Das Bundeskabinett beschließt verschärfte Regeln für die Ausweisung bei Straftaten. Außerdem in der Presseschau: Auch privat genutzte Arbeitszimmer sind nicht steuerlich absetzbar und BAW geht gegen rechtsextreme Website "Altermedia" vor.
Thema des Tages
Ausweisung Straffälliger: Asylsuchende, die zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, können künftig leichter ausgewiesen werden. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch, dass wegen bestimmter Delikte bereits eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr die Ausweisung begründen können soll – und das auch dann, wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zu den Straftaten, bei denen dies möglich sein soll, gehören Körperverletzung, Vergewaltigung oder Tötung aber auch Widerstand gegen Polizeibeamte oder Eigentumsdelikte, wenn sie mit Gewalt, Drohung oder List begangen wurden. Zudem soll künftig bereits eine Freiheitsstrafe von einem statt drei Jahren der Anerkennung als Flüchtling entgegenstehen. Das System der Ausweisung war bereits zum 01.01.2016 verschärft worden – mit der erneuten Änderung reagiert die Bundesregierung auf die Silvesterübergriffe in Köln. Es berichteten spiegel.de, die Welt (Marcel Leubecher) und lto.de.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert, mit der Verschärfung würden nicht, wie wünschenswert wäre, Asylsuchende von Straftaten abgeschreckt. Denn wenn die Ausweisung auf dem Papier beschlossen werde, habe das oft keine spürbaren Folgen – Abschiebehindernisse etwa ließen sich dadurch nicht beseitigen. Notwendig seien dagegen praktische Maßnahmen mit sofortiger Wirkung, etwa mehr Untersuchungshaft und mehr beschleunigte Verfahren, die auch zuvor schon möglich gewesen seien. So sei die geplante Änderung Symbolpolitik, die zudem das gerade reformierte Ausweisungssystem wieder durcheinander brächte. Auch Thomas Oberhäuser vom Deutschen Anwaltsverein befürchtet, wie zeit.de berichtet, die Verschärfung bringe "die Balance des gesamten Systems in Gefahr". Von der vermehrten Ausweisung würden sehr viel häufiger gut integrierte Migranten getroffen werden, die schon lange in Deutschland lebten.
Rechtspolitik
EU-Kommission und Fahrzeugkontrollen: Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihre Pläne für eine verstärkte Kontrolle bei der Automobilzulassung vorgestellt, wie die taz (Eric Bonse) und die Welt (Nikolaus Doll/Andre Tauber) berichten. Bei der Untersuchung neuer Automodelle, der sogenannten Typengenehmigung, will die Kommission zukünftig ein eigenes Prüfrecht – bislang ist dies Sache der nationalen Prüforganisationen und Behörden. Falls bei der Typengenehmigung geschummelt, also gegen EU-Recht verstoßen, wird, sollen zudem sowohl die Prüfstellen als auch die Hersteller mit Bußgeldern belegt werden können. Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska sagte dazu: "Ein Fall wie bei VW darf sich nie mehr wiederholen".
Vermögensteuer: Das Deutsche Institut für Wirtschaft spricht sich im Rahmen einer aktuellen Studie für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer aus. Eine Abgabe für "sehr wohlhabende Haushalte", zu denen das reichste Prozent der Bevölkerung gezählt würden, seien ein "wirksames Instrument", um die Staatseinnahmen zu erhöhen und die Einkommens- und Vermögensunterschiede zumindest leicht zu verringern. Die Vermögenssteuer existiert eigentlich bereits, sie wurde jedoch 1996 von der Kohl-Regierung ausgesetzt. Es berichteten die SZ (Cerstin Gammelin) und die FAZ.
Flüchtlingspolitik: Auf verfassungsblog.de spricht sich Rechtsprofessorin Christine Langenfeld für eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen aus. Aufgrund der Verpflichtung zu EU-Recht müssten Lösungen dabei auch im europäischen Rahmen gesucht werden.*
*Folgende Formulierung nach Hinweis der Autorin entfernt, 28.01.2016, 11.26 Uhr
Justiz
Bayerische Verfassungsklage wegen Flüchtlingspolitik: Die vom bayerischen Kabinett angedrohte Verfassungsklage, mit der die Bundesregierung zu "sofort wirksamen Maßnahmen" zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen verurteilt werden soll, bezeichnet Christian Rath (taz) als ein "perfides Mittel zur Dramatisierung der Situation". Da die momentane Flüchtlingspolitik vom EU-rechtlichen Rahmen gedeckt sei, der politische Entscheidungen zulasse, werde das Bundesverfassungsgericht keine Verfassungswidrigkeit feststellen und sich nicht einmischen. In der Konsequenz werde eine Klage Merkel eher stärken als schwächen.
FDP-Verfassungsklage gegen Vorratsdatenspeicherung: Auf zeit.de erläutern die FDP-Politiker Burkhard Hirsch, Gerhart Rudolf Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, warum sie beim Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung klagen. Angesichts der Digitalisierung von Kommunikation werde der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach und nach wertlos, wenn Regelungen wie die Vorratsdatenspeicherung nicht verhindert würden. Zudem verstoße das geplante Gesetz gegen Europarecht.
BAW – Altermedia: Die Bundesanwaltschaft hat mehrere Wohnungen in Deutschland und Spanien durchsucht und zwei mutmaßliche Betreiber der Neonazi-Website "Altermedia" festgenommen. Sie seien dringend tatverdächtig, mit drei weiteren Beschuldigten eine kriminelle Vereinigung gebildet und volksverhetzendes sowie nationalsozialistisches Gedankengut im Internet verbreitet zu haben. Die Internetplattform, die als eine der wichtigsten der deutschen Neonazi-Szene gilt, wurde von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verboten. Sie enthalte "übelste rassistische Beiträge". Es berichteten die taz (Konrad Litschko) und die SZ (Jan Bielicki).
BFH zu Arbeitszimmern: Ein Arbeitszimmer in einer Privatwohnung kann nur dann steuerlich abgesetzt werden, wenn es "ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche oder berufliche Zwecke genutzt wird" – an dieser Rechtsprechung hält der Bundesfinanzhof weiterhin fest. Er hob eine Entscheidung des niedersächsischen Finanzgerichts auf, das Kosten für eine teilweise Arbeitsnutzung gewährt und damit Steuerzahlern Hoffnung auf eine Lockerung der strengen Regeln gemacht hatte. Das oberste Steuergericht sah hierfür jedoch keine Notwendigkeit, vielmehr wolle es "Gestaltungsmöglichkeiten unterbinden und den Verwaltungsvollzug erleichtern", schreiben die SZ (Harald Freiberger), lto.de und Joachim Jahn (FAZ).
BVerfG zu EU-Haftbefehl: Auf verfassungsblog.de befasst sich Rechtsprofessor Daniel Sarmiento in englischer Sprache mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem dieses den Vollzug eines EU-Haftbefehls versagt hatte. Er hält die eigene Auslegung des EU-Rechts, die das Verfassungsgericht entgegen einer abweichenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorgenommen hat, für gerechtfertigt. Die Entscheidung sei eine Erinnerung an den Europäischen Gerichtshof, dass die Grundrechte ebenso wie seine Rolle als Rechtsausleger von zentraler Bedeutung seien.
BGH zu Sicherheit beim Online-Banking: Wenn ein Bankkunde beim Online-Banking die richtige PIN und TAN-Nummer eingibt, ist damit nicht unbedingt der Beweis geführt, dass er – und nicht ein anderer – die Überweisung auch wirklich getätigt hat, entschied nun der Bundesgerichtshof. Allerdings könne sich die Bank in vielen Fällen auf den Anscheinsbeweis berufen mit der Folge, dass die Gegenseite dieses Vorbringen widerlegen muss. Im Rahmen der Nachweispflicht der Bank nach § 675w des Bürgerlichen Gesetzbuches müsse es dazu ein allgemein sicheres Authentifizierungsverfahren geben, das auch im konkreten Einzelfall korrekt angewandet wurde, meldet lto.de.
LG Bremen – Reeder Stolberg: Der wegen Untreue, Bilanzfälschung und Kreditbetrugs angeklagte Reeder Niels Stolberg hat sich am Mittwoch vor dem Landgericht in Bremen erstmals zu den Vorwürfen eingelassen. Sein Betrieb sei in der Finanzkrise 2009 in eine Notlage geraten und er habe "teilweise den Überblick und die Kontrolle über das Unternehmen verloren", schreibt die SZ (Angelika Slavik). Mit den nun als Straftaten gewerteten Methoden habe er den Betrieb und die Arbeitsplätze retten, nicht sich bereichern wollen – zudem seien sie in der Branche üblich gewesen.
LG Neubrandenburg – Kriegsverbrecherprozess: Im Prozess gegen den 95-jährigen Hubert Z., der als KZ-Aufseher zur Massenvernichtung in Auschwitz "durch seine tägliche Arbeit beigetragen" und "das Gesamtgeschehen der Vernichtung unterstützt" habe, hat die Schweriner Staatsanwaltschaft die zuständige Schwurgerichtskammer wegen Befangenheit abgelehnt. Hintergrund ist, dass für die anberaumten drei Verhandlungstage keine Zeugen oder andere Beweismittel für die Taten, sondern nur Sachverständige zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten vorgesehen sind. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass das Gericht das Verfahren einstellen will, was es 2005 schon einmal versucht hatte, berichtet die SZ (Lena Kampf).
VG München – Bestattungskosten: Die SZ (Sophie Burfeind) beschäftigt sich mit dem Fall zweier Geschwister, die im Heim aufwuchsen, weil die Eltern sie nicht aufziehen wollten. Zum Vater bestand so gut wie kein Kontakt. Nach seinem Tod sollen die Kinder nun für die Bestattungskosten aufkommen und klagen dagegen – wohl ohne Aussicht auf Erfolg, wie das Verwaltungsgericht nun durchblicken ließ. Ausnahmen von der Kostentragungspflicht seien nur in extremen Sonderfällen denkbar.
Erfolgsaussichten von Asylklagen: Justiz-und-recht.de legt ausführlich die Erfolgswahrscheinlichkeit von Klagen in Asylfällen dar. Diese liege bei 19,91 Prozent, weshalb es "angesichts der existenziellen Bedeutung, die der Aufenthaltsstatus" für die Betroffenen hat, lohnt, diesen Weg zu beschreiten. Es müsse dabei allerdings nach Herkunftsländern differenziert werden.
Recht in der Welt
Frankreich – Justizministerin tritt zurück: Im Streit um eine geplante Verfassungsänderung ist die französische Justizministerin Christiane Taubira zurückgetreten. Sie hatte sich bereits seit einiger Zeit gegen die Sicherheitspolitik im Kampf gegen den islamistischen Terror ausgesprochen. Insbesondere geht es um eine Regelung, mit der verurteilten Terroristen mit doppelter Staatsbürgerschaft die französische Staatsbürgerschaft aberkannt werden können soll, erläutern die taz (Rudolf Balmer) und die FAZ (Michaela Wiegel).
Griechenland – EU-Grenzen: Die EU-Kommission hat Griechenland einen unzureichenden Schutz der EU-Außengrenze vorgeworfen und das Land aufgefordert, die Mängel innerhalb von drei Monaten zu beseitigen. Anderenfalls könnten die anderen EU-Staaten nach Artikel 26 des Schengen-Kodex die Grenzen mit Griechenland schließen und damit einen Ausschluss aus dem Schengen-Raum bewirken, schreibt spiegel.de (Markus Becker). Im Leitartikel in der Welt bezeichnet Dorothea Siems Griechenland als "failed state", der täglich an der Aufgabe der Grenzsicherung scheitere – jedoch mit harten Konsequenzen seitens der EU wohl nicht zu rechnen habe.
Ukraine – EuGH-Klage gegen Sanktionen: Mehrere Ukrainer, darunter der einstige Ministerpräsident Mykola Asarow, klagen vor dem EuGH gegen 2014 gegen sie verhängte Einreiseverbote und Kontensperrungen. Die als "die Verantwortlichen für die Gewalt und den exzessiven Einsatz von Sicherheitskräften" bezeichneten Ukrainer waren auf einer Liste geführt worden, deren Rechtmäßigkeit nun nachgeprüft werden soll. Die Vorwürfe gegen seinen Mandanten seien zu ungenau und nicht belegt, moniert der Anwalt Asarows laut SZ (Daniel Brössler).
Dänemark – Konfiskation bei Flüchtlingen: Angesichts des Vorstoßes Dänemarks, Flüchtlingen bei ihrer Ankunft Wertgegenstände ab umgerechnet 1.340 Euro abzunehmen, sieht Thomas Steinfeld (SZ) ein "Gespür dafür, dass hier eine der Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft preisgegeben wird". Flüchtlinge würden "öffentlich in Menschen verwandelt, denen nicht mehr zusteht als das eigene Leben". Das Handelsblatt (Helmut Steuer) weist darauf hin, dass auch von Flüchtlingen in Deutschland und der Schweiz ab einer bestimmten Höhe Bargeld zur Finanzierung ihres Aufenthalts abkassiert werden darf.
Türkei – Lebenslange Haft für Journalisten? Die Staatsanwaltschaft in Istanbul fordert für zwei Journalisten der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" eine lebenslange Freiheitsstrafe, wie spiegel.de berichtet. Ihnen wird vorgeworfen, Geheimnisverrat durch Berichten über angebliche Waffenlieferungen an syrische Rebellen begangen und sich außerdem mit Berichten über Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung an einem Umsturzversuch gegen diese beteiligt zu haben.
Ägypten – Haftstrafe für Journalistin: Wegen "Beleidigung des Islam" ist eine ägyptische Autorin zu drei Jahren Gefängnis sowie einer Geldstrafe verurteilt worden. Auf Facebook hatte sie die Tierschlachtungen beim islamischen Opferfest als "fröhliches Massaker" bezeichnet. Sie kündigte Berufung an, meldet die taz.
IStGH – Elfenbeinküste: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beginnt am heutigen Donnerstag der Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo, der 2010 die Wahlen gegen Oppositionsführer Alassane Ouattara verlor und das Wahlergebnis annullieren ließ. Im weiteren Verlauf starben Tausende Menschen, weshalb sich nun Ggagbo und der einstige Jugendmilizenführer Charles Blé Goudé wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verantworten müssen. Kritisiert wird jedoch, dass nicht auch gegen den amtierenden Präsidenten Ouattara ermittelt wird, dem ebenfalls Verbrechen angelastet werden. Das berichtet die taz (Katrin Gänsler).
Großbritannien – Libor-Manipulation: Der Londoner Southwark Crown Court hat fünf Broker in der Libor-Affäre freigesprochen, wie das Handelsblatt (Katharina Slodczyk) schreibt. Sie waren als Komplizen des Bankers Tom Hayes angeklagt, der vom selben Gericht zu einer Haftstrafe von 14 Jahren verurteilt worden war. Eine tatsächliche Unterstützung konnte nun aber nicht nachgewiesen werden. Für einen weiteren Angeklagten steht das Urteil noch aus.
Sonstiges
Köln – Untersuchungsausschuss: Der Landtag in Nordrhein-Westfalen hat die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln beschlossen. Damit wolle man "das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat zurückgewinnen", meldet die taz (Claudia Hennen).
Das Letzte zum Schluss
Korrupte Politiker entdecken Liebe zur Wissenschaft: In Rumänien erhalten seit einer Reform 2013 Häftlinge, die im Gefängnis "wissenschaftlich arbeiten", dreißig Tage Straferlass pro veröffentlichtem Werk. Seither wird der Markt von wissenschaftlichen Ergüssen überschwemmt – manche Inhaftierte, oft verurteilt wegen Korruption oder windigen Deals, laufen zu Höchstleistungen auf. So schrieb der Medienmogul Dan Voiculescu bereits zehn wissenschaftliche Bücher – macht 300 Tage weniger Haft. Zu den Titeln wie "Der vierte Weg" oder "Menschheit – wohin?" konstatiert die taz (Keno Verseck): "Ihr Inhalt? Halb Unsinn, halb Plagiat." Das scheint jedoch kein Problem zu sein – Verlage haben längst das Geschäft mit den gut vernetzten Gefängnis-Intellektuellen entdeckt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Januar 2016: Ausweisung Straffälliger vereinfacht / BFH zu Arbeitszimmerkosten / EU rügt Griechenland . In: Legal Tribune Online, 28.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18272/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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