Klagewelle wegen Mindestlohn bleibt aus. Außerdem in der Presseschau: Gremium zur Karenzzeitkontrolle weiterhin unbesetzt, keine halben Kirchenaustritte und Geoblocking soll Recht auf Vergessen sichern.
Thema des Tages
Arbeitsgerichte – Mindestlohn: Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt hat ihren Jahresbericht vorgestellt und mitgeteilt, dass das Gesetz über den Mindestlohn nicht zu einer Klagewelle geführt hat, schreiben SZ (Detlef Esslinger), taz und FAZ (Joachim Jahn). Die Arbeitgeber halten das Gesetz ein, was auch an der effektiven Kontrolle durch den Zoll liege. Indem das Bundesarbeitsgericht rechtskräftig entschieden habe, dass Kündigungen zur Vermeidung des Mindestlohns nicht erlaubt sind, habe es außerdem diesbezüglich Rechtssicherheit geschaffen. Welche Sonderzahlungen in den Mindestlohn einberechnet werden dürfen, will das Gericht demnächst ebenfalls klären.
Joachim Jahn (FAZ) wundert die Einhaltung des Mindestlohns aufgrund der drakonischen Strafen und der engmaschigen Kontrolle nicht. Der dafür auf die Beine gestellte bürokratische Apparat sei jedoch ein "Irrwitz". Er erwartet, auch wegen der vermehrten Zuwanderung Geringqualifizierter, eine Absenkung der Standards.
Rechtspolitik
Karenzzeit: Die Regelung zur Karenzzeit ist seit einem halben Jahr in Kraft aber das Gremium, welches die Regierung bei der Kontrolle möglicher Interessenkonflikte beraten soll, ist weiterhin unbesetzt, schreibt der Tsp (Jost Müller-Neuhof).
Sexualstrafrecht: Rechtsprofessor Tonio Walter kritisiert auf zeit.de den Reformentwurf zum Sexualstrafrecht unter anderem als zu unbestimmt. Auch sei die jetzt an den Tag gelegte Eile nicht nötig, da an Silvester nicht primär das Strafrecht sondern die Polizei versagt habe.
Finanzmarktrechtsreform: Rechtsanwalt Christian Schmies befasst sich auf lto.de mit dem am 6. Januar beschlossenen Entwurf zum Ersten Finanzmarktnovelierungsgesetz. Der erste von zwei Teilen dient der Umsetzung der neuen Missbrauchsrichtlinie und -verordnung sowie der Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und der Verordnung für Zentralverwahrer.
Kontoabfragen: Angesichts der ausufernden, auch im vergangenen Jahr erneut gestiegenen Behördenabfragen von Kontodaten, setzt sich die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff, für die Schaffung von Mechanismen ein, die das Instrument auf seinen Ursprung – Kriminalitätsbekämpfung – zurückführen, schreibt das HBl (Frank M. Drost). Auch Frank M. Drost (Hbl) fordert eine Beschränkung der Berechtigung zur Datenabfrage. Die Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht sei nicht der Punkt, weil die rechtspolitische Frage nicht die nach einer minimalen legalen Grenze sei.
Justiz
BVerfG zu EU-Haftbefehl: Rechtswissenschaftler Christoph Goos schreibt auf juwiss.de, dass es in der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum EU-Haftbefehl der Prüfung anhand des Grundgesetzes nicht bedurfte, weil ein Verstoß gegen Unionsrecht vorlag. Das Gericht habe aber deutlich gemacht, dass es im Fall (möglicher) Verletzung der Menschenwürde seine eigene Prüfungskompetenz wieder eröffnet. Von "Solange Zweieinhalb" könne man daher sprechen. Der Artikel wird fortgesetzt.
VerfGH Bln – Akteneinsichtsrecht: Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat entschieden, dass Mitglieder des Abgeordnetenhauses sich bei der Wahrnehmung ihres Akteneinsichtsrechts der Hilfe juristisch geschulter Personen bedienen dürfen, schreiben taz und lto.de. Innensenator Henkel (CDU) hatte dem ehemaligen Pirat Christopher Lauer das Hinzuziehen einer Juristin bei Einsichtnahme in Polizeiakten untersagt.
BFH zu Zinsschranke: Der Bundesfinanzhof hält die sogenannte Zinsschranke für verfassungswidrig und hat die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, schreiben lto.de und FAZ (Joachim Jahn). Die Zinsschränke deckelt die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsen als Betriebsausgaben, um Unternehmen die Verlagerung von Gewinnen ins Ausland zu erschweren. Das Gericht sieht einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot gegeben.
OLG Hamm zu Informationsanspruch gegen Private: internet-law.de (Thomas Stadler) weist auf eine aktuell mitgeteilte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom Dezember 2015 hin. Danach haben Journalisten einen Auskunftsanspruch nach § 4 Pressegesetz NRW auch gegen private Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden.
OLG Rheinland-Pfalz zu Kirchensteuer: Das Oberlandesgericht Rheinland-Pfalz hat laut lto.de entschieden, dass die Kirchensteuer nicht gegen die Glaubensfreiheit verstößt, weil sie mit Kirchenaustritt abgewendet werden kann. Ihre Vermeidung durch einen Austritt aus der Kirche nur als öffentlich-rechtliche Körperschaft sei hingegen nicht möglich.
VG Augsburg zu Rathausverbot für Petry: Nachdem der Augsburger Bürgermeister der lokalen AfD-Fraktion die Erlaubnis erteilt hatte, ihren Neujahrsempfang im Rathaus abzuhalten, hat er sie widerrufen. Der dazu geladenen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry hat er Hausverbot erteilt. Das Verbot hat das Verwaltungsgericht Augsburg nun im Eilverfahren für rechtswidrig erklärt und Petrys Hauptsacheklage aufschiebende Wirkung zugesprochen, schreiben taz, lto.de und spiegel.de. Bis Freitag will das Gericht auch über den Widerruf der Erlaubnis zur Nutzung der Rathausräume entscheiden.
VG Hannover – Videoüberwachung im ÖPNV: Die Untersagung der Dauerüberwachung in Bussen und Bahnen gegenüber der Hannoverschen Verkehrsbetriebe (Üstra) hat das verwaltungsgericht Hannover aufgehoben. Es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, da auf die konkurrenzlos für Daseinsvorsorge zuständige Üstra – obwohl sie privatrechtlich organisiert ist – das Landesdatenschutzgesetz und nicht das des Bundes Anwendung finde. Es berichten die taz (Kai von Appen), lto.de und zeit.de.
LG Hannover – Salzhemmendorf: Die wegen des Anschlags mit einem Molotowcocktail auf eine Asylunterkunft in Salzhemmendorf Angeklagten haben die Tat zu Prozessauftakt weitgehend eingeräumt, berichten taz (Andreas Wyputta), SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Reinhard Bingener) und spiegel.de (Julia Jüttner). Sie bestreiten jedoch weiterhin fremdenfeindliche Motive und machen ihre Alkoholisierung für die Tat verantwortlich.
Versuchter Mord statt Brandstiftung: Laut taz (Konrad Litschko) reagiert die Justiz mittlerweile härter auf Brandanschläge auf Asylunterkünfte. Es werden Fälle angeführt, in welchen in zweiter Instanz das Motiv der Fremdenfeindlichkeit hervorgehoben wurde oder statt der angeklagten schweren Brandstiftung von versuchtem Mord ausgegangen wird.
LG Osnabrück – Betrug: Vor dem Landgericht Osnabrück muss sich ein Mann verantworten, der für die in Aussicht gestellte Förderung ihrer Projekte mit EU-Geldern von Unternehmern Millionenbeträge als Kaution und Eigenleistung ergaunert haben soll. Die Zeit (Anne Kunze) beschreibt am Beispiel des Falls den Typus des erfolgreichen Betrügers, der mit der Macht seiner Überzeugungskraft Realitäten schafft, an die die Opfer glauben wollen. In diesem Fall sogar gänzlich ohne jegliche Zahlungen an die Opfer.
LG Detmold – Auschwitzprozess: Vor dem Landgerichts Detmold hat einer der aktuellen Auschwitzprozesse begonnen. Dem angeklagten ehemaligen SS-Mann wird Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen vorgeworfen. Dazu berichten taz (Klaus Hillenbrand), spiegel.de (Jörg Diehl/Benjamin Schulz) und Welt (Per Hinrichs). Die FAZ (Alexander Haneke) schreibt auch zu der Änderung der Rechtsprechung, die die aktuellen Verfahren erst ermöglichte.
LG Duisburg – Loveparade: Zum zweiten Jahrestag der Anklageerhebung befasst sich lto.de mit dem Stand der Dinge im Loveparade-Verfahren und der enormen Menge an Akten und Daten in dem Verfahren. Im Frühjahr dieses Jahres soll das Hauptverfahren eröffnet werden.
VW-Käufer: Eine südbadische Anwaltskanzlei, die rund 4000 Käufer von manipulierten Dieselfahrzeugen aus dem VW-Konzern vertritt, will in den kommenden Wochen bundesweit hunderte von Autohäusern verklagen und vor allem eine Rückabwicklung der Kaufverträge erreichen, berichtet die BadZ (Christian Rath). In einem separaten Artikel beschreibt die BadZ (Christian Rath), wie die Kanzlei um Mandanten warb.
Recht in der Welt
EU – Steuerprivilegien für Unternehmen: Vertrauliche Protokolle zeigen laut HBl (Ruth Berschens), wie halbherzig in der Arbeitsgruppe "Verhaltenskodex" daran gearbeitet wird, übermäßige Steuerprivilegien für Unternehmen in der EU einzudämmen. Das EU-Parlament habe nun Einsichtsrecht in Dokumente der Arbeitsgruppe erhalten, allerdings nur "in camera", ohne Fotokopien oder Notizen machen zu können, und auch nur für abgeschlossene Fälle.
Frankreich – Entzug der Staatsbürgerschaft: Das französische Parlament hat für die Regelung gestimmt, die die Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatlern wegen terroristischer Taten ermöglicht. Bisher betreffe das nur Personen, die nicht in Frankreich geboren sind. Präsident Hollande plane jedoch auch in Frankreich Geborene in die Regelung einzubeziehen, schreibt spiegel.de. Auch die SZ (Christian Wernicke) schreibt dazu.
Niederlande – Assoziationsabkommen EU/Ukraine: Rechtsprofessor Peter Van Elswege befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit den Auswirkungen, den ein "Nein" der Niederländer zum Votum bedeuten würde.
Sonstiges
Roboterhaftung: Zur Frage der rechtlichen Haftung für Schäden, die Roboter oder autonom fahrende Autos verursachen, schreibt die Zeit (Marcus Rohwetter). Drei Grundkonzepte stehen in der Diskussion: die Gleichsetzung mit einem Naturereignis, die Haftung des Halters und die Haftung des Herstellers.
"Herrschaft des Unrechts": Zur Äußerung Horst Seehofers (CSU) über eine "Herrschaft des Unrechts" in der Flüchtlingspolitik, schreibt nun auch die taz (Christian Rath). Die Äußerung beruhe wohl auf dem Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio, das aber selbst rechtlich zweifelhaft sei. Im Interview mit dem HBl (Heike Anger) kritisiert der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, den Ausspruch, der Rechtsstaat funktioniere, stehe aber vor besonderen Herausforderungen. Jasper von Altenbockum (FAZ) meint, Seehofer säge mit seiner Bestätigung feindseliger Propaganda an dem Ast auf dem alle Demokraten sitzen und er solle besser vor dem Verfassungsgericht klagen, wenn er das Vorgehen in der Flüchtlingspolitik für verfassungswidrig halte. Sollte das Gericht ihm zustimmen, zeige auch das, dass der Rechtsstaat funktioniert.
Recht auf Vergessen: Google will das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Recht auf Vergessen mit Hilfe der Geoblocking-Technik umsetzen, berichtet die SZ (Johannes Boie). Danach wäre nicht mehr entscheidend über welche Google-Startseite die Suche gestartet wird, sondern von wo aus. Datenschützer und Bürgerrechtler sollen Geoblocking als Mittel regionaler Zensur kritisieren und weiteren Einsatz befürchten, wenn das Instrument einmal vorhanden ist. Auch die FAZ (Stefan Tomik) schreibt zum Thema, wobei Google mit der Technik hier den Datenschützern gerade entgegenkommen soll, um das Schlupfloch über die außereuropäischen Google-Startseiten zu schließen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Februar 2016: Mindestlohnkontrollen wirken / Petry darf ins Rathaus / Vergessen mit Geoblocking . In: Legal Tribune Online, 11.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18393/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag