Wohnsitzauflagen verstoßen nicht grundsätzlich gegen Unionsrecht. Außerdem in der Presseschau: Bewertungsplattformen haben erhöhte Prüfpflicht, Impfen ist Alltag und der Lügendetektor jetzt in Version 2.0.
Thema des Tages
EuGH zu Wohnsitzauflagen: Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus dürfen Wohnsitzauflagen erteilt werden, wenn die Maßnahme der besseren Integration dienen soll, entschied der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren auf Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts. Es berichten SZ (Roland Preuss), FAZ (Joachim Jahn), zeit.de und spiegel.de.
Rechtspolitik
Privacy Shield: Die EU-Kommission hat Dokumente zum EU-USA-Privacy-Shield veröffentlicht, die zeigen, dass insbesondere beim US-behördlichen Zugriff auf Daten kaum besserer Schutz besteht, schreiben netzpolitik.org (Anna Biselli) und zeit.de (Friedhelm Greis).
CETA/TTIP: Über die Aufnahme des EU-Vorschlags zur Einführung eines Investitionsgerichtshofs in das Ceta-Abkommen schreiben nun auch SZ (Alexander Mühlauer) und taz (Anja Krüger). Kritiker bemängeln weiterhin, dass Investitionsschutzklagen damit nicht vom Tisch seien.
Dana Heide (HBl) meint zwar für TTIP sei noch nichts gewonnen, denn "die USA sind nicht Kanada", aber ein Sieg der Demokratie sei es doch, denn Bürgerproteste hätten zu der Anpassung geführt.
Manipulierte Kassen: Nach Expertenanhörung im Finanzausschuss drängt der Bundestag auf schnelle Einführung eines Gesetzes, dass das seit langem bekannte Problem der Manipulation von Bargeldkassen bekämpfen soll, schreibt das HBl (Donata Riedel). Das Finanzministerium arbeitet seit längerem an einem Entwurf, dessen Fertigstellung sich auch wegen des Vorhabens, für neue Bürokratie stets alte abzubauen, verzögere.
Justiz
BVerfG – NPD-Verbotsverfahren: Am ersten Verhandlungstag vor dem Bundesverfassungsgericht versuchten es die NPD-Anwälte mit Befangenheitsanträgen, die das Gericht ablehnte, und brachten erneut die mögliche Überwachung ihrer Kommunikation ins Spiel. Außerdem ging es vor allem um die Frage nach der Abschaltung der V-Leute, bei der die angekündigten "Knaller" aber ausblieben. Es berichten lto.de (Pia Lorenz zum Vormittag), lto.de (Pia Lorenz zum Nachmittag), spiegel.de (zu den Befangenheitsanträge), spiegel.de (Christina Hebel/Dietmar Hipp), BadZ (Christian Rath), FR (Ursula Knapp), zeit.de (Tilman Steffen), SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski), taz (Konrad Litschko) und Welt (Thorsten Jungholt).
Die SZ (Wolfgang Janisch) befasst sich mit den Worten Voßkuhles, der vom Parteiverbotsverfahren als zweischneidigem Schwert sprach, und auch Donata Riedel (HBl) betont, dass das Parteiverbot scharf geprüft werden müsse und nur letztes Mittel sein dürfe. Thomas Stadler (internet-law.de) begründet, warum er das Verfahren weiterhin kritisch sieht und Reinhard Müller (FAZ) verweist auf den Preis des Verfahrens: eine Bühne für die NPD. Heribert Prantl (SZ) meint, ein Austausch der Richter wäre mit Blick darauf, dass "Besorgnis der Befangenheit" genüge, angezeigt gewesen. Christian Rath (taz) glaubt, dass ein Verbot der NPD kaum noch aufzuhalten sei. Dies wäre aber nur eine Gesichtswahrung für den Bundesrat, kein Sieg der Demokratie.
Noch aus der Perspektive vor Verfahrensbeginn schreibt spiegel.de (Christina Hebel/Dietmar Hipp) zu den Prozessrisiken und zeit.de (Tilman Steffen) zu den Risiken eines Verbots. Die taz (Christian Rath) blickt auf das erste NPD-Verbotsverfahren zurück.
BVerfG – Studiengangakkreditierung: Das Verwaltungsgericht Arnsberg hatte bereits 2010 die Ansicht geäußert, die Akkreditierungspflicht für Studiengänge verstoße in ihrer derzeitigen Ausgestaltung gegen die Wissenschaftsfreiheit und ihre mangelnde gesetzliche Verankerung gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Über das Vorlageverfahren will das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr entscheiden, schreibt die FAZ (Thomas Thiel).
BGH zu Jameda: Wegen des gesteigerten Risikos von Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf Bewertungsportalen hat der Bundesgerichtshof diesen eine besondere Prüfpflicht auferlegt. Bei Beanstandung muss das Portal Nachforschungen zum Wahrheitsgehalt beim Bewertenden anstellen und haftet selbst, wenn es dieser Pflicht nicht hinreichend nachkommt. Soweit ohne Verstoß gegen § 12 Telemediengesetz möglich, müssen sogar Daten an den bewerteten Arzt weitergegeben werden. Dazu schreiben die Rechtsanwälte Niklas Haberkamm und David Ziegelmayer auf lto.de, internet-law.de (Thomas Stadler), FAZ (Joachim Jahn), HBl (Bert Fröndhoff) und SZ (Christina Bernd) .
BGH stark belastet: Bettina Limperg, Präsidentin des Bundegerichtshofs, hat auf die hohe Belastung des Gerichts gerade in Zivilsachen hingewiesen, schreibt die FAZ (Joachim Jahn). Sie sprach sich für eine Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde aus. Außerdem sprach sie sich gegen das Filmen der Urteilsverkündung aus, wegen der Verfahrensverlängerung durch Verkündungstermine und dem Verlust des offenen Wortes gegenüber der Saalöffentlichkeit.
OLG Düsseldorf – Terror-Prozess: Am heutigen Mittwoch beginn der Prozess wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen einen Syrienrückkehrer vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Die zunächst noch auf Mord lautenden Teile der Anklage hatte das Gericht nicht zugelassen, da sich keine konkreten Taten würden nachweisen lassen, schreibt spiegel.de.
OLG München zu bedingter Nacherbschaft: Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass Nacherben unter der Bedingung eingesetzt werden können, dass der Vorerbe nicht anderweitig über seinen Nachlass verfügt, meldet blog.beck.de (Claus-Henrik Horn). Testiert der Vorerbe anders, werde er bei Ableben für eine juristische Sekunde Vollerbe, durch die Testamentserrichtung als Bedingungseintritt. Es liege kein Verstoß gegen § 2065 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor.
VG Berlin – Datenspeicherung: Am kommenden Montag beginnt vor dem Verwaltungsgericht Berlin der Prozess um die Speicherung von Daten der Anmelder von Versammlungen und die Spiegelung der polizeilichen Datenbestände für den NSU-Untersuchungsausschuss statt. netzpolitik.org (Matthias Monroy) führt ein Interview mit dem Kläger.
AG Darmstadt zu Impfung und Sorgerecht: blog.beck.de (Hans-Otto Burschel) weist auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Darmstadt von Juni 2015 hin, nach der die Entscheidung, Kinder impfen zu lassen, eine Angelegenheit des täglichen Lebens ist. Das Elternteil, bei dem die Kinder den gewöhnlichen Aufenthalt haben, sei also nach § 1687 des Bürgerlichen Gesetzbuchs allein entscheidungsberechtigt.
StA Berlin – Totschlag durch Autorennen: Wegen des tödlich ausgegangenen Autorennens in der Innenstadt, ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin nun wegen Totschlags. Es sei Haftbefehl erlassen und der Fahrer des Unfallfahrzeugs bereits festgenommen worden, melden spiegel.de und Welt.
StA Freiburg – AfD-Staatsanwalt: Wegen Äußerungen auf seiner Facebook-Seite ist ein Freiburger Staatsanwalt und AfD-Landtagskandidat in die Kritik geraten. Die Staatsanwaltschaft prüfe derzeit, ob (dienst-)rechtliche Schritte einzuleiten seien, berichtet die BadZ (Sebastian Kaiser/Manfred Dürbek).
Recht in der Welt
USA – Apple/FBI: In einem Verfahren in New York hat ein Richter den US-Behörden verwehrt, sich im Streit mit Apple auf den sogenannten "All Writs Act" zu stützen. Dies wird als Rückenstärkung für das Verfahren um das San Bernadino-Iphone gewertet, schreiben FAZ und netzpolitik.org (Tomas Rudl). Die FAZ (Adrian Lobe) verweist unter dem Titel "Codes statt Rechtsstaat" darauf, dass es in dem Streit nicht um Freiheit gegen Sicherheit gehe, sondern darum, ob letztlich Algorithmen über Datenschutz und Datenzugang entscheiden.
Umsetzung der Flüchtlingskonvention: Rechtsprofessor James C. Hathaway befasst sich auf verfassungsblog.de in englischer Sprache mit Problemen und Lösungsansätzen bei der Umsetzung der UN-Flüchtlingskonvention. Er zeigt die Liste von Kernprinzipien für eine zukünftig verbesserte Umsetzung auf, die eine internationale Expertengruppe erarbeitet hat.
Sonstiges
Menschenwürdiges Existenzminimum: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Ibrahim Kanalan kritisiert auf verfassungsblog.de die Rechtsprechung zum Sozialleistungsanspruch von EU-Bürgern. Das "Menschenrecht auf das Existenzminimum" müsse ernst genommen werden, daraus ergebe sich, sobald Bedürftigkeit vorliege, dem Grunde nach ein Anspruch – unabhängig von Aufenthaltsberechtigungen.
Hamburger Nazi-Prozesse: zeit.de (Bernhard Sprengel) schreibt über die Prozesse der britischen Militärjustiz, die ab 1946 im Hamburger Curiohaus vor allem gegen SS-Leuten der Konzentrationslagern Neuengamme und Ravensbrück stattfanden. Beim Tatnachweis sei es um den Nachweis der Konzentrationslager als "verbrecherische Systeme" gegangen, eine Perspektive, die in den heutigen Urteilsbegründungen wieder aktuell werde.
Alkohol und Gefahr: In seiner Kolumne kritisiert Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de den rechtlichen Umgang mit Alkohol am Steuer, der wenig wissenschaftsbasiert an althergebrachten Praktikabilitätserwägungen festhalte und dabei Verstöße gegen rechtliche Grundsätze sowie Systemwidrigkeiten einfach hinnehme.
Fischer-Buch: Aus Anlass des mit Texten seiner Kolumne erschienen Buches von Thomas Fischer, porträtiert die taz (Christian Rath) auf einer ganzen Seite den "berühmtesten Strafrichter Deutschlands".
Trennung von Staat und Religion: Die FAZ (Astrid Reuter) befasst sich mit der umfangreichen Studie von Ahmet Cavuldak über die Trennung von Staat und Religion an den Beispielen USA, Frankreich und Deutschland. "Und was ist nun die Moral von der Geschichte? Irgendwie hat sich die Trennung schon bewährt, so darf man schließen, doch wird man den Eindruck nicht los, dass dieser Befund nicht so ganz das ist, was der Autor selbst von seiner Untersuchung erwartet hat."
Recht im virtuellen Raum: Rechtsanwalt Frederik Leenen schreibt in der FAZ zu rechtlichen Fragen der "Augmented Reality". Der virtuelle Raum sei kein rechtsfreier Raum aber die "juristischen Grenzen der Technik bleiben bisher weitgehend ungeklärt". Mit Verträgen im Vorfeld könne vielfach für Klarheit sorgen.
Datensicherheit in Unternehmen: Die Rechtsanwälte Kai Bodenstedt und Verena Grentzenberg befassen sich in der FAZ mit dem Schutz der Datensicherheit in Unternehmen. Vertraulichkeitsverpflichtungen in Arbeitsverträgen und Sensibilisierung von Mitarbeitern sei erforderlich. Compliance-Maßnahmen seien auf die Aufdeckung systematischer Schwachstellen zu richten, um rechtliche Probleme hinsichtlich der Überwachung einzelner Mitarbeiter zu vermeiden.
Lügendetektor 2.0: Die Welt (Alexandra Bröhm) befasst sich mit einem us-amerikanischen und einem schweizerischen Forschungsprojekt zum Erkennen von Lügen mittels einer Software. Die amerikanische Software arbeitet mit Daten aus Videoaufnahmen von Vernehmungen und lernte Verhaltensweisen zu detektieren, die beim Lügen häufig vorkommen. Die schweizerische Software arbeitet mit Ekmans Mikroexpressionen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. März 2016: Wohnsitzauflage zur Integration / BGH zu Jameda / Lügendetektor 2.0 . In: Legal Tribune Online, 02.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18633/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag