IWF-Chefin Lagarde ist vor einem Sondergericht angeklagt. Außerdem in der Presseschau: BMJ gegen Strafverschärfung, das BVerfG definiert effektiven Rechtsschutz für Asylkläger und das LG Limburg verurteilt einen Polizistenmörder.
Thema des Tages
Christine Lagarde: Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, muss sich vor dem französischen Sondergerichtshof Cour de Justice de la République wegen Fahrlässigkeit im Amt verantworten. Ihr wird vorgeworfen, 2007 als Wirtschaftsministerin durch einen Schiedsentscheid zugunsten des Geschäftsmanns Bernard Tapie die Veruntreuung öffentlicher Gelder ermöglicht zu haben. Die zugrunde liegende Auseinandersetzung Tapies, der von der Credit Lyonnais-Bank einen Schadensersatz von mehreren hundert Millionen Euro erstritt, der letztlich aus dem dem Staatshaushalt beglichen wurde, stellt die FAZ (Michaela Wiegel) dar. Der damaligen sozialistischen Opposition habe der Fall als "Symbol für die Vetternwirtschaft der Sarkozy-Ära" gegolten. Der Entscheid sei durch das Pariser Berufungsgericht im Februar 2015 für ungültig erklärt worden, ein Strafprozess gegen Tapie wegen Betruges stehe noch aus. Deswegen habe Lagardes Anwalt die Aussetzung des nun eröffneten Verfahrens beantragt. Ausführliche Berichte bringen auch SZ (Claus Hulverscheidt u.a.) und Hbl (Thomas Hanke).
Den 1993 eingerichteten Gerichtshof der Republik Frankreich stellt lto.de (Marcel Schneider) vor. Er verhandelt ausschließlich über die strafrechtliche Verantwortung, die Politiker in Ausübung ihres Amtes trifft. Entscheidungsbefugt sind dabei nicht nur Juristen, sondern auch Politikerkollegen.
Rechtspolitik
Arzneimittel: Ein der FAZ (Andreas Mihm) vorliegender Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium sieht ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln vor. Der Gesundheitsminister reagiere dabei auf den Druck von Interessenverbänden, die mit Werbekampagnen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Oktober angriffen. Neben der ablehnenden Haltung der SPD könnte die Beteiligung der EU Hermann Gröhe (CDU) "einen Ausweg aus der verfahrenen Lage weisen". Angesichts der erforderlichen Notifikation Brüssels und Stellungnahmen der Kommission dürfte die Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode unmöglich sein.
Atommüll: Am Ende dieser Woche steht das "Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung" vor der Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat. Es geht auf im April unterbreitete Vorschläge einer Kommission ein, schreibt die taz (Malte Kreutzfeldt). Den gefundenen Kompromiss zwischen der Zuständigkeit von AKW-Betreibern für den Rückbau der Kraftwerke und des Staates für die Zwischen- und Endlagerung kritisiert Malte Kreutzfeldt (taz) in einem separaten Kommentar. Zwar hätten betroffene Unternehmen einige ihrer Klagen gegen den Atomausstieg zurückgezogen, zwei "potenziell teure Prozesse", eine Verfassungsklage gegen die Brennelementesteuer und ein von Vattenfall betriebenes Schiedsverfahren, blieben aber anhängig. Diese "Frechheit" nehme "die Politik einfach hin."
Sozialleistungen für EU-Ausländer: Am heutigen Dienstag will EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen eine Überarbeitung der bestehenden EU-Rahmengesetzgebung vorlegen, nach der es Mitgliedsstaaten leichter möglich sein soll, Sozialleistungen für EU-Ausländer restriktiver zu gestalten. Hierdurch solle "Sozialtourismus" vorgebeugt werden, erläutert die FAZ (Werner Mussler). Unter anderem solle der Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens drei Monaten Arbeit im jeweiligen Land abhängig gemacht werden.
ÖPNV-Privatisierung: Die SZ (Markus Balser) hat Kenntnis einer von drei Bundesländern geplanten Gesetzänderung, die sogenannte Zwangsprivatisierungen öffentlicher Nahverkehrsbetriebe erschweren soll, erlangt. Bereits am kommenden Freitag werde sich der Bundesrat mit dem Thema befassen. Betroffen seien Sonderregeln des Personenbeförderungsgesetzes, nach denen private Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen öffentliche Netze auch ohne Ausschreibung übernehmen könnten, wie jüngst etwa in Pforzheim geschehen.
Kassenpflicht: Die der SZ (Cerstin Gammelin) vorliegende aktuelle Fassung des Gesetzentwurfs "zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen" weist nach Einschätzung der Autorin große Schlupflöcher auf. Das erklärte Ziel, Steuerausfälle durch undokumentierte Kassenvorgänge zu bekämpfen, werde durch Ausnahmen von einer allgemeinen Kassenpflicht nicht erreicht. Über den Entwurf solle der Bundestag noch in dieser Woche abstimmen.
Bundeswaldgesetz: Das Hbl (Heike Anger) macht auf eine gesetzgeberische Klarstellung des Bundeswaldgesetzes aufmerksam, die nach dem Willen der Regierung "in einer Hauruckaktion" vom Bundestag am kommenden Donnerstag verabschiedet werden soll. Der Entwurf sehe eine kartellrechtliche Freistellung bestimmter forstwirtschaftlicher Dienstleistungen vor. Hierdurch solle der anhaltenden Kritik vor Kartellwächtern an der in einigen Bundesländern über die staatlichen Forstverwaltungen organisierte Holzvermarktung begegnet werden.
Fake News: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat nach einer Meldung der taz die Einführung spezieller Strafvorschriften gegen die Urheber sogenannter "fake news" abgelehnt. Bestehende Bestimmungen gegen Fälschungen oder Desinformationen seien ausreichend.
Justiz
BVerfG zu effektivem Rechtsschutz: Nach einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts darf die abweisende Entscheidung bei einer auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichteten Klage nicht zugleich eine Berufung ausschließen. Ob syrischen Asylantragstellern nur subsidiärer Schutz zu gewähren sei, werde von verschiedenen Oberverwaltungsgerichten uneinheitlich beurteilt. Daher erschwere die auch im nun behandelten Fall geübte nordrhein-westfälische Praxis, die Frage als geklärt und damit als ohne grundsätzliche Bedeutung zu behandeln, das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Über die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde berichtet lto.de (Tanja Podolski).
BGH zu Unterbringung: community.beck.de (Carsten Krumm) macht auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Oktober aufmerksam, in dem "einmal mehr" an die strengen Anforderungen bei der Begründung einer Unterbringung nach § 63 Strafgesetzbuch erinnert worden ist.
BVerwG – BND: Für den morgigen Mittwoch wird eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu mutmaßlich illegalen Überwachungspraktiken des Bundesnachrichtendienstes erwartet. Die klagende Organisation Reporter ohne Grenzen hat nach Bericht der taz neues Beweismaterial eingereicht, das auf WikiLeaks-Enthüllungen beruhe. Die Organisation mache geltend, im Zuge von Auslandsüberwachungen selbst vom Geheimdienst ausgespäht worden zu sein.
OLG Celle/LG Hannover – Porsche: Das Musterverfahren zu Schadensersatzansprüchen von Anlegern wegen der missglückten Übernahme von Volkswagen durch Porsche findet nach Mitteilung des Oberlandesgerichts Celle ab dem kommenden Juli vor dem Landgericht Hannover statt. Dies meldet die FAZ (Marcus Jung).
LG Limburg zu Polizistenmord: Wegen Mord an einem Polizisten und versuchtem Mord zulasten zweier Kollegen hat das Landgericht Limburg einen 27-Jährigen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und zugleich die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Bei der Tat in den Morgenstunden des 24. Dezember 2015 habe der Verurteilte mit Messerstichen "gezielt Deckungslücken" des getöteten und der verletzten Polizisten ausgenutzt, gibt die FAZ (Mathias Gafke) die Aussage eines vernommenen Sachverständigen wieder. Für das Gericht habe sich auch hierdurch der Eindruck einer brutalen und erbarmungslosen Tat verfestigt.
LG Berlin – KaDeWe: Im mittlerweile dritten Verfahren zum Raubüberfall auf das Berliner Kaufhaus des Westens im Dezember 2014 stehen die zehn Angeklagten auch wegen anderer Taten vor dem Landgericht Berlin. Kronzeugen hätten Ermittlern nun durch umfangreiche Einlassungen Einblicke in das "Innenleben krimineller arabischer Clans und der Berliner Unterwelt" gegeben, schreibt focus.de.
LG Bochum – Werner Mauss: In harschen Worten hat der Vorsitzende Richter dem am Landgericht Bochum wegen Steuerhinterziehung angeklagten mutmaßlichen Geheimagenten Werner Mauss erklärt, seine bisherigen Einlassungen zur Herkunft der fraglichen Beträge würden als Schutzbehauptungen aufgefasst. Über das Verfahren berichtet die SZ (Ralf Wiegand).
LG Dresden – Sexualmord: Vor dem Landgericht Dresden muss sich ein Frührentner wegen eines 30 Jahre zurückliegenden Mordes und sexuellen Missbrauchs des Opfers verantworten. Der Bericht der FAZ (Stefan Locke) über den Prozessauftakt geht auch die bereits in der DDR begonnenen und später nach Auswertung von DNA-Analysen wiederaufgenommenen Ermittlungen ein.
LG Bremen – Motorradraser: Über den Auftakt im Verfahren gegen den Motorrad-Videoblogger "Alpi", der am Landgericht Bremen wegen Mordes angeklagt ist, schreibt die taz-Nord (Gareth Joswig).
Recht in der Welt
EU: Das Hbl (Till Hoppe/Ruth Berschens) bringt ein großes Interview mit dem unter anderem für Rechtsstaatlichkeit zuständigen EU-Kommissar Frans Timmermans. Der niederländische Politiker äußert sich zum Zustand der EU, ihrer Bedrohung durch den Nationalismus und stellt klar, dass das gegen Polen eingeleitete Rechtsstaatlichkeitsverfahren weitergeführt werde.
Luxemburg – Whistleblower: In Luxemburg begann nach Meldung der SZ (am) das Berufungsverfahren gegen den Whistleblower Antoine Deltourt. Der wegen Geheimnisverrat zu einer Bewähungsstrafe Verurteilte ist der Urheber der sogenannten Lux-Leaks-Affäre.
Sonstiges
Salafismus: Nach Berichten über die Unterstützung fundamental-religiöser salafistischer Vereinigungen durch Organisationen in Saudi-Arabien, Kuweit und Katar begrüßt es Heribert Prantl (SZ) in einem Kommentar, "wenn die deutsche Regierung massiv auf die arabischen Staaten einwirkt, das Salafisten-Sponsoring zu unterlassen". Richtig sei auch die Wachsamkeit des Verfassungsschutzes, denn es ende Religionsfreiheit "dort, wo Hass und Gewalt beginnen". Das Grundgesetz schaffe Freiheit, dies "ist so und muss so bleiben."
Mord in Freiburg/DNA-Tests: Aus Anlass des mutmaßlichen Sexualmords in Freiburg interviewt die SZ (Matthias Drobinski) Christian Walburg. Der Kriminologe gibt Auskunft zur Kriminalitätsstatistik von Flüchtlingen, auch im Zusammenhang von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie der Funktion von Sozialpolitik in der Kriminalpolitik. Zum "falschen Fall, an dem die richtige Diskussion aufgehängt wird", konstatiert Jost Müller-Neuhof (Tsp) in einem Kommentar, dass DNA-Analysen bei der Verbrechensbekämpfung wichtiger würden. Gerade deshalb sei der Gesetzgeber gut beraten, "sich vorzutasten" und "juristische Kategorien erst dann zu fixieren, wenn die Aussagen technisch absolut zuverlässig und sinnvoll verwertbar sind".
Asylanhörungen: netzpolitik.org (Anna Biselli) liegen interne Papiere aus dem Bundesinnenministerium vor, die belegen sollen, dass der Verfassungsschutz seit zwei Monaten Erkenntnisse aus Asylanhörungen zu ziehen versucht. Die Praxis sei bislang geheim gewesen, gehe aber inhaltlich über die bis vor wenigen Jahren gepflegte Abschöpfung durch den BND hinaus.
Recht in der Diktatur: In ihrem Literatur-Teil bespricht die FAZ (Milos Vec) "Rechtswissenschaft in Diktaturen. Die juristische Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR" von Jan Schröder. Der Rechtsprofessor zeige durch eine detaillierte Darstellung von "Theorie und Praxis der juristischen Methodenlehre in zwei deutschen Diktaturen" auf, "wie Recht zu Unrecht wird".
Das Letzte zum Schluss
Drum prüfe ...: Kurzes Eheglück war einem britischen Ehepaar, über das focus.de berichtet, beschieden. Offenbar aus Streit über den angemessenen Zeitpunkt der Beendigung der Hochzeitsfeier und "völlig betrunken" gerieten die beiden vor einer Kneipe gewalttätig aneinander. Der neue Ehemann verbrachte daraufhin seine Hochzeitsnacht auf der Polizeiwache.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Dezember 2016: Sondergericht in Frankreich / BVerfG zum Asylrecht / Lebenslang für Polizistenmord . In: Legal Tribune Online, 13.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21376/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag