Ist es rechtmäßig, wenn die Linke bei informellen Gesprächen im Vermittlungsausschuss routinemäßig ausgeschlossen wird? Außerdem in der Presseschau: Beate Zschäpe muss sich weiter von einem psychiatrischen Sachverständigen beobachten lassen und Thomas Fischer räsoniert über Mord durch Unterlassen an Flüchtlingen im Mittelmeer.
Thema des Tages
BVerfG - Vermittlungsausschuss: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelte über eine Organklage der Linksfraktion im Bundestag sowie zweier Abgeordneter der Linken. Diese kritisierten, dass die Linke nicht in Arbeitsgruppen und informelle Gesprächskreise des Vermittlungsausschusses eingebunden wird. Ihre Teilhaberechte seien dadurch verletzt. Die Parlamentsvertretung in solchen Untergremien und informellen Zirkeln müsse "spiegelbildlich" zu den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag sein. Über die Verhandlung berichten die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Helene Bubrowski) und die Badische Zeitung (Christian Rath).
Rechtspolitik
Streikrecht: Rechtsprofessor Gregor Thüsing kritisiert in einem Gastbeitrag für die SZ, dass das geplante Gesetz über die Tarifeinheit das Streikrecht unberührt lasse. Auch kleine Gewerkschaften dürften laut Bundesarbeitsgericht streiken, wenn ihr Tarifvertrag sich zumindest in einem Betrieb durchsetzen könnte. Thüsing schlägt stattdessen vor, das Gesetz, das am Freitag beschlossen werden soll, kurzfristig noch zu ergänzen. Bei konkurrierenden Gewerkschaften soll vor einem Streik noch ein Einigungsversuch stattfinden. Dies sei keine Zwangsschlichtung.
Asylrecht: Rechtsprofessorin Anna Lübbe beschreibt auf verfassungsblog.de, warum das Dublin-System gescheitert ist. Statt eines völligen Systemwechsels hält sie Schritte in die richtige Richtung für realistischer, etwa die Zuordnung von Asylbewerbern zu Ländern, mit denen bereits eine Verbindung besteht.
Vorratsdatenspeicherung: Auch Anwalt Niko Härting kritisiert auf lto.de den Referentenentwurf des Justizministeriums zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Der Entwurf sei schlecht begründet, weil er die Erforderlichkeit nicht belege. Außerdem sei der Schutz von Berufsgeheimnisträgern zu schwach.
Erbschaftssteuer: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist von dem Vorhaben abgerückt, im Mai einen Referentenentwurf zur Reform der Erbschaftssteuer vorzulegen. Das meldet die FAZ (Manfred Schäfers). Die CSU wolle die von Schäuble geplante Belastung des Privatvermögens von Unternehmenserben nicht mittragen.
EU-Gesetzgebung: Jetzt berichtet auch die SZ (Alexander Mühlauer) über die Pläne der EU-Kommission zur Verbesserung der EU-Gesetzgebung. Neue EU-Vorschriften sollen nur fünf Jahre gelten und dann überprüft werden. Nichtregierungsorganisationen kritisierten laut taz (Eric Bonse) das Programm: "Was die EU-Kommission als bessere Gesetzgebung bezeichnet, bedeutet in Wahrheit Deregulierung".
Justiz
Strafprozess als "Zirkus": Reinhard Müller (FAZ) kritisiert im Leitartikel, dass Strafprozesse immer mehr zur Bühne für straffremde Zwecke würden. Er macht dies an den laufenden Prozessen zu den NSU-Morden, zu SS-Leuten in Auschwitz und gegen (Ex-)Manager der Deutschen Bank fest. Immerhin zeigten die "großen Schaufenster-Verfahren", dass die Justiz zu "erstklassiger Arbeit in der Lage" sei. Der Berg von Alltagskriminalität bleibe dann aber liegen oder würde "zackig" durchentschieden oder gedealt.
BVerfG - V-Leute/Oktoberfest-Anschlag: Grüne und Linke wollen diese Woche beim Bundesverfassungsgericht klagen, um zu erfahren, was geheimdienstliche V-Leute über den Anschlag auf das Oktoberfest 1980 wussten, berichtet die taz (Konrad Litschko).
BGH zu Einbruchsspuren: Wer gegen Einbruch versichert ist, kann auch dann die Übernahme der Schäden verlangen, wenn die Spuren der Tat nicht 100-prozentig überzeugend sind. Das entschied der Bundesgerichtshof laut FAZ (Joachim Jahn) in einem Fall, bei dem die Versicherung Betrug vermutete.
OLG München - NSU: Der vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachter Henning Sass soll die Schuldfähigkeit der Angeklagten Beate Zschäpe feststellen. Da sie nicht mit ihm redet, beobachtet er sie im Prozess. Das Oberlandesgericht lehnte jetzt den Antrag der Verteidigung ab, dass Sass in Verhandlungspausen den Saal verlassen soll. Außerdem darf der Psychiater auch weiterhin das Verhalten Zschäpes beobachten, wenn sie mit ihren Verteidigern spricht. Das berichten die SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen).
AG Bonn - Poststreik: Die Gewerkschaft Verdi hat beim Amtsgericht Bonn eine einstweilige Verfügung beantragt, dass die von Zustellern bestreikte Post keine Beamten als Streikbrecher mehr einsetzen darf. Dies meldete die taz.
VG München - racial profiling: Ein 46-jähriger Wissenschaftler, der in Deutschland aufwuchs, von seinem indischen Vater aber eine dunklere Hautfarbe geerbt hat, klagt vor dem Verwaltungsgericht München gegen die Bundespolizei. Diese kontrolliere ihn regelmäßig, wenn er Zug fahre, allein wegen seiner Hautfarbe. Die SZ (Hannes Vollmuth) schildert den Fall.
LG Stuttgart zu Dieter Nuhr: Der Kaberettist Dieter Nuhr war voriges Jahr von einem Muslim aus Osnabrück erfolglos wegen Beschimpfung religiöser Bekenntnisse angezeigt worden. Dabei war Nuhr auch als "Hassprediger" bezeichnet worden. Deshalb klagte Nuhr vor dem Landgericht Stuttgart gegen den Muslim auf Unterlassung. Doch Nuhr darf weiter "Hassprediger" genannt werden, so focus.de.
BAW - Buback-Attentat: Die Bundesanwaltschaft hat die 2012 begonnenen Ermittlungen gegen die ehemaligen RAF-Terroristen Sieglinde Hofmann, Waltraud Liewald, Adelheid Schulz, Angelika Speitel, Rolf Heißler und Peter-Jürgen Boock wieder eingestellt. Sie sollen am RAF-Anschlag gegen den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977 beteiligt gewesen sein. Das meldet zeit.de. Da alle schon wegen RAF-Mitgliedschaft verurteilt sind, drohten keine größeren neuen Strafen, so die Begründung der Einstellung.
LG Köln - Kachelmann gegen BILD: Eine vom Landgericht Köln angeregte Einigung zwischen Ex-Wettermoderator Jörg Kachelmann und der Bild-Zeitung kam nicht zustande, meldet lto.de. Kachelmann war vom Landgericht Mannheim vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden. Er verlangt nun Schadensersatz für Berichte, die ihn vorverurteilt haben oder sonst seine Persönlichkeitsrechte verletzten. Das Urteil ist nun für den 2. September angekündigt.
Recht in der Welt
Thailand - Prozess gegen Ex-Premierministerin: Ein Jahr nach dem Militärputsch hat in Thailand der Prozess gegen die ehemalige Prermierministerin Yingluck Shinawatra begonnen. Ihr wird Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit einerm Subventionsprogramm für Reis vorgeworfen, bei dem viel Geld in unklare Kanäle geflossen sein soll. Über die Hintergründe des Prozesses berichtet die taz (Nicola Glass).
Afghanistan - Urteil gegen Polizisten: Als im März in Kabul Hunderte von Männern eine Frau erschlugen und anzündeten, die angeblich einen Koran zerstört hatte, sah die Polizei nur untätig zu. Jetzt wurden elf Polizisten wegen Verletzung ihrer Dienstpflicht zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt, acht weitere wurden freigesprochen, meldet spiegel.de.
Kamerun - Kolonialherrschaft: Der Journalist und Jurist Christian Bommarius hat ein Buch über die deutsche Kolonialgeschichte in Kamerun geschrieben und dabei auch Rechtsbrüche wie illegale Enteignungen und Justizmorde aufgearbeitet. Das Buch wird in der FAZ (Andreas Eckert) vorgestellt.
Sonstiges
Flüchtlinge im Mittelmeer: Bundesrichter Thomas Fischer legt in seiner Kolumne auf zeit.de nahe, dass sich die europäischen Regierungen wegen Mordes durch Unterlassen strafbar machen, weil sie die Flüchtlinge, die erwartbar versuchen, auf untauglichen Booten das Mittelmeer zu überqueren, nicht entschlossen retten.
Insolvenzverfahren: Die FAZ (Joachim Jahn) stellt eine Studie der Beratungsgesellschaft Boston Consulting vor, in der die praktische Anwendung des seit drei Jahren geltenden neuen Insolvenzrechts bilanziert wird. Danach wird die Eigenverwaltung nur in 2,7 Prozent aller Insolvenzverfahren angewandt. In 40 Prozent dieser Verfahren endet die Eigenverwaltung dann aber doch im regulären Insolvenzverfahren.
Das Letzte zum Schluss
Flieder-Strafrecht: Die Welt hält den Hinweis für notwendig, dass das Abschneiden von Fliederzweigen sowohl als Diebstahl als auch als Sachbeschädigung strafbar sein kann.
Das gelte sogar dann, wenn Fliederzweige auf den Bürgersteig oder in den Nachbargarten ragen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
(Hinweis für Journalisten) www.lto.de/index.php?id=459
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20.Mai 2015: BVerfG zu Vermittlungsausschuss – Zschäpe unter Beobachtung – Fischer zu Flüchtlingen . In: Legal Tribune Online, 20.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15586/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag