Gerichtshof der Republik Frankreich: Wo Poli­tiker über Poli­tiker urteilen

von Marcel Schneider

12.12.2016

Die Ex-Wirtschaftsministerin Frankreichs und IWF-Chefin Christine Lagarde steht ab Montag vor dem Gerichtshof der Republik. Dieser ist eine besondere Gerichtsbarkeit für Top-Politiker - und nicht nur deswegen höchst umstritten.

Auf die Frage, ob sie in ihrer Zeit als französische Finanzministerin den Geschäftsmann Bernard Tapie bevorzugt habe, sagte die 60-Jährige in einem am Sonntagabend ausgestrahlten Interview des Senders France 2: "Überhaupt nicht." Christine Lagarde wird vorgeworfen, durch fahrlässiges Handeln in ihrer Zeit als Ministerin eine Veruntreuung öffentlicher Gelder ermöglicht zu haben. Sie ließ 2007 ein Schiedsverfahren zu, nach welchem dem Geschäftsmann Tapie im Ergebnis mehr als 400 Millionen Euro zugesprochen wurden. Aktuell ermittelt die Justiz wegen Betrugsverdachts gegen mehrere Beteiligte.

Lagarde aber  steht vor einem besonderen Gericht, dem Gerichtshof der Republik Frankreich. Dieser urteilt ausschließlich über die strafrechtliche Verantwortung französischer Politiker in Ausübung ihres Amtes und soll nun bis kurz vor Weihnachten eine Entscheidung treffen.

Politiker urteilen über ihre Amtskollegen

Errichtet wurde das Sondergericht nach einem Skandal um HIV-kontaminierte Blutprodukte. Patienten steckten sich mit dem Virus an, weil Behörden und Politik nur zögerlich die notwendigen Präventionsmaßnahmen umsetzten. Dafür sollten die während dieses "Blut-Skandals" verantwortlichen Polit-Akteure zur Rechenschaft gezogen werden, so etwa auch der ehemalige Premierminister Laurent Fabius. Seit dem 27. Juli 1993 regelt also ein gesonderter 10. Titel der französischen Verfassung den Gerichtshof, der sich auch rückwirkend mit Sachverhalten vor dem Inkrafttreten der Verfassungsänderung auseinandersetzt. Das Besondere: Jeder durch politische Amtshandlung geschädigte Bürger kann das Gericht anrufen.

Seit der Gründung des Gerichtshofs der Republik gab es vier Prozesse, zwei frühere Staatssekretäre und ein früherer Minister wurden verurteilt. Präsident François Hollande wollte den Gerichtshof eigentlich abschaffen, hat  dieses Versprechen aber bislang nicht eingelöst. Umstritten ist der Gerichtshof nicht nur wegen des faden Beigeschmacks, den eine eigene Gerichtsbarkeit für politische Akteure hinterlässt. Vor allem bemängeln Kritiker auch seine Besetzung: Über die Angeschuldigten richten nämlich nicht nur Juristen, sondern auch andere Politiker.

Titel 10 der französischen Verfassung bestimmt nämlich unter anderem: "Der Gerichtshof der Republik besteht aus fünfzehn Richtern: zwölf Parlamentariern, die in gleicher Zahl von der Nationalversammlung und vom Senat nach jeder vollständigen oder teilweisen Neuwahl dieser Kammern aus deren Mitte gewählt werden, sowie drei Richtern des Kassationsgerichtshofs, von denen einer den Vorsitz des Gerichtshofs der Republik führt." Damit bleibt der Vorsitz zwar einem Berufsrichter vorbehalten. 80 Prozent der Stimmen entfallen aber auf Parlamentarier, die nicht zwangsläufig über juristischen Sachverstand verfügen müssen.

Zitiervorschlag

Marcel Schneider, Gerichtshof der Republik Frankreich: Wo Politiker über Politiker urteilen . In: Legal Tribune Online, 12.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21434/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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