rechner ohne ihren Willen ein Update auf Windows 10 durchgeführt wurde, berichtet lto.de.
USA – Happy Birthday: In Los Angeles hat der Musikkonzern Warner in einem Vergleich auf die Rechte an dem Geburtstagslied "Happy Birthday" verzichtet, wie lto.de meldet. Vorangegangen war ein jahrelanger Streit um Lizenzzahlungen bei öffentlichen Vorführungen des Stückes.
Sonstiges
Brexit und Deutschland: Mit den Auswirkungen des Brexits auf das deutsche Unternehmensrecht befassen sich die Rechtsdozenten Marc-Philippe Weller und Chris Thomale in einem Gastbeitrag in der FAZ. Bislang exportiere Großbritannien sein Gesellschaftsrecht in die EU, etwa in Form von "Limiteds", wovon englische Unternehmen profitierten. Nach einem Ausstieg müsste dies neu ausgehandelt werden.
Über das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zur EU merkt Wolfgang Janisch (SZ) an, das höchste deutsche Gericht habe die Auswüchse europäischer Entwicklungen stets gebremst, vermittele jedoch auch, worauf sich nun besonnen werden müsse - "Die Union gehört nicht den Brüsseler Eliten, sondern den Mitgliedstaaten. Und den Bürgern."
Das Letzte zum Schluss
Haftung für Gottes Geschöpfe?: Bis zum Landgericht hat es der Streit um einen Blumen-Grabschmuck gebracht, der von Rehen gefressen wurde: Eine Kirchengemeinde im ostfriesischen Leer muss dem Kläger dafür nun 471,50 Euro zahlen. Es sei nicht genügend dagegen unternommen worden, dass die Tiere den Friedhof verwüstet und diverse Schäden verursacht hätten, so das Landgericht Aurich nach einer Meldung der SZ.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2016: VW für Milliardenvergleich / Bessere Inklusion? / Mehr zum Brexit . In: Legal Tribune Online, 29.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19827/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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